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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 690

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 67/18, Urteil v. 05.04.2018, HRRS 2018 Nr. 690


BGH 1 StR 67/18 - Urteil vom 5. April 2018 (LG Regensburg)

Tötungsvorsatz (Vorliegen von Eventualvorsatz: erforderliche umfassende Gesamtwürdigung aller Tatumstände, Bedeutung der erkannten Lebensgefährlichkeit der Tathandlung und der Hemmschwellentheorie, Bedeutung des Tatmotivs, revisionsrechtliche Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Beweiswürdigung); gefährliche Körperverletzung (regelmäßiges Vorliegen eines minderschweren Falls bei Provokation durch das Opfer im Sinne des § 213 Alt. 1 StGB).

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO; § 224 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 213 Alt. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das festgestellte Motiv der Revanche allein lässt noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH StraFo 2018, 127). Insoweit ist es regelmäßig erforderlich, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen.

2. Das Vorliegen des Provokationstatbestandes des § 213 Alt. 1 StGB legt auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig nahe, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH StraFo 2012, 24 f.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 29. September 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, begangen in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung), zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft, welche die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, war das Urteil aufzuheben.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte hielt sich am frühen Morgen des 20. November 2016 gegen 5.00 Uhr in dem Bereich vor einer Diskothek auf, nachdem diese bereits geschlossen hatte. Dort kam es zunächst zu einer tätlichen Auseinandersetzung, an der u.a. der Angeklagte und der erheblich alkoholisierte Nebenkläger P. beteiligt waren. Nicht ausschließbar bezeichnete P. den Angeklagten als „Kanakensau“ und brachte ihm leichte Verletzungen bei. Letztlich wurde der am Boden liegende Angeklagte durch den Türsteher G. von den anderen Personen getrennt (UA S. 13).

Gegen 5.20 Uhr fasste der Angeklagte den Entschluss, den Nebenkläger aufgrund des genannten Geschehens körperlich zu attackieren. Zu diesem Zweck zog er sein Hemd aus, lief auf den Nebenkläger zu und versetzte diesem einen heftigen Faustschlag im Bereich des rechten Auges, so dass der Nebenkläger ungebremst zu Boden stürzte, mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufschlug und benommen auf dem Rücken liegen blieb. Sodann ging der Angeklagte einen Schritt auf ihn zu und trat ihm mit einem leicht schräg seitlich ausgeführten Stampftritt gezielt in das Gesicht, wobei er einen Turnschuh mit flexibler Sohle trug (UA S. 13).

Unmittelbar nach dem Tritt packte der Türsteher G. den Angeklagten und fixierte ihn bis zum Eintreffen der Polizei. Gegenüber den eintreffenden Polizeibeamten gab der Angeklagte zunächst einen falschen Namen an, seine richtigen Personalien konnten aber anhand seines Personalausweises festgestellt werden. Nach einer zwischenzeitlich durchgeführten ärztlichen Untersuchung begab er sich gegen Mittag freiwillig zur Polizei, wo er festgenommen wurde (UA S. 14 f.).

Der Tritt verursachte eine teilweise Abzeichnung des Schuhprofils auf der rechten Wange und dem rechten Nasenabhang des Nebenklägers. Dieser erlitt eine Nasenbeinfraktur, ein Hämatom im Bereich des rechten Augeninnenwinkels und eine Platzwunde am Hinterkopf. Es bestand potentielle, aber keine konkrete Lebensgefahr (UA S. 14).

Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten betrug zur Tatzeit maximal 2,69 Promille. Er war zwar in der Lage, das Unrecht seiner Tat einzusehen, jedoch war seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar aufgrund der genannten Alkoholisierung sowie des Konsums von Amphetamin im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert (UA S. 14).

2. Das Landgericht hat das festgestellte Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die Kammer im Wesentlichen die Spontanität der Tatausführung aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger, das Fehlen eines Tötungsmotivs, die mangelnde Absicherung bei der Tatausführung, die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten sowie die nur mittlere Trittintensität berücksichtigt (UA S. 24 ff.).

Im Rahmen der Strafzumessung hat die Strafkammer das Vorliegen eines minderschweren Falles gemäß § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB abgelehnt, ohne im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung auf § 213 Alt. 1 StGB einzugehen, den Regelstrafrahmen aber gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert (UA S. 34 ff.).

II.

Das Urteil weist in mehrfacher Hinsicht - auch zu Ungunsten des Angeklagten - durchgreifende sachlichrechtliche Mängel auf.

