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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 22

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 231/21, Beschluss v. 03.11.2021, HRRS 2022 Nr. 22


BGH 3 StR 231/21 - Beschluss vom 3. November 2021 (LG Oldenburg)

Konkurrenzen zwischen Brandstiftung und anschließendem versuchtem Betrug bei mehreren Beteiligten (Tatmehrheit; Tateinheit; Handlungseinheit oder -mehrheit; individueller Tatbeitrag jedes Beteiligten).

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 263 StGB; § 306 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Eine Brandstiftung und ein anschließender (versuchter) Betrug durch die Inanspruchnahme einer Versicherung für den Brandschaden stehen grundsätzlich materiellrechtlich in Tatmehrheit. Die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit ist jedoch stets nach dem individuellen Tatbeitrag eines jeden Beteiligten zu beurteilen. Jeder Mittäter oder Gehilfe ist anhand der von ihm selbst geleisteten Handlungen gesondert zu bewerten. Als rechtlich selbständige Taten können jedem nur solche Einzeltaten eines fortlaufenden Geschehens zugerechnet werden, für die er einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag geleistet hat. Ob andere Beteiligte die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben, bleibt ohne Belang.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten N. C. und D. C. wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 19. Januar 2021

in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass

der Angeklagte N. C. des schweren Bandendiebstahls in zwölf Fällen, des versuchten schweren Bandendiebstahls, des Diebstahls in zwei Fällen, des versuchten Diebstahls, der Brandstiftung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Betrug, und des versuchten Betrugs schuldig ist;

der Angeklagte D. C. des schweren Bandendiebstahls in zwölf Fällen, des versuchten schweren Bandendiebstahls, des Diebstahls, der Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug und der Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Betrug schuldig ist;

in den Aussprüchen über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit sie die Angeklagten und den Mitangeklagten L. betreffen, dahin geändert und neu gefasst, dass

gegen die Angeklagten jeweils die Einziehung eines Geldbetrags in Höhe von 371.547,45 € als Gesamtschuldner angeordnet wird;

gegen den Mitangeklagten L. die Einziehung eines Geldbetrags in Höhe von 332.179,04 € als Gesamtschuldner angeordnet wird.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten N. C. wegen schweren Bandendiebstahls in zwölf Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls, Diebstahls in zwei Fällen, versuchten Diebstahls, Brandstiftung in zwei Fällen, Betruges und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und fünf Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie eine Entscheidung über den Vorwegvollzug getroffen. Gegen den Angeklagten D. C. hat es wegen schweren Bandendiebstahls in zwölf Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls, Diebstahls, Brandstiftung in zwei Fällen, Beihilfe zum Betrug und Beihilfe zum versuchten Betrug eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verhängt.

Außerdem hat die Strafkammer gegen die Angeklagten jeweils die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 371.832,42 € angeordnet, gegen den Mitangeklagten L. in Höhe von 332.226,01 €. Sie hat bestimmt, dass alle drei in letztgenannter Höhe gesamtschuldnerisch haften, die beiden Revidenten „darüber hinaus“ in Höhe des gegen sie festgesetzten Betrags.

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die konkurrenzrechtliche Würdigung des Landgerichts in den Fällen II.17. bis II.20. der Urteilsgründe hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung teilweise nicht stand.

a) Die Strafkammer hat insoweit Folgendes festgestellt:

Der Angeklagte N. C. und seine mitangeklagte Ehefrau wollten gemeinsam Profit daraus schlagen, dass sie Brände legen (lassen) und anschließend für den entstandenen Schaden eine Versicherung in Anspruch nehmen.

Ihr erstes Tatobjekt war der defekte Wagen der Mitangeklagten. Sie weihten den Angeklagten D. C. in ihren Tatplan ein, der sich zur Mitwirkung bereiterklärte. Beide Revidenten setzten daraufhin gemeinsam das Auto in Brand. Ein Übergreifen der Flammen auf umstehend geparkte Fahrzeuge nahmen sie billigend in Kauf. Tatsächlich fingen zwei weitere PKW-Feuer und brannten aus (Fall II.17. der Urteilsgründe). Etwa zwei Wochen später machte die Ehefrau dem gemeinsam mit N. C. gefassten Tatplan entsprechend den Schaden gegenüber der Versicherung geltend und erlangte auf diese Weise 12.175 € für das gemeinsame Haushaltseinkommen (Fall II.18. der Urteilsgründe).

