HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2020
21. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

217. BGH 3 StR 294/19 – Urteil vom 28. November 2019 (LG Düsseldorf)

BGHSt; Einziehung von Taterträgen bei Vermögenszuflüssen an eine drittbegünstigte Gesellschaft (Verschmelzung der Vermögensmassen; formaler Mantel; Weiterleitung der Taterträge; Vermögenstransfer; nicht bemakelter Vertrag; Vermögensentnahme; faktische Verfügungsgewalt; Vertreterfälle; erlangtes Etwas; indirekte wirtschaftliche Vorteile; Wertersatz).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB; § 73c Satz 1 StGB

1. Nutzt der Täter die durch seine rechtswidrigen Taten bereicherte Gesellschaft nur als formalen Mantel, ohne dass deren Vermögenssphäre von seiner eigenen getrennt ist, oder leitet die Gesellschaft die Erträge aus den Taten stets zeitnah an den Täter weiter, so erlangt er selbst im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB die betreffenden Vermögenwerte bereits dann, wenn sie der Gesellschaft zufließen. (BGHSt)

2. Unabhängig von einer solchen Zurechnung der bei der drittbegünstigten Gesellschaft eingetretenen Vermögensmehrung aufgrund faktischer Verschmelzung der Vermögensmassen kann der Täter etwas durch die Tat erlangen, soweit die Gesellschaft die inkriminierten Vermögenswerte nachfolgend – ganz oder teilweise – an ihn weiterleitet und sie ihm auf diese Weise persönlich zufließen. (BGHSt)

3. Lag einem solchen Vermögenstransfer ein nicht bemakelter Vertrag zugrunde, der mit der Straftat in keinem Zusammenhang stand, so ist die (Wertersatz-) Einziehung regelmäßig ausgeschlossen. (BGHSt)

4. Die Anordnung der Einziehung von Taterträgen setzt voraus, dass der hiervon Betroffene den Vermögenswert tatsächlich erlangte. Die Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten eröffnet dagegen nicht den Anwendungsbereich von § 73 Abs. 1 StGB zum Nachteil des handelnden Täters. Bei einer derartigen Sachverhaltsgestaltung, in der durch das Täterverhalten ein Vermögenszuwachs allein bei dem Tatunbeteiligten entsteht, kann gegebenenfalls eine selbständige Anordnung der Einziehung von Taterträgen gegen den Drittbegünstigten nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nF (sog. Vertreterfälle) zu treffen sein. (Bearbeiter)

5. Handelt der Täter für eine Gesellschaft und tritt die Vermögensmehrung ausschließlich bei ihr ein, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Täter – auch in Fällen einer (legalen) Zugriffsmöglichkeit – eigene Verfügungsgewalt über das Erlangte hat. Für die Anordnung der Einziehung von Taterträgen gegen den Täter bedarf es vielmehr einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, dass er selbst etwas erlangte, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz führte. Wird der Vermögensvorteil hingegen von der Gesellschaft vereinnahmt, so kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der wirtschaftliche Wert der Geschäftsanteile im Privatvermögen des Täters durch den Zufluss steigt oder dieser sich auf die Höhe einer späteren Entnahme aus dem Gesellschaftsvermögen auswirkt. (Bearbeiter)

6. Eine Weiterleitung von Taterträgen liegt schon begrifflich nicht vor, soweit die dem Täter übertragenen Vermögenswerte aus einer anderen legalen Einkunftsquelle stammen. Solche Vorteile können nur abzuschöpfen sein, soweit sie nach § 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB – vollständig oder anteilig – „für“ die Tat gewährt wurden (Tatentgelt), mithin eine Gegenleistung für die Tatbeteiligung darstellen. (Bearbeiter)

7. Ein Erlangen durch die Tat im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erfordert nach dem geltenden Recht nicht, dass die Vermögenswerte an den Täter ohne Zwischenschritte übergegangen sind. Vielmehr unterliegen nicht nur direkt, sondern auch indirekt durch eine Straftat erlangte wirtschaftliche Vorteile der Einziehung. (Bearbeiter)


Entscheidung

236. BGH 3 StR 575/19 – Beschluss vom 18. Dezember 2019 (LG Kleve)

Voraussetzungen der fakultativen Strafrahmenmilderung bei trunkenheitsbedingt verminderter Schuldfähigkeit (pflichtgemäßes Ermessen; selbst verschuldete Trunkenheit; alkoholkranker oder alkoholüberempfindlicher Täter).

§ 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

1. Ob eine fakultative Milderung des Strafrahmens nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist, hat das Tatgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Bei verminderter Schuldfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat verringert sind, sodass regelmäßig eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist, wenn dem nicht andere schulderhöhende Umstände entgegenstehen, die diese Schuldminderung kompensieren.

2. Das Absehen von der Strafmilderung ist nicht allein deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Tatgericht im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände maßgeblich darauf abstellt, dass der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldete. Denn das selbst verschuldete – und deshalb dem Täter vorwerfbare – Sich-Betrinken stellt einen schulderhöhenden Umstand dar, der bereits für sich genommen die erhebli-

che Verminderung der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, kompensieren kann.

3. Die Trunkenheit ist dem Täter aber dann nicht uneingeschränkt vorwerfbar, wenn er alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der die Alkoholaufnahme nicht als schulderhöhender Umstand zu werten ist, kann vorliegen, wenn der Täter den Alkohol auf Grund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt.


Entscheidung

284. BGH 2 StR 331/19 – Beschluss vom 18. Dezember 2019 (LG Darmstadt)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Begriff des Hangs: symptomatischer Zusammenhang bei Rauschgifthändler; Gewissheit der tatbestandlichen Voraussetzungen); Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Darlegungsanforderungen hinsichtlich der Mitverfügungsgewalt); Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern (Bezeichnung der einzuziehenden Gegenstände).

§ 64 StGB; § 73 Abs. 1 StGB; § 74 StGB

1. Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang alleine oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist; mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die hangbedingte Gefährlichkeit muss sich in der konkreten Tat äußern. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist.

2. Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar oder mittelbar über den Erlös aus der Verwertung der Beute auch der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum gedient hat. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände. Ein solcher Zusammenhang fehlt, wenn die Taten allein zur Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs oder zur Gewinnerzielung bestimmt sind. Bei einem Rauschgifthändler, dem es alleine darum geht, erworbene Betäubungsmittel mit Gewinn zu verkaufen, fehlt der symptomatische Zusammenhang regelmäßig auch dann, wenn er gelegentlich selbst Suchtmittel konsumiert.

3. Für eine Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB, bei der es sich um eine den Angeklagten beschwerende Maßregel handelt, müssen der symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB sicher feststehen.

4. Für das Erlangen im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB genügt, dass ein Tatbeteiligter in irgendeiner Phase der Tatbestandsverwirklichung die faktische oder wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über die Tatbeute innehat. Es ist daher nicht erforderlich, dass er an der Übergabe des Kaufpreises für die gehandelten Drogen selbst beteiligt ist. Ausreichend ist, wenn er anschließend ungehinderten Zugriff auf das übergebene Geld nehmen kann. Die bloße Annahme mittäterschaftlichen Handelns vermag die fehlende Darlegung des tatsächlichen Geschehens hierzu nicht zu ersetzen.

5. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die einzuziehenden Gegenstände so genau bezeichnet werden, dass für alle Beteiligten und die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht. Eine Bezugnahme auf eine Asservatenliste genügt hierfür nicht.


Entscheidung

303. BGH 2 StR 582/18 – Beschluss vom 22. Januar 2020 (LG Rostock)

Ausschluss der Einziehung des Tatertrages oder des Wertersatzes (Schadlosstellung durch einen Tatbeteiligten).

§ 73e StGB

1. Durch § 73e StGB soll die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Tatbeteiligten oder Drittbegünstigten durch den Staat einerseits und den Verletzten andererseits vermieden werden. Schon hieraus erhellt, dass der Anspruch eines Verletzten auch dann als ganz oder teilweise erloschen anzusehen ist, wenn einer der als Gesamtschuldner haftenden Tatbeteiligten den Verletzten ganz oder teilweise schadlos stellt.

2. Der Forderungsübergang nach § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB macht den Tatbeteiligten nicht zum Verletzten oder zu dessen Rechtsnachfolger im einziehungsrechtlichen Sinn. Rechtsnachfolger im Sinne der §§ 73 ff. StGB, 459h ff. StPO kann nur sein, wer – wie der Erbe (§ 1922 BGB) oder der Versicherer (§ 86 VVG) – dem Tatopfer nicht selbst wegen der Tat zu Schadensersatz verpflichtet ist. Anderes wäre mit dem das Einziehungsrecht beherrschenden Konzept der Rückgewinnungshilfe zugunsten der Tatopfer nicht vereinbar.


Entscheidung

206. BGH 1 StR 470/19 – Beschluss vom 4. Dezember 2019 (LG Nürnberg-Fürth)

Anordnung der Sicherungsverwahrung (Hang zu erheblichen Straftaten: erforderliche Gesamtbetrachtung durch das Tatgericht, keine Nachholung in der Revisionsinstanz; Einheitsjugendstrafe als Vortat).

§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 StGB; § 261 StPO

1. Ob ein Hang im Sinne eines eingeschliffenen inneren Zustands festzustellen ist, der den Täter immer wieder neue Straften begehen lässt, bedarf einer umfassenden, alle bedeutsamen, für und gegen eine wahrscheinliche Hangtäterschaft sprechende Umstände einbeziehenden Vergangenheitsbetrachtung durch das Tatgericht. Diese Wertung kann regelmäßig nicht nach Austausch der formellen Voraussetzungen in der Revisionsinstanz ersetzt werden.

2. Eine Einheitsjugendstrafe unterfällt nur dann dem Tatbestandsmerkmal ?schon einmal zu Freiheitsstrafe

von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist? im Sinne des § 66 Abs. 3 StGB, wenn zu erkennen ist, dass wegen der Katalogtat eine Jugendstrafe von drei Jahren verhängt worden wäre, sofern sie als Einzeltat abgeurteilt worden wäre, oder wenn die Jugendstrafe nur Katalogtaten zum Gegenstand hat (vgl. BGHSt 50, 284, 293 f.).