1. Insbesondere halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2017 - 1 StR 329/17, NStZ-RR 2018, 21, 22 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179 und vom 15. Dezember 2015 - 1 StR 236/15 Rn. 18). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16 Rn. 9 und vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16 Rn. 20, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt]; Beschluss vom 7. September 2017 - 1 StR 329/17, aaO). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. September 2017 - 1 StR 329/17, aaO).

Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement) (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 5. Dezember 2017 - 1 StR 416/17 Rn. 18, NStZ 2018, 206 mwN). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Auf der Ebene der Beweiswürdigung bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator, aber auch die konkrete Angriffsweise, die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 - 2 StR 230/17 Rn. 13, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 13. August 2013 - 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 jeweils mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 und vom 13. Dezember 2017 - 2 StR 230/17 Rn. 13 aaO jeweils mwN).

Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, aaO, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, aaO, 191 Rn. 34 und vom 22. November 2016 - 1 StR 194/16 Rn. 12 mwN). Der Bundesgerichtshof hat stets betont, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, aaO und vom 5. Dezember 2017 - 1 StR 416/17 Rn. 19 jeweils mwN).

b) Diesen Anforderungen werden die landgerichtlichen Ausführungen nicht gerecht. Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes zwar im Ausgangspunkt zutreffend von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen und hat in diesem Rahmen aus der objektiv hochgradigen Gefährlichkeit insbesondere des Stampftrittes gegen den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers den Schluss auf das Vorliegen des Wissenselements des (bedingten) Tötungsvorsatzes gezogen. Die Erwägungen, mit denen die Kammer das Vorliegen des Willenselements des Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, begegnen jedoch auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs durchgreifenden Bedenken.

aa) Die Ausführungen des Landgerichts lassen bereits besorgen, dass dieses rechtsfehlerhaft der „hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung“ (UA S. 24) eine den indiziellen Wert des objektiven Gefährlichkeitsgrades der vom Angeklagten ausgeführten Verletzungshandlungen relativierende Wirkung beigemessen hat, die dem Aspekt der „Hemmschwelle“ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zukommt. So führt das Tatgericht gerade die „Hemmschwelle“ als Grund dafür an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder zumindest darauf vertraut habe, ein als möglich erkannter Erfolg werde nicht eintreten (UA S. 24).

bb) Die den (möglichen) Tötungsvorsatz des Angeklagten betreffende tatrichterliche Beweiswürdigung hält zudem unabhängig von dem aufgezeigten nicht rechtsfehlerfreien Maßstab rechtlicher Prüfung nicht stand.

(1) Soweit das Landgericht von einem spontanen und unüberlegten Handeln des Angeklagten ausgeht, entspricht dies nicht den sonstigen Urteilsfeststellungen. Dem hier fraglichen Tatgeschehen war zwar eine tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen, die jedoch durch das Eingreifen Dritter beendet worden war. Der Angeklagte hat erst nach einer jedenfalls mehrminütigen Zäsur, ohne erkennbaren äußeren Anlass eine erneute Konfrontation mit dem Nebenkläger gesucht und sich dafür vorbereitet, indem er vor dem Angriff sein Hemd auszog. Damit ist die Spontanität der Tat selbst unter Berücksichtigung der Alkoholisierung des - allerdings alkoholgewöhnten - Angeklagten nicht ausreichend belegt.

(2) Des Weiteren sind die Ausführungen des Landgerichts zur Intensität des vom Angeklagten geführten Trittes lückenhaft. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, angesichts der verhältnismäßig geringen Verletzungen des Nebenklägers die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte den Tritt bewusst nicht mit einer Intensität ausgeführt haben könnte, die eine tödliche Wirkung haben konnte (BGH, Urteil vom 18. September 1986 - 4 StR 458/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 5; Beschluss vom 18. Mai 2011 - 1 StR 179/11, StV 2012, 89, 90). Auch sind die Überlegungen, aufgrund derer das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe nicht mit voller Wucht zugetreten, nicht zu beanstanden; es stützt sich insofern auf die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen und geht nicht von einer reinen ex-post-Betrachtung aus. Maßgebliche Bedeutung würde einer eingeschränkten Trittintensität jedoch nur zukommen, wenn diese bewusst von dem Angeklagten gewählt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1986 - 4 StR 458/86, aaO). Erfolgten die Tritte dagegen aus anderen Gründen nicht mit voller Wucht, etwa weil der Angeklagte dazu alkoholbedingt nicht mehr in der Lage war oder nicht richtig traf, hätte dies keine negative Indizwirkung für das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht. An dieser Stelle wäre auch eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich gewesen, ob der Angeklagte angesichts der bei ihm festgestellten erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit überhaupt zu einer bewussten Dosierung des Trittes in der Lage war.

(3) Bedenken bestehen darüber hinaus insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es in der vorangegangenen Auseinandersetzung mit Beleidigung keinen „zur Tötung eines Menschen anspornenden Anlass“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (BGH, Urteile vom 30. November 2005 - 5 StR 344/05, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 61; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, aaO, 445 und vom 13. Dezember 2017 - 2 StR 230/17 Rn. 14, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 24. August 1990 - 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22). Das festgestellte Motiv der Revanche allein lässt noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Anders als das Landgericht meint, impliziert dieses Handlungsziel das Überleben des Opfers nicht zwingend (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. April 2008 - 2 StR 95/08 Rn. 5). Insoweit wäre es erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht an anderer Stelle zutreffend festgestellt hat, war es dem Angeklagten aufgrund seiner Vorstrafen bewusst, dass er unter Alkoholeinfluss zu Aggressivität neigt. Er wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt, wobei insbesondere der letzten Verurteilung ein sehr ähnlich gelagertes Tatgeschehen zugrunde lag; auch in diesem Fall brachte der Angeklagte den Geschädigten, den er erst an diesem Abend kennengelernt hatte, mit zwei Faustschlägen zu Boden und trat anschließend zweimal in Richtung des Kopfes (UA S. 6 ff., 9 ff.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, kann dazu führen, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (BGH, Urteile vom 16. April 2008 - 2 StR 95/08 Rn. 9; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, aaO und vom 13. Dezember 2017 - 2 StR 230/17 aaO Rn. 18).

(4) Keine tragfähige Grundlage hat in diesem Zusammenhang auch die Annahme, der Angeklagte habe dem Nebenkläger nur vergleichbare Verletzungen beibringen wollen, wie er selbst im Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung erlitten hatte. Bereits das Niederstrecken des Nebenklägers, welcher danach benommen auf dem Rücken liegenblieb, ging deutlich über das hinaus, was dem Angeklagten widerfahren war; jedenfalls überstieg der nachfolgende Stampftritt bei weitem die dem Angeklagten zuvor zugefügte, nicht näher festgestellte, Gewaltanwendung und die daraus resultierende Körperverletzung.

(5) Als widersprüchlich erweist sich zudem, dass das Landgericht das Fehlen eines Fluchtplans als Indiz gegen den bedingten Vorsatz gewertet hat. Diese Überlegung würde in gleicher Weise gegen den Vorsatz in Bezug auf die gefährliche Körperverletzung sprechen. Diesen hat die Strafkammer jedoch bejaht, ohne auf die fehlende Absicherung und evtl. Fluchtmöglichkeit einzugehen. Ferner hat sie an anderer Stelle zutreffend ausgeführt, dass es dem Angeklagten, da er unter Bewährung stand, darum gehen musste, jegliche strafrechtlichen Konsequenzen zu vermeiden.

(6) Schließlich wäre es angezeigt gewesen, im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung nicht isoliert auf den Stampftritt abzustellen, sondern das gesamte Vorgehen des Angeklagten einschließlich des vorangegangenen, massiven Faustschlags in den Blick nehmen.

c) Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Urteils mit den entsprechenden Feststellungen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei Einhaltung der gebotenen Erörterungspflichten zur Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes gelangt wäre. Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen, waren neben den Feststellungen zur inneren Tatseite auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben.

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt ohne Weiteres den Wegfall des Strafausspruchs, der ferner einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält, da § 213 Alt. 1 StGB nicht erörtert wurde. Insoweit wirkt die Revision der Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).

a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten des festgestellten Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten (UA S. 13) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 213 Rn. 2 ff.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig nahe legt, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 - 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 f.; Beschlüsse vom 9. August 1988 - 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; vom 27. März 2012 - 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277 und vom 19. Juni 2012 - 3 StR 206/12, NStZ-RR 2012, 308; ferner Fischer, aaO, § 224 Rn. 34 mwN). Dies erscheint vorliegend zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen, zumal die Kammer weitere Milderungsgründe für die Zumessung der Strafe als bestimmend angesehen hat, namentlich das Geständnis und die Entschuldigung des Angeklagten.

b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht hätte entweder ohne Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles gelangt und eine weitere Strafrahmensenkung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hätte oder zumindest bei kumulativer Berücksichtigung aller Milderungsgründe den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB angewendet und daraus eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei der allgemeinen Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten bewertet hätte.

In gleicher Weise gilt dies, sofern der neu berufene Tatrichter einen Tötungsvorsatz bejahen würde.

3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 690

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 371; StV 2018, 740

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede