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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 36

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 474/19, Beschluss v. 10.08.2021, HRRS 2022 Nr. 36


BGH 3 StR 474/19 - Beschluss vom 10. August 2021

Anfrageverfahren zur Einziehung des durch eine verjährte Straftat erlangten Wertes des Tatertrages im subjektiven Verfahren (selbständige Einziehung; objektives Verfahren; Antrag der Staatsanwaltschaft).

§ 76a StGB; § 435 StPO; § 132 Abs. 3 GVG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass die Einziehung des durch eine verjährte Straftat erlangten Wertes des Tatertrags nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB auch im subjektiven Verfahren angeordnet werden kann, wenn die Staatsanwaltschaft wegen der Erwerbstat Anklage erhoben, das Gericht das Hauptverfahren insoweit eröffnet und die Einstellung des Verfahrens erst im Urteil ausgesprochen hat (§ 260 Abs. 3 StPO); eines Übergangs in das objektive Verfahren sowie eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO und einer staatsanwaltschaftlichen Ermessensausübung im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO bedarf es in einem solchen Fall nicht.

2. Zwar sind § 76a StGB und § 435 StPO in ihren amtlichen Überschriften als „selbständige Einziehung“ bzw. „selbständiges Einziehungsverfahren“ überschrieben. Auch sprechen beide Normen von der „selbständigen Einziehung“. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die „selbständige Einziehung“ nur im „selbständigen Einziehungsverfahren“ angeordnet werden kann. „Selbständig“ im Sinne der materiellrechtlichen Norm des § 76a StGB bedeutet nach dem Gesetzeszusammenhang „von der Verurteilung einer Person unabhängig“.

3. Die Einziehung kann - ohne eine Verurteilung des Angeklagten - auch im subjektiven Verfahren angeordnet werden, sofern dieses bis zur verfahrensabschließenden Entscheidung bei Gericht anhängig ist, etwa weil die Strafverfolgungsbehörde und das Gericht zunächst davon ausgegangen sind, die zugrundeliegende Tat sei nicht verjährt. Die dem Verfahrensrecht angehörende Bestimmung des § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO („können“) eröffnet demgegenüber der Staatsanwaltschaft (und dem Privatkläger) lediglich die Möglichkeit, die „selbständige Einziehung“ im Sinne des § 76a StGB auch dann zu betreiben, wenn bereits die Strafverfolgungsbehörde davon ausgeht, die Verfolgung einer Person und damit eine Anklageerhebung im subjektiven Verfahren sei nicht möglich.

Entscheidungstenor

Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Die Einziehung des durch eine verjährte Straftat erlangten Wertes des Tatertrags nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB kann auch im subjektiven Verfahren angeordnet werden, wenn die Staatsanwaltschaft wegen der Erwerbstat Anklage erhoben, das Gericht das Hauptverfahren insoweit eröffnet und die Einstellung des Verfahrens erst im Urteil ausgesprochen hat (§ 260 Abs. 3 StPO); eines Übergangs in das objektive Verfahren sowie eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO und einer staatsanwaltschaftlichen Ermessensausübung im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO bedarf es in einem solchen Fall nicht.

Der Senat fragt deshalb bei dem 1., 4. und 5. Strafsenat an, ob an der anderslautenden Rechtsauffassung festgehalten wird (vgl. Urteil vom 11. November 2020 - 1 StR 328/19 sowie Beschlüsse vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18, vom 8. September 2020 - 4 StR 75/20 und vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19), sowie vorsorglich bei dem 2. und 6. Strafsenat, ob die dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.

Gründe

1. Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, unter Einstellung zweier Vorwürfe wegen Verjährung und Freispruch im Übrigen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Angeklagte B. hat es wegen Beihilfe zur bandenmäßigen Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in drei Fällen, davon in einem Fall in sechs tateinheitlichen Fällen sowie in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, unter Freispruch im Übrigen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung beider Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen die Einziehungsbeteiligte hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.730.044 € angeordnet. Weitere Angeklagte sind freigesprochen worden.

Die gegen das Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hatten keinen Erfolg. Die Entscheidung über das Rechtsmittel der Einziehungsbeteiligten gegen die Einziehung des Wertes des aus Tat 1 der Urteilsgründe Erlangten in Höhe von 690.699 € hat der Senat vorbehalten und die weitergehende Revision der Einziehungsbeteiligten ebenfalls verworfen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2021 - 3 StR 474/19, juris).

Nach den vom Landgericht zu Tat 1 der Urteilsgründe getroffenen, für das Anfrageverfahren relevanten Feststellungen und Wertungen führte die Einziehungsbeteiligte im Mai 2006 auf der Grundlage einer erschlichenen Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz Waffen nach Mexiko aus und erlöste dadurch einen Umsatz in Höhe von mindestens 690.699 € netto. Der Angeklagte S. deckte als Vertriebsleiter die Ausfuhren und schritt bewusst pflichtwidrig nicht ein. Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten S. wegen einer hierdurch begangenen Straftat nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 9 AWG aF wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung in seinem verfahrensabschließenden Urteil eingestellt (§ 260 Abs. 3 StPO). Gegenüber der Einziehungsbeteiligten hat es in demselben Urteil gleichwohl die Einziehung der aus den Ausfuhren erzielten Umsatzerlöse angeordnet.

Dieser Entscheidung war kein förmlicher Antrag der Staatsanwaltschaft auf Durchführung eines selbständigen Einziehungsverfahrens (§ 435 Abs. 1 Satz 1 StPO) vorausgegangen. Weder in der Anklageschrift noch im weiteren Verfahren hat die Anklagebehörde explizit zum Ausdruck gebracht, sie begehre eine Einziehungsentscheidung im objektiven Verfahren. Sie hat lediglich nach dem gerichtlichen Hinweis, die durch die Staatsanwaltschaft zunächst erstrebte Geldbuße gegen die Nebenbeteiligte nach § 30 OWiG komme nicht in Betracht, angeregt, das bislang als Nebenbeteiligte geführte Unternehmen als Einziehungsbeteiligte zu beteiligen und einen entsprechenden rechtlichen Hinweis zu einer möglichen Einziehungsanordnung (alternativ zu einer Unternehmensgeldbuße) zu erteilen. Dabei hat sie darauf hingewiesen, die mögliche Verjährung einzelner Taten stehe gemäß § 76a Abs. 2 StGB einer Einziehung nicht entgegen. In ihrem Schlussvortrag hat die Anklagebehörde hinsichtlich Tat 1 der Urteilsgründe keinen Antrag auf Verurteilung einzelner Angeklagter gestellt, das hieraus durch die Einziehungsbeteiligte Erlangte von ihrem Antrag auf Einziehung des Wertes von Taterträgen jedoch nicht ausgenommen.

2. Der Senat beabsichtigt, die Revision der Einziehungsbeteiligten auch hinsichtlich der Tat 1 der Urteilsgründe zu verwerfen.

Die materiellrechtlichen Einziehungsvoraussetzungen sind gegeben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. März 2021 - 3 StR 474/19, juris Rn. 56 ff.); die durch das Landgericht festgestellte Verjährung der Erwerbstat (s. zum Prüfungsumfang im Rahmen der Revision der Einziehungsbeteiligten BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, juris Rn. 32 ff.) hindert die Einziehung nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB i.V.m. Art. 316h Satz 1 EGStGB nicht (s. zur Verfassungsmäßigkeit der angeordneten Rückwirkung BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354 Rn. 144 ff.).

Zwar liegt - entgegen der Würdigung des Generalbundesanwalts - in dem vorgenannten Hinweis, eine mögliche Verjährung stehe der Einziehung nicht entgegen, kein (konkludenter) Antrag auf Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO. Jedoch kann nach Auffassung des Senats die Einziehung des aus einer verjährten Straftat erlangten Wertes des Tatertrags (§ 76a Abs. 2 Satz 1 StGB) auch im subjektiven Verfahren angeordnet werden, wenn die Staatsanwaltschaft wegen der Erwerbstat Anklage erhoben, das Gericht das Hauptverfahren insoweit eröffnet und die Einstellung des Verfahrens erst im Urteil ausgesprochen hat (§ 260 Abs. 3 StPO); eines Übergangs ins objektive Verfahren sowie eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO und einer staatsanwaltschaftlichen Ermessensausübung im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO bedarf es in einem solchen Fall nicht (vgl. auch BeckOK StGB/Heuchemer, 50. Ed., § 76a Rn. 15; BeckOK StPO/Temming, 40. Ed., § 435 Rn. 11; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 76a Rn. 5; SKStPO/Paeffgen, 5. Aufl., § 435 Rn. 16; s. zu weiteren Konstellationen, in denen die selbständige Anordnung im subjektiven Verfahren ausgesprochen werden kann, LK/Lohse, StGB, 13. Aufl., § 76a Rn. 45 ff.; anderer Ansicht Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 64. Aufl., § 435 Rn. 19). An seiner gegenteiligen Rechtsauffassung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2021 - 3 StR 348/20, juris Rn. 5) beabsichtigt der Senat nicht festzuhalten.

Im Einzelnen:

a) Dieses Ergebnis wird zunächst durch die ältere Rechtsprechung zu vergleichbaren Verfahrenskonstellationen gestützt.

aa) Bereits nach der Judikatur des Reichsgerichts wurde ein gegen bestimmte Personen geführtes subjektives Verfahren nicht dadurch zu einem objektiven, dass der Angeklagte freigesprochen und zugleich „selbständig“ auf Unbrauchbarmachung einer dem Anklagevorwurf zugrundeliegenden unzüchtigen Abbildung erkannt wurde. Der objektive Charakter der Unbrauchbarmachung mache das Verfahren selbst nicht zum objektiven, dessen Natur bliebe die gleiche, mochte es mit Verurteilung oder Freisprechung enden. Die damaligen Vorschriften der Strafprozessordnung hätten nur Geltung für die Fälle, in denen nach gesetzlicher Vorschrift auf Einziehung selbständig erkannt werden könne und in denen die Entscheidung nicht mit einem Urteil in der Hauptsache ergehe, das heiße gegen einen bestimmten Angeklagten (vgl. RG, Urteil vom 11. Oktober 1901 - Rep. 2493/01, RGSt 34, 388, 389).

Gleiches galt im Falle eines einstellenden Erkenntnisses. Zwar habe die daneben ausgesprochene Einziehung eine selbständige (objektive) Wirkung. Daraus folge jedoch nicht, dass sie auch als im selbständigen Einziehungsverfahren erlassen anzusehen sei. Maßgebend sei insoweit allein der Gang, den das Verfahren tatsächlich genommen habe, also ob das Verfahren, das durch das Urteil abgeschlossen werde, gegen eine bestimmte Person als Angeklagten gerichtet gewesen sei (vgl. RG, Urteil vom 21. November 1932 - III 991/31, RGSt 66, 419, 422).

bb) Auch der Bundesgerichtshof hat im Zusammenhang mit der selbständigen Einziehung und Unbrauchbarmachung einer Druckschrift bei verjährter Straftat zunächst entschieden, dass die Anordnung in dem Strafverfahren selbst möglich sei (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 1954 - 6 StR 5/54, BGHSt 6, 62; so auch BGH, Urteil vom 15. November 1967 - 3 StR 26/66, BGHSt 21, 367, 370; s. zur Anordnung neben einem Freispruch BGH, Urteile vom 22. Juli 1969 - 1 StR 456/68, NJW 1969, 1818; vom 3. Oktober 1979 - 3 StR 273/79 [S], juris Rn. 8; Beschluss vom 14. Dezember 1988 - 3 StR 295/88, BGHSt 36, 51, 58 f.; anders aber BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 - 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55, 68 f. für den Fall eines erst durch die Revisionsentscheidung rechtskräftig gewordenen Freispruchs; hiernach ist ein Übergang ins objektive Verfahren erforderlich, der einen [ggf. Hilfs-] Antrag der Staatsanwaltschaft voraussetzt).

Begründet hat er dies zwar auch mit der - heute überholten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 64. Aufl., § 435 Rn. 19 mwN) - Ansicht, ein Übergang vom Verfahren gegen bestimmte Personen zu einem selbständigen sei unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 1954 - 6 StR 5/54, BGHSt 6, 62, 63). Er hat aber zugleich ausgeführt, die Regelungen der StPO zum selbständigen Verfahren enthielten keine das Strafverfahren einschränkenden Bestimmungen, sondern regelten nur das selbständige Verfahren als solches. Die Voraussetzungen einer selbständigen Anordnung ergäben sich ausschließlich aus dem sachlichen Recht (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 1954 - 6 StR 5/54, BGHSt 6, 62, 63 f.).

cc) Diese Erwägungen haben auch in der vorliegenden Konstellation Gewicht. Es ist nicht ersichtlich, warum die Einziehung von Taterträgen und deren Wert bei verjährten Erwerbstaten nur im objektiven Verfahren möglich sein soll, wenn die bereits nach alter Rechtslage zulässige Sicherungseinziehung, die Einziehung von Schriften und deren Unbrauchbarmachung sowohl neben einem Freispruch als auch bei verjährten Taten im subjektiven Verfahren angeordnet werden konnten. Ein im hiesigen Zusammenhang beachtlicher struktureller Unterschied zwischen beiden Einziehungsformen ist nicht gegeben. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber die ihm bekannte bisherige Praxis ändern wollte.

b) Für die Rechtsauffassung des Senats sprechen daneben sowohl der Wortlaut der § 76a StGB und § 435 StPO als auch die Gesetzessystematik.

Zwar sind § 76a StGB und § 435 StPO in ihren amtlichen Überschriften als „selbständige Einziehung“ bzw. „selbständiges Einziehungsverfahren“ überschrieben. Auch sprechen beide Normen von der „selbständigen Einziehung“. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die „selbständige Einziehung“ nur im „selbständigen Einziehungsverfahren“ angeordnet werden kann. „Selbständig“ im Sinne der materiellrechtlichen Norm des § 76a StGB bedeutet nach dem Gesetzeszusammenhang „von der Verurteilung einer Person unabhängig“ (vgl. MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 76a Rn. 1 f.). Dies schließt nicht aus, die Einziehung - ohne eine Verurteilung des Angeklagten - auch im subjektiven Verfahren anzuordnen, sofern dieses bis zur verfahrensabschließenden Entscheidung bei Gericht anhängig ist, etwa weil die Strafverfolgungsbehörde und das Gericht zunächst davon ausgegangen sind, die zugrundeliegende Tat sei nicht verjährt. Die dem Verfahrensrecht angehörende Bestimmung des § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO („können“) eröffnet demgegenüber der Staatsanwaltschaft (und dem Privatkläger) lediglich die Möglichkeit, die „selbständige Einziehung“ im Sinne des § 76a StGB auch dann zu betreiben, wenn bereits die Strafverfolgungsbehörde davon ausgeht, die Verfolgung einer Person und damit eine Anklageerhebung im subjektiven Verfahren sei nicht möglich.

c) Ein anderes Verständnis liefe zudem dem Sinn und Zweck der Neuregelungen sowie dem Willen des Reformgesetzgebers zuwider.

aa) Der Gesetzgeber hat mit Schaffung des § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB erstmals die Einziehung des Ertrages (und dessen Wertes) aus verjährten Erwerbstaten materiellrechtlich für zulässig erklärt, die Einziehungsmöglichkeiten also ausgeweitet und den verfassungsrechtlich legitimierten Zweck der Vermögensabschöpfung gestärkt (vgl. BT-Drucks. 18/11640 S. 82). In prozessualer Hinsicht musste er dazu mit § 435 StPO die Handlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft für die Fälle erweitern, in denen bereits vor Anklageerhebung nach den Ermittlungsergebnissen Strafverfolgungsverjährung eingetreten und damit eine Strafverfolgung nicht mehr möglich ist. Um eine „übermäßige Belastung der Strafverfolgungsbehörden“ durch die Weiterverfolgung der Einziehung als vorwiegend kondiktionelle Maßnahme (vgl. dazu MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 76a Rn. 3) zu vermeiden, hat der Gesetzgeber das Verfahren nach § 435 Abs. 1 StPO dem Opportunitätsprinzip unterstellt (vgl. BT-Drucks. 18/11640 S. 82).

Außerdem hat er im Zusammenhang mit der Einführung der Einziehungsmöglichkeit nach § 76a Abs. 4 StGB in der Gesetzesbegründung ausgeführt: „Das Verfahren für dieses Abschöpfungsinstrument ist in den §§ 435 ff. StPOE geregelt“ (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 58). Hinsichtlich des § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB, der erst im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens in seiner jetzigen Form in den Reformentwurf aufgenommen wurde (vgl. BT-Drucks. 18/11640 S. 82; s. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354 Rn. 145), findet sich ein derartiger ausdrücklicher Hinweis nicht. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass das Verfahren für die Einziehung der aus verjährten Erwerbstaten erlangten Taterträge und deren Werte nicht ausschließlich in den §§ 435 ff. StPO geregelt ist.

Vor diesem Hintergrund bezweckte der Normgeber mit der (reinen) Erweiterung der prozessualen staatsanwaltschaftlichen Handlungsmöglichkeiten insgesamt gerade nicht, deren Optionen einzuschränken und sie zu zwingen, von einem betriebenen subjektiven Verfahren in ein objektives zu wechseln.

bb) Dies gilt umso mehr, als die Verjährung von Staatsanwaltschaft und Gericht unterschiedlich beurteilt werden kann. Wäre die Einziehung allein im objektiven Verfahren möglich, wäre die Anklagebehörde, wollte sie sicherstellen, dass die Einziehung nicht schon an der fehlenden Verfahrensvoraussetzung eines Antrags nach § 435 StPO scheitert, in den Fällen zu - vorsorglichen - Hilfsanträgen im Sinne des § 435 Abs. 1 StPO veranlasst, in denen sie - entgegen der Wertung des Gerichts - bis zum Ende des subjektiven Verfahrens der Meinung ist, die der Einziehung zugrundeliegende Straftat sei nicht verjährt (s. dazu BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 - 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55, 68 f.). Noch verschärft wird diese Problematik, wenn erst das Revisionsgericht von einer (teilweisen) Verjährung der Erwerbstaten ausgeht, weil dann im erstinstanzlichen Verfahren in der Regel für eine entsprechende Antragstellung kein Anlass bestanden hat. All dies würde das Einziehungsverfahren erschweren, obwohl es gerade durch die Reform zu seiner wirksamen Durchsetzung gestärkt und für die Praxis erleichtert werden sollte (vgl. BT-Drucks. 18/11640 S. 82). Zudem berührt die Einziehung in diesen Fällen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überragende Belange des Gemeinwohls (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354 Rn. 144 ff.). Auch dies spricht für eine prozessökonomische, auf Effektivität bedachte und die Rechtspraxis vereinfachende Handhabung der die Einziehung betreffenden Verfahrensregelungen.

d) Alldem steht schließlich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen, nach der die selbständige Einziehung in anderen Fällen des § 76a StGB nur im objektiven Verfahren nach § 435 StPO möglich ist. Denn eine Vergleichbarkeit mit § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB ist jeweils nicht gegeben.

aa) Dies betrifft insbesondere die selbständige Einziehung des aus nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Taten Erlangten. Hier scheidet eine Einziehung im subjektiven Verfahren deshalb aus, weil die betreffende Erwerbstat nicht mehr Verfahrensgegenstand ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2020 - 2 StR 79/20, juris Rn. 2 mwN; vom 5. Juni 2018 - 5 StR 133/18, StraFo 2018, 471, 472; vom 14. Juni 2018 - 3 StR 28/18, juris Rn. 4). Gleiches gilt für die nach § 154a StPO beschränkten Fälle (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 - 6 StR 468/20, juris Rn. 2) und die erweiterte selbständige Einziehung im Sinne des § 76a Abs. 4 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Januar 2021 - 5 StR 454/20, juris Rn. 2).

Anders ist dies hingegen jedenfalls dann, wenn die Staatsanwaltschaft wie hier auch wegen der verjährten Tat Anklage erhoben, das Gericht das Hauptverfahren insoweit eröffnet und mit der Hauptverhandlung begonnen hat. Denn dann bleibt die nämliche Tat bis zur verfahrensabschließenden Entscheidung durch ein Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO Teil des Verfahrens und damit tauglicher Gegenstand eines subjektiven Verfahrens.

Weder der Verfahrensabschluss hinsichtlich der Ahndung der Erwerbstat noch der betreffend die Einziehung der daraus erlangten Erträge sind dann an weitere Verfahrensanträge und eine damit einhergehende Ermessensausübung der Staatsanwaltschaft gebunden. Schon die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung ist - anders als die Einstellung oder Beschränkung nach den §§ 154, 154a StPO - nicht an eine (ihrem Ermessen unterliegende) Zustimmung der Staatsanwaltschaft geknüpft. Gleiches gilt für die damit im Zusammenhang stehende Einziehungsentscheidung. Insoweit ist insbesondere auch kein Raum für eine staatsanwaltschaftliche Ermessensausübung im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO, weil diese Norm lediglich im objektiven, nicht aber im subjektiven Verfahren Anwendung findet. In diesem kann nach der gesetzgeberischen Konstruktion allein unter den Voraussetzungen des § 421 StPO durch das Gericht (mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) von der Einziehung abgesehen werden.

Vor diesem Hintergrund stehen überdies keine rechtlich geschützten Interessen des Einziehungsbeteiligten entgegen, die einen förmlichen Übergang ins objektive Verfahren erforderlich machen könnten. Anders als etwa bei (teilweisen) Verfahrenseinstellungen oder -beschränkungen (§§ 154, 154a StPO) besteht in Fällen, in denen aufgrund einer zugelassenen Anklage ein Hauptverfahren durchgeführt wird und sich erst im Nachhinein ergibt, dass hinsichtlich der Erwerbstat Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist, kein Bedürfnis, den Einziehungsbeteiligten vor einer überraschenden, weil eine aus dem Verfahren bereits ausgeschiedene Tat betreffenden, Entscheidung zu schützen.

bb) Die Rechtsprechung, wonach selbständige Einziehungen im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) einen Antrag im objektiven Verfahren nach § 435 Abs. 1 StPO voraussetzen, steht ebenfalls nicht entgegen. Denn diese beruht ausschließlich darauf, dass im Sicherungsverfahren nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden können, die gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB von der Einziehung zu unterscheiden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2021 - 4 StR 471/20, juris Rn. 8; vom 3. März 2020 - 3 StR 597/19, juris Rn. 2).

3. Der Senat sieht sich durch Entscheidungen des 1., 4. und 5. Strafsenats gehindert, wie beabsichtigt zu entscheiden.

a) Der 1. Strafsenat hat mit Urteil vom 11. November 2020 die Verurteilung des Angeklagten wegen mehrerer Taten nach § 266a StGB teilweise aufgehoben und das Verfahren insoweit wegen Verjährungseintritts eingestellt. Hinsichtlich der durch das Landgericht gegenüber der (nicht revidierenden) Einziehungsbeteiligten angeordneten Einziehung hat der Senat ausgeführt, dass es nach Verjährung der Taten, an welche die Einziehungsanordnung anknüpft, zwar in einer Hauptverhandlung möglich wäre, in das objektive Verfahren überzugehen. Eine selbständige Einziehungsanordnung nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB nF scheide indes jedenfalls deswegen aus, weil ein gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlicher Antrag der Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden sei (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2020 - 1 StR 328/19, juris Rn. 22). Zur Begründung hat der 1. Strafsenat verwiesen auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 5. Juni 2018 - 5 StR 133/18, StraFo 2018, 471, und vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19, NStZ 2020, 271 (dazu sogleich unter Ziff. 3 Buchst. c) sowie den eigenen Beschluss vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18. In jenem hatte er die Verurteilung des Angeklagten wegen mehrerer Betrugstaten teilweise aufgehoben, das Verfahren wegen einzelner zwischenzeitlich verjährter Taten eingestellt und die gegenüber dem Angeklagten angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen auf die nicht verjährten Taten beschränkt, weil eine darüber hinausgehende Einziehungsentscheidung hinsichtlich der aus den verjährten Taten erlangten Anlagebeträge „nur“ auf Grundlage des § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB im selbständigen Einziehungsverfahren (§§ 435 ff. StPO) ergehen könne (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18, juris Rn. 7).

b) Der 4. Strafsenat hat mit Beschluss vom 8. September 2020 unter Hinweis auf den vorgenannten Beschluss des 1. Strafsenats vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18 die Verurteilung des Angeklagten wegen mehrerer Betrugstaten teilweise aufgehoben, das Verfahren hinsichtlich vier Taten wegen Verjährung eingestellt und die gegenüber dem Angeklagten angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen auf die nicht verjährten Taten beschränkt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2020 - 4 StR 75/20, NStZ 2021, 222 Rn. 13).

c) Der 5. Strafsenat hat in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2019 beanstandet, das Landgericht habe in zwei Fällen, bezüglich derer Strafverfolgungsverjährung eingetreten war, das Taterlangte eingezogen, obwohl ein Antrag nach § 435 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden sei. Eines solchen bedürfe es auch für den Fall einer selbständigen Einziehung im subjektiven Verfahren, so dass der Einziehung das Verfahrenshindernis der fehlenden Anhängigkeit entgegenstehe (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19, NStZ 2020, 271 Rn. 19). Zur Begründung hat der 5. Strafsenat - neben der Kommentierung bei Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 62. Aufl., § 435 Rn. 4 - den eigenen Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 - 5 StR 133/18, StraFo 2018, 471, sowie den Beschluss des 1. Strafsenats vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 407/18, NStZ-RR 2019, 153, 154 angeführt. Beide zitierte Entscheidungen betreffen allerdings keine Fälle, in denen hinsichtlich der Erwerbstaten Verjährung eingetreten ist; vielmehr wurde jeweils nach § 154 Abs. 2 StPO verfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2018 - 5 StR 133/18, StraFo 2018, 471, 472; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 407/18, NStZ-RR 2019, 153, 154).

4. Der Senat fragt daher gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 GVG bei dem 1., 4. und 5. Strafsenat an, ob an der genannten Rechtsauffassung festgehalten wird, sowie vorsorglich bei dem 2. und 6. Strafsenat, ob dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 36

Externe Fundstellen: NStZ 2022, 252; NStZ-RR 2022, 82

Bearbeiter: Christian Becker