HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2020
21. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

"Umstände, die sich erst in der Verhandlung ergeben" – Was sind Nova im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO?

Zugleich Besprechung von BGH HRRS 2019 Nr. 1054

Von Akad. Rat a.Z. Dr. Markus Abraham, Hamburg

I. Einleitung

Nur wer weiß, was Thema und mögliches Ergebnis eines Strafverfahrens ist, kann sich adäquat verteidigen.[1] Anklage und Eröffnungsbeschluss liefern diese Informationen und begrenzen das zu Erwartende. Stellt sich später heraus, dass die bisherige Begrenzung unzureichend war, sind zwei Konstellationen denkbar: Umfasst die neue Umgrenzung ein gänzlich anderes Geschehen, bedarf es der Nachtragsanklage, § 266 StPO. Bleibt es dagegen beim bisherigen Geschehen, soll sich lediglich der Vorwurf erheblich ändern, so genügt ein Hinweis seitens des Gerichts, § 265 StPO.[2] Eine erhebliche Änderung wiederum, die einen solchen Hinweis nötig macht, liegt zum einen dann vor, wenn dem Beschuldigten ein ganz anderes Delikt zur Last gelegt wird (etwa: Diebstahl statt Betrug), § 265 Abs. 1 StPO[3] , zum anderen dann, wenn eine bislang nicht behandelte Strafschärfung oder Rechtsfolge (Maßnahme, Nebenstrafe, Nebenfolge) ausgesprochen werden soll, weil sich in der Hauptverhandlung neue Umstände ergaben, § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO[4] .

Was nun sind derartige neue Umstände? Evident gemeint sind Tatsachen, die erst in der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung bekannt werden. Unklar und umstritten hingegen ist, ob auch die neue rechtliche Bewertung bereits bekannter Tatsachen zu den "neue Umständen" zählen. Diese Thematik, die durch den Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 18. Juni 2019 virulent wurde, möchte ich im Folgenden untersuchen.

Dazu werde ich im ersten Hauptteil des Textes den Vorlagebeschluss rekonstruieren (II.), indem ich den Sachverhalt auf die prozessuale Frage verkürzt wiedergebe (II.1.), dann die im Anfragebeschluss geäußerte Rechtsauffassung des 5. Strafsenats darstelle (II.2) und sie im bisherigen Streitstand verorte (II.3). Im zweiten Hauptteil werde ich eine hierzu alternative Auslegung von § 265 Abs. 2 StPO entwickeln (III.). Dazu argumentiere ich zunächst, dass dem 5. Strafsenat zwar in der Auslegung des Wortlauts zuzustimmen ist (III.1). Aus der zutreffenden Analyse folgt aber nicht, dass eine Hinweispflicht in Fällen "reiner Subsumtions-Nova" nicht besteht; vielmehr ergibt sich dort die Pflicht zum Hinweis aus der analogen Anwendung des § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO (III.2. bis 6.). Den Gedankengang fasse ich abschließend zusammen und gebe einen Ausblick (IV.).

II. Der Vorlagebeschluss des 5. Strafsenats

1. Die anlassgebende Verfahrensrüge

Dem Anfragebeschluss des 5. Strafsenats liegt die Verfahrensrüge des Angeklagten H zugrunde. Diesem wurde vorgeworfen, seine Dienstpflichten als Bürgermeister beim Verkauf eines Grundstücks, das teilweise im Eigentum seiner Gemeinde, teilweise im Eigentum der angrenzenden Stadt stand, verletzt zu haben: Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte H durch seine Einflussnahme dazu beigetragen, dass der Zuschlag für das Grundstück einer bestimmten Gesellschaft erteilt wurde. An dieser Gesellschaft, die die Grundstücke entwickelte und weiterveräußerte, war H über seinen Sohn, den er als Strohmann-Gesellschafter installiert hatte, de facto beteiligt. Als Gegenleistung für seine Einflussnahme erhielt H einen Teil der Ausschüttungen, die durch die Weiterveräußerung möglich wurden, teilweise direkt von seinem Sohn, teilweise über seine Ehefrau.[5] Das Landgericht hatte H wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und im Urteil zugleich die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.

Die Verfahrensrüge von H bezieht sich nun darauf, dass weder Anklage noch Eröffnungsbeschluss den Sachverhalt als Grundlage für die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) gekennzeichnet hatten und ein entsprechender Hinweis auch in der Hauptverhand-

lung nicht erfolgt war. H rügt daher die Verletzung der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO.[6]

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hält die Verfahrensrüge für unbegründet, weil keine Hinweispflicht bestanden habe. Da sich der Senat jedoch an der Verwerfung der Revision durch die kürzlich ergangene Entscheidung des 1. Strafsenats[7] gehindert sieht, fragt er (vorsorglich bei sämtlichen Senaten) an, ob an jener Rechtsprechung festgehalten werde.[8]

2. Die Auslegung von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO durch den 5. Strafsenat

Der 5. Strafsenat gelangt im vorliegenden Fall zur Ablehnung einer Hinweispflicht, indem er § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO folgendermaßen auslegt: Eine angeklagte Person sei ausweislich des Wortlauts auf Umstände, die eine Strafschärfung oder die Anordnung einer Maßnahme/Nebenstrafe/Nebenfolge rechtfertigten, lediglich dann hinzuweisen, wenn sich die Umstände "erst in der Verhandlung" ergeben; für den Fall jedoch, dass die rechtfertigenden Tatsachen bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt sind, bestünde eine Hinweispflicht nicht.[9] § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO setzte also stets die Änderung der Sachlage voraus – eine Änderung der rechtlichen Beurteilung bereits bekannter Umstände genüge hingegen nicht.

Zwar lege die Rechtsprechung die Norm seit jeher so aus, dass auch ohne die Veränderung der Sachlage der Hinweis auf eine in der Anklage unerwähnte Maßregel nötig sei, weil deren nachträgliche Anführung ein neuer Umstand sei – und diese Ansicht sei vom 1. Strafsenat[10] auf die Maßnahme der Einziehung übertragen worden.[11] Dieser Auslegung hält der 5. Strafsenat aber entgegen, dass § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO das nachträgliche Eintreten von relevanten Anknüpfungstatsachen erfordere. Ansonsten werde die Formel "erst in der Verhandlung" überflüssig.[12] Weder überzeuge es, die einschränkende Formulierung ("erst in der Verhandlung") auf die erste Variante von Nr. 1, also die straferhöhenden Umstände, zu begrenzen und folglich nicht für die sonstigen Varianten gelten zu lassen (dies sei die "Deutung der Rechtsprechung in der Literatur"[13] ). Noch sei (entgegen zahlreicher Literaturstimmen) ein "neuer Umstand" im Sinne der Vorschrift darin zu erblicken, dass das Tatgericht die bereits bekannten Anknüpfungstatsachen anders bewerte. Wenn auch für diese Auslegung (vermeintlich) der Schutzzweck der Norm streite, lasse sich eine abweichende rechtliche Bewertung des bereits etablierten Sachverhalts eben nicht als neuer "vom Strafgesetz" besonders vorgesehener Umstand verstehen.[14]

Weiter bringt der 5. Strafsenat einen systematischen Gesichtspunkt vor:[15] Aus der Rechtsprechung, nach der bei Maßregeln ein Hinweis stets erforderlich sei, also auch für den Fall, dass keine neue Sachlage eingetreten sei, lasse sich für die Einziehung von Taterträgen kein Argument ableiten. Die hinweispflicht-bejahende Rechtsprechung zu den Maßregeln sei schon nicht einheitlich (teilweise werde auf nachträgliche Tatsachen überhaupt nicht verzichtet; teilweise werde ein Hinweis auch dort ausnahmsweise für entbehrlich gehalten). Zudem unterscheide sich die Fallgruppe der Maßregel wesentlich von der Fallgruppe der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen: Erstens seien die Maßregeln strafähnlich ausgestaltet, die Einziehung (des Wertes) hingegen konditionsähnlich. Die Anordnung der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen liege daher für den Angeklagten nahe: es sei offensichtlich, dass der Staat das rechtswidrig Erlangte nicht bei ihm belasse. Und zweitens sei die Anordnung der Einziehung, sofern die Anordnungstatsachen gegeben sind, zwingend anzuordnen, wohingegen bei der Anordnung von Maßregeln – jedenfalls teilweise – ein Beurteilungsspielraum bestehe und eine Wahrscheinlichkeitsprognose notwendig werde.

