HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2022
23. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

301. BGH 2 StR 148/21 - Beschluss vom 4. August 2021 (LG Aachen)

Verminderte Schuldfähigkeit (Beweiswürdigung: Tatplanung, gezielte Durchführung, Hemmungsvermögen, schwere Persönlichkeitsstörung, Handlungsalternativen eines Wahnkranken, Tatmotiv ohne direkte Beziehung zum Wahnthema).

§ 20 StGB; § 21 StGB

1. Dass eine Tat geplant und gezielt durchgeführt wird, sagt in solchen Fällen nichts Abschließendes über das Hemmungsvermögen eines Angeklagten bei der Begehung einer Tat aus. Auch bei einem geplanten und geordneten Vorgehen kann die Fähigkeit, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden, aufgehoben oder erheblich vermindert sein. Das Tatverhalten wie auch das Verhalten vor und nach der Tat sind wenig aussagekräftig für das Hemmungsvermögen, wenn eine schwere Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren ist.

2. Einem Wahnkranken stehen in Situationen, die durch den Wahn bestimmt sind, Handlungsalternativen praktisch nicht zur Verfügung.

3. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit – insbesondere das Einsichtsvermögen – auswirken; standen Tatmotiv und -handlung aber nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema, ist allein aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten.


Entscheidung

337. BGH 6 StR 431/21 - Beschluss vom 11. Januar 2022 (LG Stendal)

Versuchter Mord (Rücktritt vom Versuch: beendeter Versuch, unbeendeter Versuch; Erreichen des außertatbestandsmäßigen Handlungsziels; Vorstellungsbild des Täters).

§ 211 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 StGB

Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch ist auch dann möglich, wenn der Täter von weiteren Handlungen allein deshalb absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel bereits erreicht hat. Auch in diesen Fällen kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts allein darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (st. Rspr.).


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

315. BGH 2 StR 391/21 - Beschluss vom 8. Dezember 2021 (LG Köln)

Vollrausch (Eventualvorsatz: Beweiswürdigung, Vorhersehbarkeit der Schwere des Rausches).

§ 323a StGB; § 15 StGB

Bedingt vorsätzlich im Sinne des § 323a Abs. 1 StGB handelt, wer es bei dem Genuss von Rauschmitteln für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er sich dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt.


Entscheidung

279. BGH 3 StR 445/21 - Beschluss vom 26. Januar 2022 (LG Duisburg)

Nötigungsmittel beim Raub (Gewalt gegen eine Person; durch List, Schnelligkeit und Geschicklichkeit geprägtes Tatbild; Fortwirken der Gewalt als konkludente Drohung; Aktualisierung der Nötigungslage; finale Verknüpfung).

§ 249 StGB

1. Gewalt gegen eine Person i.S.d. § 249 StGB liegt vor, wenn die Kraft, die der Täter entfaltet, wesentlicher Bestandteil der Wegnahme ist. Sie muss so erheblich sein, dass sie geeignet ist, erwarteten Widerstand zu brechen; vom Opfer muss sie als körperlicher Zwang empfunden werden. Die körperliche Einwirkung braucht zwar letztlich für Leib oder gar Leben des Opfers nicht gefährlich zu sein. Sie darf aber auch nicht ganz unbedeutend sein. Nur wegen Diebstahls ist demzufolge zu verurteilen in Fällen, in denen das Überraschungsmoment bestimmend ist, weil das Tatbild eher durch List, Schnelligkeit und Geschicklichkeit als durch körperlichen Zwang geprägt wird.

2. Auch bei einem durch List, Schnelligkeit und Geschicklichkeit geprägten Vorgehen wird indes die Schwelle zur gewaltsamen Wegnahme überschritten, wenn das Opfer die Absicht des Täters noch rechtzeitig erkennt und die Sache (z.B. die Handtasche) derart festhält, dass sie vom Täter nur mittels erheblicher Kraftentfaltung entrissen werden kann. Entscheidend sind letztlich die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, deren Beurteilung primär Sache des Tatgerichts ist.

3. Eine vorangegangene Gewaltanwendung mit der daraus resultierenden Einschüchterung genügt für eine Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben mangels finaler Verknüpfung in der Regel nicht, wenn der Täter die Wirkung einer ohne Wegnahmevorsatz erfolgten (aber nicht mehr fortgesetzten) Nötigungshandlung nur ausnutzt und aufgrund eines neuen Entschlusses Sachen wegnimmt. Ein Fortwirken der Gewalt als (konkludente) Drohung bedarf grundsätzlich einer Aktualisierung der Nötigungslage dergestalt, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht. Es reicht nicht aus, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen. Ein derartiges die Nötigungslage aktualisierendes Verhalten ist auch im Urteil festzustellen.


Entscheidung

334. BGH 6 StR 388/21 - Urteil vom 12. Januar 2022 (LG Rostock)

Schwerer Bandendiebstahl (Bandenabrede: wiederholtes deliktisches Zusammenwirken; Gehilfentätigkeit).

§ 244a Abs. 1 StGB

1. Das Vorliegen einer Bandenabrede kann auch aus dem konkret feststellbaren, wiederholten deliktischen Zusammenwirken mehrerer Personen hergeleitet werden.

2. Mitglied einer Bande kann auch sein, wer eine künftige (dauerhafte) Gehilfentätigkeit zugesagt hat. Der Mitgliedschaft steht daher nicht entgegen, dass einzelne Beteiligte stets nur Gehilfen sein sollen.