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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 708

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 1/21, Beschluss v. 11.05.2021, HRRS 2021 Nr. 708


BGH 4 StR 1/21 - Beschluss vom 11. Mai 2021 (LG Bochum)

Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (Beziehungsgegenstände: nicht gesamtes elektronisches Gerät, sondern enthaltenes Speichermedium; Einziehungsentscheidung: keine Entscheidung zur Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung; Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: vorrangige Prüfung weniger einschneidender Maßnahmen zur Erreichung des Einziehungszwecks); Beschränkung der Verfolgung (revisionsgerichtliche Überprüfung nur auf eine Verfahrensrüge).

§ 74 StGB; § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB; § 154a Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Einziehungsentscheidung nach § 74 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar. Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb als ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege der Gesamtbetrachtung der den Täter betreffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen.

2. Es kann vorliegend offenbleiben, ob auch eine zwingende Einziehungsentscheidung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, sofern ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert betroffen ist.

3. Beziehungsgegenstände im Sinne des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB sind nicht etwa ein (gesamtes) Mobiltelefon oder ein (gesamter) Laptop, sondern nur die in ihnen verbauten und zur Bildspeicherung genutzten Speichermedien.

4. Sowohl für die Anordnung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB als auch für eine solche nach § 74 Abs. 1 StGB gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 74f StGB), so dass gegebenenfalls von den Möglichkeiten des § 74f Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht werden muss. Danach können Einziehungen zunächst vorbehalten bleiben und weniger einschneidende Maßnahmen anzuordnen sein, wenn auch auf diese Weise der Einziehungszweck erreicht werden kann. Dies kann bei einer Speicherung von Bilddateien durch deren endgültige Löschung geschehen.

5. Eine Überprüfung des Urteils mit Blick auf eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO kann im Revisionsverfahren nicht auf die Sachrüge erfolgen. Anders als eine Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO führt eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO kein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis herbei, da eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO nur dazu führt, dass der Angeklagte während ihrer Dauer wegen der ausgeschiedenen Tatteile strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, aber nicht die Frage betrifft, ob diese Tat überhaupt abgeurteilt werden darf. Zudem bleibt die Wirkung einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO auch deshalb deutlich hinter derjenigen nach § 154 StPO zurück, weil die Anforderungen an eine Wiedereinbeziehung des abgetrennten Teils bei § 154a StPO geringer sind. So kann gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO eine Wiedereinbeziehung in jeder Lage des Verfahrens ohne einen - wie in § 154 Abs. 5 StPO vorgesehenen - Gerichtsbeschluss erfolgen. Etwaige Fehler im Verfahren über die Wiedereinbeziehung, wie ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs, müssen demnach mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 23. Juni 2020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über

a) die Einzelstrafe im Fall II.3.e der Urteilsgründe,

b) die Gesamtstrafe sowie

c) die Einziehung.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und mit Herstellen kinderpornographischer Schriften sowie wegen Herstellens einer kinderpornographischen Schrift zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt sowie die Einziehung eines Mobiltelefons und eines Laptops angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen (Fälle II.3.b bis 3.d der Urteilsgründe, begangen zum Nachteil seiner Stiefenkelin jeweils zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 25. Oktober 2014 und Februar 2018) verurteilt worden ist, ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Zwar hat das Landgericht die (tateinheitliche) Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen rechtsfehlerhaft auf die Vorschrift des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB (leiblicher Abkömmling des Ehegatten, also auch dessen gemäß § 1589 Satz 1 BGB in gerader Linie verwandte Enkelin, vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 1 StR 340/17 Rn. 5) in der Fassung vom 21. Januar 2015 gestützt. In Anwendung des Zweifelssatzes (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2020 - 4 StR 437/20; vom 15. Februar 2018 ? 4 StR 594/17, NStZ-RR 2018, 172 und vom 8. Juli 2014 ? 1 StR 240/14, wistra 2014, 486) ist allerdings zugunsten des Angeklagten von den Tatzeiten auszugehen, die vor Inkrafttreten dieser Regelung am 27. Januar 2015 liegen. Da § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB nF den Anwendungsbereich auf Abkömmlinge von Ehegatten oder Lebenspartnern gegenüber der bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassung erweiterte, war gemäß § 2 Abs. 3 StGB die für den Angeklagten günstigere frühere Fassung des § 174 StGB (Fassung vom 27. Dezember 2003) anzuwenden, die eine entsprechende Regelung nicht enthielt. Die Feststellungen ergeben aber, dass der Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB (zur Erziehung und Betreuung in der Lebensführung anvertraut) in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 27. Dezember 2003 erfüllt ist.

b) Der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und mit Herstellen kinderpornographischer Schriften (Fall II.3.e der Urteilsgründe, begangen am 9. Dezember 2017) begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Soweit der Generalbundesanwalt mit Blick auf eine vom Landgericht vorgenommene Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO beantragt hat, den Schuldspruch dahin zu ändern, dass der Angeklagte nur des Herstellens kinderpornographischer Schriften schuldig ist, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

aa) Nach dem Vorbringen des Generalbundesanwalts hat das Landgericht hinsichtlich dieser Tat „die Verfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf das Herstellen von kinderpornographischen Schriften in 14 tateinheitlich begangenen Taten beschränkt, da die übrigen abtrennbaren Teile dieser Tat bei der Findung einer gegebenenfalls zu erwartenden Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würden.“ Diese Verfahrensbeschränkung führt nicht zu der beantragten Änderung des Schuldspruchs.

(1) Eine Überprüfung des Urteils mit Blick auf eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO kann im Revisionsverfahren nicht auf die allein erhobene Sachrüge erfolgen. Anders als eine Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 7. April 2020 - 4 StR 622/19 mwN) führt eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO kein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis herbei, da eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO nur dazu führt, dass der Angeklagte während ihrer Dauer wegen der ausgeschiedenen Tatteile strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 1980 - 1 StR 422/80, BGHSt 29, 315, 316), aber nicht die Frage betrifft, ob diese Tat überhaupt abgeurteilt werden darf. Zudem bleibt die Wirkung einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO auch deshalb deutlich hinter derjenigen nach § 154 StPO zurück, weil die Anforderungen an eine Wiedereinbeziehung des abgetrennten Teils bei § 154a StPO geringer sind. So kann gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO eine Wiedereinbeziehung in jeder Lage des Verfahrens ohne einen - wie in § 154 Abs. 5 StPO vorgesehenen - Gerichtsbeschluss erfolgen. Etwaige Fehler im Verfahren über die Wiedereinbeziehung, wie ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1972 - 2 StR 206/72; Beschluss vom 26. Mai 1992 - 1 StR 131/92, StV 1992, 452), müssen demnach mit einer - hier nicht erhobenen - Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 1992 - 1 StR 131/92, StV 1992, 452).

(2) Im Übrigen teilt der Senat nicht die Auffassung, dass das Landgericht mit dem vorgenannten Beschluss die tateinheitlich angeklagten Delikte des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen von der Verfolgung ausgeschieden hat. Vielmehr ergibt die Auslegung dieses Beschlusses unter ergänzender Heranziehung der Anklageschrift, dass eine Verfahrensbeschränkung nur insoweit erfolgen sollte, als sich die Verfolgung wegen des tateinheitlich verwirklichten Delikts des Herstellens von kinderpornographischen Schriften statt auf die angeklagten 28 Fotos nunmehr nur noch auf 14 Fotos beziehen sollte (vgl. zur Auslegung von Beschlüssen zur Verfahrenseinstellung: BGH, Urteil vom 25. September 2014 - 4 StR 69/14 Rn. 15).

bb) Die vom Generalbundesanwalt beantragte Schuldspruchänderung hindert den Senat nicht, die Revision insoweit durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2019 - 4 StR 158/19 mwN).

2. Die Einzelstrafe von einem Jahr im Fall II.3.e der Urteilsgründe kann hingegen nicht bestehen bleiben. Denn das Landgericht hat nicht erkennbar berücksichtigt, dass dem Angeklagten mit der Einziehung des Mobiltelefons Samsung möglicherweise ein ihm gehörender Gegenstand von erheblichem Wert entzogen worden ist und dies bei Festsetzung der Einzelstrafe strafmildernd zu berücksichtigen ist.

Eine Einziehungsentscheidung nach § 74 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2020 - 4 StR 214/20; vom 21. November 2018 ? 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88; vom 3. Mai 2018 ? 3 StR 8/18, NStZ 2018, 526 und vom 12. März 2013 ? 2 StR 43/13, StV 2013, 565). Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb als ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege der Gesamtbetrachtung der den Täter betreffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2020 ? 4 StR 525/19, NStZ 2020, 407, 408; vom 5. November 2019 ? 2 StR 447/19, StV 2020, 232; vom 3. Mai 2018 ? 3 StR 8/18, NStZ 2018, 526).

Es kann vorliegend offenbleiben, ob auch eine zwingende Einziehungsentscheidung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB - wie sie hier erfolgt ist - im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, sofern ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert betroffen ist. Denn Beziehungsgegenstand im Sinne des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB ist lediglich das im Mobiltelefon verbaute und zur Bildspeicherung genutzte Speichermedium (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - 2 StR 448/19; vom 8. Mai 2018 - 5 StR 65/18); das Landgericht hat jedoch das gesamte Mobiltelefon eingezogen. Die Einziehungsentscheidung geht damit über den Umfang des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB hinaus und fällt insoweit in den Anwendungsbereich von § 74 Abs. 1 StGB. Der Senat kann unter den hier gegebenen besonderen Umständen nicht gänzlich ausschließen, dass das Landgericht bei Beachtung der vorbenannten Grundsätze die Einzelstrafe im Fall II.3.e der Urteilsgründe milder bemessen hätte. Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

3. Soweit das Landgericht in Fall II.3.a der Urteilsgründe die angeordnete Einziehung des Laptops, auf dem das zur Begehung der Tat gefertigte Foto abgespeichert ist, ebenfalls nicht im Rahmen der Strafzumessung gewürdigt hat, kann der Senat allerdings angesichts der die Mindeststrafe von drei Monaten nur geringfügig übersteigenden Einzelstrafe von sechs Monaten ausschließen, dass diese Strafe auf dem Rechtsfehler beruht.

4. Die vom Landgericht nicht begründete Entscheidung über die Einziehung des Mobiltelefons und des Laptops unterliegt ebenfalls der Aufhebung. Es ist zu besorgen, dass das Landgericht verkannt hat, dass Beziehungsgegenstände im Sinne des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB nicht das (gesamte) Mobiltelefon und der (gesamte) Laptop sind, sondern nur die in ihnen verbauten und zur Bildspeicherung genutzten Speichermedien (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - 2 StR 448/19; vom 8. Mai 2018 - 5 StR 65/18).

5. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Einziehung der Geräte erwägen, wird er zu prüfen haben, ob es technisch möglich ist, die Fotos in einer Weise zu löschen, dass sie nicht mehr wiederhergestellt werden können. Sowohl für die Anordnung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB als auch für eine solche nach § 74 Abs. 1 StGB gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 74f StGB), so dass gegebenenfalls von den Möglichkeiten des § 74f Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht werden muss. Danach können Einziehungen zunächst vorbehalten bleiben und weniger einschneidende Maßnahmen anzuordnen sein, wenn auch auf diese Weise der Einziehungszweck erreicht werden kann. Dies kann bei einer Speicherung von Bilddateien durch deren endgültige Löschung geschehen (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 5 StR 65/18).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 708

Externe Fundstellen: StV 2021, 713

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner