HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2022
23. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

1056. BGH 1 StR 49/22 – Beschluss vom 7. September 2022 (LG Augsburg)

Strafzumessung (strafmildernde Berücksichtigung von nachteiligen Folgen der Tat: Bewährungswiderruf).

§ 46 Abs. 1 StGB; § 56f Abs. 2 StGB

Nachteilige Folgen einer Straftat wirken sich für den Täter nicht schlechthin strafmildernd aus. Wer bei einer Tat bestimmte Nachteile für sich selbst bewusst auf sich genommen hat, verdient in der Regel keine strafmildernde Berücksichtigung solcher Folgen. Dies gilt auch im Fall des drohenden Widerrufs der Strafaussetzung in anderer Sache. Ein (möglicher) Bewährungswiderruf als Folge eines bewussten Bewährungsbruchs durch den Täter ist regelmäßig nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen strafmildernd zu berücksichtigen.


Entscheidung

1122. BGH 4 StR 34/22 – Beschluss vom 26. April 2022 (LG Münster)

Strafzumessung (Doppelverwertungsverbot: deliktsübergreifende strafbarkeitsbegründende Umstände aus dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, keine strafschärfende Berücksichtigung der Art der Garantenstellung, elterliche Sorge).

§ 46 Abs. 3 StGB; § 13 StGB; § 1626 BGB

Nach § 46 Abs. 3 StGB dürfen die Merkmale des Tatbestands, welche die Strafbarkeit begründen und der Bestimmung des gesetzlichen Strafrahmens zugrunde liegen, nicht nochmals bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Dies gilt in gleicher Weise für deliktsübergreifende strafbarkeitsbegründende Umstände aus dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs und damit auch für die Gesichtspunkte, die eine Garantenstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB begründen.


Entscheidung

1138. BGH 4 StR 226/21 – Beschluss vom 16. August 2022 (LG Hagen)

Konkurrenzen (natürliche Handlungseinheit); Einziehung (Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten: Privatvermögen, Vermögen der Gesellschaft, Gesellschaft nur formaler Mantel, keine Trennung zwischen Täter- und Gesellschaftsvermögen, Weiterleitung jedes aus der Tat folgenden Vermögenszuflusses).

§ 52 StGB; § 73 StGB; § 73c StGB

1. Eine Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten schließt grundsätzlich eine gegen den handelnden Täter anzuordnende Einziehung aus. Das gilt auch dann, wenn der Täter die Möglichkeit hat, auf das Vermögen des Drittbegünstigten zuzugreifen. Eine Einziehungsanordnung gegen den für eine Gesellschaft handelnden Täter kommt aber dann in Betracht, wenn er diese nur als formalen Mantel nutzt und eine Trennung zwischen Täter- und Gesellschaftsvermögen tatsächlich nicht existiert oder wenn jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss bei der Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird.

2. Die Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten eröffnet den Anwendungsbereich der §§ 73 Abs. 1, 73c StGB nF zum Nachteil der handelnden Täter nicht. Handelt der Täter für eine rechtsfähige Personengesellschaft, die als Rechtssubjekt über eine eigene Vermögensmasse verfügt, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Täter ? auch in Fällen einer (legalen) Zugriffsmöglichkeit ? eigene Verfügungsgewalt über das Erlangte hat. Die Anordnung der Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertes von Taterträgen setzt daher die konkrete Feststellung voraus, dass er selbst etwas erlangte. Wird jeder aus der Tat folgende Vermögensfluss an die Gesellschaft sogleich an den bzw. die Täter weitergeleitet, so kann unmittelbare Verfügungsgewalt zu bejahen sein.


Entscheidung

1081. BGH 3 StR 238/21 – Urteil vom 22. September 2022 (LG Wuppertal)

Erweiterte Einziehung (Anwendungsbereich bei unklarer Herkunft; Surrogate; Umfang der Wertersatzeinziehung).

§ 73a StGB; § 73c StGB

1. Die Vorschrift der erweiterten Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB ist auch dann anzuwenden, wenn nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht aufklärbar ist, ob die Vermögenswerte aus den Anknüpfungs- oder anderen Taten stammen, die Herkunft aus rechtswidrigen Taten aber feststeht.

2. Die Anwendung des § 73a Abs. 1 i.V.m. § 73c Satz 1 StGB setzt voraus, dass der durch die anderen rechtswidrigen Taten erlangte Gegenstand oder sein Surrogat bei Begehung der Anknüpfungstat im Vermögen des betroffenen Täters oder Teilnehmers vorhanden war.

3. Nach dem seit dem 1. Juli 2017 geltenden neuen Vermögensabschöpfungsrecht darf im Zuge der erweiterten Einziehung weder das Surrogat noch sein Wert eingezogen werden, während der Wert des ursprünglich Erlangten gleichwohl der erweiterten Einziehung unterliegt. Denn der Reformgesetzgeber hat nur die Regelung über den erweiterten Verfall des Surrogats ersatzlos gestrichen. Es ist auszuschließen, dass er damit zugleich beabsichtigte, den Anwendungsbereich der erweiterten Wertersatzeinziehung einzuschränken und künftig dem Täter der Anknüpfungstat die im Zeitpunkt deren Begehung bei ihm eingetretene anderweitig strafrechtswidrige Vermögensmehrung generell zu belassen.


Entscheidung

1084. BGH 3 StR 261/22 – Beschluss vom 7. September 2022 (LG Düsseldorf)


Wertersatzeinziehung (Angabe in Euro); Weisungen (Anzeige des Wohnsitzes oder ständigen Aufenthaltsortes; Anzeige der Einreise in die Bundesrepublik und des beabsichtigten Aufenthaltsortes; EU-Freizügigkeit).

§ 56c StGB; 73c StGB

1. Der Betrag der Wertersatzeinziehung gemäß § 73c Satz 1 StGB ist stets in Euro und nicht in einer Fremdwährung anzugeben. Bei dem durch die Anordnung der Einziehung von Wertersatz entstehenden staatlichen Zahlungsanspruch handelt es sich nicht um eine Fremdwährungsschuld (§ 244 BGB), sondern um eine ziffernmäßig zu bestimmende Geldwertschuld.

2. Eine dem Verurteilten erteilte Anordnung, während der Bewährungszeit jeden Wechsel des Wohnsitzes oder ständigen Aufenthaltsortes anzuzeigen, ist eine statthafte Weisung im Sinne des § 56c StGB, sofern mit ihr nicht erkennbar ausschließlich andere Zwecke verfolgt werden. Dies gilt erst recht für eine Bewährungsweisung an einen im Ausland lebenden Verurteilten, zukünftige Einreisen in die Bundesrepublik Deutschland unter Mitteilung des beabsichtigten Aufenthaltsortes in Deutschland anzuzeigen. Eine derart marginale Pflicht stellt auch kein faktisches Einreiseverbot dar und berührt daher die allgemeine Freizügigkeit als EU-Bürger nicht.


Entscheidung

1095. BGH 2 StR 1/21 – Urteil vom 13. April 2022 (LG Frankfurt am Main)

Beschränkung der Revision (Einziehungsentscheidung: losgelöst und selbständig beurteilbar, Teilrechtskraft, stufenweise entstehende Gesamtentscheidung, Geldwäschehandlung); Einziehung (Einziehung des Wertes von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern: Unmöglichkeit durch eine andere als die im konkreten Fall die Einziehung begründende Tathandlung, bestimmender Strafzumessungsgrund, Vereitelung der Originaleinziehung, Ermessen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Geldwäsche: Geldwäscheobjekt, neue Fassung; gesamtschuldnerische Haftung); Geldwäsche (mehrere Handlungen: Handlungsmehrheit, natürliche Handlungseinheit); Verschlechterungsverbot (Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat: Einziehung).

