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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1079

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 38/21, Urteil v. 23.09.2021, HRRS 2021 Nr. 1079


BGH 3 StR 38/21 - Urteil vom 23. September 2021 (LG Düsseldorf)

Beweiswürdigung bei der Feststellung des Tötungseventualvorsatzes bei Brandanschlägen auf Wohnhäuser (äußerst gefährliche Handlungen; Wissenselement; Willenselement; billigende Inkaufnahme; hohe Hemmschwelle gegenüber Tötung; fehlendes Tötungsmotiv kein vorsatzkritischer Umstand; Gesamtwürdigung).

§ 15 StGB; § 306a StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei äußerst gefährlichen Handlungen liegt es nahe, dass der Täter im Sinne eines Eventualvorsatzes mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch sie zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein riskantes Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Dabei sind für die Beurteilung der Gefährlichkeit von Brandanschlägen auf Wohnhäuser bedeutsam namentlich die Beschaffenheit des angegriffenen Objekts im Hinblick auf Fluchtmöglichkeiten und auf die Brennbarkeit der beim Bau verwendeten Materialien, eine erhöhte Schutzlosigkeit der Bewohner zur Nachtzeit sowie die Belegungsdichte.

2. Angesichts der gewöhnlich hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist indes immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr des Todes nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbstständig neben dem Wissenselement stehende - Willenselement gegeben ist.

3. Das fehlende Tötungsmotiv kann bei der Prüfung des Eventualvorsatzes regelmäßig nicht als vorsatzkritischer Umstand herangezogen werden, da der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter grundsätzlich kein Tötungsmotiv hat, sondern stets einem anderen Handlungstrieb nachgeht. Für die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit kommt - anders als beim direkten Vorsatz - den Motiven des Täters vielmehr nur unter bestimmten Umständen Gewicht zu. So kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. Juli 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet er sich mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die zu seinen Ungunsten eingelegte, auf die Sachbeschwerde gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet die Verurteilung des Angeklagten sowie die unterbliebene Entscheidung über eine Strafbarkeit wegen versuchten Betruges durch Geltendmachung von Ansprüchen aus der gegen Brandschäden abgeschlossenen Versicherung. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen mietete der Angeklagte ab März 2012 ein Ladenlokal in D., um dort - unweit eines von ihm betriebenen Kiosks - eine weitere Verkaufsstätte mit Backshop („Frühstücksladen“) zu eröffnen. In dem Gebäude füllte das Ladenlokal das gesamte Erdgeschoss aus. Das angrenzende Treppenhaus bildete den einzigen Zugang zu den neun Wohneinheiten in den darüber gelegenen fünf Stockwerken. Das Ladenlokal war mit den Wohnungen über Lüftungsschlitze verbunden (sog. Berliner Lüftung), was dem Angeklagten bekannt war. Nachdem der Angeklagte den „Frühstücksladen“ für eineinhalb Monate betrieben hatte, schloss er ihn gegen November 2016 mangels ausreichender Einnahmen dauerhaft.

a) Am 5. März 2018 zwischen 1 Uhr und 1:18 Uhr setzte der Angeklagte gemäß seinem im Vorfeld gefassten Tatplan das Ladenlokal in Brand, indem er Ottokraftstoff an vier Stellen großflächig ausbrachte und im Wege einer „Schütt-Lunte“ bis vor die Zugangstür goss, diese verriegelte und den Kraftstoff von außen entzündete. Anschließend verließ er den Tatort.

Über die brennende „Schütt-Lunte“ kam es zu einer Zündung des im Ladenlokal entstandenen Dampf-Luft-Gemisches, das zu einer Raumexplosion führte, wodurch die Schaufensterscheibe zerbarst. Kurze Zeit später standen die komplette bewegliche Einrichtung und ortsfeste Ausstattung des Ladenlokals im Vollbrand. Das Treppenhaus war vollständig verraucht. Über das Lüftungssystem war Rauch in die Wohnungen gelangt. Die Flammen schlugen außen am Gebäude hoch; im ersten Obergeschoss waren bereits die Fenster gerissen. Die Feuerwehr rettete unter Einsatz von Lüftern und Fluchthauben zehn Bewohner aus dem Objekt, die im Zeitpunkt der Inbrandsetzung größtenteils geschlafen hatten und unverletzt blieben.

Dem Angeklagten war bewusst, dass der Brand aufgrund der Flammen- und Rauchentwicklung die Gesundheit der sich im Gebäude aufhaltenden und zur Nachtzeit schlafenden Menschen gefährden könnte. Dies nahm er billigend in Kauf, allerdings nicht ihren Tod. Ihm kam es darauf an, Leistungen aus der im Jahr zuvor abgeschlossenen Sach- und Ertragsausfallversicherung zu erhalten.

b) In weiterer Ausführung seines Tatplans meldete der Angeklagte das Brandereignis dem Versicherer noch im Verlauf des Tattages. Dabei täuschte er über das Vorliegen eines Versicherungsfalls, „indem er seine Tatbeteiligung planvoll verschwieg“.

2. Das Landgericht hat die Tat unter 1. a) als besonders schwere Brandstiftung (§ 306a Abs. 2, § 306b Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 StGB) gewertet. Zur Tat unter 1. b) ist in den Urteilsgründen ausgeführt, mit der Meldung des brandbedingten Schadens am Tattag habe der Angeklagte im Sinne des § 22 StGB unmittelbar zum Betrug (§ 263 Abs. 1, 3 Satz 2 Nr. 5 StGB) angesetzt. Über eine Strafbarkeit wegen versuchten Betruges (§ 263 Abs. 2 StGB) hat die Strafkammer allerdings, ohne dies zu begründen, nicht entschieden.

II.

Sowohl die Revision des Angeklagten als auch diejenige der Staatsanwaltschaft dringen mit der Sachrüge durch.

1. Revision des Angeklagten:

Soweit der Angeklagte wegen besonders schwerer Brandstiftung verurteilt worden ist, weist die Beweiswürdigung zu seiner Täterschaft einen ihm nachteiligen sachlich-rechtlichen Mangel auf. Auf die Zulässigkeit und Begründetheit der Verfahrensbeanstandungen kommt es deshalb nicht an.

a) Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten. Für die Brandlegung sei er nicht verantwortlich. In der Tatnacht habe er sich noch nach 0:30 Uhr in dem von ihm betriebenen Kiosk aufgehalten; von dort sei er auf direktem Weg nach Hause gefahren, wo er seine Ehefrau angetroffen habe.

Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Wege eines Indizienbeweises gewonnen. Maßgebend sind im Wesentlichen folgende Beweisergebnisse gewesen: Die Eingangstür zum Ladenlokal sei noch nach der Raumexplosion ge- und verschlossen gewesen; mittels einer „Schütt-Lunte“ sei der ausgebrachte Kraftstoff von außen gezündet worden. Das Schloss der Tür sei mit einem Original-Schlüssel betätigt worden. Der Angeklagte habe während der Besichtigung des Brandorts gegenüber einem Sachbearbeiter des Sach- und Ertragsausfallversicherers angegeben, er sei der einzige „Schlüsselträger“. Der Angeklagte habe nicht nur die zeitliche Gelegenheit zur Tatbegehung, sondern auch ein finanzielles Motiv hierfür gehabt. Die Beweisaufnahme habe keine ausreichenden Hinweise auf ein Einbruchgeschehen im zeitlichen Zusammenhang mit der Brandlegung ergeben.

Indes hat die Ehefrau des Angeklagten als Zeugin ausgesagt, der Angeklagte sei am 5. März 2018 um 1:11 Uhr nach Hause gekommen. Als er die Tür geöffnet habe, habe sie auf die Uhr geschaut. Zu der Aussage ist in den Urteilsgründen dargelegt, sie habe „zentralen Wert für das Verfahren"; denn, wäre der Angeklagte tatsächlich zur angegebenen Zeit zu Hause gewesen, bedeutete dies „aufgrund der Fahrtzeit von etwa 15 Minuten“, dass er „offensichtlich als Täter ausscheidet“ (UA S. 18).

Die Strafkammer hat die Bekundungen der Ehefrau als nicht glaubhaft beurteilt und dies unter anderem mit dem Zeitpunkt der erstmaligen Aussage begründet: Das Zuwarten bis zum 21. Hauptverhandlungstag - mithin über neun Monate seit der die berufliche Existenz vernichtenden Inhaftierung des Angeklagten - sei unverständlich. Die Zeugin habe den späten Zeitpunkt ihrer Angaben nicht nachvollziehbar erklären können.

b) Diese Würdigung der Zeugenaussage der Ehefrau des Angeklagten verstößt gegen den Grundsatz, dass die Unglaubhaftigkeit der Aussage eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden darf, dieser habe zunächst geschwiegen und erst später seine entlastenden Angaben gemacht; denn selbst die Verweigerung des Zeugnisses darf nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden. Würde die Tatsache, dass ein Zeugnisverweigerungsberechtigter von sich aus (einstweilen) nichts zur Aufklärung beigetragen hat, geprüft und gewertet, könnte er von seinem Schweigerecht nicht mehr unbefangen Gebrauch machen, weil er befürchten müsste, dass daraus später nachteilige Schlüsse zu Lasten des Angeklagten gezogen würden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 1986 - 4 StR 569/86, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 1; vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 288/15, juris Rn. 10; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 298/15, NStZ 2016, 301; vom 11. Juli 2017 - 3 StR 107/17, NStZ-RR 2017, 316 f.; vom 5. Oktober 2017 - 3 StR 401/17, StV 2018, 786 f.).

c) Auf dem Rechtsfehler beruht der Schuldspruch (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Beweisergebnis hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten gelangt wäre.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht zweifelsfrei, dass die Strafkammer die Aussage der Ehefrau des Angeklagten auch dann als nicht glaubhaft beurteilt hätte, wenn es den späten Zeitpunkt der Aussage nicht in die Bewertung einbezogen hätte. Zwar ist dort rechtsfehlerfrei dargelegt, dass Plausibilitätsmängel und fehlende Realkennzeichen ebenfalls gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben sprächen. Zur Überzeugung, die Bekundungen der Zeugin seien nicht erlebnisbasiert, ist die Strafkammer aber ausdrücklich erst aufgrund einer „Gesamtbetrachtung“ des späten Zeitpunkts der Aussage „mit“ deren inhaltlichen Schwächen gelangt (UA S. 19). Daraus, dass die Ausführungen zum Aussagezeitpunkt mit „Schließlich“ eingeleitet werden (UA S. 18), folgt entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nichts anderes. Eine untergeordnete Bedeutung dieses Umstands für die Überzeugungsbildung im Sinne einer nicht tragenden Erwägung ist dem nicht zu entnehmen.

Dem Generalbundesanwalt ist ebenso wenig darin beizutreten, dass die Strafkammer bereits aufgrund der Funkzellenauswertung für das Mobiltelefon des Angeklagten die Überzeugung gewonnen habe, er sei zur Tatzeit am Tatort gewesen. Denn die auf der Grundlage der Funkzellendaten getroffene Feststellung, wonach er sich mit seinem Handy am 5. März 2018 um 0:52 Uhr im Bereich der Funkzelle befand, die sowohl den vom Angeklagten betriebenen Kiosk als auch den „Frühstücksladen“ abdeckte (UA S. 15 f.), lässt sich - bei der berücksichtigten Fahrzeit von etwa 15 Minuten - ohne Weiteres mit der Aussage der Zeugin in Einklang bringen.

2. Revision der Staatsanwaltschaft:

Neben dem dargelegten dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler (§ 301 StPO) erweist sich das Urteil in zweierlei Hinsicht als zu seinem Vorteil sachlich-rechtlich fehlerhaft.

a) Die Verurteilung des Angeklagten (nur) wegen besonders schwerer Brandstiftung hat keinen Bestand, weil der Beweiswürdigung zum fehlenden bedingten Tötungsvorsatz durchgreifende rechtliche Bedenken begegnen.

aa) Vermag sich das Tatgericht nicht davon zu überzeugen, dass der Täter mit der Brandlegung einen anderen Menschen bedingt vorsätzlich tötete oder zu töten versuchte, gilt für die revisionsgerichtliche Prüfung:

(1) Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich sowie nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und ihn billigt oder sich zumindest um des erstrebten Ziels willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement). Vor Annahme eines bedingten (Tötungs-)Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die vom Täter gewählte konkrete Angriffsweise, seine Persönlichkeit, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (s. BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 5. September 2019 - 3 StR 219/19, NStZ 2020, 217 Rn. 8; Beschluss vom 17. Dezember 2019 - 4 StR 485/19, NJW 2020, 784 Rn. 6 mwN).

Bei äußerst gefährlichen Handlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch sie zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein riskantes Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (s. BGH, Urteil vom 23. Januar 2020 - 3 StR 385/19, NStZ 2020, 349 Rn. 9 mwN). Dabei sind für die Beurteilung der Gefährlichkeit von Brandanschlägen auf Wohnhäuser bedeutsam namentlich die Beschaffenheit des angegriffenen Objekts im Hinblick auf Fluchtmöglichkeiten und auf die Brennbarkeit der beim Bau verwendeten Materialien, eine erhöhte Schutzlosigkeit der Bewohner zur Nachtzeit sowie die Belegungsdichte (s. BGH, Urteile vom 28. April 1994 - 4 StR 81/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38; vom 7. Juni 1994 - 4 StR 105/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39; MüKoStGB/Schneider, 22 23 24 4. Aufl., § 212 Rn. 53). Angesichts der gewöhnlich hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist indes immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr des Todes nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbstständig neben dem Wissenselement stehende - Willenselement gegeben ist (s. BGH, Urteil vom 23. Januar 2020 - 3 StR 385/19, NStZ 2020, 349 Rn. 9 mwN).

(2) Kann das Tatgericht auf der Grundlage der gebotenen Gesamtschau aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten (Tötungs-)Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Gleichermaßen allein Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatgerichts eingreifen (vgl. BGH, Urteile vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326; vom 23. Januar 2020 - 3 StR 385/19, NStZ 2020, 349 Rn. 9).

Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit einem Rechtsfehler behaftet ist. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt oder erkennen lässt, dass das Tatgericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteile vom 3. Mai 2018 - 3 StR 38/18, juris Rn. 11; vom 5. September 2019 - 3 StR 219/19, NStZ 2020, 217 Rn. 8; Beschluss vom 13. Juli 2020 - KRB 99/19, NJW 2021, 395 Rn. 37).

bb) Die Beweiswürdigung zum fehlenden bedingten Tötungsvorsatz hält der Überprüfung nach den dargelegten rechtlichen Maßstäben nicht stand.

(1) Das Landgericht hat Feststellungen getroffen, die ein äußerst gefährliches Vorgehen des Angeklagten belegen. Dies liegt insbesondere in der Beschaffenheit des von der Brandlegung betroffenen Gebäudes (neun Wohneinheiten oberhalb des Ladenlokals, erheblich eingeschränkte Fluchtmöglichkeiten für die Bewohner wegen des Zugangs nur über ein Treppenhaus, unmittelbare Verbindung des Ladenlokals mit den Wohnungen über das Lüftungssystem), der erheblichen Menge des an verschiedenen Stellen großflächig ausgebrachten Kraftstoffs sowie der durch die Angriffszeit erhöhten Schutzlosigkeit der schlafenden Bewohner begründet. Das Landgericht hat weiterhin festgestellt, dass dem Angeklagten die Gebäudebeschaffenheit bekannt war und er die Tat zuvor geplant hatte, also nicht spontan, unüberlegt oder in affektiver Erregung beging; nach der Brandlegung verließ er den Tatort in dem Bewusstsein, dass er die weitere Ausbreitung des Brandes nicht mehr werde kontrollieren können.

Gleichwohl hat sich die Strafkammer nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte den Tod der Bewohner des Gebäudes billigend in Kauf nahm. Aufgrund „des Bildes, welches sie während der Beweisaufnahme vom Angeklagten und den Gesamtumständen der Tat gewonnen hat“, hat sie trotz der „erheblichen Gefährlichkeit der Tathandlung“ lediglich einen bedingten Verletzungsvorsatz angenommen. Im Rahmen ihrer Gesamtschau hat sie folgende drei Umstände als wesentlich beurteilt: Bei den Hausbewohnern sei es weder zu einer konkreten Lebensgefahr noch einer „unmittelbaren“ Verletzung der körperlichen Unversehrtheit gekommen. Für das vom Angeklagten verfolgte primäre Handlungsziel - die Erlangung der Versicherungssumme - sei es ausreichend gewesen, wenn nur das Ladenlokal ausbrenne. Er habe infolge des Tatgeschehens eine Depression entwickelt; offensichtlich sei ihm das Ausmaß der von ihm herbeigeführten Gefahr erst nach der Tat deutlich geworden (UA S. 29 f.).

(2) Zwei dieser Umstände, die das Landgericht trotz der Indizwirkung der besonderen Gefährlichkeit des vom Angeklagten gewählten Vorgehens dazu bewogen haben, das Willenselement eines Tötungsvorsatzes zu verneinen, stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken.

(a) Soweit das Landgericht in dem Ausbleiben einer konkreten Lebensgefahr und „unmittelbaren“ Gesundheitsschädigung einen vorsatzkritischen Umstand gesehen hat, hat es nicht in den Blick genommen, inwieweit der relativ glimpfliche Ausgang auf Zufall beruhte (vgl. auch BGH, Urteil vom 28. April 1994 - 4 StR 81/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen drängt sich dies auf. Denn die beiden Wohnungen im ersten Obergeschoss des Gebäudes hätten in vollem Ausmaß gebrannt, falls die Feuerwehr maximal fünf Minuten später eingetroffen wäre; erst von ihr konnten die Bewohner aus dem Objekt gerettet werden. Hiernach hing es naheliegend von glücklichen Umständen ab, dass keiner der Bewohner tödliche Verletzungen erlitt. In einem solchen Fall ist es nicht ohne Weiteres möglich, aus dem Ausbleiben einer konkreten Lebensgefahr oder eines Körperverletzungserfolgs einen tragfähigen Rückschluss auf einen fehlenden Tötungsvorsatz zu ziehen.

Anders liegt es, wenn Tatsachen festgestellt sind, die ein schon anfängliches Vertrauen des Täters auf den Nichteintritt des tödlichen Erfolgs rechtfertigen können (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 5 StR 517/18, NStZ 2019, 208 Rn. 7). Solche Umstände zeigt das Urteil allerdings nicht auf.

(b) Soweit die Strafkammer darauf abgestellt hat, für das primäre Handlungsziel des Angeklagten - die Erlangung der Versicherungssumme - sei das Ausbrennen des Ladenlokals ausreichend gewesen, ohne dass zugleich der Tod von Bewohnern verursacht werde, hat sie der Sache nach das fehlende Tötungsmotiv als vorsatzkritischen Umstand herangezogen. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft. Denn mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen stets einem anderen Handlungstrieb nach (s. BGH, Urteile vom 30. November 2005 - 5 StR 344/05, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 61; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 445). Der Täter nimmt ein von ihm als möglich erkannten Erfolg auch dann billigend in Kauf, wenn ihm dieser an sich unerwünscht ist, er sich aber wegen eines angestrebten anderen Ziels damit abfindet (s. BGH, Urteile vom 25. Mai 1988 - 3 StR 147/88, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 14; vom 31. März 2021 - 2 StR 109/20, juris Rn. 12).

Für die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit kommt - anders als beim direkten Vorsatz - den Motiven des Täters vielmehr nur unter bestimmten Umständen Gewicht zu (s. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 5 StR 517/18, NStZ 2019, 208 Rn. 7). Aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs kann sich ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (s. BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 445; vom 23. Januar 2020 - 3 StR 385/19, NStZ 2020, 349 Rn. 11, jeweils mwN; ferner MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., § 212 Rn. 81 f.). Hier hat die Strafkammer die Stärke des vom primären Handlungsziel des Angeklagten ausgehenden Tatanreizes gerade nicht bewertet.

(3) Bereits diese beiden Mängel machen die tatgerichtliche Gesamtschau rechtsfehlerhaft.

Infolgedessen kommt es nicht darauf an, ob sich die Schlussfolgerung der Strafkammer von der beim Angeklagten nach der Tat aufgetretenen depressiven Erkrankung oder Verstimmung darauf, dass ihm das Ausmaß der Gefahr erst danach bewusst geworden sei, in tatsächlicher Hinsicht als tragfähig belegt darstellt. Daran könnten Zweifel bestehen, weil in den Urteilsgründen hierzu lediglich mitgeteilt ist, der Angeklagte sei „nach dem Brand demoralisiert und depressiv“ gewesen und habe sich mehr als ein Jahr später in psychologische Behandlung begeben (UA S. 30; vgl. auch - zum vielfach geringen Beweiswert nachträglichen Bedauerns - BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444).

Demgegenüber ist für sich gesehen nichts dagegen zu erinnern, dass die Urteilsgründe sich nicht zum ambivalenten Charakter dieses Umstands verhalten. Zwar lässt sich, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuleitungsschrift hingewiesen hat, das Auftreten der depressiven Erkrankung oder Verstimmung nach der Tat ebenso „zwanglos damit vereinbaren“, dass der Angeklagte „zum Zeitpunkt der Tat die Gefährlichkeit seiner Handlung für das Leben anderer erkannte und sich damit abfand“, „nunmehr (aber) Schwierigkeiten hat, das begangene Unrecht psychisch zu verarbeiten“. Für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatgericht, je nachdem, wie es sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen, gilt jedoch: Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der in Betracht kommenden, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Das Tatgericht ist in einem derartigen Fall nicht gehalten, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteile vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326; vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77; vom 28. Juni 2018 - 3 StR 23/18, juris Rn. 7).

b) Das Urteil unterliegt überdies insoweit der Aufhebung, als eine Entscheidung über eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchten Betruges durch Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Sach- und Ertragsausfallversicherer unterblieben ist. Das Landgericht hat die angeklagte Tat im verfahrensrechtlichen Sinn nicht erschöpfend abgeurteilt und ist somit seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht in vollem Umfang nachgekommen.

Eine Brandstiftung und ein anschließender (versuchter) Betrug durch Inanspruchnahme einer Versicherung für den Brandschaden bilden, wenngleich materiellrechtlich Tatmehrheit besteht (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2004 - 3 StR 428/03, NStZ-RR 2004, 235, 236), jedenfalls dann eine prozessuale Tat, wenn der Brandstifter den Versicherer über das Vorliegen eines Versicherungsfalls täuscht (s. BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211, 213 ff.; ferner BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2001 - 5 StR 310/01, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 35; Urteil vom 23. November 2005 - 2 StR 327/05, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 42).

Infolgedessen ist der Vorwurf, der Angeklagte habe noch am Tag der Brandlegung unter Verschweigen seiner Tat Ansprüche gegenüber dem Sach- und Ertragsausfallversicherer geltend gemacht, Gegenstand der unverändert zugelassenen Anklage gewesen, obwohl sich die Anklageschrift vom 24. August 2018 nicht zu einer solchen Täuschung des Versicherers verhält (vgl. BGH, Urteil 38 39 40 vom 23. September 1999 - 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211, 212 f.). Das Landgericht ist daher gemäß § 264 StPO von Amts wegen, mithin ohne einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft und ohne Bindung an die Einschätzung deren Sitzungsvertreters, verpflichtet gewesen, einen etwaigen versuchten Betrug - nach einem entsprechenden Hinweis - in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen. Da sich aus den Urteilsgründen zureichende Anhaltspunkte für eine derartige Strafbarkeit ergeben (UA S. 7, 32), stellt die Verletzung der Kognitionspflicht zugleich einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2005 - 2 StR 327/05, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 42).

III.

Das Urteil ist somit auf beide Revisionen aufzuheben. Wegen des dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehlers bei der Würdigung der Zeugenaussage seiner Ehefrau (s. oben II. 1.) unterliegen auch jeweils (vgl. § 301 StPO) die Feststellungen der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).

Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat verweist das Verfahren entsprechend § 355 StPO an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurück. Dies hat auch bei einer Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu geschehen, weil das Revisionsgericht den nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständigen Spezialspruchkörper (§ 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 15, § 74e Nr. 1 GVG) mit der Sache zu betrauen hat (s. BGH, Urteil vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121 Rn. 40 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1079

Externe Fundstellen: StV 2022, 369

Bearbeiter: Christian Becker