Zuletzt, so der 5. Strafsenat, lasse sich auch dem Zweck der Hinweispflicht nicht entnehmen, weshalb für den Fall, dass die Anknüpfungstatsachen bereits bekannt sind, ein Hinweis auf Einziehung nicht entbehrlich sein sollte: Zwar diene die Hinweispflicht nach § 265 StPO den Verteidigungsrechten des Angeklagten. Sie sei allerdings – in Abgrenzung zum Anspruch auf rechtliches Gehör und dem Recht auf faires Verfahren – keine "Generalklausel zum Schutz des Angeklagten vor jeglicher Überraschung": sie wolle der Verteidigung lediglich die Auseinandersetzung mit den Grundlagen der potentiellen Verurteilung ermöglichen, wenn diese von der zugelassenen Anklage divergieren. Eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte liege indes nicht vor, "wenn eine Maßnahme bei Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen durch das Gericht zwingend auszusprechen ist und der Angeklagte durch die zugelassene Anklage die Möglichkeit hatte, von deren Vorliegen Kenntnis zu nehmen."[16]

3. Verortung im Streitstand und Zwischenergebnis

Für das infrage stehende Szenario, dass also Anordnungstatsachen im Sinne von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO bereits bekannt sind, später aber anders bewertet werden, finden sich unterschiedliche Lösungsansätze. Die Literatur möchte in diesen Fällen stets zur gerichtlichen

Hinweispflicht gelangen, da auch die Novität der rechtlichen Bewertung als neuer Umstand im Sinne der Vorschrift zu verstehen sei (dazu sogleich bei III.1).[17]

In der Rechtsprechung lassen sich zwei Ansätze ausmachen[18] : So wurde im Fall der Maßregeln eine Hinweispflicht auch dann angenommen, wenn bekannte Tatsachen lediglich anders bewertet werden.[19] Daran knüpft die vom 5. Strafsenat als entgegenstehend erwähnte Entscheidung des 1. Strafsenats[20] an, die auch in Bezug auf die mittlerweile[21] von Abs. 2 Nr. 1 ebenfalls erfassten Fall der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen eine Hinweispflicht bei Änderung der rechtlichen Bewertung bejaht.

In anderen Entscheidungen wurde die rechtlich differente Beurteilung bereits bekannter Tatsachen nicht als hinweispflicht-auslösend erachtet, sondern vielmehr verlangt, dass für den angepassten Vorwurf oder die angepasste Rechtsfolge zusätzliche tatsächliche Voraussetzungen nötig werden, also neue tatsächliche Umstände hinzutreten.[22] An dieses Verständnis[23] , demzufolge also tatsächliche Nova für § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nötig sind, knüpft der 5. Senat mit seiner am Wortlaut orientierten Auslegung an. Für den vorliegenden Fall, in dem die Anknüpfungstatsachen für die Einziehung bereits in der Anklage enthalten waren, es also an tatsächlichen Nova fehlt, sei eine Hinweispflicht folglich zu verneinen.

III. Zur Auslegung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO

Es stellt sich also die Frage, ob rechtliche Nova, also die neue Bewertung alter Tatsachen, stets, unter Umständen oder nie dem Begriff der "neuen Umstände" zu subsumieren sind. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, ist mit dem 5. Strafsenat die generell verneinende Wortlautauslegung überzeugender (III.1.). Doch auch wenn man dem 5. Senat darin folgt, ergibt sich im Ergebnis eine Pflicht zum Hinweis. Dies liegt daran, dass § 265 Abs. 2 StPO zu rein rechtlichen Nova keine Aussage trifft (III.2. und 3.). Aufgrund dieser Regelungslücke besteht Raum für eine Analogie, die sachgerecht zur Vorschrift § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO zu ziehen ist (III.4). Eine Ausnahme von dieser Analogie ist für die Nebenfolge der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen nicht angezeigt (III.5). Wie ein Blick auf die Rechtsfolgen deutlich macht, überzeugt die analoge Anwendung von § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO auch wertungsmäßig (III.6).

1. Die Wortlautinterpretation des 5. Senats überzeugt

Ausweislich des Wortlauts des Gesetzes verlangt § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO einen Hinweis des Gerichts, wenn "sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen". Zur Erleichterung der Auslegung erscheint es sinnvoll, auf die ursprüngliche Fassung von § 265 Abs. 2 StPO zu fokussieren, also sowohl die Bezugnahme auf Maßregeln (eingeführt 1934[24] ) als auch die Erweiterung der Hinweispflicht auf Maßnahmen, Nebenstrafen und Nebenfolgen (eingeführt 2017[25] ) sowie die damit ebenfalls neu eingefügten Nr. 2 und Nr. 3 des Abs. 2 zunächst auszuklammeRn. 

Erfasst nun dieser, auf die Fassung "Umstände, die die Strafbarkeit erhöhen"[26] reduzierte Abs. 2 den Fall, in dem die Anordnungstatsachen zwar in Anklage und Eröffnungsbeschluss erwähnt sind, es an deren Subsumtion aber fehlt? Vor allem die Literatur bejaht [27] dies mit fol-

gender Überlegung fast durchgehend:[28] in solchen Fällen sei zwar die Existenz des Umstands bereits bekannt gewesen, nicht allerdings dessen Bedeutung.[29] Als der sich erst in der Verhandlung ergebende neue Umstand wird also, so lässt sich formulieren, die erst jetzt erkannte Subsumtions-Relevanz eines bekannten Faktums erachtet. Der Zweck der Vorschrift scheint für eine solche Auslegung zu sprechen. Denn genauso wie die Einführung völlig neuer subsumtions-relevanter Tatsachen scheint gleichermaßen die "Umwidmung" bekannter, bislang nicht-subsumtions-relevanter Tatsachen hin zu subsumtions-relevanten Tatsachen eine Anpassung der Verteidigung zu erfordern: Wenn ich erkenne, dass ein bereits in der Anklage zutreffend beschriebener Gegenstand nun (doch) als gefährlichen Werkzeugs gewertet werden soll, könnte es nötig sein, die Verteidigungsvorbringen dahingehend anzupassen.[30]

Wie der 5. Strafsenat anmahnt, lässt sich diese am Telos ausgerichtete Ansicht jedoch mit dem Wortlaut nicht vereinbaren.[31] Dieser Hinweis auf den Wortlaut überzeugt. Zwar ist der am Zweck ausgerichteten Ansicht zuzugestehen, dass die Rede von "Umständen" – obgleich sie vielleicht eher für ein Verständnis als Tatsachen spricht, vgl. die Begriffsverwendung in §§ 16, 46 StGB – wohl mehrdeutig ist, also genauso gut auf rechtliche Umstände bezogen werden könnte.

Die Unvereinbarkeit der vorgeschlagenen Auslegung mit dem Wortlaut wird jedoch deutlich, wenn man überlegt, was exakt denn diese Ansicht als "neuen Umstand" betrachtet. Es bestehen zwei Möglichkeiten: entweder könnte der Statuswechsel selbst (a) der neue Umstand sein (nämlich der Statuswechsel von subsumtions-irrelevant hin zu subsumtions-relevant); alternativ könnte der neue Umstand der durch das Gericht zugeschriebene neue Status der Tatsache (b) sein (nämlich neuerdings subsumtionsrelevant zu sein). Zwar dürfte das zweite Verständnis näherliegen[32] . Man muss sich aber nicht entscheiden, denn beide Möglichkeiten[(a) und (b)]passen mit dem übrigen Teilen des Satzes nicht zusammen: Der neue Umstand, so die umrandenden Satzteile von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO, müsste "vom Strafgesetz besonders vorgesehen[]" sein und er müsste ein Umstand sein, der "die Strafbarkeit erhöh[t]".

Offensichtlich ist der Statuswechsel selbst (a) nicht etwas, das das Strafgesetz vorsieht, ist also kein vom Strafgesetz vorgesehener Umstand. Der Statuswechsel als solcher erhöht desgleichen nicht die Strafbarkeit.

Aber auch die Interpretation, der zufolge der neue Status der Tatsache der neue Umstand sei (b), geht bei näherem Hinsehen nicht auf: Während sich hier vielleicht noch sagen ließe, dass der Umstand, eine bekannte Tatsache nunmehr einem Qualifikationsmerkmal zu subsumieren, also der neue Status der Tatsache "die Strafbarkeit erhöht", so ist doch die Zuschreibung eines Status einer Tatsache nicht etwas vom Strafgesetz Vorgesehenes: nicht der Status einer Tatsache (nämlich: subsumtions-relevant zu sein) wird vom Gesetz vorgesehen; vom Gesetz vorgesehen wird das Vorliegen von Tatsachen, die der Merkmalsbeschreibung entsprechen. Beispielhaft: nicht die erfolgreiche Sumtion des Stiftes unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs ist ein vom Strafgesetz vorgesehener Umstand. Das Gesetz sieht vielmehr für die Straferhöhung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB die tatsächliche Eigenschaft vor, dass es sich bei dem Stift um ein gefährliches Werkzeug handelt. Kurz: Das Strafgesetz[33] sieht nicht Bewertungen von vorliegenden Tatsachen vor, sondern das Vorliegen von Tatsachen. (Selbstverständlich gelangt das Gericht zu rechtlichen Bewertungen der als gegeben betrachteten Tatsachen. Diese Bewertungen sind dann jedoch keine "vom Strafgesetz vorgesehen" Umstände; sie ergeben sich im Vorgang der Sumtion der Tatsachen unter das Strafgesetz. Die Bewertungen, so ließe sich sagen, ergeben sich also in Anwendung des Strafgesetzes; sie werden nicht vom Strafgesetz vorgesehen.)

Gesteht man daher zu, dass auch der neue Status der Tatsache kein neuer Umstand i.S.d. § 265 Abs. 2 StPO sein kann, mag man vielleicht antworten, dass eine Tatsache, die neuerdings als subsumtions-relevant angesehen wird, doch eben wie eine neue Tatsache erscheint, demnach auch als solche zu behandeln sei. Dieser Erklärungsversuch wäre dann allerdings keine Auslegung innerhalb des Wortlauts mehr, sondern signalisiert bereits die – im Ergebnis auch überzeugende[34] – Behauptung einer Analogie: "wie", "als ob".

2. Jedoch: nicht negative Regelung, sondern Nicht-Regelung

Die Wortlautauslegung des 5. Strafsenats überzeugt also: Der Wortlaut von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erfasst ausschließlich tatsächliche Nova, folglich keine "Subsumtions-Nova". Entgegen der Analyse des 5. Senates ist

daraus hingegen nicht zu schlussfolgern, dass bei Subsumtions-Nova keine Hinweispflicht besteht. Wie ich darlegen möchte, liegt das daran, dass der Gesetzgeber in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nur positiv die Hinweispflicht für Tatsachen-Nova regeln wollte, den Fall reiner Subsumtions-Nova allerdings dadurch nicht negativ regeln wollte, sondern nicht geregelt hat.

Diese Überlegung ergibt sich aus dem der Konzeption des § 265 StPO: Der Regelung liegt ursprünglich neben der Sicherung der Subjektstellung des Angeklagten der Gedanke zu Grunde, dass das Recht dem Gericht bekannt ist: iura novit curia.[35] Kennt das Gericht nun nicht lediglich das Recht, sondern darüber hinaus im konkreten Fall auch noch die zutreffende Beschreibung des tatsächlichen Tatvorgangs, so kennt es folglich ebenfalls dessen zutreffende Subsumtion. Nach diesem Verständnis liegt es nahe, dass ein Hinweis nach § 265 StPO der Verteidigung lediglich ermöglichen sollte, sich neu ergebendes Tatsachenmaterial zu bestreiten (sei es, dass die Tatsachen völlig neu sind, sei es, dass es um die Konkretisierung oder Kontextualisierung bekannter Tatsachen handelt).

Den Fall reiner Subsumtions-Nova hingegen, dass also die identisch bleibende Tatsachenbeschreibung nunmehr anders bewertet wird, so lässt sich argumentieren, hatte der Gesetzgeber gar nicht als regelungsbedürftig erachtet. Der Fall reiner Subsumtions-Nova, oder besser: das Nachholen bislang unterlassener Subsumtion, ist also von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht negativ geregelt, sondern dieser Fall ist dort gar nicht geregelt. Es besteht also eine Regelungslücke.

Die Analyse, dass Subsumtions-Nova dort nicht geregelt sind, kann man auch durch die Gesetzesmotive gestärkt sehen: so scheint es dem Gesetzgeber von 1877 vor allem darauf angekommen zu sein, den Fall reiner Tatsachen-Nova, dass also die Tatsachengrundlage bei konstant bleibender rechtlicher Wertung wechselt, von der Hinweispflicht nach Abs. 1 und Abs. 2 auszunehmen; dieser Fall sollte lediglich der fakultativen Aussetzung nach Abs. 4 zugänglich sein[36] – diese Herausnahme reiner Tatsachen-Nova von der Hinweispflicht wurde im Nachhinein als korrekturbedürftig angesehen[37] und korrigierend ausgelegt[38] . Seit 2017 ist die korrigierende Auslegung in Abs. 2 Nr. 3 im Gesetz verankert.[39] Während der Gesetzgeber von 1877 also explizite Überlegungen zu reinen Tatsachen-Nova anstellt, findet der Fall des Subsumtions-Unterlassens, also der Fall reiner Subsumtions-Nova, hingegen keine Erwähnung. Diese Nichterwähnung könnte für deren Nichtregelung sprechen.

3. Keine Regelungslücke wegen § 265 Abs. 1 StPO?

Gegen diese Sichtweise, dass also § 265 Abs. 2 reine Subsumtions-Nova überhaupt nicht regelt, ließe sich möglicherweise die Regelung von § 265 Abs. 1 StPO ins Feld führen, der reine Subsumtions-Nova, also etwa den Fall, dass das Gericht nach § 253 StGB statt den im Eröffnungsbeschluss aufgeführten § 249 StGB verurteilen will (oder § 25 statt § 26 StGB anwendet), also reine Subsumtions-Nova doch gerade zu erfassen scheint.[40] Sieht man reine Subsumtions-Nova dort geregelt, könnte das ein Argument dafür abgeben, dass der Gesetzgeber diese in Abs. 2 durch sein Schweigen sehr wohl, und zwar negativ regeln wollte.[41]

Ein solches Argument lässt sich allerdings entkräften. Eine Möglichkeit (1) der Entkräftung besteht darin, schlicht die gegenteilige These zu vertreten, nämlich dass von § 265 Abs. 1 StPO zwar reine Subsumtions-Nova erfasst werden, während bei Abs. 2 diesbezüglich eine Regelungslücke besteht.[42] Eine Spielart dieser Antwort könnte lauten, hier eine nachträgliche Regelungslücke[43] anzunehmen, zumal eine bewusst negative Regelung der Hinweispflicht bei Subsumtions-Nova in Abs. 2 mit dem heutigen Verständnis vom strafprozessualen Rechtsstreit nicht mehr in Einklang zu bringen ist.[44]

Eine andere Möglichkeit (2), dem angedeuteten Argument beizukommen, besteht darin, zu bestreiten, dass der Gesetzgeber reine Subsumtions-Nova bei § 265 Abs. 

1 StPO überhaupt im Blick hatte. Auch Abs. 1 sollte Subsumtions-Nova, so könnte man vorbringen, nur insofern regeln, als sie auf neuen tatsächlichen Umständen beruhen. Überlegt man nämlich, welche Fälle von § 265 Abs. 1 StPO typischerweise erfasst sein sollen, wird erkennbar, dass diese Anwendungsfälle regelmäßig Tatsachen-Nova voraussetzen: Zunächst fällt unter die Regelung des Abs. 1 typischerweise das Szenario, in dem bisher völlig unbekannte Tatsachen auftauchen und insofern eine neue rechtliche Bewertung nötig wird; dass tatsächliche Nova von Abs. 1 erfasst sein sollen ergibt sich bereits aus der Regelung des Abs. 3, der explizit auf Abs. 1 Bezug nimmt und von neuen Umständen spricht ("neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes (…) zulassen").

Aber auch die sonst unter Abs. 1 zu subsumierenden Fällen der Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes beruhen insofern auf neuen Tatsachen, als sie eine neue Beschreibung des tatsächlichen Geschehens erforderlich machen:[45] Die normausfüllenden objektiven Tatsachen (und regelmäßig der Vorsatzinhalt) erfahren, wenn es sich um ein anderes Strafgesetz handelt, eine neue Beschreibung.[46] Es ändern sich also auch hier die tatsächlichen Umstände. Darunter fallen insbesondere die Szenarien der Konkretisierung (a) und Kontextualisierung (b) bereits bekannter Tatsachen durch neues Tatsachenmaterial:[47] So kann sich durch Konkretisierung[48] des Geschehens die Deutung des tatsächlichen Vorrangs ändern und damit zur Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts führen, wenn z.B. der Vorgang wegen der zusätzlichen Information doch mehr als "Hingeben" denn als "Nehmen" der Sache zu beschreiben ist (a). Entsprechendes gilt für Fälle, in denen ein bereits bekannter Vorgang durch von Hinzutreten weiterer Tatsachen in anderem Licht erscheint, dass etwa die (bereits vorher vollständig bekannte) Beteiligung an der Planungsbesprechung durch kontextualisierende Randinformationen nun doch als mittäterschaftlicher Beitrag und nicht lediglich als Anstiftungshandlung betrachtet wird (b). Beides[(a) und (b)]sind Fälle von Subsumtions-Nova, die auf Tatsachen-Nova beruhen, nämlich auf der Neubeschreibung der Geschehnisse.[49] Die davon abzugrenzenden, praktisch seltenen[50] Fälle reiner Subsumtions-Nova hingegen, dass also die identisch bleibende Schilderung der Tatsachen anders als im Eröffnungsbeschluss bewertet wird, könnten demzufolge – zumindest nach dem ursprünglichen Regelungsgedanken des § 265 StPO – bei Abs. 1 ebenfalls nicht gemeint[51] , also überhaupt nicht behandelt sein.[52] Zu dieser Sichtweise passt, dass auch nach heutiger Auslegung bloße Schreibfehler oder sonstige Versehen in der Anklage, sofern sie dazu führen, dass der Angeklagte den Vorwurf nicht zu erkennen vermag, unter § 265 Abs. 1 StPO lediglich in seiner analogen Anwendung[53] fallen sollen, also auch nicht direkt unter § 265 Abs. 1 gefasst werden.

Beide Antwortmöglichkeiten[(1) und (2)] führen also dazu, dass sich aus Abs. 1 zur dargestellten Sichtweise, nämlich dass in Abs. 2 Nr. 1 reine Subsumtions-Nova überhaupt nicht geregelt sind, kein überzeugendes Gegenargument ergibt.

4. Lösung für Subsumtions-Nova: § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO analog

Betrachtet man also Subsumtions-Nova als von § 265 Abs. 2 StPO nicht geregelt, besteht eine Regelungslücke, die – zumal ein solcher Fall erst überhaupt nicht bedacht wurde – außerdem planwidrig ist.[54]

Im Einklang mit der bereits für die direkte Anwendung des Abs. 2 Nr. 1 vorgetragenen Ansicht der Literatur[55] lässt sich mit Blick auf den Zweck der Vorschrift dafür argumentieren, dass sich die Interessenlage mit derjenigen des Abs. 2 Nr. 1 StPO vergleichen lässt:[56] Ob das Gericht nun tatsächlich Neues erkennt, oder aber tatsächlich Bekanntes anders subsumiert, ist für die Verteidigung gleichermaßen von Belang. Zum einen wird allein aus der Erwähnung der tatsächlichen Elemente in der Anklage deren Subsumtionsrelevanz nicht ersichtlich, insbesondere nachdem üblicherweise bestimmte Tatsachen lediglich "colorandi causa oder zur Individualisierung der Tat" angeführt werden.[57] Zum anderen liegt zwar ursprünglich der Regelung der Gedanke zu Grunde, dass die Rechtsfindung allein beim Gericht liegt, doch wird diese Sichtweise (mittlerweile) durch verfassungsrechtliche Wertungen verdrängt: der Anspruch auf rechtliches Gehör soll auch das Vorbringen rechtlicher Argumente ermöglichen[58] und das Gericht darf die Verfahrensbeteiligten nicht darüber im Dunkeln lassen, welche Gesichtspunkte es für entscheidungserheblich hält[59] . Aufgrund dieser Überlegungen erscheint es überzeugend, dass die Verteidigung darauf vertrauen können sollte, dass die im Eröffnungsbeschluss angeführten Vorwürfe auch ihrem Grade[60] nach zutreffend bezeichnet sind.

