Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 429/00, Beschluss v. 23.11.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 3. April 2000 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Das Landgericht hat den Angeklagten M.T. wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu lebenslanger Freiheitsstrafe und den Angeklagten RT. wegen Beihilfe zum Mord zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Ergänzend zu den Antragsschriften des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 338 Nr. 6 StPO, § 169 GVG) ist nicht verletzt. Die Revision des Angeklagten M.T. macht geltend, nach Unterbrechung der Hauptverhandlung sei diese zunächst am Tatort und sodann in einer Polizeistation fortgesetzt worden: dies habe die Vorsitzende zwar vor der Unterbrechung im Sitzungssaal verkündet: entsprechende Hinweise seien allerdings - wie sich aus dem Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls ergebe - an den jeweils vorhergehenden Verhandlungsorten nicht, ausgehängt, worden. Das ist nicht zutreffend. Aufgrund der eingeholten dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden der Strafkammer steht fest, daß solche Aushänge sowohl im Gerichtsgebäude als auch am Tatort und an der Polizeistation angebracht waren. Diese dienstliche Erklärung ist verwertbar, da die negative Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) insoweit nicht greift. Nur die Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst werden der erhöhten Beweiskraft des Protokolls teilhaftig: nur sie können in der Regel Gegenstand der gemeinsamen Wahrnehmung des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten sein (Gollwitzer in LR 24. Aufl. § 274 Rdn. 15; vgl. G. Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 721). Ob während der am Tatort durchgeführten Hauptverhandlung andernorts (im Gerichtsgebäude bzw. am Tatort während der Fortsetzung der Hauptverhandlung in der Polizeistation) ein Hinweis aushing, war ein sich außerhalb der Hauptverhandlung ereignender Vorgang, den weder die Vorsitzende noch der Protokollführer im Rahmen der Hauptverhandlung wahrnehmen konnten. Ob, wann und wo auf Fortsetzungstermine hinweisende Aushänge angebracht waren, kann daher im Freibeweis geklärt werden.
2. Auch die Rüge, das Landgericht habe im Blick auf die von ihm angenommene Beihilfe des Angeklagten R.T. seine Hinweispflicht verletzt, ist unbegründet. Zwar hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach hervorgehoben, daß der Tatrichter -über den Wortlaut des § 265 StPO hinaus - den Angeklagten nicht im unklaren lassen darf, wenn er die Verurteilung auf gewichtige, den gesetzlichen Tatbestand betreffende Umstände stützen will, die in der Anklageschrift nicht enthalten sind (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht 1 bis 14, insbesondere bzgl. veränderter Tatzeiten). Das dient dem rechtlichen Gehör des Angeklagten und ermöglicht ihm eine wirksame Verteidigung. Ein Hinweis ist aber nicht stets dann erforderlich; wenn sich - wie dies häufig der Fall ist - aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung weitere Einzelheiten ergeben. die in der Anklageschrift (vgl. § 200 StPO) nicht dargelegt sind (vgl. BGH NStZ 2000. 48 und 216; BGHR StPO § 265 Hinweispflicht 5: BGH. Beschl. vom 5. April 2000 - 3 StR 95/00). So sind Änderungen hinsichtlich des vor der Tatausführung liegenden Zeitraumes im Grundsatz nicht hinweispflichtig (BGH StV 1988. 472. 473). Zudem reicht es selbst bei wesentlichen Abweichungen von der Anklageschrift aus, wenn der Angeklagte aus dem Gang der Hauptverhandlung die veränderten tatsächlichen Umstände entnehmen kann (BGH StV 1996, 297). Im vorliegenden Fall ergaben sich aus der zugelassenen Anklage sowohl das Tatbeteiligungsverhältnis (Beihilfe) wie auch alle tatsächlichen äußeren Umstände des Tatgeschehens und der Tatförderung durch diesen Angeklagten (Transport und Begleitung des Haupttäters zum Tatort und das Sich-Verbergen), die das Landgericht als Beihilfe gewürdigt hat. Das genügte. Der Zusammenhang der Tatschilderung in der Anklage läßt ohne weiteres erkennen, daß der Angeklagte R.T . seinen Bruder durch sein Dabeisein auch psychisch unterstützte und ebenso dazu beitrug, die Arglosigkeit des Opfers, seines Vaters. bis zur eigentlichen Tat zu erhalten, indem er sich hinter einer Baumgruppe "versteckte". Unerheblich ist, ob der Gehilfe die Ernsthaftigkeit der Tötungsabsicht des Haupttäters schon Stunden oder erst unmittelbar vor seiner Beihilfeleistung erkannt hat.
Bearbeiter: Rocco Beck