§ 344 StPO; § 358 Abs. 2 StPO; § 74 Abs. 2 StGB; § 74c Abs. 1 StGB; § 261 StGB

1. Für eine Einziehung nach § 74 Abs. 2, § 74c Abs. 1 StGB muss die Einziehung des Originalgegenstands durch eine andere als die im konkreten Fall die Einziehung begründende Tathandlung unmöglich geworden sein.

2. Mehrere Geldwäschehandlungen sind zwar nicht bereits deshalb rechtlich zu einer Tat verbunden, weil die einzelnen Tatobjekte aus einer bestimmten Vortat herrühren. Daher sind Geldwäschehandlungen hinsichtlich der Frage der Einheit oder Mehrzahl von Handlungen eigenständig zu beurteilen. Mehrere aufeinanderfolgende Geldwäschehandlungen (Sichverschaffen, Verwahren und Verwenden) hinsichtlich eines durch einen Eingang auf dem Konto eines Angeklagten gutgeschriebenen Betrages stellen zwar an sich mehrere reale Handlungen dar, bilden aber grundsätzlich unter den hierfür geltenden Voraussetzungen eine natürliche Handlungseinheit.

3. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO erfasst mit der Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat auch die Entscheidung über die Einziehung.


Entscheidung

1091. BGH StB 39/22 – Beschluss vom 20. September 2022 (OLG Stuttgart)

Fortdauer der Untersuchungshaft (Fluchtgefahr; Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung der konkreten Straferwartung).

§ 112 StPO

Der Termin des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB bildet keine starre Grenze, bei deren Erreichen der weitere Vollzug der Untersuchungshaft stets unverhältnismäßig wäre. Wenn es im Einzelfall notwendig ist, um die Ahndung der Tat und die Vollstreckung der Strafe zu sichern, darf die Untersuchungshaft auch bis zur Höhe der zu verhängenden oder noch nicht rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe vollzogen werden.


Entscheidung

1148. BGH 4 StR 445/21 – Beschluss vom 11. April 2022 (LG Arnsberg)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Darlegung in den Urteilsgründe: kein Antrag auf Anordnung einer Maßregel, sachlich-rechtlich nachvollziehbare Begründung der Nichtanordnung, Aufdrängen der Anordnung nach den Umständen; symptomatischer Zusammenhang: Eigenkonsumfinanzierung).

§ 64 StPO; § 267 StPO

Auch wenn kein Antrag auf Anordnung einer Maßregel gestellt wird und deshalb keine verfahrensrechtliche Pflicht zur Erörterung der maßgeblichen Umstände besteht, ist deren Nichtanordnung aus sachlich-rechtlichen Gründen nachvollziehbar zu begründen, wenn sich die Anordnung nach den Umständen aufdrängte.


Entscheidung

1060. BGH 1 StR 234/22 – Beschluss vom 10. August 2022 (LG Stuttgart)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Schuldunfähigkeit des Täters im Moment der Tat; keine Maßregelanordnung bei strafbefreiendem Rücktritt vom Versuch).

§ 63 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 StGB

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur zulässig, wenn der Täter allein wegen der mangelnden Schuldfähigkeit nicht bestraft werden kann, nicht jedoch, wenn er mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten ist (vgl. BGHSt 31, 132, 135). Dem steht nicht die rechtliche Einordnung entgegen, wonach es sich beim Rücktritt um einen Strafaufhebungsgrund handelt, was das Begehen der rechtswidrigen Anknüpfungstat als solches unberührt lassen könnte.


Entscheidung

1053. BGH 1 StR 157/22 – Beschluss vom 7. September 2022 (LG Frankfurt am Main)

Schlechterstellungsverbot (keine Erhöhung von Einzelstrafen auch bei insgesamt niedrigerer Gesamtstrafe).

§ 358 Abs. 2 Satz 1

Das Schlechterstellungsverbot steht auch einer Erhöhung der Einzelstrafen entgegen, selbst wenn die ausgeurteilte Gesamtstrafe niedriger ausfällt.