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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 13

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 328/19, Urteil v. 11.11.2020, HRRS 2021 Nr. 13


BGH 1 StR 328/19 - Urteil vom 11. November 2020 (LG Bonn)

Urkundenfälschung (Begriff der unechten Urkunde: Einverständnis des aus der Urkunde erkennbaren Ausstellers mit dem Nachmachen seiner Unterschrift, gesetzliche Vorgabe einer eigenhändigen Unterschriftsleistung bei der Steuererklärung); Verjährungsbeginn beim uneinheitlichen Organisationsdelikt; Betrug (Vermögensentscheidung: Kompensation durch den Wegfall eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs wegen Entreicherung des Vermögensinhabers durch die Vermögensverfügung); Vorenthalten von Arbeitsentgelt (Verjährungsbeginn); Steuerhinterziehung (Kompensationsverbot); Revisionserstreckung bei Verjährung und Einziehung.

§ 266a Abs. 1 StGB; § 370 Abs. 1 AO; § 150 AO; § 267 Abs. 1 StGB; § 357 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Im Grundsatz setzt das Herstellen (und anschließende Gebrauchmachen von) einer unechten Urkunde voraus, dass der Täter über den Aussteller der Urkunde täuscht, mithin die Urkunde nicht von derjenigen Person stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht (Identitätstäuschung). Der aus der Urkunde erkennbare Aussteller will sich in diesen Fällen die Urkunde tatsächlich nicht als Urheber zurechnen lassen. Insoweit kann es der Strafbarkeit nach § 267 Abs. 1 StGB entgegenstehen, wenn der aus der Urkunde erkennbare Aussteller mit dem Nachmachen seiner Unterschrift einverstanden ist.

2. Indes ist ein solches Einverständnis des sich aus der Urkunde ergebenden Ausstellers wirkungslos, wenn Gesetzesvorschriften eine eigenhändige Unterschriftsleistung vorsehen. Wenn aufgrund einer solchen gesetzlichen Anordnung dem Vertretenen die rechtliche Befugnis zu einer Ermächtigung entzogen worden ist, muss sich dies auf die Auslegung der Strafvorschrift der Urkundenfälschung auswirken; denn geschütztes Rechtsgut sind die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden. Eine Urkunde ist demnach auch dann unecht, wenn dem Urkundenaussteller die Befugnis zur Ermächtigung zur rechtlichen Vertretung fehlt (vgl. BGHSt 33, 159, 161 f.).

3. Für die Beendigung des uneigentlichen Organisationsdelikts gelten die gleichen Grundsätze wie für die gesetzlich normierten „eigentlichen“ Organisationsdelikte. Damit läuft die Verjährung für alle Einzelfälle innerhalb eines Organisationsdelikts einheitlich.

4. Allerdings darf die über das uneigentliche Organisationsdelikt gebildete rechtliche Handlungseinheit im Rahmen der Verjährungsprüfung nicht zur Umgehung des Zweifelsgrundsatzes führen. Danach bestimmt sich „in dubio pro reo“ die Frage der Verfolgungsverjährung bei einem nicht eindeutig feststellbaren Tatbeendigungszeitpunkt nach der für den Angeklagten günstigeren Fallkonstellation (st. Rspr.). Dies kann sich dann auswirken, wenn in Frage steht, ob der organisierende Hintermann innerhalb der Tatserie neben seinem Organisationsbeitrag doch Beiträge leistete, die sich nur auf bestimmte Taten beziehen. Die Verjährung solcher individuell geförderten Taten würde sich dann nach Beendigung der Einzeltat bestimmen, auch wenn die Tatserie andauert.

5. Ein Vermögensschaden i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB liegt bei einer durch Täuschung erlangten Geldzahlung nicht vor, wenn dem Täter gegen den Vermögensinhaber aus einem anderen Grund ein bereicherungsrechtlicher Anspruch zusteht. Denn in diesem Fall führt die irrtumsbedingte Vermögensminderungen gleichzeitig in entsprechender Höhe zu einer Befreiung von der bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsverbindlichkeiten wegen Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB).

6. § 357 Satz 1 StPO ist beim Verfahrenshindernis der Verjährung anzuwenden und gilt in entsprechender Anwendung für Einziehungsbeteiligte.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. Januar 2019 aufgehoben

a) in den Fällen 1 bis 16 der Urteilsgründe (Vorenthalten von Arbeitsentgelt für die Monate Januar 2007 bis April 2008); insoweit wird das Verfahren eingestellt und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen; zugunsten der Einziehungsbeteiligten entfällt insoweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen;

b) mit den zugehörigen Feststellungen

aa) in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen 17 bis 115 der Urteilsgründe (Vorenthalten von Arbeitsentgelt für die Monate Mai 2008 bis Juli 2016),

bb) soweit der Angeklagte wegen Betruges verurteilt worden ist,

cc) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

dd) im Ausspruch über die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung,

ee) zugunsten der Einziehungsbeteiligten, soweit in den Fällen 17 bis 115 der Urteilsgründe (Vorenthalten von Arbeitsentgelt für die Monate Mai 2008 bis Juli 2016) die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet worden ist.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 1 bis 1.378 der Anklage vom 29. März 2018 freigesprochen worden ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die weiteren Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 115 Fällen, wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen und wegen Betruges in 17 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt; wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat es hiervon einen Monat als vollstreckt erklärt. Im Übrigen hat das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in 1.378 weiteren Fällen aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freigesprochen. Zudem hat es gegen die nicht revidierende Einziehungsbeteiligte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der ersparten Sozialversicherungsbeiträge mit einem Betrag von 11.548.018,60 € angeordnet.

Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat wegen des Verfahrenshindernisses der Verjährung und mit der Sachrüge - unter Erstreckung auf die Einziehungsbeteiligte - den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Der von der Staatsanwaltschaft mit einer Verfahrens- und der Sachrüge angegriffene Teilfreispruch hält ebenfalls der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

A.

Das Landgericht hat Folgendes festgestellt und gewertet:

I.

Der Angeklagte hatte im Jahr 2001 die Einziehungsbeteiligte in der Gesellschaftsform einer Limited nach türkischem Recht mit Sitz in S. (Türkei) gegründet, um Bauaufträge in Deutschland zu erfüllen. Er war der Geschäftsführer der Limited und nahezu alleiniger Gesellschafter. Die Einziehungsbeteiligte unterhielt in S. lediglich ein Büro mit bis zu vier Angestellten, die die dort angeworbenen türkischen Bauarbeiter insbesondere bei Erwerb der erforderlichen deutschen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse unterstützten. Tatsächlich leitete der Angeklagte von der Niederlassung in N. aus die allein in Deutschland ausgeübten Bautätigkeiten. Die bei der Einziehungsbeteiligten angestellten türkischen Arbeitnehmer arbeiteten für neun Monate in Deutschland und kehrten daraufhin in die Türkei zurück, ohne indes dort für die Limited zu arbeiten; vielmehr endete das Beschäftigungsverhältnis jeweils mit Abreise in die Türkei bis zu einer Neueinstellung.

1. Der Angeklagte spiegelte der türkischen Arbeitsverwaltung und den deutschen Aufsichtsbehörden wahrheitswidrig vor, die Einziehungsbeteiligte würde auch in der Türkei umfangreiche Bauarbeiten ausführen. Damit wollte der Angeklagte erreichen, dass die türkische und die deutsche Verwaltung von einem Entsendefall im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 (BGBl. II 1986 S. 1040) zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über die Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965 S. 1170) ausgingen. Die gemäß Art. 5 Abs. 1 der Vereinbarung vom 2. November 1984 zur Durchführung des Abkommens vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit (BGBl. II 1986 S. 1055, 1056) von der türkischen Anstalt für soziale Sicherheit SGK ausgestellten A/T 1-Entsendebescheinigungen waren daher - wie der Angeklagte wusste - unzutreffend. In Fortsetzung seines Tatplans führte der Angeklagte als Geschäftsführer der Einziehungsbeteiligten die in Deutschland für die rund 500 Angestellten anfallenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung nicht an die I. ab, sondern stattdessen in der Türkei Beiträge in Höhe von rund 3,2 Mio. €. Dadurch hinterzog der Angeklagte zugunsten der Einziehungsbeteiligten und zu Lasten der deutschen Sozialversicherungsträger für den Zeitraum von Januar 2007 bis Juli 2016 - berechnet anhand der Tarifmindestlöhne - 11.548.018,60 € an Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen.

2. In steuerlicher Hinsicht bezog der Angeklagte in den Veranlagungszeiträumen 2005 bis 2012 von der Einziehungsbeteiligten verdeckte Gewinnausschüttungen, die er weder in den Körperschaftsteuererklärungen der Limited noch in seinen Einkommensteuererklärungen offenlegte.

a) Diese verdeckten Gewinnausschüttungen ergaben sich aus Folgendem:

aa) In der Buchhaltung der Einziehungsbeteiligten ließ der Angeklagte als betrieblichen Aufwand die Auszahlung von Tarifmindestlöhnen (ausgehandelt in den Tarifverträgen für das Baugewerbe) erfassen. Tatsächlich zahlte die Limited gemäß den für sie vom Angeklagten mit den Arbeitnehmern getroffenen Abreden deutlich geringere Löhne. Die verbleibende Differenz zwischen den in bar ausgezahlten Arbeitsentgelten und den in den Lohnabrechnungen ausgewiesenen („offiziellen“) Beträgen verwendete der Angeklagte für sich.

bb) Zudem gab der Angeklagte anstelle der Arbeitnehmer deren Einkommensteuererklärungen ab, um die sich nach Verrechnung der Einkommensteuerschulden mit den Lohnsteuerabzügen ergebenden Überschüsse für sich zu vereinnahmen. Diese Guthaben folgten daraus, dass die Arbeitnehmer, wie ausgeführt, höchstens neun Monate in Deutschland arbeiteten, sich die monatlichen Lohnsteuerabzüge indes nach einem einjährigen Aufenthalt bemaßen. Der Angeklagte ließ sich von den Angestellten, die sich nicht für die Versteuerung ihres Einkommens in Deutschland interessierten, zahlreiche Unterlagen, darunter Kontovollmachten, unterschreiben, teilweise auch blanko. Mit diesen Unterlagen gründete der Angeklagte für jeden der türkischen Bauarbeiter ein Bankkonto und ließ mit steuerberaterlicher Hilfe Einkommensteuererklärungen abgeben. Ob die Arbeitnehmer, die überwiegend bereits in die Türkei zurückgekehrt waren, oder mit deren Namen der Angeklagte, ein Mitarbeiter der Einziehungsbeteiligten oder gar jemand aus dem Steuerberaterbüro die Einkommensteuererklärungen unterschrieben, hat das Landgericht nicht aufgeklärt.

Die sich aus dem Verrechnen der Lohnsteuerabzüge mit den tatsächlich zum Jahresende geschuldeten Einkommensteuerschulden ergebenden Überschüsse (§§ 38 ff., § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG) überwies das Finanzamt auf die Bankkonten der Arbeitnehmer. Von dort ließ der Angeklagte die nach Begleichen der Steuerberaterhonorare verbliebenen Buchgelder auf ein Konto der Einziehungsbeteiligten überweisen (sogenanntes ?Management-Konto?), der nach den inoffiziellen Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern die Erstattungsbeträge zustanden. In der Buchhaltung der Einziehungsbeteiligten ließ der Angeklagte die auf dem Management-Konto eingegangenen Gelder nicht erfassen; über dieses Konto verfügte er wie ein Privatkonto.

b) In den für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2009 abgegebenen Körperschaftsteuererklärungen der Einziehungsbeteiligten verschwieg der Angeklagte jeweils die privat vereinnahmten Erträge in Höhe der Differenz zwischen den verbuchten und tatsächlich gezahlten Löhnen sowie die auf dem Management-Konto eingegangenen Überweisungsbeträge. Dadurch bewirkte er für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2007, dass die in den Körperschaftsteuerbescheiden festgesetzten Verlustvorträge zu hoch ausfielen, nämlich um jeweils mindestens 800.000 € für die Jahre 2005 und 2006 sowie um mindestens 450.000 € für das Jahr 2007. Für die Veranlagungszeiträume 2008 und 2009, in denen die Einziehungsbeteiligte Jahresüberschüsse in Höhe von 446.066 € bzw. 1.009.290 € erklärte, wurden infolge der unvollständigen Angaben die Körperschaftsteuerschulden um jeweils mindestens 50.000 € zu gering festgesetzt.

c) Auch in seinen Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2006, 2008, 2009 und 2012 verschwieg der Angeklagte die verdeckten Gewinnausschüttungen. Dadurch verkürzte er nach den Berechnungen des Landgerichts an Einkommensteuer einschließlich Solidaritätszuschlag für den Veranlagungszeitraum 2006 rund 282.000 € und für den Veranlagungszeitraum 2008 fast 150.000 €. Allein bezogen auf die verdeckten Gewinnausschüttungen und unter Zugrundelegen einer Abgeltungsteuer von jeweils 25 % hinterzog der Angeklagte Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für den Veranlagungszeitraum 2009 in Höhe von fast 225.000 € und für den Veranlagungszeitraum 2012 in Höhe von rund 431.000 €.

3. Gemäß § 8 Nrn. 6, 15.1 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe, der den Arbeitnehmern einen zusammenhängenden Jahresurlaub ermöglichen und ihren Anspruch auf Urlaubsvergütung sichern soll, ließ der Angeklagte für die Einziehungsbeteiligte die Urlaubsentgelte bemessen an den ?offiziellen? Tarifmindestlöhnen an die Urlaubsund Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) abführen, und zwar in Höhe von 14,3 % des Gesamtbruttolohns für alle Arbeitnehmer (§ 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe [VTV]). Tatsächlich gewährte die Limited ihren Arbeitnehmern keinen Urlaub im Umfang der Tarifverträge und zahlte dementsprechend keine Urlaubsvergütung an diese aus. Um dennoch die Rückzahlung der von der ULAK eingezogenen Urlaubsentgelte zu erreichen, wies der Angeklagte die zuständigen Mitarbeiter, insbesondere den Zeugen K., an, wahrheitswidrig tatsächlich nicht in Anspruch genommene Urlaubstage der Angestellten in Listen einzutragen. Über einen gutgläubigen Mitarbeiter des Steuerberaterbüros ließ der Angeklagte damit im Zeitraum von Januar 2012 bis Mai 2013 durch 17 unrichtige monatliche Meldungen gegenüber der ULAK wahrheitswidrig erklären, die Einziehungsbeteiligte habe insgesamt 953.157,98 € an Urlaubsentgelt an die Arbeitnehmer ausgezahlt. Tatsächlich belief sich die gewährte Urlaubsvergütung auf höchstens 263.148,69 €. Da die jeweiligen Mitarbeiter der ULAK den Angaben in den Anträgen glaubten, erstatteten sie der Einziehungsbeteiligten unberechtigt 690.009,29 €.

II.

Vom Vorwurf, durch die Abgabe der Einkommensteuererklärungen anstelle der - unwissenden - Arbeitnehmer im Zeitraum von Juni 2006 bis Juni 2016 in 1.378 weiteren Fällen Einkommensteuer hinterzogen zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freigesprochen; dazu hat es den vorstehend unter I. 2. a) bb) wiedergegebenen Sachverhalt festgestellt. Maßgeblich sei, dass das Finanzamt die Guthaben mit nach §§ 47, 224 Abs. 3 AO befreiender Wirkung auf die in den Erklärungen angegebenen Bankkonten geleistet habe; damit habe keine Gefahr für den Fiskus bestanden, die Überschüsse nochmals, und zwar an die Arbeitnehmer auszahlen zu müssen.

Dieser Sachverhalt sei auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Betruges zu Lasten der Arbeitnehmer (§ 263 Abs. 1 StGB) zu ahnden: Zum einen sei ein Handeln zum Nachteil der angestellten Bauarbeiter nicht Gegenstand der Anklage; zum anderen hätten diese wegen ihres Einverständnisses mit dem Vereinnahmen der Erstattungsbeträge durch die Einziehungsbeteiligte keinen Vermögenschaden erlitten.

Urkundenfälschungen (§ 267 Abs. 1 StGB) seien dem Angeklagten aus tatsächlichen Gründen nicht nachzuweisen. Denn es bestehe kein Beweis dafür, dass der Angeklagte die Unterschriften der Arbeitnehmer nachgeahmt oder solches beauftragt habe. Insoweit sei nicht auszuschließen, dass wegen des generellen Einverständnisses der Arbeitnehmer Mitarbeiter des Unternehmens oder gar des Steuerberaterbüros eigenmächtig die Einkommensteuererklärungen mit dem Namen der Arbeitnehmer unterschrieben hätten.

B. Revisionen

I. Revision des Angeklagten

1. Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.

a) Das Verfahren ist in den Fällen 1 bis 16 der Urteilsgründe (Vorenthalten von Arbeitsentgelt für die Monate Januar 2007 bis April 2008) wegen Verfolgungsverjährung einzustellen (§ 206a Abs. 1 StPO; § 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4, § 78a Satz 1, 2, § 78c Abs. 1 StGB).

aa) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 1. September 2020 - 1 StR 58/19), die nach Verkündung des angefochtenen Urteils ergangen ist, beginnt bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes für das Entrichten der Sozialversicherungsbeiträge. Danach sind die Taten aus dem Zeitraum Januar 2007 bis April 2008 verjährt; denn der Ablauf der Verjährungsfrist von fünf Jahren ist erstmals durch den Durchsuchungsbeschluss vom 2. Mai 2013, der sich ausreichend konkret auf die Tatserie bezieht, unterbrochen worden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV; § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 StGB).

bb) Entsprechend § 357 Satz 1 StPO ist der die Einziehungsbeteiligte betreffende Einziehungsbetrag (§ 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) im Umfang der Verjährungseinstellung um 1.527.198,43 € zu reduzieren.

(1) § 357 Satz 1 StPO ist beim Verfahrenshindernis der Verjährung anzuwenden (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16 Rn. 52; vom 31. März 2011 - 4 StR 657/10 Rn. 10; vom 29. November 1994 - 3 StR 221/94 Rn. 1 und vom 16. September 1971 - 1 StR 284/71 Rn. 11 ff., BGHSt 24, 208, 210 f.) und gilt in entsprechender Anwendung für Einziehungsbeteiligte (BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2020 - 1 StR 518/19 Rn. 8; vom 26. Juni 2019 - 1 StR 551/18 Rn. 31; vom 6. März 2019 - 3 StR 286/18 Rn. 15; vom 25. Oktober 2017 - 2 StR 252/16 Rn. 54 und vom 8. Juni 2017 - 1 StR 614/16 Rn. 10).

(2) Nach Verjährung der Taten, an welche die Einziehungsanordnung anknüpft, wäre es zwar in einer Hauptverhandlung möglich, ins objektive Verfahren überzugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2018 - 5 StR 133/18 Rn. 6). Eine selbständige Einziehungsanordnung nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB nF scheidet indes jedenfalls deswegen aus, weil ein gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlicher Antrag der Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19 Rn. 19 und vom 22. Januar 2019 - 1 StR 489/18 Rn. 7); mithin bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die Anwendung des § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB nF auf Fälle, in denen - wie hier bezüglich der Fälle 1 bis 16 - infolge vor dem 1. Juli 2017 eingetretener Strafverfolgungsverjährung Abschöpfungsmaßnahmen bislang, nämlich bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I 2017 S. 872), ausgeschlossen waren, gegen das allgemeine rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt (so BGH, Vorlagebeschluss vom 7. März 2019 - 3 StR 192/18).

b) In den nach Verfahrensteileinstellung verbleibenden Taten des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (Fälle 17 bis 115 der Urteilsgründe) begegnet die Strafzumessung durchgreifenden Bedenken, weil die Feststellungen zum Schuldumfang lückenhaft sind.

aa) Der Schuldspruch hat indes bereits deswegen Bestand, weil das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965 S. 1170) die Beiträge zur Arbeitslosen- und Pflegeversicherung nicht erfasst (Art. 2 des Sozialversicherungsabkommens). Insoweit findet die Strafvorschrift des § 266a StGB über § 3 Nr. 1, § 9 SGB IV Anwendung (vgl. auch § 6 SGB IV).

bb) Allerdings ist die Berechnung der Höhe der ersparten Sozialversicherungsbeiträge nicht nachzuvollziehen. Denn die tariflich geschuldeten Mindestlöhne im Baugewerbe, die das Landgericht als Bemessungsgrundlage für die Höhe der ersparten Sozialversicherungsbeiträge heranziehen wollte (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2012 - 5 StR 363/12 Rn. 10; BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 1/04 R Rn. 25 ff.), werden nicht mitgeteilt; insbesondere die Löhne der Arbeitnehmer sind für die Bemessungsgrundlage aber erforderlich (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 8. Januar 2020 - 5 StR 122/19 Rn. 13; Beschlüsse vom 11. Juli 2019 - 1 StR 456/18 Rn. 29 und vom 20. April 2016 - 1 StR 1/16 Rn. 6; je mwN). Damit ist dem Revisionsgericht die Ãœberprüfung verwehrt, ob das Landgericht die Nettolöhne rechtsfehlerfrei, insbesondere unter Zugrundlegen der zutreffenden Lohnsteuerklasse, auf die der - ansonsten alle notwendigen Parameter enthaltenden - Berechnungstabelle zu entnehmenden Bruttolöhne hochgerechnet hat (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Da die Orte der Baustellen und der genaue Arbeitsbereich nicht mitgeteilt werden, ist bereits deswegen die Feststellungslücke nicht mittels offenkundiger Tatsachen zu schließen.

cc) Die mangelnden Feststellungen betreffen die Höhe der ersparten Sozialversicherungsbeiträge. Hingegen bleibt der Schuldspruch unberührt. Denn die Verwirklichung des Tatbestandes wird sicher von den Feststellungen getragen. Die Urteilsaufhebung ist auf die Einziehungsbeteiligte entsprechend § 357 Satz 1 StPO zu erstrecken, da der Einziehungsumfang rechtsfehlerhaft bestimmt ist.

dd) Bezüglich der Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung gilt (vgl. zum Ganzen auch den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Januar 2019 - L 1 BA 76/18 B ER): Die Voraussetzungen für eine Entsendung sind nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 des - gegenüber den deutschen Rechtsvorschriften der §§ 3 ff. SGB IV vorrangigen (vgl. auch § 6 SGB IV) - Zusatzabkommens vom 2. November 1984 zum Abkommen vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit in der Fassung des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 und des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl. II 1986 S. 1040) nicht gegeben (dazu unter [1]). Indes lassen die insoweit lückenhaften Feststellungen die Beurteilung nicht zu, ob den von der türkischen Sozialbehörde SGK ausgestellten A/T 1-Entsendebescheinigungen Bindungswirkung zukommt (dazu unter [2]).

(1) Nach Art. 5 des deutschtürkischen Sozialversicherungsabkommens vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965 S. 1170, 1172) richten sich die Kranken- und Rentenversicherungspflicht „von Beschäftigten …, soweit die Artikel 6 und 9 nichts anderes bestimmen, nach den Rechtsvorschriften der Vertragspartei, in deren Gebiet sie beschäftigt sind; dies gilt auch, wenn sich der Arbeitgeber im Gebiet der anderen Vertragspartei gewöhnlich aufhält oder dort seinen Betriebssitz hat“. Davon abweichend bestimmt Art. 6 Abs. 1 des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 (BGBl. II 1986 S. 1040, 1042) für den Fall, dass „ein Arbeitnehmer eines Unternehmens mit dem Sitz im Gebiet der einen Vertragspartei vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt“ wird, „um dort eine Arbeit für Rechnung dieses Unternehmens auszuführen," dass „für ihn die Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei für die Dauer der Beschäftigung im Gebiet der zweiten Vertragspartei so weiter“ gelten, „als wäre er an dem Ort beschäftigt, an dem das Unternehmen seinen Sitz hat“.

(1.1) Die in Art. 6 Abs. 1 des Zusatzabkommens gewählten Begriffe „vorübergehend“ und „weitergelten“ implizieren eine Vor- und Anschlussbeschäftigung in der Türkei. Eine - im Sozialversicherungsabkommen nicht näher definierte - ?Entsendung? setzt begrifflich voraus, dass sich der Arbeitnehmer von seinem Beschäftigungsort in dem einen Staat zu dem neuen in dem anderen Staat ?fortbewegt? (vgl. zu § 4 SGB IV: BSG, Urteil vom 25. August 1994 - 2 RU 14/93 Rn. 22).

(1.2) Angesichts der Eindeutigkeit der Wortwahl ist nicht ersichtlich, dass sich die Bundesrepublik Deutschland bei Abschluss des Zusatzabkommens vom herkömmlichen Verständnis der Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) und Einstrahlung (§ 5 SGB IV) lösen wollte. Für die Ausstrahlung nach § 4 Abs. 1 SGB IV ist entschieden, dass der Arbeitgeber zumindest die Arbeitnehmer nach ihrer Tätigkeit im Ausland im Land seines Sitzes weiterbeschäftigen muss (BSG, Urteile vom 10. August 1999 - B 2 U 30/98 R Rn. 24 ff.; vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 1/14 R Rn. 16 und vom 19. Dezember 2013 - B 2 U 14/12 R Rn. 17; je mwN; vgl. auch BT-Drucks. 7/4122 S. 30). Nichts anderes gilt für die ?spiegelbildliche? Einstrahlung. Denn ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 SGB IV ist durch das tatsächliche Erbringen von Arbeitsleistungen geprägt.

(1.3) Diese Auslegung des bilateralen Abkommens nach seinem Wortlaut wird durch die Systematik des Vertragsabkommens bestätigt: Art. 5 gibt den Grundsatz des Territorialprinzips wieder; demgegenüber regelt Art. 6 Abs. 1 den - eng auszulegenden - Ausnahmetatbestand der Entsendung, bei dessen Nichtvorliegen wiederum der Territorialgrundsatz anzuwenden ist. Soweit die Revision dem Umkehrschluss aus dem Fehlen des sonst üblicherweise verwendeten Passus ?im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses? (etwa § 5 Abs. 1 SGB IV) entnehmen will, dass die Einziehungsbeteiligte allein wegen ihres Sitzes in der Türkei dem türkischen Sozialversicherungsrechtsregime unterworfen ist (vgl. auch Zeiske, Das Statut sozialer Sicherheit bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung, 2016, S. 233), übergeht sie den Begriff des ?Arbeitnehmers?; dieser beinhaltet das vermisste Beschäftigungsverhältnis.

(1.4) Nach alledem muss der Arbeitgeber im Land seines Sitzes eine nennenswerte Geschäftstätigkeit ausüben, um ?entsendefähig? zu sein. Das Unterhalten eines Anwerbebüros genügt nicht.

(2) Indes ist damit nicht geklärt, ob die türkischen A/T 1-Entsendebescheinigungen verbindlich festlegen, dass eine Kranken- und Rentenversicherungspflicht in Deutschland nicht bestand. Dies ist weder im Sozialversicherungs- noch im Durchführungsabkommen geregelt. Art. 55 des Sozialversicherungsabkommens sieht für die Beilegung eines Anwendungsstreits zwischen den Vertragsparteien das Bilden einer Kommission und danach ein Schiedsgerichtsverfahren vor.

(2.1) Den Bescheinigungen wäre eine Bindungswirkung abzusprechen, wenn sie mit dem Wortlaut des Sozialabkommens offensichtlich unvereinbar wären (BGH, Urteile vom 24. Oktober 2007 - 1 StR 160/07, BGHSt 52, 67 Rn. 23 ff., 41 ff. und 1 StR 189/07 Rn. 23 ff., 41 ff.). Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die ausländische Gesellschaft die Arbeitnehmer dem deutschen Unternehmen überlässt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2007 - 1 StR 160/07, BGHSt 52, 67 Rn. 23 ff., 41 ff.) oder gar nicht existiert und mithin das deutsche Unternehmen Arbeitgeber wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2007 - 1 StR 301/06 BGHSt 51, 224 Rn. 14, 25). Indes beurteilt sich eine solche offensichtliche Unvereinbarkeit nicht allein nach deutschem Rechtsverständnis, sondern auch nach dem des Herkunftsstaats, dessen Behörde bereits aufgrund seiner Ortsnähe eine sicherere Beurteilungsgrundlage hat (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Dezember 1999 - B 14 KG 1/99 R Rn. 16-18, BSGE 85, 240, 243 ff.; Radtke, GmbHR 2009, 915, 921 f.; Rübenstahl, NJW 2007, 3538, 3540 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Oktober 2007 - 1 StR 189/07 zu einem gleichgelagerten Sachverhalt [Rn. 7], indes auf der Grundlage des damaligen deutsch-ungarischen Sozialversicherungsabkommens, dessen Wortlaut [?Arbeitnehmer, der in einem Vertragsstaat beschäftigt ist, im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses von seinem Arbeitgeber in den anderen Vertragsstaat entsandt? wird] keine Zweifel zuließ). Ausführungen zum Rechtsverständnis der SGK fehlen im angefochtenen Urteil.

(2.2) Die türkischen A/T 1-Entsendebescheinigungen würden auch dann unter einem schweren Mangel leiden und deshalb nicht binden, wenn der Angeklagte sie sich aufgrund falscher Angaben erschlichen hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2016 - 1 StR 1/16 Rn. 2). Dem angefochtenen Urteil ist auch seinem Gesamtzusammenhang nach nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Angaben in den Anträgen der Einziehungsbeteiligten die SGK die Entsendebescheinigungen ausstellte; dass der Angeklagte die SGK in gleicher Weise wie die türkische Arbeitsverwaltung ISKUR oder die deutschen Aufsichtsbehörden täuschte, ist nicht festgestellt (vgl. insbesondere UA S. 15-19, 50).

(3) Nach alledem kann offenbleiben, ob die allein in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte die rechtsfehlerhafte Ablehnung seines Beweisantrags auf Vernehmung zweier für die türkische SGK tätiger Auslandszeugen (§ 244 Abs. 5 Satz 2 StPO) beanstandet hat, ebenfalls durchgedrungen wäre.

c) Die Verurteilung wegen vollendeten Betruges (§ 263 Abs. 1, § 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB) hat ebenfalls keinen Bestand.

aa) Der ULAK, einem von den Tarifvertragsparteien gegründeten Verein mit Rechtsfähigkeit aufgrund staatlicher Verleihung, der mit der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG unter ?SOKA-BAU? zusammengefasst ist, entstand durch das täuschende Verhalten des Angeklagten kein Vermögenschaden (dazu unter [2]). Die hierfür erforderliche Tarifbindung ist nämlich nicht belegt (dazu unter [1]).

(1) Eine Tarifbindung ist nicht festgestellt.

(1.1) Mit Beschluss vom 25. Januar 2017 - 10 ABR 43/15 - hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt (§§ 98, 2 Abs. 1 Nr. 5 ArbGG), dass die durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ausgesprochene Allgemeinverbindlicherklärung vom 3. Mai 2012 (BAnz AT vom 22. Mai 2012 B 4) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 21. Dezember 2011 unwirksam ist. Gleiches gilt aufgrund Beschlusses vom selben Tag - 10 ABR 34/15 - bezüglich der Allgemeinverbindlicherklärung vom 29. Mai 2013 (BAnz AT vom 7. Juni 2013 B 5) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 17. Dezember 2012. Damit bestand gemäß § 5 TVG, § 98 Abs. 4 ArbGG (zunächst) nur für tarifgebundene Arbeitgeber eine Beitragspflicht gegenüber der ULAK.

(1.2) Nichts anderes ergibt sich aus § 8 Abs. 1, § 5 Satz 1 Nr. 3, § 4 Nr. 1, § 3 AEntG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung. Die Pflicht für Arbeitgeber im Baugewerbe mit Sitz im Ausland zum Abführen der Urlaubsentgelte an die ULAK setzte voraus, dass die Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt wurden.

(1.3) Auf eine etwaige Beitragspflicht aus einer älteren Fassung des VTV kann der Betrugstatbestand derzeit nicht gestützt werden; denn jedenfalls ist der Angeklagte entgegen § 265 Abs. 1 StPO darauf nicht hingewiesen worden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2017 - 1 StR 614/16 Rn. 5, 9). Da rechtlich ungeklärt ist, ob in strafrechtlicher Hinsicht eine (wenngleich möglicherweise unwirksame) außer Kraft gesetzte Vertragsnorm dann wiederaufleben kann, wenn die Folgenorm ihrerseits nicht rechtmäßig zustande gekommen und damit von vornherein unwirksam ist, kommt der Hinweispflicht besondere Bedeutung zu.

(1.4) § 7 i.V. mit Anlagen 30 und 31 des am 25. Mai 2017 (BGBl. I 2017 S. 1210) in Kraft getretenen Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) ist nicht zur Begründung einer Betrugsstrafbarkeit heranzuziehen; maßgeblich ist die Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Tatbegehung, mithin zum Zeitpunkt der Auszahlungen der Beitragsguthaben (Art. 103 Abs. 2 GG; vgl. bereits BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2017 - 1 StR 614/16 Rn. 8 und vom 27. Juni 2018 - 1 StR 616/17 Rn. 29 zur kraft Gesetzes rückwirkend angeordneten Melde- und Abführungspflicht nach § 7 Abs. 1 SokaSiG, die keine Strafbarkeit gemäß § 263 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB begründen kann; vgl. zur Zulässigkeit der echten Rückwirkung im Verhältnis der Sozialkassen zu den Arbeitgebern BVerfG, Beschlüsse vom 11. August 2020 - 1 BvR 2654/17 und 1 BvR 1115/18.

(2) Die Feststellungen tragen nicht das Tatbestandsmerkmal des Vermögenschadens. Denn die betrügerischen Mittelabrufe für tatsächlich nicht geleistete Urlaubsvergütungen schädigten hier jedenfalls deswegen nicht das Vermögen der ULAK, weil der Einziehungsbeteiligten zum Zeitpunkt der Verfügung umgekehrt Bereicherungsansprüche gegen die ULAK zustanden, die sich im Umfang der Mittelabrufe verringerten.

(2.1) Der Angeklagte ließ entgegen § 13 Abs. 1 Satz 2, 3 VTV 2012 und VTV 2013 I unwahre Meldungen über tatsächlich nicht geleistete Urlaubsvergütungen einreichen. Mit diesem ?Wiederabrufen? veranlasste er die Verantwortlichen der ULAK zur Auszahlung der zuvor durch die Beitragsabführungen entstandenen Beitragsguthaben, die die Kasse ?ansammelt und treuhänderisch verwaltet? (zum Zweck des Urlaubskassenverfahrens: BAG, Urteil vom 25. Oktober 1984 - 6 AZR 35/82 Rn. 19 f., BAGE 47, 114). Hierauf hatte die Einziehungsbeteiligte keinen Anspruch nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VTV und VTV 2013 I. Durch die irrtumsbedingten Zahlungen minderte sich das Barvermögen der ULAK in entsprechender Höhe.

(2.2) Ein Vermögenschaden trat bei der ULAK aber nicht ein, weil die irrtumsbedingten Vermögensminderungen durch die Geldabflüsse gleichzeitig in entsprechender Höhe durch die Befreiung von bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsverbindlichkeiten der ULAK ausgeglichen wurden. Der Getäuschte ist nur dann geschädigt, wenn seine Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs kompensierten Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung der von der Verfügung betroffenen Vermögenspositionen; st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 17. Dezember 2019 - 1 StR 171/19 Rn. 31 mwN; Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - 2 StR 398/19 Rn. 24 und vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 395/19 Rn. 11). Hier ist der im Erlöschen der Rückzahlungsverbindlichkeiten bestehende voll werthaltige Vermögensvorteil bei der gebotenen Saldierung zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung zu berücksichtigen. Denn er steht mit dem vorherigen Zufluss in einem kausalen und wirtschaftlich zwingenden Zusammenhang, auch wenn sich der bereicherungsrechtliche Anspruch auf Rückzahlung der Kassenbeiträge auf der einen Seite und der Anspruch auf Erstattung der Urlaubsvergütungen im Urlaubskassenverfahren auf der anderen Seite ihrer zivilrechtlichen Begründung nach gegenseitig ausschließen:

Die ULAK war gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1, § 818 Abs. 2 BGB zur Rückerstattung der Beiträge verpflichtet. Denn diese hatte die Einziehungsbeteiligte ohne Rechtsgrund geleistet: Mangels wirksamer Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge musste die türkische Limited nicht am Urlaubskassenverfahren teilnehmen und schuldete der ULAK damit keine Beiträge gemäß § 8 Nrn. 6, 15.1 BRTV Bau, § 3 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 VTV 2012 und VTV 2013 I. Die ULAK verwendete die aus den rechtsgrundlos geleisteten Beiträgen gebildeten Guthaben im Vertrauen auf die Beitragspflicht der Einziehungsbeteiligten nach ihrer Vorstellung durch Erstattung der Urlaubsvergütungen zweckentsprechend; damit verringerte sich gleichzeitig mit der Auszahlung der Gelder die ihr zunächst zugeflossene Bereicherung und damit auch ihre Rückzahlungspflicht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1, § 818 Abs. 2 BGB. Der Einsatz eines Täuschungsmittels allein macht den im Einklang mit der Rechtsordnung stehenden Vorteil - wie hier die von Anfang an gebotene Rückabwicklung im Bereicherungsschuldverhältnis - nicht unrechtmäßig (BGH, Urteile vom 16. April 1953 - 3 StR 63/53, NJW 1953, 1479 und vom 13. Juli 1999 - 5 StR 667/98 Rn. 21 ff., 24; Beschluss vom 20. November 1981 - 2 StR 586/81 Rn. 14 f., 19; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 Rn. 86 aE; Urteil vom 17. Oktober 1996 - 4 StR 389/96 Rn. 11 f.; BGHSt 42, 268, 271 f.).

bb) Eine Teileinstellung der Betrugsfälle wegen Verjährung und damit eine insoweit abschließende Entscheidung in der Revisionsinstanz scheiden aus.

(1) Zwar kommt nach dem für den Senat aus den Sachakten ersichtlichen Ermittlungsverlauf als erster Unterbrechungsakt - nach Aufnahme der Ermittlungen infolge der durch die ULAK erstatteten Anzeige im Juli 2015 - erst der Haftbefehl vom 20. Dezember 2017 bzw. der Durchsuchungsbeschluss vom selben Tag (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 4 StGB) in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt waren nach jeweiliger Kontogutschrift der zurückerstatteten Gelder in den ersten Einzelfällen fünf Jahre bereits verstrichen. Indes scheidet eine Verfahrensteileinstellung jedenfalls derzeit aus, weil dem Angeklagten alle 17 Einzelfälle im Wege des uneigentlichen Organisationsdelikts und damit als tateinheitlich begangen (§ 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB) zuzurechnen sein könnten (zum uneigentlichen Organisationsdelikt bei Mittäterschaft siehe nur: BGH, Urteile vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 183 f. und vom 19. August 2020 - 5 StR 558/19 Rn. 52; Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - 2 StR 398/19 Rn. 14 und vom 6. Dezember 2018 - 1 StR 186/18 Rn. 5). Für ihn war jeder Einzelfall erst mit Ende der Tatserie beendet, weil solange seine einmal erteilte organisatorische Anweisung fortwirkte.

(2) Für die Beendigung des uneigentlichen Organisationsdelikts gelten die gleichen Grundsätze wie für die gesetzlich normierten „eigentlichen“ Organisationsdelikte (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 30. März 2001 - StB 4/01 und 5/01 Rn. 16, 19, BGHSt 46, 349, 355, 357 und vom 18. Februar 2000 - StB 2/00 Rn. 5, BGHR StGB § 129a Verjährung 1). Damit läuft die Verjährung für alle Einzelfälle innerhalb eines Organisationsdelikts einheitlich (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 - 2 StR 169/15 Rn. 37 f.).

(3) Zwar unterscheidet sich das uneigentliche Organisationsdelikt vom eigentlichen oder von sonstigen Fällen einer tatbestandlichen Handlungseinheit wie insbesondere einer Bewertungseinheit dadurch, dass mehrere tateinheitlich begangene Fälle (§ 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB) und nicht nur ein einziger Fall anzunehmen sind. Entscheidend ist aber, dass der Tatbeitrag des organisierenden Hintermanns für alle weiteren Einzelfälle der Tatserie ursächlich ist. Denn die Tat ist erst beendet, wenn der Täter sein „rechtsverneinendes Tun“ insgesamt abgeschlossen und das Tatunrecht mithin tatsächlich in vollem Umfang verwirklicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 13. November 2019 - 1 StR 58/19 Rn. 9 und vom 12. Dezember 2017 - 2 StR 308/16 Rn. 24; Urteile vom 18. Mai 2017 - 3 StR 103/17 Rn. 15 und vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05 Rn. 24). Die Fälle der mehrmaligen Verletzung desselben Strafgesetzes (§ 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB) sind bezüglich der Beendigung der Tat anders als die Fälle des § 52 Abs. 1 Alternative 1 StGB zu behandeln, innerhalb welcher die Verjährungsfrist für jeden Straftatbestand gesondert zu bestimmen ist.

(4) Freilich darf die über das uneigentliche Organisationsdelikt gebildete rechtliche Handlungseinheit im Rahmen der Verjährungsprüfung nicht zur Umgehung des Zweifelsgrundsatzes führen. Danach bestimmt sich „in dubio pro reo“ die Frage der Verfolgungsverjährung bei einem nicht eindeutig feststellbaren Tatbeendigungszeitpunkt nach der für den Angeklagten günstigeren Fallkonstellation (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2020 - 4 StR 53/20 Rn. 4; vom 15. Februar 2018 - 4 StR 594/17 Rn. 3; vom 5. August 2014 - 3 StR 138/14 Rn. 2 und vom 19. Februar 1963 - 1 StR 318/62, BGHSt 18, 274, 278 f.). Dies kann sich dann auswirken, wenn in Frage steht, ob der organisierende Hintermann innerhalb der Tatserie neben seinem Organisationsbeitrag doch Beiträge leistete, die sich nur auf bestimmte Taten beziehen. Solches würde nicht nur den Schuldspruch (§ 53 StGB) betreffen, sondern, sofern weitere einzelne Tatbeiträge bereits nicht auszuschließen wären, bei Einhaltung des Zweifelsgrundsatzes auch die Verjährungsfrage: Die Verjährung solcher individuell geförderten Taten würde sich dann nach Beendigung der Einzeltat bestimmen, auch wenn die Tatserie andauert.

cc) Im neuen Rechtsgang wird das Tatgericht zu prüfen haben, ob die Überweisung in Höhe von 58.940,41 € (Fall 132 der Anklage vom 22. Februar 2018) noch verfahrensgegenständlich ist (vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen unter II. 1. sowie den Antrag des Generalbundesanwalts vom 18. Juli 2019 unter I.).

d) Die Verfahrensteileinstellung sowie die Aufhebungen der Betrugstat und der Einzelstrafen in den Fällen 17 bis 115 der Urteilsgründe bedingen die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs.

e) Die Kompensationsentscheidung weist ebenfalls einen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf. Trotz umfangreicher Feststellungen zum Gang des Ermittlungs- und Strafverfahrens (UA S. 68-72) seit Bekanntgabe der Tatvorwürfe gegenüber dem Angeklagten hat das Landgericht Ausmaß, Art und Ursache der rechtsstaatswidrigen Verzögerung (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt [GS] 52, 124 Rn. 55; Urteil vom 30. Juli 2020 - 4 StR 419/19 Rn. 26) nicht bestimmt.

2. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet.

a) Ergänzend bemerkt der Senat zur Verkürzung der Körperschaftsteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO, § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, § 53 Abs. 1 StGB):

Die Würdigung des Landgerichts, die nachzuentrichtenden Sozialversicherungsbeiträge erst auf der Strafzumessungsebene zu berücksichtigen, erweist sich als rechtsfehlerfrei. Dies folgt aus dem in § 370 Abs. 4 Satz 3 AO normierten Kompensationsverbot.

aa) Danach ist eine Steuer im Festsetzungsverfahren auch dann verkürzt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, „aus anderen Gründen“ hätte ermäßigt werden können. Maßgeblich für das Verständnis des Kompensationsverbots ist sein innerer Bezug zur Tatbestandsverwirklichung. Demnach sind dem Täter nur derartige Steuervorteile anzurechnen, die sich aus der unrichtigen Erklärung selbst ergeben. Dies gilt jedenfalls, wenn diese mit den verschleierten steuererhöhenden Tatsachen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und dem Täter ohne Weiteres von Rechts wegen zugestanden hätten (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 13. September 2018 - 1 StR 642/17, BGHSt 63, 203 Rn. 16 und vom 16. Januar 2020 - 1 StR 113/19 Rn. 45). Einen solchen ausreichenden Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof neben anderen, sich ohne Weiteres aus wahrheitsgemäßen Angaben ergebenden Steuerschulden nunmehr auch bezüglich nachzuentrichtender Sozialversicherungsabgaben anerkannt, die auf durch Arbeitnehmer erzielten Betriebseinnahmen lasten (BGH, Urteil vom 17. September 2020 - 1 StR 576/18 Rn. 28).

bb) Zwischen den verdeckten Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) und den Sozialversicherungsbeiträgen besteht indes kein derart enger Zusammenhang.

Die auf dem Management-Konto eingegangenen Erstattungsbeträge aus den Einkommensteuerveranlagungen haben von vornherein nichts mit den Sozialversicherungsbeiträgen zu tun. Es handelt sich aber auch beim Nichtabführen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile im Vergleich zu den vereinnahmten Unterschiedsbeträgen von verbuchten Tariflöhnen zu den tatsächlich ausgezahlten Löhnen um einen anderen Sachverhalt. Die Sozialversicherungsabgaben folgen nicht aus den verdeckten Gewinnausschüttungen, sondern vielmehr daraus, dass der Angeklagte in Bezug auf die verbuchten Tariflöhne eine weitere Straftat beging, indem er die Arbeitnehmer von vornherein nicht gegenüber den Einzugsstellen anmeldete (§ 266a Abs. 1, 2 Nr. 2 StGB). Auf die verdeckten Gewinnausschüttungen fallen keine Sozialversicherungsbeiträge an.

b) Es ist auszuschließen, dass die Straffindung in den aufgehobenen Fällen die Strafzumessung bei den anders gelagerten Steuerhinterziehungen beeinflusst hat. Die für die Steuerstraftaten verhängten Einzelstrafen einschließlich der Einsatzstrafe bleiben mithin bestehen.

II. Revision der Staatsanwaltschaft

Der Teilfreispruch hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung in den Fällen 1 bis 1.378 der Anklage vom 29. März 2018 nicht stand. Das Landgericht hat den Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) rechtsfehlerhaft gewürdigt.

1. Das Landgericht hat eine Gesetzesverletzung nach § 267 Abs. 1 StGB (§ 154a Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StPO) im Urteil geprüft und damit wieder einbezogen (§ 154a Abs. 3 Satz 1 StPO). Ein Verfahrenshindernis dafür bestand nicht. Zwar hat die Staatsanwaltschaft mit ihrer Abschlussverfügung vom 29. März 2018 den Straftatbestand der Urkundenfälschung von der Verfolgung ausgenommen. Indes folgt aus einer Verfahrensstoffbeschränkung kein Verfahrenshindernis. Von der Verfolgung ausgenommene Tatteile oder Gesetzesverletzungen einschließlich des zugehörigen Tatsachenstoffs bleiben Verfahrensgegenstand. Das Landgericht hat die Strafbestimmung der Urkundenfälschung zutreffend - ohne dass dies einen förmlichen Beschluss erfordert hätte - wieder aufgegriffen, um den angeklagten Sachverhalt im Hinblick auf den Freispruch erschöpfend zu würdigen (vgl. BGH, Urteile vom 12. August 1980 - 1 StR 422/80, BGHSt 29, 315, 316; vom 15. September 1983 - 4 StR 535/83, BGHSt 32, 84, 85; vom 29. März 1989 - 2 StR 55/89 Rn. 15, BGHR StPO § 154a Abs. 3 Wiedereinbeziehung 2 und vom 8. September 1982 - 3 StR 241/82 [S] Rn. 5; Beschlüsse vom 12. März 1968 - 5 StR 115/68, BGHSt 22, 105, 106 und vom 1. Dezember 2015 - 1 StR 273/15 Rn. 5).

2. Die Beweiswürdigung, welche dem Freispruch vom Vorwurf der Urkundenfälschung zugrunde liegt (§ 261 StPO), begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Dabei ist für den in Rede stehenden Tatvorwurf der Urkundenfälschung bei Handeln unter fremdem Namen von folgenden rechtlichen Erwägungen auszugehen:

aa) Im Grundsatz setzt das Herstellen (und anschließende Gebrauchmachen von) einer unechten Urkunde voraus, dass der Täter über den Aussteller der Urkunde täuscht (BGH, Beschluss vom 24. Januar 2013 - 3 StR 398/12 Rn. 7; Urteil vom 27. September 2002 - 5 StR 97/02 Rn. 15), mithin die Urkunde nicht von derjenigen Person stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht (Identitätstäuschung). Der aus der Urkunde erkennbare Aussteller will sich tatsächlich jene nicht als deren Urheber zurechnen lassen (BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 - 2 StR 160/94, BGHSt 40, 203, 204 mwN; Beschlüsse vom 4. Juni 2013 - 2 StR 59/13 Rn. 13 und vom 21. März 1985 - 1 StR 520/84 Rn. 8, BGHSt 33, 159, 160 f.). Insoweit könnte hier der Strafbarkeit nach § 267 Abs. 1 StGB entgegenstehen, dass die Arbeitnehmer sich schlüssig mit dem Nachahmen ihrer Unterschriften einverstanden erklärten. Mit der Abrede, die Einziehungsbeteiligte möge ihre Einkommensteuerveranlagungen abwickeln, und ihrer anschließenden Rückkehr in die Türkei könnten sie ausreichend kundgetan haben, sich die abgegebenen Einkommensteuererklärungen zurechnen lassen zu wollen.

bb) Indes ist ein solches Einverständnis des sich aus der Urkunde ergebenden Ausstellers wirkungslos, wenn Gesetzesvorschriften - wie hier § 25 Abs. 3 Satz 4 EStG aF/§ 25 Abs. 3 Satz 1 EStG in der seit 1. Januar 2012 geltenden Fassung - eine eigenhändige Unterschriftsleistung vorsehen. Wenn aufgrund einer solchen gesetzlichen Anordnung dem Vertretenen die rechtliche Befugnis zu einer Ermächtigung entzogen worden ist, muss sich dies auf die Auslegung der Strafvorschrift der Urkundenfälschung auswirken; denn geschütztes Rechtsgut sind die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1951 - 1 StR 567/51, BGHSt 2, 50, 52; Beschluss vom 21. August 2019 - 3 StR 7/19 Rn. 12). Eine Urkunde ist demnach auch dann unecht, wenn dem Urkundenaussteller die Befugnis zur Ermächtigung zur rechtlichen Vertretung fehlt (BGH, Beschluss vom 21. März 1985 - 1 StR 520/84 Rn. 10, BGHSt 33, 159, 161 f.).

(1) So ist etwa für ein privatschriftliches Testament (§ 2247 Abs. 1 BGB) entschieden, dass derjenige, der an Stelle des Erblassers die Unterschrift mit dessen Namenszug leistet, sich auch dann wegen Urkundenfälschung strafbar macht, wenn der Erblasser damit einverstanden ist (RG, Urteil vom 6. Februar 1923 - I 407/22, RGSt 57, 235, 236 f.; S/S-Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 267 Rn. 57, 59; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 267 Rn. 18; Mohrbotter, NJW 1966, 1421, 1422). Denn dem Erblasser fehlt die rechtliche Befugnis, seine Unterschrift durch einen anderen ersetzen zu lassen. Nicht allein die Interessen des Erblassers werden berührt, sondern auch derjenigen, die als potentielle Erben durch den Anschein eines solchen Testaments betroffen sein könnten.

(2) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs soll die Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung bei Steuererklärungen (§ 150 Abs. 2, 3 AO) dem Steuerpflichtigen die Bedeutung seiner Steuererklärung bewusst machen; dadurch soll sichergestellt werden, dass er sich über die Lückenlosigkeit und Richtigkeit der gegebenenfalls von einer dritten Person, insbesondere von seinen steuerlichen Beratern, vorgenommenen Eintragungen und den Umfang der im Vordruck vorgesehenen Angaben vergewissert hat. Die Eigenhändigkeit der Unterschriftsleistung soll dem Steuerpflichtigen die Bedeutung seiner Steuererklärung als Wissenserklärung bewusstmachen (BFH, Urteile vom 11. April 2018 - X R 39/16 Rn. 45; vom 8. Oktober 2014 - VI R 82/13 Rn. 14, 17, BFHE 247, 402, 403 f., 405 f. und vom 14. Januar 1998 - X R 84/95 Rn. 17, BFHE 185, 111, 114 f.; Beschluss vom 9. Juli 2012 - I B 11/12 Rn. 8). Begibt sich der Steuerpflichtige dauerhaft ins Ausland, darf er ausnahmsweise einen dazu Bevollmächtigten unterschreiben lassen, indes nur unter Offenlegen der Vertreterstellung (§ 150 Abs. 3 Satz 1 Variante 3 AO; BFH, Urteil vom 10. April 2002 Rn. 14 ff. - VI R 66/98, BFHE 198, 62, 64 ff.).

Demgemäß ist eine Steuererklärung - wie im Falle der fehlenden Unterschrift (dazu BFH, Urteile vom 10. November 2004 - II R 1/03 Rn. 12, BFHE 208, 33, 35 und vom 14. Januar 1998 - X R 84/95 Rn. 16, BFHE 185, 111, 113 f.; Beschluss vom 26. März 1999 - X B 196/98 Rn. 3) - unwirksam und kann ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren nicht in Gang setzen, wenn sie von einem anderen als dem Steuerpflichtigen mit dessen Namen unterschrieben wird (sog. verdeckte Stellvertretung; BFH, Urteile vom 7. November 1997 - VI R 45/97 Rn. 11, BFHE 184, 381, 383 und vom 10. April 2002 - VI R 66/98 Rn. 15, BFHE 198, 62, 65). Denn die Finanzbehörde soll darauf vertrauen dürfen, dass eine Unterschrift mit dem Namen des Steuerpflichtigen auch tatsächlich von diesem und nicht von einem Dritten stammt. Sie soll nicht jeweils gesondert nachfragen müssen, welche Person unterschrieben hat und ob im Falle der Vertretung die Voraussetzung für eine Unterzeichnung nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO vorgelegen habe. Gerade diese Situation soll durch das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift vermieden werden (BFH, Urteil vom 7. November 1997 - VI R 45/97 Rn. 11, BFHE 184, 381, 383). Damit dient die eigenhändige Unterschrift nach § 25 Abs. 3 EStG nicht allein dem Schutz des Einkommensteuerpflichtigen, sondern auch dem Schutz des Finanzamts vor rechtswidriger, wenn auch nicht unwirksamer (dazu nachfolgend unter III. 2. a)) Festsetzung gegenüber einem Nichtberechtigten.

cc) Gegen das Erfordernis der rechtlichen Befugnis des Vertretenen wird im Wesentlichen eingewandt, damit werde der Schutzbereich des § 267 StGB entgegen der auch von der Rechtsprechung zugrunde gelegten Geistigkeitstheorie vom Echtheits- auf den Wirksamkeitsschutz erweitert. Bei dieser unzulässigen Überdehnung sei eine Abgrenzung von weiteren Unwirksamkeitsgründen wie etwa der Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen oder einem Verstoß des Urkundeninhalts gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) nicht zu gewährleisten (MüKo-StGB/Erb, 3. Aufl., § 267 Rn. 141-143; NK-StGB-Puppe/Schumann, 5. Aufl., § 267 Rn. 69; SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl., § 267 Rn. 48; Puppe, JR 1981, 441, 442 ff.; Samson, JuS 1970, 369, 375; Paeffgen, JR 1986, 114, 117 f.; Weidemann, NJW 1986, 1976, 1977; Rheineck, Fälschungsbegriff und Geistigkeitstheorie, 1979, S. 60 ff.).

dd) An der Voraussetzung der Vertretungsbefugnis ist festzuhalten. Eine geistige Urheberschaft ist zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung auch im Strafrecht nur anzuerkennen, wenn die betreffende Rechtsordnung wie etwa das Zivil- oder Steuerrecht das Handeln unter fremdem Namen zulässt. Andernfalls wäre die Sicherheit des Rechtsverkehrs mit Urkunden beeinträchtigt (vgl. LK-StGB/Zieschang, 12. Aufl., § 267 Rn. 43); die in Rede stehenden Urkunden betreffen den Rechtskreis anderer. Ob derjenige, der sich die Erklärung zurechnen lassen will, um die Formungültigkeit der Urkunde weiß, ist daher unerheblich (a.A. MüKo-StGB/Erb, 3. Aufl., § 267 Rn. 143). Der Rechtsverkehr mit dem Finanzamt ist durch eine nachgeahmte Unterschrift auch dann betroffen, wenn die darauf ergehenden Bescheide wirksam werden können.

Das Formgültigkeitserfordernis der eigenhändigen Unterschriftsleistung gehört zum Akt der Urkundenherstellung; es lässt sich daher durchaus von den inhaltlichen Voraussetzungen des BGB an die Wirksamkeit von Willenserklärungen abgrenzen.

b) Vor diesem rechtlichen Hintergrund gilt für die Beweiswürdigung:

aa) Eine tatgerichtliche Beweiswürdigung ist u.a. dann rechtsfehlerhaft, wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht oder lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 4. Juni 2019 - 1 StR 585/17 Rn. 27 mwN). Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils - je nach der Beweislage des Einzelfalles - nicht jeden beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Wenn aber nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss das Tatgericht in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlich gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGH, Urteile vom 6. September 2006 - 5 StR 156/06 Rn. 16; vom 11. November 2015 - 1 StR 235/15 Rn. 39 und vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11 Rn. 13). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt wurden. Auch wenn keine der Hilfstatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Ãœberzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 4. Juni 2019 - 1 StR 585/17 Rn. 28 und vom 11. November 2015 - 1 StR 235/15 Rn. 43 mwN).

bb) An diesen Maßstäben gemessen hat das Landgericht in seiner knappen Beweiswürdigung die den Angeklagten belastenden Umstände nicht erkennbar bedacht; darüber hinaus fehlt es an einer Gesamtwürdigung. Die verdeckten Gewinnausschüttungen lagen allein im Interesse des Angeklagten: Er vereinnahmte die sich aus der Überweisung der überhöhten Lohnabzüge (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG) ergebenden Buchgelder. Die Abgabe der Einkommensteuererklärungen war für das Gelingen seines Tatplans notwendig. Dass Angestellte in seiner Buchhaltung oder gar Mitarbeiter des beauftragten Steuerberaterbüros eigenmächtig oder im vorauseilenden Gehorsam die Unterschriften der Arbeitnehmer nachahmten, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht. Insbesondere widersprechen diese Erwägungen den Feststellungen im Betrugskomplex, denen zufolge der Angeklagte den Zeugen K. anwies, überhöhte Urlaubsentgelte gegenüber der ULAK geltend zu machen.

3. Eine Einstellung dieses Verfahrensteils wegen Verjährung scheidet jedenfalls derzeit aus. Zwar kommt nach dem für den Senat aus den Sachakten ersichtlichen Verlauf des Ermittlungsverfahrens, das die Staatsanwaltschaft insoweit von vornherein geleitet hat (vgl. insbesondere Band I Blatt 147 f., 367, 368 f. der Verbundakten; vgl. dazu BGH, Urteile vom 24. Oktober 1989 - 5 StR 238 und 239/89, BGHSt 36, 283, 284 f. und vom 28. November 1990 - 3 StR 170/90 Rn. 9), als erster Unterbrechungsakt erst die Erhebung der Anklage am 4. April 2018 (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) in Betracht. Insbesondere umfasst die Bekanntgabe der Erweiterung des Steuerstrafverfahrens gemäß Verfügung vom 27. April 2015 (Band I Blatt 345 der Verbundakten; § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Variante 4 StGB), anders als der Generalbundesanwalt meint, nur die eigenen Einkommensteuererklärungen des Angeklagten. Es ist jedoch - wie beim Betrugskomplex (B. I. 1. c) bb)) - möglich, dass der Angeklagte nicht selbst die Tathandlungen eigenhändig ausführte, sondern, dass ihm sämtliche Urkundenfälschungen im Wege des uneigentlichen Organisationsdelikts als tateinheitlich begangen zuzurechnen sind (§ 52 Abs. 1 Alternative 2 StGB). Dann wäre die Tat erst mit der letzten Urkundenfälschung beendet und nicht auf die Einzelfälle abzustellen.

III.

Für die nunmehr auch bezüglich der Fälle 1 bis 1.378 der Anklage vom 29. März 2018 erneut durchzuführende Hauptverhandlung, sofern insoweit nicht gegebenenfalls das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO insbesondere im Blick auf die rechtskräftigen neun Einzelstrafen aus dem Steuerhinterziehungskomplex erledigt wird, weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

1. Sollte sich das Tatgericht davon überzeugen, dass der Angeklagte die Unterschriften nachahmte oder ihm die durch andere begangenen Fälschungen zuzurechnen sind, wird es bei Aufklärung der subjektiven Tatseite zu beachten haben, dass es sich bei der Voraussetzung der „unechten Urkunde“ um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 4. September 2019 - 1 StR 579/18 Rn. 14 mwN).

2. Sowohl eine Festsetzungsverkürzung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO; dazu unter a)) als auch ein sonstiger Fall einer Steuerhinterziehung (dazu unter b)) liegen fern.

a) Trotz Fehlens einer eigenhändigen Unterschrift des Steuerpflichtigen ist ein auf eine solche mangelhafte Erklärung ergehender Steuerbescheid wirksam. Denn ein solcher Mangel ist etwa mit den in § 125 Abs. 2 Nr. 1-4 AO beispielhaft aufgezählten Unwirksamkeitsgründen nicht vergleichbar und insgesamt nicht ausreichend gewichtig, um die Nichtigkeit des Steuerbescheids zu begründen (BFH, Urteil vom 28. Februar 2002 - V R 42/01 Rn. 23, BFHE 198, 27, 30; BGH, Urteile vom 27. September 2002 - 5 StR 97/02 Rn. 11, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Angaben 7 und vom 14. Januar 2015 - 1 StR 93/14 Rn. 84).

Die Einkommensteuerbescheide sind infolge Zugangs bei den Steuerberatern wirksam geworden (§§ 122 f. AO); diese waren aufgrund der - zumindest stillschweigenden - Zustimmung der türkischen Arbeitnehmer zustellungsbevollmächtigt. Für die Auszahlung der Überschüsse nach den wirksam durchgeführten Einkommensteuerveranlagungen besteht mithin ein Rechtsgrund. Die Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide steht etwaigen neuen Anträgen der türkischen Arbeitnehmer entgegen; mithin besteht keine Gefahr für das Steueraufkommen: Der Fiskus wird Gelder in Höhe der bereits abgeführten Guthaben nicht erneut auszahlen müssen.

b) Vielmehr sind die Ansprüche der türkischen Arbeitnehmer auf Auszahlung der Überschüsse (§ 36 Abs. 4 Satz 2, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) durch die Überweisung auf ihre Konten erloschen (§§ 47, 224 Abs. 3 AO, § 362 Abs. 1 BGB). Da sie Inhaber des Kontos waren, hatten sie - neben dem Angeklagten aufgrund seiner Kontovollmacht - die erforderliche Verfügungsgewalt über die Buchgelder (vgl. BFH, Urteile vom 10. November 1987 - VII R 171/84 Rn. 5, BFHE 151, 123, 124 f.; vom 16. Oktober 1990 - VII R 118/89 Rn. 9, BFHE 162, 13, 15 und vom 8. Januar 1991 - VII R 18/90 Rn. 13, BFHE 163, 505, 507 f.). Anders als die Revision der Staatsanwaltschaft meint, kommt es weder für die tatsächliche noch die rechtliche Verfügungsbefugnis der Arbeitnehmer darauf an, ob sie Kenntnis von den Konten hatten. Dass sie von ihrer Verfügungsbefugnis keinen Gebrauch machten, kann den Überweisungen des Finanzamts, das die Guthaben auf die - den Angestellten zurechenbar - in den Einkommensteuererklärungen genannten Bankkonten erstattete, die Erfüllungswirkung nicht nehmen. Auf die von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in Ausnahmefällen herangezogenen Grundsätze von Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt, dass der Steuerpflichtige etwa mit der Angabe einer unzutreffenden Kontonummer einen zurechenbaren Anschein für die Überweisung setzt (dazu BFH, Urteile vom 24. September 1991 - VII R 137/87 Rn. 9 f.; vom 8. Januar 1991 - VII R 18/90 Rn. 14, BFHE 163, 505, 508 und vom 10. November 1987 - VII R 171/84 Rn. 7 ff., 11, BFHE 151, 123, 125 ff.; Beschluss vom 12. Juli 1994 - VII B 79/94 Rn. 8), kommt es nicht mehr an. Ebenso ist wegen der Kontoinhaberschaft der Arbeitnehmer und der dadurch herbeigeführten Erfüllungswirkung unerheblich, dass die Abtretungen der Erstattungsansprüche nach § 46 Abs. 3 Satz 1 AO unwirksam sein dürften.

3. Der Sachverhalt unterfällt auch nicht dem Tatbestand des Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB). Der Betrug ist zwar Gegenstand der Anklage. Denn das Geltendmachen der Überschüsse könnte zu Vermögenschäden zu Lasten der Arbeitnehmer führen. Damit überschneiden sich die vorgeworfenen Einkommensteuerhinterziehungs- und die Betrugstaten in den Tatausführungen (§ 52 Abs. 1 StGB). Indes erklärten sich die Arbeitnehmer aufgrund der mit der Einziehungsbeteiligten getroffenen Lohnvereinbarungen mit der Geltendmachung ihrer etwaigen Ansprüche auf Auszahlung des Überschusses nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG durch den Angeklagten einverstanden; damit fehlt es bereits an einer Täuschung.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 13

Externe Fundstellen: StV 2021, 697

Bearbeiter: Christoph Henckel