Für den in Frage stehenden Fall reiner Subsumtions-Nova könnte es nun allerdings noch näher liegen, statt Abs. 2 Nr. 1 die Regelung des neu eingefügten Abs. 2 Nr. 2 analog anzuwenden: diese Regelung betrifft den Fall, dass das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen möchte.[61] Erfasst werden damit gerade Änderungen der rechtlichen Bewertung: Teilt das Gericht eine vorläufige Bewertung von Tatsachen mit, so begründet dies einen Vertrauenstatbestand, der bei Änderung der rechtlichen Bewertung einen Hinweis erfordert.[62] Einen vergleichbaren Vertrauenstatbestand wird man wohl für die hiesige Konstellation in der vorläufigen Beurteilung der bekannten Tatsachen im Eröffnungsbeschluss erblicken können:[63] Zwar fehlt es hier an der expliziten Bewertungsmitteilung in der Verhandlung, allerdings erscheint es plausibel, den Fall der Erwähnung der Anknüpfungstatsachen bei gleichzeitiger Nichterwähnung der darauf aufbauenden Rechtsfolgen wertungsmäßig als eine vergleichbare, nämlich konkludente Bewertungsmitteilung anzusehen. Insofern besteht die für eine Analogie vorausgesetzte Vergleichbarkeit der Interessenslage.[64]

5. Analogiebeschränkung qua Konditionsähnlichkeit?

Im Vergleich zur ursprünglichen Fassung wurde die Hinweispflicht in Abs. 2 StPO ausgedehnt: zum einen auf die Fälle der Maßregeln (1934[65] ), zum anderen auf die Anordnung von Maßnahmen, Nebenstrafen und Nebenfolgen (2017[66] ). Ergeben sich deren Anknüpfungstatsachen in der Hauptverhandlung, ist nunmehr ein Hinweis in direkter[67] Anwendung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nötig.

Für den Fall reiner Subsumtions-Nova ist, wie soeben erörtert, eine analoge Anwendung des § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO vorzugswürdig. Eine Ausnahme von dieser Analogie, könnte sich für die Einziehung im Hinblick auf die Argumentation des 5. Strafsenats ergeben: Ein Hinweis sei bei der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) überflüssig, zumal ihre Rechtsfolge nicht der Strafe, sondern der Kondition ähnle. Der Angeklagte, so der 5. Strafsenat in einer verbotsirrtum-ähnlichen Konstruktion, müsse damit rechnen, dass er das durch die Tat Erlangte nicht behalten dürfe,[68] sei insofern nicht schutzwürdig.[69]

Die besseren Gründe sprechen jedoch gegen eine solche Herausnahme von der Analogie. Zunächst fällt die Einziehung von Taterträgen eindeutig unter die in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO bezeichneten Maßnahmen i.S.v. § 11 Nr. 8 StGB. Sedes materiae ist also das Strafgesetzbuch; es geht also gerade nicht um die zivilrechtliche Kondiktion. Nicht nur erschiene es daher als künstliche Aufspaltung des Instituts der Einziehung, wenn die Einziehung (des Wertes) von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB qua Konditionsähnlichkeit keiner Hinweispflicht unterfiele, wo doch andere Formen der Einziehung durchaus Straf- (s. etwa die erweiterte Einziehung von Taterträgen bei

Tätern und Teilnehmern nach §  73a StGB[70] ) oder Maßregelcharakter annehmen können (siehe etwa die Sicherungseinziehung nach § 74b StGB[71] ) und demzufolge wohl eine Hinweispflicht auslösen müssten. Der Hinweis auf die Zwangsläufigkeit der Anordnung der Einziehung (des Wertes) der Taterträge als Grund dafür, diese von der Analogie auszunehmen, überzeugt zudem deswegen nicht, weil auch die Straferhöhungs-Umstände im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO zwingend zur Straferhöhung führen müssen, sofern die tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen.[72] Hinzu kommt eine Überlegung des Schutzes der Verteidigung: Es ist nicht überzeugend dargelegt, weshalb die Angeklagte die Subsumtionslast treffen sollte, welche infolge eines Subsumtions-Unterlassens der Staatsanwaltschaft entstand,[73] und sie demnach gezwungen wäre, etwaige Verteidigungsvorbringen vorsorglich anzuführen und dadurch das Gericht möglicherweise erst darauf aufmerksam zu machen[74] . Selbst wenn die Anordnung bei der mitgeteilten Sachlage zwingend anzuordnen ist, ermöglicht erst die Mitteilung der potentiellen Rechtsfolgen eine aufgeklärte Entscheidung darüber, ob sich die Angeklagte dahingehend verteidigen will oder nicht.[75] Darüber hinaus ist zu beachten, dass die grundrechtlichen Wertungen (rechtliches Gehör, Verfahrensfairness), die der 5. Strafsenat im Lichte seiner Wortlautfokussierung knapp abtut, nach dem hier entwickelten Verständnis tentativ stärker zum Tragen kommen: Wenn der Gesetzgeber nämlich reine Subsumtions-Nova in § 265 (Abs. 2) StPO überhaupt nicht geregelt hat, ist es in besonderem Maße notwendig, insofern auf verfassungsrechtliche Wertungen zurückzugreifen.[76]

Womöglich ließe sich für eine Ausnahme von der Analogie anführen, dass die Rechtsfolge der Einziehung (zumindest nach verbreiteter Ansicht[77] ) im Eröffnungsbeschluss nicht notwendig anzuführen ist. Daraus könnte man folgern, dass ein Hinweis in der Hauptverhandlung nicht erforderlich sei, solange nur die Anknüpfungstatsachen bereits im Eröffnungsbeschluss enthalten waren. Gegen diese Sichtweise spricht zum einen, dass der Schluss von der Umgrenzungsfunktion der Anklage auf die Hinweispflicht nach § 265 StPO nicht zwingend ist.[78] Zum anderen streitet die Informationsfunktion der Anklage im Gegenteil ganz generell für die Aufnahme der in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO angeführten – und neuerdings erweiterten – Rechtsfolgen in Anklage und Eröffnungsbeschluss[79] . Diese Sichtweise nimmt auch der 1. Senat in seiner Reaktion auf den Anfragebeschluss ein.[80]

6. Zwischenergebnis und Vorzug der Lösung

Wie dargelegt, ist bei reinen Subsumtions-Nova eine Hinweispflicht zu bejahen. Diese ergibt sich nach der hier vorgeschlagenen Ansicht aus der analogen Anwendung von § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Für diese Lösung spricht nicht nur die Sachnähe reiner Subsumtions-Nova zum Szenario des § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO, sondern auch folgender Vorzug in der rechtspraktischen Anwendung: Während eine direkte oder analoge Anwendung von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO zu Folge hätte, dass dem Beschuldigten nach § 265 Abs. 3 Alt. 2 StPO ein Anspruch auf Aussetzung erwächst, ist dies bei der analogen Anwendung aus § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht der Fall; denn dieser wird in Abs. 3 gerade nicht aufgeführt. Reine Subsumtions-Nova machen demnach in Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen Wertung[81] lediglich einen Hinweis nötig, geben aber keinen Anspruch auf Aussetzung. Eine Aussetzung steht hier im Ermessen des Gerichts, § 265 Abs. 4 StPO[82] .

IV. Zusammenfassung und Ausblick

Die Auslegung des Wortlauts von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO durch den 5. Strafsenat überzeugt: Von der Vorschrift erfasst werden lediglich neue Tatsachen, nicht die neue Subsumtion bereits bekannter Tatsachen. Aus der zutreffenden Analyse, dass also der Wortlaut reine Subsumtions-Nova nicht erfasst, folgt allerdings nicht, dass eine Hinweispflicht nicht besteht. Dies liegt daran, dass der Gesetzgeber in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO reine Sub-

sumtions-Nova nicht negativ, sondern gar nicht geregelt hat. Aufgrund dieser Regelungslücke besteht Raum für eine Analogie.