Sodann kamen der Angeklagte N. C. und seine Ehefrau überein, die Hausratsversicherung zu Unrecht in Anspruch zu nehmen. Zu diesem Zweck beauftragten sie D. C. und seinen mitangeklagten Vater damit, das von ihnen gemietete und zuvor weitgehend ausgeräumte Einfamilienhaus anzuzünden. Abredegemäß legte D. C., der von dem geplanten Versicherungsbetrug wusste, gegen ein Zahlungsversprechen Feuer, nachdem N. C. mit seiner Frau in die Ferien geflogen war, um ein Alibi vorweisen zu können. Das Erdgeschoss brannte, wie beabsichtigt, vollständig aus (Fall II.19. der Urteilsgründe). Anschließend erstatteten die Eheleute eine Schadensanzeige gegenüber dem Versicherer und überreichten eine Liste, die vermeintlich zerstörten Hausrat im Wert von 56.414 € auswies. Zu einer Auszahlung der Versicherungssumme kam es nicht (Fall II.20. der Urteilsgründe).

b) Die Strafkammer hat die Taten für beide Angeklagte als Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB (Fall II.17. der Urteilsgründe) und § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Fall II.19. der Urteilsgründe), für N. C. überdies als Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB (Fall II.18. der Urteilsgründe) sowie versuchten Betrug gemäß § 263 Abs. 1, § 22 StGB (Fall II.20. der Urteilsgründe) und für D. C. als Beihilfe zu den beiden letztgenannten Taten gewürdigt.

c) Diese deliktische Einordnung der einzelnen Tathandlungen ist rechtsfehlerfrei. Insbesondere ist die Annahme eines täterschaftlichen Betrugs für N. C. in Fall II.17. der Urteilsgründe nicht zu beanstanden (zu den Voraussetzungen der Täterschaft s. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896 Rn. 50 f.; vom 28. April 2020 - 3 StR 85/20, juris Rn. 4 mwN). Seine Beteiligung an der Planung, sein Interesse am Erhalt der Versicherungssumme und seine Tatvorbereitung in Form der Brandlegung tragen bei einer Gesamtschau die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 StGB, zumal aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe hervorgeht, dass der zur Tatzeit 21jährigen, unbestraften Ehefrau bei den Taten des deutlich älteren, massiv vorbestraften und betäubungsmittelaffinen Angeklagten weitgehend unterstützende Funktion zukam (s. UA S. 13).

Auch in Fall II.19. der Urteilsgründe tragen die Feststellungen eine Täterschaft für N. C. Obgleich er während der Brandlegung nicht am Tatort war, kam ihm aufgrund seiner Tatplanung einschließlich der Bestimmung des Tatobjekts, der wesentlichen Tatmodalitäten und der unmittelbaren Täter, seines Tatbeitrags in Form des vorherigen Ausräumens des Hauses sowie dadurch, dass er durch den von ihm gewählten Reisezeitpunkt das Datum der Tatausführung festlegte, die Herrschaft über die Tat zu. Hinzu kommt sein eigenes starkes Tatinteresse, das hinreichend belegt, dass er die Brandstiftung als eigene wollte.

d) Allerdings begegnet die konkurrenzrechtliche Würdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Eine Brandstiftung und ein anschließender (versuchter) Betrug durch die Inanspruchnahme einer Versicherung für den Brandschaden stehen grundsätzlich materiellrechtlich in Tatmehrheit (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 23. September 2021 - 3 StR 38/21, juris Rn. 39 mwN). Die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit ist jedoch stets nach dem individuellen Tatbeitrag eines jeden Beteiligten zu beurteilen. Jeder Mittäter oder Gehilfe ist anhand der von ihm selbst geleisteten Handlungen gesondert zu bewerten. Als rechtlich selbständige Taten können jedem nur solche Einzeltaten eines fortlaufenden Geschehens zugerechnet werden, für die er einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag geleistet hat. Ob andere Beteiligte die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben, bleibt ohne Belang (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265, 267; vom 7. März 2017 - 3 StR 505/16, juris Rn. 12 mwN; 11 12 vom 10. Dezember 2019 - 3 StR 529/19, StV 2020, 661 Rn. 9; MüKoStGB/ Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl., § 25 Rn. 274 mwN). Hieraus folgt:

aa) Der Angeklagte N. C. nahm in den Fällen II.17. und II.18. der Urteilsgründe nur eine einzige Tathandlung vor; er setzte das Fahrzeug in Brand. Durch diese identische Ausführungshandlung beging er die Brandstiftung und ermöglichte den späteren Versicherungsbetrug. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 263 Abs. 1 StGB erfüllte sodann allein seine Ehefrau. Der Angeklagte ist deshalb im ersten Tatkomplex nur wegen einer materiellrechtlichen Tat zu verurteilen und schuldig der Brandstiftung in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Betrug.

Ein selbstständiger, zur Tatmehrheit führender Tatbeitrag zum Versicherungsbetrug ist nicht festgestellt. Soweit der Angeklagte auch an dessen Planung maßgeblich beteiligt war, fällt sein Beitrag mit demjenigen von der Planung der Brandstiftung zusammen und begründet deshalb keine eigenständige materiellrechtliche Tat.

Die Fälle II.19. und II.20. der Urteilsgründe hat die Strafkammer dagegen rechtsfehlerfrei für N. C. als zwei tatmehrheitliche Delikte gewürdigt, denn hier leistete er zu jedem Delikt einen eigenen Ausführungsbeitrag. Während sich die Tatplanung und das Ausräumen des Hauses als für beide Delikte förderlich darstellen, ermöglichte er (allein) die Brandstiftung dadurch, dass er sich nach K. begab; seine Abwesenheit vom Tatort und damit sein Alibi waren wesentlicher Teil des Tatplans. Anschließend täuschte er selbst den Sachbearbeiter der Versicherung.

bb) D. C. nahm in den Fällen II.17. und II.18. sowie in den Fällen II.19. und II.20. der Urteilsgründe jeweils nur eine einzige natürliche Handlung vor; er setzte Fahrzeug und Haus in Brand. Dadurch beging er jeweils eine Brandstiftung und unterstützte mit der identischen Handlung die Betrugstaten. Er ist deshalb in beiden Tatkomplexen jeweils nur wegen einer materiellrechtlichen Tat zu verurteilen und schuldig der Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug sowie der Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Betrug.

e) Der Senat ändert die Schuldsprüche in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich die geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

f) Die abweichende rechtliche Beurteilung lässt die Aussprüche über die Gesamtstrafen unberührt. Infolge der Schuldspruchänderungen entfallen zwar die Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten für N. C. in Fall II.18. der Urteilsgründe und von jeweils sechs Monaten aus den Fällen II.18. und II.20. der Urteilsgründe für D. C. Die gegen die Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafen haben dennoch Bestand. Angesichts der verbleibenden Einzelstrafen - einmal drei Jahre und zehn Monate, einmal drei Jahre und zwei Monate, einmal drei Jahre, siebenmal zwei Jahre und zehn Monate, fünfmal zwei Jahre und vier Monate, einmal zwei Jahre, einmal ein Jahr neun Monate, einmal ein Jahr vier Monate für N. C. sowie einmal zwei Jahre und neun Monate, einmal zwei Jahre und acht Monate, sechsmal zwei Jahre und zwei Monate, zweimal zwei Jahre, fünfmal ein Jahr und acht Monate, einmal ein Jahr für D. C. - ist auszuschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf niedrigere Gesamtfreiheitsstrafen erkannt hätte, zumal die Bewertung des Konkurrenzverhältnisses den Unrechts- und Schuldgehalt regelmäßig nicht berührt (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 25. Juni 2019 - 3 StR 130/19, juris Rn. 9 mwN).

2. Die Einziehungsentscheidung bedarf ebenfalls der Korrektur (§ 354 Abs. 1 StPO analog).

a) Aufgrund von zahlenmäßigen Unklarheiten im Urteil sind die einzuziehenden Geldbeträge zu reduzieren.

aa) Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen erlangten die Angeklagten durch ihre Taten in den Fällen II.1. bis II.8., II.11., II.12., II.15. und II.16. der Urteilsgründe Diebesgut, das nicht mehr bei ihnen vorhanden ist. Den Wert dieser Tatbeute hat das Landgericht innerhalb der Darstellung der von ihm getroffenen Feststellungen zu jedem Einzelfall beziffert. Im Rahmen der Begründung der Einziehungsentscheidung hat es sodann alle Beträge erneut in einer Tabelle aufgeführt und jene seiner Berechnung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB zugrunde gelegt. Bezüglich der Fälle II.1., II.4. und II.12. der Urteilsgründe ergeben sich dabei Abweichungen zwischen den in der Tabelle aufgeführten und den in den Feststellungen genannten Zahlen. Um jegliche Beschwer der Angeklagten auszuschließen, ist der Berechnung jeweils die niedrigere Zahl zugrunde zu legen, in Fall II.1. mithin brutto 10.652,88 € (wie Tabelle), in Fall II.4. brutto 22.718,18 € und in Fall II.12. brutto 2.139,46 € (jeweils wie Feststellungen). Auf diese Weise ergibt sich der aus der Beschlussformel ersichtliche, im Vergleich zum angefochtenen Urteil um 284,97 € reduzierte Betrag von 371.547,45 €.

bb) Der Fehler betrifft auch den Mitangeklagten L. Er war an den hier in Rede stehenden schweren Bandendiebstählen zu den Fällen II.1. und II.12. beteiligt. Das Landgericht hat auch gegen ihn die Einziehung des Wertes des unter anderem aus diesen Taten Erlangten angeordnet. Deshalb ist die Änderung gemäß § 357 Satz 1 StPO auf ihn zu erstrecken und die gegen ihn festgesetzte Einziehungssumme um 46,97 € (Differenz zu seinen Lasten betreffend Fall II.12.) zu reduzieren.

b) Zutreffend hat die Strafkammer erkannt, dass die Angeklagten und der Mitangeklagte L. in keinem der Fälle allein über die Tatbeute verfügten und dementsprechend jeweils in voller Höhe des von ihnen zu leistenden Wertersatzes als Gesamtschuldner haften. Da es der individuellen Benennung der anderen Gesamtschuldner nicht bedarf (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 25. August 2021 - 3 StR 100/21, juris Rn. 11 mwN), hat der Senat den Tenor insoweit neu gefasst.

3. Angesichts des geringen Erfolgs der Revisionen ist es nicht unbillig, die Angeklagten mit den gesamten Kosten ihres Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 22

Bearbeiter: Christian Becker