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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 950

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 585/17, Urteil v. 04.06.2019, HRRS 2019 Nr. 950


BGH 1 StR 585/17 - Urteil vom 4. Juni 2019 (LG Mannheim)

Insiderhandel; Urteilbegründung (Anforderungen an ein freisprechendes Urteil).

§ 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F.; § 38 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F.; § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

Die Gründe auch eines freisprechenden Urteils müssen nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es allerdings in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten. Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt wurden. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Auch wenn keine der Hilfstatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31. Mai 2017 werden verworfen.

2. Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten von den Vorwürfen, entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF unter Verwendung von Insiderinformationen Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung erworben bzw. (insoweit allein den Angeklagten B. betreffend) veräußert zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, und zwar den Angeklagten B. in 30 Fällen sowie in zwei Fällen vom Vorwurf der Anstiftung zum Verstoß gegen das Verbot von Insidergeschäften, den Angeklagten W. in zwölf Fällen sowie den Angeklagten G. in zwei Fällen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstanden, haben keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat Folgendes festgestellt und gewertet:

1. In den Jahren 2001 und 2003 gründeten die Angeklagten B. und W. die M. GmbH und die C. GmbH, die in diesem Verfahren Verfallsbeteiligte gewesen sind. Die M. GmbH vermittelte in der Pharmazeutenbranche Personal in Führungspositionen; die C. GmbH beteiligte sich mit Wagniskapital an anderen Unternehmen aus dem Bereich der neuen Technologien. Der Angeklagte B., ebenso wie der Angeklagte W. geschäftsführender Anteilseigner bei beiden Gesellschaften, stützte die C. GmbH fortlaufend mit Gesellschafterdarlehen; ohne seine Rangrücktrittsrückerklärungen wäre die C. GmbH insolvent gewesen.

a) Tatkomplex Me. AG: Vorwurf des verbotenen Insiderhandels gegenüber dem Angeklagten B. in 14 Fällen An der Me. AG, einem „Biotech-Unternehmen“, deren Aktien vornehmlich an der Frankfurter Börse gehandelt wurden, hielt die C. GmbH Anfang April 2008 225.000 Aktien, die M. GmbH 80.000 Aktien und der Angeklagte B. 650.000 Aktien. Im Zeitraum vom 25. April 2008 bis 26. Juni 2008 verkauften die Angeklagten B. und W. 70.000 Aktien aus dem Bestand der M. GmbH und 25.000 Aktien aus dem Bestand der C. GmbH. Der Schlusskurs im XETRA-Handel belief sich in diesem Zeitraum von 5,57 € bis 6,62 € je Me. -Aktie. Anfang Juni 2008 gab die Me. AG bekannt, keinen eigenen Vertriebsweg für ihre Dermatologie-Produkte aufzubauen.

Die Me. AG ließ im Juni 2008 in E. eine klinische Studie mit dem Medikamentenkandidaten R., einem Produkt zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen, durchführen. Ein Proband erlitt am 28. Juni 2008 einen Herzinfarkt. Deswegen hielt die Me. AG am folgenden Tag die Studie an und meldete diesen Vorfall der medizinischen Aufsichtsbehörde. Am 5. Juli 2008 verstarb der Proband. Die Me. AG veröffentlichte diese Ereignisse erst am 8. Juli 2008. Danach sank der Schlusskurs von 6,01 € vom Vortag (7. Juli 2008) auf 4,67 €. Gegen die Me. AG wurde wegen des Unterlassens einer Ad-hoc-Mitteilung eine Geldbuße verhängt.

Der Angeklagte B. veräußerte aus seinem Privatdepot am 2. Juli 2008 zu drei verschiedenen Tageszeitpunkten insgesamt 125.000 Aktien, am 3. Juli 2008 50.000 Aktien, am 4. Juli 2008 25.000 Aktien (Order erst am 7. Juli 2008 ausgeführt) sowie am 7. Juli 2008 zu fünf verschiedenen Tageszeitpunkten 205.000 Aktien (letzte Order teilweise erst am 8. Juli 2008 ausgeführt), aus dem Depot der C. GmbH am 4. Juli 2008 25.000 Aktien und am 7. Juli 2008 zu zwei verschiedenen Tageszeitpunkten 100.000 Aktien und aus dem Depot der M. GmbH am 7. Juli 2008 10.000 Aktien. Für diesen sechstägigen Zeitraum (UA S. 24) hatte der Angeklagte B. zudem eine sogenannte „Stop-Loss-Order“ erteilt: Danach sollten 100.000 Aktien bei Unterschreiten eines Kurses von 5,50 € verkauft werden. Drei andere Marktteilnehmer hielten die Abverkäufe vom 7. Juli 2008 für so auffällig (über 70 % des Gesamtumsatzes bezüglich der an diesem Tag gehandelten Me. -Aktien), dass sie dies dem Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen anzeigten.

b) Tatkomplex Micromet Incorporation An der Mi. I. (Mi.) mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika hielt die C. GmbH im Oktober 2010 800.000 Aktien. Die Mi. -Aktien wurden „nahezu ausschließlich“ an der US-amerikanischen Börse NASDAQ gehandelt; im Übrigen waren die Aktien in den Freiverkehr von fünf deutschen Börsenplätzen einbezogen. Der Angeklagte B. rechnete wegen der weltweiten finanzpolitischen Krisen („Euro-Krise"; Finanzierung des US-Bundeshaushaltes) mit einem Einbruch der Aktienkurse; von künftigen Erfolgen der Mi., insbesondere wegen deren Medikamentenkandidaten Bl., war er hingegen ebenso wie der Angeklagte W. weiterhin überzeugt. Sie beschlossen daher im November 2010, die Aktien aus dem Bestand der C. GmbH zu veräußern, den daraus erzielten Erlös aber in den Erwerb von Mi. -Aktien bei einem Absinken des Kurses unter 5 US-$ zu reinvestieren. Daher verkaufte die C. GmbH im November und Dezember 2010 zunächst 300.000 Aktien. Als Anfang April 2011 die von der US-Regierung angestrebte Erhöhung der Schuldenobergrenze vom Kongress immer noch nicht genehmigt war, setzten die Angeklagten B. und W. ihre Verkäufe fort und veräußerten im Zeitraum vom 5. April 2011 bis 31. Mai 2011 400.000 Mi. -Aktien der C. GmbH, B. zudem 90.000 Aktien aus seinem Privatbestand.

aa) Nach einer am 11. Juli 2011 verkündeten Forschungskooperationsvereinbarung zwischen Mi. und der A. I. (A.) hielten die Angeklagten B. und W. eine Übernahme durch dieses Pharmaunternehmen - eines der weltgrößten - für wahrscheinlich. Tatsächlich unterbreitete A. am 18. Juli 2011 ein unverbindliches Übernahmeangebot von 9 US-$ pro Aktie. Als Anfang August 2011 die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika wegen der hohen Verschuldensquote (über 100 % des Bruttoinlandsprodukts) stark angezweifelt wurde, sank auch der NASDAQ-Schlusskurs der Mi. -Aktie am 4. August 2011 erstmals unter 5 US-$. In Unkenntnis der Übernahmeverhandlungen und allein zur Umsetzung ihres Beschlusses aus dem November 2010 erwarben die Angeklagten B. und W. an sieben verschiedenen Tagen zwischen dem 5. und 23. August 2011 für die C. GmbH 800.000 Aktien, wobei sie am 5., 9. und 19. August 2011 mehr als einmal Käufe tätigten (insgesamt zwölf vorgeworfene Fälle des verbotenen Insiderhandels). Die hierfür erforderlichen Geldmittel stellte der Angeklagte B. der C. GmbH mittels zweier Darlehen über (umgerechnet) 2,0 Mio. US-$ und 1,0 Mio. € zur Verfügung.

bb) Um die Verhandlungsposition der Mi. zu stärken, erkundigte sich deren Vorstandsvorsitzender I. spätestens ab dem 24. August 2011 bei der B. In. -Gruppe, ob dort ebenfalls ein Übernahmeinteresse bestehe. Der Angeklagte B., der Mitglied in einem Gesellschafterausschuss in dieser Gruppe war, aber immer noch nichts von den Übernahmeverhandlungen wusste, wollte dem Angeklagten G. aus Freundschaft bei dem Erwerb einer Arztpraxis helfen; dabei wollte er ihm allerdings keinen Geldbetrag ohne Gegenleistung und damit schenkungssteuerpflichtig überlassen. Dazu schlug er seinem im Aktienhandel unerfahrenen und nicht finanzkräftigen Freund vor, mittels von ihm gewährter Darlehen Mi. -Aktien zu erwerben und nach deren Veräußerung mit den erzielten Kursgewinnen die Darlehen spätestens bis zum 31. Dezember 2015 zurückzuzahlen sowie die Zinsen zu leisten. Neben den mit diesem Inhalt schriftlich niedergelegten Darlehensverträgen über zusammen 170.000 € sicherte der Angeklagte B. dem Angeklagten G. zu, im Falle eines Kursverlustes auf Darlehensrückzahlung sowie Zinsen zu verzichten und gar für die dann anfallende Schenkungsteuer aufzukommen. Am 1. September 2011 erwarb der Angeklagte G. 20.000 Mi. -Aktien, am 6. September 2011 30.000 Stück.

cc) Auf ungeklärte Weise erfuhr der Angeklagte B. spätestens am 23. September 2011 von Mi. s Anfrage bei der B. In. -Gruppe und deren Absage vom 20. September 2011 sowie dem Übernahmeinteresse eines anderen Pharmaunternehmens, wie er in mit seinem Cousin ausgetauschten SMS-Nachrichten offenbarte. Indes nicht ausschließbar nur in Umsetzung des Beschlusses vom November 2010 erwarb er im Oktober 2011 zusammen mit dem Angeklagten W. für die C. GmbH weitere Mi. -Aktien, nämlich im Zeitraum vom 3. bis 17. Oktober 2011 an vier Tagen insgesamt 200.000 Aktien; dabei betrug der Kaufpreis für die letzten beiden Käufe über 5 US-$ pro Aktie.

Am 26. Januar 2012 machte A. die mit Mi. letztlich erzielte Übernahmevereinbarung zu einem Kaufpreis in Höhe von 11 US-$ pro Mi. -Aktie öffentlich. Am 8. Februar 2012 nahm der Angeklagte B. für die C. GmbH A. s Barabfindungsgebot an; damit erzielte die C. GmbH bezüglich der im Zeitraum vom 5. August 2011 bis 14. Oktober 2011 erworbenen 1 Mio. Mi. -Aktien einen Kursgewinn von umgerechnet fast 4,7 Mio. €. Einen Betrag von 12 Mio. US-$ vom Gesamtkaufpreis in Höhe von 12,1 Mio. US-$ verwendete die Firma zur Rückführung der durch den Angeklagten B. gewährten Gesellschafterdarlehen. Dem Angeklagten G. verblieben vom Kursgewinn nach Abzug von Bankprovisionen, Steuern, Tilgung der Darlehen und Zahlung der Zinsen umgerechnet fast 176.000 €.

2. Das Landgericht hat sich in beiden Tatkomplexen nicht davon überzeugt, dass die Angeklagten Insiderinformationen verwendeten:

a) Im Tatkomplex „Me.“ sei „schließlich trotz erheblicher verbleibender Verdachtsmomente nicht hinreichend sicher aus[zu]schließen“ (UA S. 29), dass sich der Angeklagte B., wie in seiner Einlassung dargelegt, bereits im März/April 2008 wegen seines Misstrauens gegenüber der Unternehmensführung der Me. AG, namentlich dem Vorstandsvorsitzenden H., und des - im Juni 2008 letztlich offengelegten - Strategiewechsels des Unternehmens, keinen eigenen Vertriebsweg aufbauen zu können, entschloss, die Me. -Aktien abzustoßen, und auch im Tatzeitraum nur diese Entscheidung umsetzte. Für den Umstand, wann, von wem und unter welchen Umständen der Angeklagte B. vom Anhalten der Studie und Versterben des Probanden erfahren haben könnte, habe sich kein Aufklärungsansatz ergeben. Damit verbleibe als einziges, aber gewichtiges Belastungsindiz B. auffälliges Handelsverhalten im Zeitraum vom 2. bis 7. Juli 2008. Seine Einlassung, er habe kursschonend veräußern wollen und sei Ende Juni/Anfang Juli 2008 wegen eines Forums und Firmenumzugs stark beansprucht gewesen, sei mit den ungenutzten vorangegangenen Handelstagen und dem für Verkäufe günstigen Kursverlauf zu widerlegen. Der Beweggrund des Angeklagten B. für den massiven Abverkauf innerhalb von vier Handelstagen habe letztendlich nicht aufgeklärt werden können.

b) Im Tatkomplex „Mi.“ sei erwiesen, dass die Angeklagten bis einschließlich 6. September 2011 nichts von den Übernahmeverhandlungen wussten. Bezüglich der vier Kauforder im Oktober 2011 sei trotz der von B. mittlerweile erlangten Kenntnis nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass er und der Angeklagte W. ausschließlich die bereits im November 2010 getroffene Entscheidung zum Wiedereinstieg umsetzten. Dafür spreche neben der Übereinstimmung der Höhe der reinvestierten Beträge (4.869.259,20 US-$) mit den zuvor erzielten Verkaufserlösen (4.658.589,79 US-$) insbesondere, dass die beiden Geschäftsführer der C. GmbH mindestens fünf Handelstage ungenutzt ließen.

II.

Die Revisionen sind unbegründet.

1. Die Verfahrensrüge, mit welcher die Staatsanwaltschaft die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages (§ 244 Abs. 6 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO) beanstandet, dringt nicht durch.

a) Die Staatsanwaltschaft beantragte - den Tatkomplex „Mi.“ betreffend - die Vernehmung eines Kriminalbeamten zum Beweis der Tatsache, bei der Durchsuchung der Büroräume eines anderen Wagniskapitalunternehmens, das in demselben Gebäude wie die C. GmbH untergebracht war und zusammen mit dieser Gesellschaft mehrere Investitionen durchgeführt hatte, seien detaillierte Aufzeichnungen des geschäftsleitenden Organs, des Zeugen J., nur zu anderen Zeiträumen außerhalb der Tatzeit (2011 bis Juli 2012) sichergestellt worden.

b) Die Rüge ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn es wird - neben dem nicht vorgelegten Sicherstellungsverzeichnis (§ 109 StPO) - vor allem nicht mitgeteilt, ob die vorgenannte Beweistatsache Gegenstand der Vernehmung des Zeugen J. gewesen ist.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils in sachlichrechtlicher Hinsicht ergibt ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler. Die Beweiswürdigung, welche dem Freispruch von den Vorwürfen des Verstoßes gegen das Verbot des Insiderwertpapierhandels (§ 38 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2b, Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 2 WpHG aF) zugrunde liegt (§ 261 StPO), hält der Nachprüfung noch stand.

a) Dabei ist für die in Rede stehenden Tatvorwürfe von folgenden rechtlichen Erwägungen auszugehen:

aa) Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF (wie derzeit nach Art. 14 Buchstabe a der Verordnung [EU] Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch [Marktmissbrauchsverordnung] und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission [ABl. L 173 vom 12. Juni 2014 S. 1]) war es verboten, unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung oder für einen anderen zu erwerben oder zu veräußern. Dieses wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verbot war nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF (derzeit § 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG nF) strafbewehrt. Durch dieses abstrakte Gefährdungsdelikt sollen die Funktionsfähigkeit des organisierten Kapitalmarktes und die Chancengleichheit der Marktteilnehmer gewährleistet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 5 StR 224/09 Rn. 18).

bb) Die Unrechtskontinuität ist auch nach erstmaliger Inbezugnahme des Art. 14 Buchstabe a der europäischen Marktmissbrauchsverordnung durch § 38 Abs. 3 Nr. 1 WpHG aF, normiert durch das Erste Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz - 1. FiMaNoG) vom 30. Juni 2016 (BGBl. I S. 1514), gewahrt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3. Mai 2018 - 2 BvR 463/17; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 5 StR 532/16, BGHSt 62, 13, 14 ff.).

b) Vor diesem rechtlichen Hintergrund gilt für die Beweiswürdigung:

aa) Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatgericht getroffene Feststellung „lebensfremd“ erscheinen mag. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht (etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes), wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 30. Januar 2019 - 2 StR 500/18 Rn. 14 mwN).

Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl - wie hier aufgrund der auffälligen zeitlichen Nähe der Abverkäufe zur Erkrankung des Probanden und dem Anhalten der Studie, des Umfangs der Veräußerungen und der widerlegten Erklärungsversuche des Angeklagten B. im Tatkomplex „Me.“ sowie der Kenntnis vom Übernahmeinteresse ab der zweiten Monatshälfte September 2011 im Tatkomplex „Mi.“ - nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es allerdings in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGH, Urteile vom 6. September 2006 - 5 StR 156/06 Rn. 16; vom 11. November 2015 - 1 StR 235/15 Rn. 39 und vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11 Rn. 13). Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtabwägung eingestellt wurden. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Auch wenn keine der Hilfstatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteil vom 11. November 2015 - 1 StR 235/15 Rn. 43 mwN).

bb) An diesen Maßstäben gemessen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die die Angeklagten belastenden sowie entlastenden Umstände innerhalb einer Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen. Dabei hat es keinen der festgestellten relevanten Umstände außer Acht gelassen. Es hat insbesondere - anders als die Staatsanwaltschaft meint - den Zweifelssatz auch nicht rechtsfehlerhaft isoliert auf eine Hilfstatsache angewendet:

(1) Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweisregel, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2015 - 1 StR 423/15 Rn. 8 mwN), auch nicht auf entlastende Hilfstatsachen (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 - 1 StR 292/08 Rn. 24 mwN).

(2) Das Landgericht hat im Tatkomplex „Me.“ rechtsfehlerfrei erkannt, dass vor allem der zeitliche Ablauf für das Verwenden von Insiderwissen spricht (vgl. zum Indizwert des Geschehensablaufs BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 5 StR 224/09 Rn. 20). B. s Beweggrund für die massiven Abkäufe gerade im Juli 2008 hat es trotz Widerlegung seiner Einlassung nicht aufzuklären vermocht. Zwar hat es sich auch nicht vom gegenüber der Verwendung von Insidertatsachen alternativen Geschehensablauf, nämlich allein der Umsetzung des Beschlusses von März/April 2008, überzeugt. Indes ist das Landgericht sich bei seiner umfassenden Gesamtwürdigung dieses eingeschränkten Beweiswerts bewusst gewesen. Es hat keineswegs diese Geschehensvariante mangels Widerlegbarkeit für erwiesen erachtet, was rechtsfehlerhaft gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 1983 - 1 StR 50/83 Rn. 6-8 zur rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung bei einem nicht widerlegten Alibi; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Februar 1974 - 2 StR 552/73, BGHSt 25, 285, 287).

Dass das Landgericht dennoch vernünftige Zweifel nicht zu überwinden vermocht hat, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Das Landgericht hat keinen entscheidungsrelevanten Umstand übersehen; die „Stop-Loss-Order“, aus deren Erteilung auf die Vorstellung des Angeklagten B. von einem deutlichen Verlust zu schließen ist, ist nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch ausreichend mitgewürdigt. Der tatgerichtliche Schluss auf eine Umsetzung der Entscheidung vom März/April 2008 im Juli 2008 ist zwar vielleicht nicht so naheliegend wie das Verwenden von Insiderwissen, bleibt aber möglich.

(3) Der Freispruch im zweiten Tatkomplex „Mi.“ hat ebenfalls Bestand.