Vorzugswürdig ist im Falle der Subsumtions-Nova § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO analog anzuwenden. Denn diese Vorschrift schreibt einen Hinweis für den Fall vor, dass das Gericht das Vertrauen in die vormals abgegebene Bewertung der rechtlichen Lage enttäuscht. Weshalb die Maßnahme der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen von einer solchen Analogie ausgenommen werden sollte, ist nicht ersichtlich. Die analoge Anwendung des § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO für Subsumtions-Nova ist außerdem in der Rechtsfolge sachgerecht: der Beschuldigte wird auf den drohenden Vorwurf und dessen Folgen vollumfänglich hingewiesen. Im Gegensatz zum Bestreiten von Tatsachen-Nova, besteht jedoch kein Anspruch auf Aussetzung.

Man kann gespannt sein, wie die übrigen Senate auf den Anfragebeschluss reagieren. Der 1. Strafsenat hat bereits bekundet, an seiner hergebrachten direkten Anwendung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO festzuhalten (Nova im Sinne der Vorschrift sind auch bekannte Tatsachen, deren Bedeutung erst in der Hauptverhandlung erkannt wird).[83] Das ist mit Blick auf das Ergebnis überzeugend. Um den Wortlautbedenken des 5. Strafsenats Rechnung zu tragen, könnte jedoch als methodischer Weg dorthin eine Analogie die plausiblere Lösung sein. Darüber hinaus wird interessant sein, wie die Idee des 5. Strafsenates aufgenommen wird, die Einziehung (des Wertes) von Taterträgen qua Kondiktionsähnlichkeit einer besonderen Behandlung zugänglich zu erachten. Hier hat der 1. Strafsenat dargelegt, dass zur unterschiedlichen Behandlung von Maßregeln und Einziehung mit Blick auf die Hinweispflicht kein sachlicher Grund bestehe.[84]


[1] Zum Zweck SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn. 2.

[2] Vgl. zum Regelungsregime Beulke/Swoboda, StPO, 14. Aufl. (2018), Rn. 384 f.

[3] Siehe ausführlich die Beispiele aus der Rechtsprechung LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn. 38 f.

[4] Mittlerweile wurde der Abs. 2 um weitere Nummern ergänzt, siehe zur Erweiterung III.1.

[5] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 2-6.

[6] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 7-10.

[7] BGH 1 StR 186/18 – Beschl. v. 6. Dezember 2018 = HRRS 2019, Nr. 538, Rn. 23.

[8] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn 12 u. 34.

[9] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 13.

[10] BGH, 1 StR 186/18 – Beschl. v. 6. Dezember 2018 = HRRS 2019, Nr. 538.

[11] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 16 f.

[12] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 19.

[13] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 20.

[14] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 21. Auch die Gesetzesmaterialen sprächen gegen eine solche Ausweitung der Hinweispflicht, siehe Rn. 22.

[15] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 23-30.

[16] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 32.

[17] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  22-24; Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn.  44; S/S/W-StPO/Rosenau, 3. Aufl. (2018), § 265 Rn.  24 u. 28; HK-StPO/Julius/Beckemper, 6. Aufl. (2019), § 265 Rn.  8; AK-StPO/Loos, 1993, § 265 Rn. 7; LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn.  40 (für den – nach alter Rechtslage mit Ausnahme der Maßregeln – nicht ausdrücklich erfassten Fall der Rechtsfolgen soll dies in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 dann gelten, wenn die Anordnung der Rechtsfolge von besonderen Umständen oder dem Gerichtsermessen abhängt, siehe Rn. 72); KMR-StPO/Stuckenberg, 94. Lfg. (2019), § 265 Rn.  32 (und Rn. 54 bzgl. Rechtsfolgen); MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn.  31 (der aber andeutet, dass der Wortlaut für die Herausnahme reiner Subsumtions-Nova aus Abs. 2 Nr. 1 spreche).

[18] Vgl. Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn. 44; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 62. Aufl. (2019), § 265 Rn. 17a und 20.

[19] BGHSt 18, 288, 289 (= BGH 1 StR 54/63 – Urteil vom 12. März 1963 ); zustimmend Schlothauer StV 1986, 213, 218; siehe zur Kritik an der Ausdehnung der Rechtsprechung des 1. Strafsenats auf Maßregeln insgesamt ( BGH, 1 StR 186/18 – Beschl. v. 6. Dezember 2018 = HRRS 2019, Nr. 538.) , welche durch Entscheidungen der anderen Senate nicht gestützt werde, die Ausführungen des 5. Strafsenats BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 (= HRRS 2019, Nr. 1054), Rn.  24 f. So weise der 3. Strafsenat in BGHSt 2, 85, 87 (= BGH 3 StR 596/51 – Urt. v. 27. September 1951) auf eine neue tatsächliche Subsumtions-Voraussetzung (dort: Ausnutzen der beruflichen Tätigkeit zu einem seinen Berufsaufgaben zuwiderlaufenden Zweck) hin.

[20] BGH 1 StR 186/18 – Beschl. v. 6. Dezember 2018 = HRRS 2019, Nr. 538, Rn. 23. Diese Rechtsprechung bestätigend BGH 1 StR 471/18 – Beschl. v. 26. April 2019 Rn. 13.

[21] Siehe dazu sogleich bei III.1.

[22] BGHSt 29, 274, 279 (= BGH 4 StR 172/80 – Beschl. v. 8. Mai 1980); ebenso KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl. (2019), § 265 Rn.  14.

[23] Aus BGHSt 29, 274, 279 lässt sich die für Subsumtions-Nova kritisierte Differenzierung zwischen den (ehemaligen) Alternativen des Abs. 2 (keine Hinweispflicht bei straferhöhenden Umständen; Hinweispflicht bei Maßregeln) nicht entnehmen. Für beide Fälle fordert der 4. Strafsenat dort die Notwendigkeit neuer Tatbestandsvoraussetzungen, insofern neue tatsächliche Umstände. Insofern zutreffend die kritische Analyse des 5. Strafsenats bei BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 20 und 24 ff.

[24] RGBl. 1933, Teil I, S. 1000, 1002.

[25] BGBl. 2017, Teil I, S. 3202, 3210.

[26] Qualifikationen fallen unstrittig darunter. Siehe zur weiteren Auslegung HK-StPO/Julius/Beckemper, 6. Aufl. (2019), § 265 Rn. 7; S/S/W-StPO/Rosenau, 3. Aufl. (2018), § 265 Rn. 25.

[27] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  22 ff.; Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn.  44; S/S/W-StPO/Rosenau, 3.  Aufl. (2018), § 265 Rn.  24; HK-StPO/Julius/Beckemper, 6. Aufl. (2019), § 265 Rn.  8; KMR-StPO/Stuckenberg, 94. Lfg. (2019), § 265 Rn.  32; AK-StPO/Loos, 1993, § 265 Rn. 7; LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn.  40; MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn.  31.

[28] A.A. KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl. (2019), § 265 Rn.  14.

[29] Schlothauer StV 1986, 213, 222; SK-StPO/Velten, V, 5.  Aufl. (2016), § 265 Rn. 24; S/S/W-StPO/Rosenau, 3.  Aufl. (2018), § 265 Rn.  24; siehe i.E. auch – mit unterschiedlicher Nuancierung – die übrigen Ansichten in Fn.  27 . Ebenfalls auf die erst in der Hauptverhandlung bekannt gewordene Bedeutung der Umstände abstellend BGH 1 StR 186/18 – Beschl. v. 6. Dezember 2018 = HRRS 2019, Nr. 538, Rn. 23.

[30] Diese Schutzwürdigkeitsüberlegung unterstreicht der 1. Senat in seiner Reaktion auf den Anfragebeschluss, siehe BGH 1 ARs 14/19 – Beschl. v. 10. Oktober 2019 = HRRS 2019, Nr. 1228, Rn. 16: Die Sachverhaltskenntnis allein hilft nicht, es kommt vielmehr darauf an, dass der Angeklagte mit einer solchen Rechtsfolgenentscheidung rechnet und sich entsprechend verteidigen kann.

[31] BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054, Rn. 21; Wortlautbedenken hegt auch MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn.  31, der jedoch Systematik und Funktion den Vorrang einräumt.

[32] In Parallelität zur Aufklärung neuer tatsächlicher Umstände liegt die zweite Deutung nahe: denn neu ist nicht die Entdeckung, sondern das Entdeckte.

[33] Zumindest in den für Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 relevanten Vorschriften. Unter die Strafbarkeit erhöhenden Umstände (Var. 1) fallen unbestritten die von Qualifikationen beschriebenen Umstände. Siehe zur weiteren Auslegung etwa Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn.  46 ff.

[34] siehe dazu III.4.

[35] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn. 2; Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil I, 2. Aufl. (1964), Rn. 377; Wachsmuth ZRP 2006, 121, 123.

[36] Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 3 Abteilung 2, 2. Aufl. (1886), 1587: "Umstände, welche, ohne den rechtlichen Charakter der That zu ändern, lediglich auf den Beweis derselben sich beziehen, gelangen nicht weiter in Betracht; jedoch können auch sie geeignet sein, das Gericht zu bestimmen, von einer sofortigen Aburtheilung der That abzusehen", also unter Abs. 4 fallen.

[37] Siehe etwa Gillmeister, in: Bandisch (Hrsg.), FG-Friebertshäuser, Die Hinweispflicht des Tatrichters, 1997, 223, 224 ff.

[38] Dazu Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn. 67: Obgleich "weitgehend Konsens" bezüglich der Korrekturbedürftigkeit herrschte, bestand vor der Gesetzesnovelle Streit über die rechtliche Grundlage der Hinweispflicht (und damit auch über die Art und Weise des Hinweises und die Protokollierungsbedürftigkeit).

[39] Siehe zur Auslegung der neuen, "relativ unbestimmten" Regelung der Nr. 3: BeckOK-StPO/Eschelbach, 35. Ed. (1.10.2019), § 265 Rn. 35 ff.; vgl. auch KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl. (2019), § 265 Rn. 18b; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 62. Aufl. (2019), § 265 Rn. 22 ff.

[40] So wohl SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn. 15; so lässt sich auch BGHSt 29, 274, 279 (= BGH 4 StR 172/80 – Beschl. v. 8. Mai 1980) lesen.

[41] So etwa Wachsmuth ZRP 2006, 121, 123, die jedoch eine Beschränkung auf tatsächliche Umstände inhaltlich nicht für überzeugend hält. Statt die dadurch entstehenden Schutzlücken durch eine (nach Wachsmuth) inkonsistente entsprechende Anwendung von Abs. 2 zu auszugleichen, plädiert sie für eine Neufassung (ebd., 123 f.).

[42] BeckOK-StPO/Eschelbach, 35. Ed. (1.10.2019), § 265 Rn.  9 für Abs. 1, Rn. 4 und 30 für Abs. 2 (die Pflicht folge aus Art. 103 Abs. 1 GG).

[43] Vgl. zum Vorliegen einer nachträglichen Regelungslücke bei § 265 StPO LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn. 75 (wegen der irrigen Einschätzung des Gesetzgebers, dass der Angeklagte Änderungen der Tatsachengrundlage in der Hauptverhandlung ohnehin erkennen werde) und Rn. 72 (bzgl. der überholten Vorstellung, dass der Angeklagte sich selbst über die Rechtsfolgen unterrichten müsse).

[44] Vgl. dazu Gillmeister (Fn.  37 ), 223, 236 ("Der Anspruch auf ein Rechtsgespräch").

[45] Dieser Differenzierung folgt auch AnwK-StPO/Martis, 2. Aufl. (2010), § 265 Rn. 5: Wenn sich eine Änderung gegenüber dem in der Anklage präzise dargelegten Sachverhalt ergibt, so soll ein Hinweis nötig sein; ist die Anklageschrift bzgl. gewisser Aspekte notwendig ungenau, ist ein Hinweis grundsätzlich nicht nötig, sofern die Konkretisierung sich aus dem Gang der Verhandlung ergeben.

[46] Küpper NStZ 1986, 249, 253.

[47] Darunter passen (sofern sie auf neuer Sachverhaltserkenntnis fußen) danach ebenfalls die Fälle, in denen andere Begehungsforen innerhalb eines Straftatbestands angenommen werden (etwa widerrechtliches Eindringen statt unbefugtes Verweilen bei § 123 StGB), siehe dazu MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn.  22 ff.

[48] Vgl. zur nachträglichen Konkretisierung der Anklage BeckOK-StPO/Eschelbach, 35. Ed. (1.10.2019), § 265 Rn.  19-21, die tlw. unter den neuen Abs. 2 Nr. 3 fallen dürften.

[49] Siehe zur Frage einer Hinweispflicht bei Konkretisierungen der Anklage, die sich nicht auf die rechtliche Wertung auswirken SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn. 46.

[50] Denkbar wäre dies fast nur theoretisch, wenn etwa in der Hauptverhandlung nach Verlesung der Anklage keine Beweisaufnahme stattfindet, der Angeklagte lediglich mit einem Satz bestätigt, dass es sich genauso zugetragen habe und das Gericht dennoch eine zum Eröffnungsbeschluss differente Subsumtion vornimmt.

[51] Man mag begrüßen, dass der weite Wortlaut des Abs. 1 dennoch reine Subsumtions-Nova abdeckt, also den Wortlaut über den Regelungsgedanken stellen; doch auch wenn man den Regelungsgedanken priorisiert, ist freilich eine analoge Anwendung im Fall der reinen Subsumtions-Nova anzunehmen, wie sie hier für die Subsumtions-Nova in Abs. 2 Nr. 1 befürwortet wird (siehe III.4).

[52] Überdies kann man fragen, ob das Szenario der Änderung der Rechtsprechung, das – neben dem Fall der geänderten Bewertung des Tatgerichts – als Fall rein rechtlicher Neubewertung bei gleicher Sachlage angeführt wird (BeckOK-StPO/Eschelbach, 35. Ed.[1.10.2019], § 265 Rn. 16), vom Gesetzgeber in Abs. 1 bewusst bedacht war. Denn dieser Fall der Rechtsprechungsänderung wäre doch für die straferhöhenden Umstände in Abs. 2 ebenfalls als hinweispflicht-erfordernd zu regeln gewesen, wenn etwa infolge einer Rechtsprechungsänderung eine Qualifikation entgegen der bisherigen Auslegung als erfüllt angesehen wird (Darauf weist bereits Wachsmuth ZRP 2006, 121, 122 hin, die allerdings zu einer anderen Lösung gelangt, siehe Fn.  41 .).

[53] So verstehe ich Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn. 14. Minimale Errata, die keine Auswirkungen für die Verständlichkeit des Vorwurfs durch den Angeklagten bewirken, lösen im Gegensatz dazu keine Hinweispflicht aus, siehe ebd.

[54] Diese Regelungslücke wurde, so lässt sich der Hinweis des 5. Strafsenats auf die Gesetzgebermaterialien verstehen (BGH 5 StR 20/19 – Beschl. v. 18. Juni 2019 = HRRS 2019, Nr. 1054. Rn. 15 u. 22), auch durch die Novelle aus dem Jahr 2017 nicht geschlossen.

[55] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  22 ff.; Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn.  44; S/S/W-StPO/Rosenau, 3.  Aufl. (2018), § 265 Rn.  24; HK-StPO/Julius/Beckemper, 6. Aufl. (2019), § 265 Rn.  8; KMR-StPO/Stuckenberg, 94. Lfg. (2019), § 265 Rn.  32; AK-StPO/Loos, 1993, § 265 Rn. 7; LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn.  40; MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn.  31. Siehe dazu bereits oben bei Fn.  27 .

[56] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  24.

[57] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  24.

[58] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  48.

[59] Eindringlich Gillmeister (Fn.  37 ), 223, 238 f. (unter Heranziehung von BVerfG NJW 1996, 3202).

[60] Und nach der Erweiterung des Abs. 2 Nr. 1 auch bzgl. der dort aufgeführten Rechtsfolgen, dazu sogleich bei III.5.

[61] Vgl. zu den nach Nr. 2 offenen Fragen KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl. (2019), § 265 Rn.  17.

[62] Vgl. bereits BVerfG NJW 1996, 3202, worauf Gillmeister (Fn.  37 ), 223, 237 f. hinweist.

[63] Freilich ist das Gericht nicht an die rechtliche Bewertung im Eröffnungsbeschluss gebunden, § 264 Abs. 2 StPO; macht es jedoch von dieser Freiheit Gebrauch, so greift der Schutz der Hinweispflicht des § 265 Abs. 1 und 2 StPO, siehe Beulke/Swoboda , StPO, 14. Aufl. (2018), Rn.  385.

[64] Zu beachten ist, dass die früher vertretene Auffassung, in Fällen der analogen Anwendung des § 265 StPO einen formlosen Hinweis genügen zu lassen (siehe dazu BGH 1 StR 186/18 – Beschl. v. 6. Dezember 2018 = HRRS 2019, Nr. 538, Rn. 25), aufgrund der nunmehr expliziten Hinweispflicht bei Abweichungen von Bewertungen in Abs. 2 Nr. 2 nicht mehr überzeugt.

[65] RGBl. 1933, Teil I, S. 1000, 1002.

[66] BGBl. 2017, Teil I, S. 3202, 3210.

[67] Auch nach der Rechtslage vor 2017, war für Rechtsfolgen in der Literatur eine analoge Anwendung anerkannt, vgl. SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  47 m.w.N.

[68] Kritisch dazu BGH 1 ARs 14/19 – Beschl. v. 10. Oktober 2019 = HRRS 2019, Nr. 1228, Rn. 20, wo darauf hingewiesen wird, dass die Frage des Erlangten durchaus gesonderte Feststellung erfordern kann und so eine Verteidigung notwendig machen kann.

[69] BGH 1 StR 186/18 – Beschl. v. 6. Dezember 2018 = HRRS 2019, Nr. 538, Rn. 29 f.

[70] Siehe zum Strafcharakter etwa S/S-StGB/Eser/Schuster, 30. Aufl. (2019), § 73a Rn. 2a.

[71] Siehe zum Sicherungscharakter nur S/S-StGB/Eser/Schuster, 30. Aufl. (2019), § 74b Rn. 2.

[72] Ähnlich weist auch der 1. Senat darauf hin, dass etliche Maßregeln der Besserung und Sicherung zwingend anzuordnen seien und umgekehrt auch einige Einziehungsvorschriften Ermessen verlangen. Insofern sei das Kriterium der zwingenden Anordnung nicht geeignet, eine Ungleichbehandlung von Einziehung und Maßregeln zu rechtfertigen, BGH 1 ARs 14/19 – Beschl. v. 10. Oktober 2019 = HRRS 2019, Nr. 1228, Rn. 18.

[73] MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn. 31.

[74] MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn.  47 mit Verweis auf Wachsmuth ZRP 2006, 121, 123.

[75] SK-StPO/Velten, V, 5. Aufl. (2016), § 265 Rn.  48.

[76] Das Verhältnis von § 265 StPO zum Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. zur Verfahrensfairness ist freilich komplex und umstritten, vgl. näher LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn. 6 m.w.N.

[77] Dazu MK-StPO/Norouzi, 2016, § 265 Rn. 47.

[78] Kritisch zu dieser Argumentation LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn.  72; ebenso Schlothauer StV 1986, 213, 220: "Allein durch den Rückgriff auf die Anforderungen der gerichtlich zugelassenen Anklage lässt sich jedoch der Umfang der richterlichen Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 nicht bestimmen."

[79] LR-StPO/Stuckenberg, V/2, 26. Aufl. (2013), § 265 Rn.  72; KMR-StPO/Stuckenberg, 94. Lfg. (2019), § 265 Rn. 54; Radtke/Hohmann/Radtke, 2011, § 265 Rn. 87. Das Argument von der Informationsfunktion der Anklageschrift dürfte nach der Erweiterung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO noch stärker gelten.

[80] BGH 1 ARs 14/19 – Beschl. v. 10. Oktober 2019 = HRRS 2019, Nr. 1228, Rn. 24.

[81] Es ließe sich argumentieren, dass die Verteidigung ein Bestreiten einer Tatsache erst bedenken dürfte, wenn Klarheit über die Subsumtionsrelevanz besteht – insofern die Situation derjenigen einer neuen Tatsache entspricht (insofern eine Analogie zu Abs. 2 Nr. 1 StPO, der die Folgen des Abs. 3 eröffnet, überzeugender wäre). Hiergegen spricht allerdings die klare Wertung des Gesetzgebers, dass Änderungen der rechtlichen Beurteilung nur dann zur Aussetzung führen sollen, wenn es dem Gericht angemessen erscheint (vgl. Abs. 2 Nr. 2).

[82] Dieser fordert zwar eine veränderte Sachlage. Darunter fällt allerdings auch die Veränderung der Verfahrenslage (etwa wenn eine veränderte Strategie für Verteidigung oder Anklage nötig wird), siehe S/S/W-StPO/Rosenau, 3. Aufl. (2018), § 265 Rn.  41; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl. (2019), § 265 Rn.  32. Hierunter müsste man Subsumtions-Nova im Einzelfall fassen.

[83] BGH 1 ARs 14/19 – Beschl. v. 10. Oktober 2019 = HRRS 2019, Nr. 1228, Rn. 10 ff. Dabei belässt es der 1. Strafsenat bei dem Hinweis, dass es sich um "vom Wortlaut gedeckte[s]Verständnis" handelt (ebd., Rn. 10). Siehe dazu die Bedenken bei III.1.

[84] BGH 1 ARs 14/19 – Beschl. v. 10. Oktober 2019 = HRRS 2019, Nr. 1228, Rn 17 ff. Über das oben Angesprochene hinaus, erblickt der 1. Strafsenat in der Heranziehung der Offensichtlichkeit bzw. der Zwangsläufigkeit der Rechtsfolge (der Einziehung) eine Konfundierung mit dem revisionsrechtlichen Kontrollmaßstab der Beruhensprüfung bei § 337 StPO (ebd., Rn. 21).