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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 623/99, Beschluss v. 12.04.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 623/99 - Beschluß v. 12. April 2000 (LG Augsburg)

Betrug; Verfahrenshindernis; Strafanklageverbrauch; Begriff der Tat; Strafzumessung; Absprachenpraxis; Schutzwürdigkeit bei einem gescheiterten Deal; Legalitätsprinzip; Beweisbehauptungen als Einlassung des Angeklagten

§ 263 Abs. 1 StGB; § 264 StPO; § 46 Abs. 2 StGB; § 152 Abs. 2 StPO; § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; Art. 103 Abs. 3 GG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es liegt kein Strafanklageverbrauch vor, wenn in der Strafzumessung in einem früheren Urteil im Rahmen der Gesamtwürdigung auf das Vorleben des Angeklagten insofern Bezug genommen wird, als daß weitere Taten geschehen sein mögen (Tat als Gegenstand einer Absprache).

2. Eine getroffene und offensichtlich rechtswidrige Absprache begründet kein Verfahrenshindernis eigener Art, den deren Rechtswidrigkeit schließt es aus, daran anknüpfende Erwartungen der Verfahrensbeteiligten als schutzwürdig zu erachten.

3. Es ist schon im Blick auf das Legalitätsprinzip (vgl. § 152 Abs. 2 StPO) schlechterdings ausgeschlossen, die Nichtverfolgung selbständiger prozessualer Taten zuzusichern, die noch gar nicht bekannt, deshalb nicht bestimmbar sind und daher auch in ihrem Gewicht und Schuldgehalt nicht beurteilt werden können (vgl. dazu BGHSt 36, 210, 215).

4. Beweisbehauptungen in Beweisanträgen des Verteidigers können nicht ohne weiteres als Einlassung des Angeklagten angesehen werden (vgl. BGH NStZ 1990, 447; BGH StV 1998, 59).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. Juli 1999 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges unter Einbeziehung von fünf Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 14. Dezember 1995 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat sowie wegen Betruges in vier Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt; im übrigen hat es ihn freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Ergänzend bemerkt der Senat

1. Ein Verfahrenshindernis besteht entgegen der Auffassung der Revision hinsichtlich des Betruges zum Nachteil P. nicht. Die Strafklage ist insoweit durch das Urteil des Landgerichts München I nicht verbraucht.

a) Das Landgericht hat bei der Zumessung der Einzelstrafe wegen des Betrugs zum Nachteil P. strafmildernd berücksichtigt, der früheren Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht München I habe eine Absprache dahin zugrundegelegen, daß mit jener Verurteilung "verfahrensgegenständliche, aber auch sonstige bis dahin begangene Straftaten des Angeklagten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Unternehmensberater abgegolten sein sollten". Die Tat zum Nachteil P. beging der Angeklagte im Rahmen seiner Tätigkeit als Unternehmensberater zwar bereits vor der Verurteilung durch das Landgericht München I; sie war in jenem Verfahren indessen nicht mit angeklagt.

Die Revision trägt vor, durch die erste Verurteilung habe bereits eine "Gesamtbewertung der strafrechtlich relevanten unternehmensberaterischen Tätigkeit des Angeklagten stattgefunden", auch der zuvor begangene Betrug zum Nachteil P. sei in die damalige Strafzumessung mit eingeflossen.

b) Die in Rede stehende selbständige prozessuale Tat war nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht München I. Sie ist - ungeachtet der Frage daraus zu ziehender etwaiger rechtlicher Folgerungen - auch sonst in die Strafbemessung durch das Landgericht München I nicht "eingeflossen" (vgl. dazu auch BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14 sowie BGHSt 37, 10). Die Gründe jenes Urteils lassen solches nicht erkennen.

Soweit die Revision weitergehend geltend machen will, die im Verfahren vor dem Landgericht München I angeblich getroffene Absprache begründe ein Verfahrenshindernis eigener Art, stünde dem schon die offensichtliche Rechtswidrigkeit einer solchen Absprache entgegen; diese schließt es aus, daran anknüpfende Erwartungen der Verfahrensbeteiligten als schutzwürdig zu erachten. Nachdem die Tat zum Nachteil P. nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht München I war, ergab sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine tragfähige Grundlage für eine entsprechende Zusicherung im Rahmen einer etwaigen Absprache. Die in jener Sache beteiligte Staatsanwaltschaft durfte einer Absprache des behaupteten Inhalts schon im Blick auf das Legalitätsprinzip (vgl. § 152 Abs. 2 StPO) und die Verpflichtung auf Recht und Gesetz nicht zustimmen. Danach ist es schlechterdings ausgeschlossen, die Nichtverfolgung selbständiger prozessualer Taten zuzusichern, die noch gar nicht bekannt, deshalb nicht bestimmbar sind und daher auch in ihrem Gewicht und Schuldgehalt nicht beurteilt werden können (vgl. dazu BGHSt 36, 210, 215). Den zur Prüfung des geltend gemachten Verfahrenshindernisses herangezogenen Strafakten ist zu entnehmen, daß der Geschädigte P. den Sachverhalt erst mit Schreiben vom 28. Februar 1997 anzeigte; das Urteil des Landgerichts München I war indessen schon am 14. Dezember 1995 ergangen.

Daß die Strafkammer die von ihr zugrundegelegte Absprache, die den Fall P. aus den dargelegten Gründen nicht betreffen konnte, nunmehr bei der Aburteilung dieses Betruges zu Unrecht strafmildernd berücksichtigt hat, beschwert den Angeklagten nicht.

2. Auch die Sachrüge hat keinen Erfolg. Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:

a) Das Landgericht hat hinsichtlich der Betrugstaten zum Nachteil der drei Unternehmensberater festgestellt: Der Angeklagte stellte die drei Geschädigten als freie Mitarbeiter ein, die im Rahmen des von ihm gesteuerten Unternehmens auf Provisionsbasis insbesondere im Bereich der Finanzierungsberatung tätig sein sollten. Für die ihnen in Aussicht gestellten Vorteile aus der geplanten Zusammenarbeit zahlten sie vorab vereinbarungsgemäß eine "Gebühr" in Höhe von jeweils 57.500 DM. Dazu waren die mit der Finanzierungsberatung nicht vertrauten Mitarbeiter nur bereit, weil der Angeklagte ihnen eine umfassende Schulung, Einarbeitung und Unterstützung versprach. Diese Versprechungen hielt der Angeklagte jedoch - wie von ihm von vornherein beabsichtigt - nicht ein. Ihm ging es lediglich darum, zur Linderung seiner finanziellen Schwierigkeiten die "Gebühr" zu vereinnahmen.

b) Die Revision weist zu den festgestellten Zusagen des Angeklagten mit Recht auf Bedenken gegen die Beweiswürdigung der Strafkammer hin. Der Angeklagte hatte in Abrede gestellt, den geschädigten Finanzberatern die Durchführung von Schulungen versprochen zu haben. Das Landgericht hat dies für widerlegt erachtet und in diesem Zusammenhang ausgeführt, die Verpflichtung zur Einarbeitung und Schulung habe der Angeklagte "im übrigen" dadurch anerkannt, daß er durch zahlreiche Beweisangebote versucht habe nachzuweisen, Schulungsabende hätten tatsächlich stattgefunden. Damit stellt das Landgericht ersichtlich auf Beweisanträge ab, die der Verteidiger des Angeklagten gestellt hatte. Beweisbehauptungen in Beweisanträgen des Verteidigers können indes nicht ohne weiteres als Einlassung des Angeklagten angesehen werden (vgl. BGH NStZ 1990, 447; BGH StV 1998, 59). Zudem hat die Strafkammer nicht bedacht, daß im Rahmen der Verteidigung hilfsweise auch das Durchführen nicht zugesagter Schulungen behauptet werden kann. Im Blick auf das Bestreiten der Zusage entsprechender Schulungen können daraus keine dem Angeklagten nachteiligen Schlüsse gezogen werden.

Der Senat schließt jedoch aus, daß das Urteil auf diesem Mangel beruht. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, daß die Schulungszusagen des Angeklagten zur Überzeugung der Strafkammer bereits auf Grund der übereinstimmenden und für glaubhaft erachteten Aussagen der Geschädigten feststanden. Die "im übrigen" angestellte Hilfserwägung zu den Beweisanträgen ist erkennbar nur zur Bestätigung der bereits auf Grund anderweitiger Beweismittel für erwiesen erachteten Zusagen erfolgt.

c) Auch die Einwände der Revision gegen die Strafzumessung greifen nicht durch. Sie meint, die den Geschädigten gezahlten Beraterprovisionen hätten strafmildernd berücksichtigt werden müssen. Der Tatrichter ist jedoch nicht verpflichtet, sämtliche Strafzumessungserwägungen in den Urteilsgründen darzustellen; nur die bestimmenden Zumessungsgründe sind anzuführen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, daß die Geschädigten durch die Finanzierungsberatung nennenswerte Einkünfte in solchem Maße erzielt hätten, daß darin ein bestimmender strafmildernder Umstand hätte gesehen werden müssen. Eine Aufklärungsrüge, die zudem einen genauen Vortrag u.a. hinsichtlich der erbrachten Beratertätigkeit und der im einzelnen hierfür empfangenen Provisions- oder Honorarzahlungen erfordert hätte, hat die Revision nicht erhoben.

Externe Fundstellen: NStZ 2000, 495; StV 2000, 539

Bearbeiter: Karsten Gaede