(3.1) Wiederum hat das Landgericht keinen Ermittlungsansatz dafür gefunden, wann, von wem und unter welchen Umständen der Angeklagte B. von A. s Übernahmeinteresse erfuhr. Dass es sich von der Umsetzung eines Gesellschaftsbeschlusses im November 2010 zur Reinvestition überzeugt hat, ist ein möglicher Schluss, wenngleich gerade in der Gesamtschau mit dem ersten Tatkomplex das Verwenden von Insiderinformationen näher gelegen hätte. Für den vom Landgericht gezogenen Schluss spricht immerhin, dass die Angeklagten B. und W. insgesamt die Geldsumme reinvestierten, die sie zuvor durch die Abverkäufe im Zeitraum von November 2010 bis Mai 2011 erlöst hatten. Dass die C GmbH die Aktienkäufe mittels vom Angeklagten B. gewährter Darlehen finanzierte, unterbricht entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft den finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Veräußerungserlös und dessen Reinvestierung bei fortlaufenden Geldab- und -zuflüssen im Unternehmensbereich nicht. Das Landgericht hat nicht aus dem Blick verloren, dass der Angeklagte B. aus seinem beträchtlichen Privatvermögen sogar noch höhere Darlehen zur Verfügung stellte; diesen Umstand hat es rechtsfehlerfrei dahin als entlastend gewürdigt, dass bei Kenntnis vom Übernahmeinteresse die Angeklagten weitere Aktien erworben hätten (UA S. 98). Die von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang angeführte Email vom 26. August 2011 (UA S. 105), in welcher der Angeklagte B. gegenüber dem Angeklagten W. zu erkennen gab, „offen“ zu sein, „noch weiter aufzustocken“, hat das Landgericht mitgewürdigt. Diese Email belegt nicht mehr, als dass die beiden Angeklagten den Beschluss aus dem November 2010 abändern konnten; dass das Landgericht angenommen hat, dass sie sich bis zu einer solchen Änderung an die Entscheidung gebunden fühlten, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

(3.2) Mit diesem Argument der Reinvestition aufgrund des Beschlusses vom November 2010 ist revisionsrechtlich nicht durchgreifend bedenklich, dass das Landgericht nicht auszuschließen vermocht hat, dass auch den letzten vier Kaufordern im Oktober 2011 keine neue Entscheidung der beiden geschäftsführenden Gesellschafter zugrunde lag. Mehr als zwei Drittel des Aktienerlöses war bereits vor Oktober 2011 reinvestiert; der Gesellschaftsbeschluss war mithin zum überwiegenden Anteil vor Oktober 2011 vollzogen. Daher erscheint der Schluss, dass die letzten vier Käufe von B. s Insiderwissen unbeeinflusst blieben und nur auf dem nicht mehr modifizierten Entschluss aus dem November 2010 beruhten, noch tragfähig begründet.

c) Es kann nach alledem offenbleiben, ob zur Anwendbarkeit des deutschen strafbewehrten Insiderhandelsverbots (§ 38 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF) Auswirkungen des Handelns mit den Mi. -Aktien auf den Freiverkehr der deutschen Börsenplätze hätten besonders festgestellt werden müssen. Denn nach der Legaldefinition gemäß § 12 Satz 1 Nr. 1 WpHG aF waren Insiderpapiere nur solche Finanzinstrumente, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen oder in den regulierten Markt oder Freiverkehr einbezogen waren; § 12 Satz 1 Nr. 2 WpHG aF erweiterte den Anwendungsbereich der Finanzinstrumente auf den organisierten Markt eines anderen EU-Mitgliedstaats oder EWR-Vertragsstaats. Mit der Vorschrift des § 38 Abs. 5 WpHG aF, wonach unter anderem dem Verbot eines Insidergeschäfts ein entsprechendes ausländisches Verbot gleichgestellt wurde, sollte das strafbewehrte Verbot des Insiderwertpapierhandels nicht auf die ausländischen Märkte außerhalb der Europäischen Union bzw. außerhalb der EWR-Vertragsstaaten erweitert werden (vgl. die Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung des § 31 Abs. 2 WpHG aF, eingeführt durch das Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften [Zweites Finanzmarktförderungsgesetz] vom 26. Juli 1994 [BGBl. I S. 1749] in BT-Drucks. 12/6679, S. 57: „Funktionsfähigkeit des europäischen Kapitalmarktes"; vgl. im Übrigen Popp, wistra 2011, 169, 170 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 950

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