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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2001
2. Jahrgang
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(1) Die Ablaufhemmung des § 78 b Abs. 3 StGB wird auch durch ein Prozeßurteil bewirkt, durch welches das Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK eingestellt wird. (BGHSt)
(2) Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kann in außergewöhnlichen Einzelfällen, wenn eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfahrenshindernis führen, das vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist. (BGHSt)
(3) Im Prozeßurteil, durch welches das Verfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz eingestellt wird, hat der Tatrichter sowohl die Verfahrenstatsachen als auch Feststellungen zum Schuldumfang des Angeklagten und die der Prognose über die weitere Verfahrensdauer zugrundeliegenden Tatsachen sowie die die Entscheidung tragende Gesamtwürdigung im einzelnen und in nachprüfbarer Weise darzulegen. (BGHSt)
(4) Maßnahmen, welche einzig dem Ziel dienen, den Eintritt der Verjährung zu verhindern, sind grundsätzlich zulässig. (Bearbeiter)
(5) Ein Verfahrenshindernis wird durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, daß über einen Prozeßgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. (BGHSt 32, 345, 350). Sie müssen so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muß (BGHSt 35, 137, 140). Die Verletzung des Beschleunigungsgebots führt grundsätzlich nicht zu einem solchen Verfahrenshindernis (BGHSt 21, 81; 35, 137, 140), da die Tatsache und das Gewicht des Verstoßes nur in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrundeliegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmt werden können. (Bearbeiter)
(6) Im Hinblick auf die Bedeutung des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kodifizierten Menschenrechts auf eine rechtsstaatliche Behandlung und Entscheidung über die erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist kann ein Verstoß hiergegen, wenn seine Kompensation im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, für die Zulässigkeit des weiteren Verfahrens keine geringeren Folgen haben als der Verjährungseintritt, der einer Sachentscheidung sogar unabhängig von der konkreten Tatschuld entgegensteht. (Bearbeiter)
(7) Der Gesichtspunkt, daß Verfahrenshindernisse in der Regel - wenngleich nicht stets - an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen und nicht Ergebnis wertender Abwägungen sind, tritt dann zurück, wenn feststeht, daß für eine solche Abwägung aufgrund des Gewichts des Verstoßes kein Raum bleibt. In diesem Fall würde eine Fortsetzung des Verfahrens allein zur Vertiefung des Grundrechtsverstoßes führen; dem steht das Rechtsstaatsprinzip entgegen. (Bearbeiter)
(8) Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung kann dann nicht allein auf den insgesamt abgelaufenen Zeitraum gestützt werden, wenn dem Verfahren ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt, dessen Beurteilung umfangreiche und aufwendige Ermittlungen erforderlich macht (vgl. BGHR MRK Art. 6 1 Verfahrensverzögerung 5f.). (Bearbeiter)
(9) Die Feststellung eines gravierenden Verfahrensverstoßes führt grundsätzlich nicht zur Undurchführbarkeit des Verfahrens. Weder die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch die Entscheidung darüber, in welcher Weise sich dieser Verstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muß, ist unabhängig von den Umständen des Einzelfalles, namentlich auch vom Maß der Schuld des Angeklagten möglich. (Bearbeiter)
1. Mit § 247a StPO hat der Gesetzgeber dem Schutz des Zeugen ausdrücklich den Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Angeklagten eingeräumt. Er hat damit gleichzeitig dem in § 250 Abs. 1 StPO verankerten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Sinne der Forderung nach persönlicher Vernehmung eines Zeugen Geltung verschafft. Somit beruht § 247a StPO auf nachvollziehbaren Erwägungen und liegt im Rahmen des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.
2. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3d MRK scheidet aus, weil der Verteidiger für den Angeklagten in der Hauptverhandlung Fragen an die Zeugin richten konnte.
1. Verweigert eine Tatzeugin in der Hauptverhandlung das Zeugnis, dürfen ihre Angaben, die sie bei der Exploration für die Glaubhaftigkeitsprüfung zum Tatgeschehen gemacht hat (Zusatztatsachen), nicht für Feststellungen zum Tathergang verwertet werden, indem die Sachverständige als Zeugin gehört wird; das gilt auch für die erneute Hauptverhandlung nach der Wiederaufnahme des Verfahrens. (BGHSt)
2. Der § 252 StPO enthält nicht nur ein Verlesungs-, sondern ein Verwertungsverbot, das nach der berechtigten Zeugnisverweigerung auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen, ausschließt (vgl. BGHSt 45, 203, 205 m.w.N.). (Bearbeiter)
3. Mitteilungen eines gemäß § 52 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen gegenüber einem Sachverständigen über Zusatztatsachen (vgl. BGHSt 18, 107, 108), zu denen regelmäßig auch die Tatschilderung eines auf seine Glaubwürdigkeit zu begutachtenden Zeugen gehört (BGH StV 1996, 522), stehen einer Aussage im Sinn des § 252 StPO gleich. Soweit die Rechtsprechung ausnahmsweise die Vernehmung der Richter zuläßt, die an der früheren Vernehmung mitgewirkt haben (BGHSt 2, 99; 27, 231), kann diese Ausnahme auf die Befragung durch den Sachverständigen keine Anwendung finden (BGHSt 13, 1, 4). (Bearbeiter)
4. Der Umfang des Verwertungsverbots des § 252 StPO wird aus Sinn und Zweck der Norm und durch eine Abwägung zwischen den gegenläufigen Belangen, einerseits den durch das Zeugnisverweigerungsrecht geschützten Interessen an einer Nichtverwertung, andererseits der für weitestgehende Verwertung sprechenden Pflicht zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren bestimmt (BGHSt 2, 99, 105; 45, 342, 345). Es sind keine durchgreifenden Gründe dafür erkennbar, diese Belange deshalb anders zu gewichten und den Interessen der Wahrheitsfindung im Strafverfahren größere Bedeutung beizumessen, wenn es sich um ein wiederaufgenommenes Verfahren handelt und zuvor ein rechtskräftiges Urteil bestand. (Bearbeiter)
Der Gerichtsbeschluß, mit dem eine Frage zurückgewiesen wird, ist zu begründen. Das Gericht muß insbesondere darlegen, ob es eine Frage als ungeeignet oder nicht zur Sache gehörig ansieht und worauf sich seine Bewertung stützt, da die Gründe für eine solche Wertung je nach Sachlage von ganz verschiedener Art sein können. Das Revisionsgericht wird erst durch eine Begründung, die sich nicht in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts erschöpfen darf, in die Lage versetzt zu beurteilen, ob der Tatrichter die Rechtsbegriffe der Ungeeignetheit und der nicht zur Sache gehörenden Frage rechtsirrtumsfrei angewendet hat (vgl. BGHSt 2, 284, 286 ff.; 13, 252, 255).
1. Der Tatrichter muß sich in den Urteilsgründen grundsätzlich nicht ausdrücklich mit als wahr unterstellten Tatsachen auseinandersetzen. Feststellungen und Beweiswürdigung dürfen der Wahrunterstellung lediglich nicht widersprechen; sie müssen sich mit ihr in Einklang bringen lassen. Die in der Wahrunterstellung liegende Zusage kann es aber im Einzelfall ausnahmsweise und weitergehend gebieten, die als wahr unterstellte Tatsache im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich mit zu erwägen. Das ist dann der Fall, wenn sich dies angesichts der im übrigen gegebenen Beweislage aufdrängt und die Beweiswürdigung sich sonst als lückenhaft erwiese (so schon BGHSt 28, 310, 311; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 12, 13).
2. Eine Verurteilung kann nur auf eine hinreichend tragfähige Tatsachengrundlage gestützt werden (vgl. BGH NStZ 1981, 33; 1986, 373).
Die Vorschrift des § 244 Abs. 4 StPO gilt für den Freibeweis nicht.
Von der erhöhten Beweiskraft des Verhandlungsprotokolls werden nur die Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst erfaßt, da nur sie in der Regel Gegenstand der gemeinsamen Wahrnehmung des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten sein können.
1. Umstände, welche zur Ablehnung herangezogenen werden, die aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet sind, führen zur Unzulässigkeit der Ablehnung.
2. Eine völlig ungeeignete Begründung ist rechtlich wie das Fehlen einer Begründung zu behandeln.
1. Der Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend macht, muß die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, daß das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen. Danach setzt eine zulässige Aufklärungsrüge nicht nur die Benennung eines bestimmten Beweismittels und eines bestimmten Beweisergebnisses voraus, sondern es bedarf auch der Darlegung der Umstände und Vorgänge, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermißte Beweiserhebung aufdrängen mußte, bedeutsam sein könnten (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 - Aufklärungsrüge 6 m.w.N.).
2. Die Nichtausschöpfung der vom Tatrichter benutzten Beweismittel, insbesondere das beanstandete Fehlen von Vorhalten, kann mit der Revision nicht zulässig gerügt werden, da die Überprüfung des geltend gemachten Verfahrensfehlers eine im Revisionsverfahren nicht statthafte Rekonstruktion der tatrichterlichen Hauptverhandlung voraussetzen würde.