HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2000
1. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 3 StR 95/00 - Beschluß v. 05. April 2000 (LG Stade)

Reichweite der prozessualen Hinweispflicht; Gefährliche Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich

§ 265 Abs. 1, Abs. 4 StPO; § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB

Eine Hinweispflicht nach § 265 Abs. 4 StPO besteht nur, wenn die Abweichung wesentlich ist und solche Tatsachen betrifft, in denen die gesetzlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes gefunden werden; nicht aber bei Feststellungen, die sich auf die Phase der Tatplanung und Vorbereitung beziehen.


Entscheidung

BGH 1 StR 623/99 - Beschluß v. 12. April 2000 (LG Augsburg)

Betrug; Verfahrenshindernis; Strafanklageverbrauch; Begriff der Tat; Strafzumessung; Absprachenpraxis; Schutzwürdigkeit bei einem gescheiterten Deal; Legalitätsprinzip; Beweisbehauptungen als Einlassung des Angeklagten

§ 263 Abs. 1 StGB; § 264 StPO; § 46 Abs. 2 StGB; § 152 Abs. 2 StPO; § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; Art. 103 Abs. 3 GG

1. Es liegt kein Strafanklageverbrauch vor, wenn in der Strafzumessung in einem früheren Urteil im Rahmen der Gesamtwürdigung auf das Vorleben des Angeklagten insofern Bezug genommen wird, als daß weitere Taten geschehen sein mögen (Tat als Gegenstand einer Absprache).

2. Eine getroffene und offensichtlich rechtswidrige Absprache begründet kein Verfahrenshindernis eigener Art, den deren Rechtswidrigkeit schließt es aus, daran anknüpfende Erwartungen der Verfahrensbeteiligten als schutzwürdig zu erachten.

3. Es ist schon im Blick auf das Legalitätsprinzip (vgl. § 152 Abs. 2 StPO) schlechterdings ausgeschlossen, die Nichtverfolgung selbständiger prozessualer Taten zuzusichern, die noch gar nicht bekannt, deshalb nicht bestimmbar sind und daher auch in ihrem Gewicht und Schuldgehalt nicht beurteilt werden können (vgl. BGHSt 36, 210, 215).

4. Beweisbehauptungen in Beweisanträgen des Verteidigers können nicht ohne weiteres als Einlassung des Angeklagten angesehen werden (vgl. BGH NStZ 1990, 447; BGH StV 1998, 59).


Entscheidung

BGH 3 StR 531/99 - Beschluß v. 19. Januar 2000 (LG Hannover)

Nichtentbindung des Verteidigers von seiner Schweigepflicht und rechtlicher Beistand bei einer Speichelprobe als belastende Indizien

§§ 81 c, 136 Abs. 1, 137 Abs. 1, 243 Abs. 4, 261 StPO

1. Auch bei einem Angeklagten, der sich zur Sache eingelassen hat, darf aus der aktiven Verweigerung der Mitwirkung an der Sachaufklärung jedenfalls dann kein ihm nachteiliger Schluß gezogen werden, wenn dieses Prozeßverhalten nicht in einem engen und einem einer isolierten Bewertung unzugänglichen Sachzusammenhang mit dem Inhalt seiner Einlassung steht (hier; Nichtentbindung des Verteidigers von der Schweigepflicht, Abgrenzung zu BGHSt 20, 298). (BGHSt)

2. Erscheint eine Person, die von der Polizei zu einem Speicheltest für eine molekulargenetische Untersuchung geladen wird, - anders als andere, ebenfalls vorgeladene Personen - im Beistand eines Anwalts, so darf dies in einem späteren Strafverfahren gegen sie nicht als belastendes Indiz verwertet werden. (BGHSt)


Entscheidung

BGH 4 StR 80/00 - Beschluß v. 30. März 2000 (LG Neubrandenburg)

Absoluter Revisionsgrund; Anwesenheitsrecht des Angeklagten; Vergewaltigung; Zeugenschutz; Opferschutz; Doppelverwertungsverbot

§ 338 Nr. 5 StPO; § 230 StPO; § 247 StPO; § 177 Abs. 2 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

1. Die Verhandlung über die Vereidigung gehört ebenso wie die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen nicht mehr zur Vernehmung, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt. Deshalb ist in der Regel der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 gegeben, wenn der Angeklagte während dieser Verhandlungsteile von der Hauptverhandlung ausgeschlossen war (vgl. BGHSt 26, 218; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 15, 18). Das gilt auch, wenn ein Zeuge als Verletzter nach § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt geblieben ist (BGH NStZ 1999, 522).

2. Der für den Strafprozeß beherrschende Grundsatz der ständigen Anwesenheit des Angeklagten kann hinter den Belangen des Zeugen- und Opferschutzes nicht weiter zurücktreten, als dies die eng auszulegende Ausnahmevorschrift des § 247 StPO (vgl. BGHSt 26, 218, 220) zuläßt.


Entscheidung

BGH 2 StR 71/00 - Beschluß v. 29. März 2000 (LG Erfurt)

Unzulässigkeit von Bezugnahmen in der Urteilsbegründung auf ein aufgehobenes früheres Urteil

§ 267 StPO

Nach § 267 Abs. 1 StPO muß jedes Strafurteil aus sich heraus verständlich sein. Auf mit dem früheren Urteil aufgehobene, also nicht mehr existente Feststellungen verbietet sich eine Bezugnahme von selbst. Eine Bezugnahme wird auch nicht dadurch zulässig, daß sie mit dem Hinweis verbunden wird, die neue Hauptverhandlung habe zu denselben Feststellungen geführt.