HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2020
21. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

170. BGH 2 StR 563/18 – Urteil vom 11. September 2019 (LG Hanau)

Begehen durch Unterlassen (Garantenstellung aufgrund: Zugehörigkeit zu einer Gefahrengemeinschaft, tatsächlicher Übernahme kraft Kenntnis von Hilfsbedürftigkeit, abgebrochener Hilfeleistung, Ingerenz nach Abgabe nicht regulierter Rauschmittel, Eröffnung einer Gefahrenquelle bei eigenmächtigem Verhalten eines Dritten; eigenverantwortliche Selbstgefährdung).

§ 13 Abs. 1 StGB; § 323c Abs. 1 StGB; § 212 StGB

1. Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft kann gegenseitige Hilfspflichten und damit eine Garantenstellung begründen, wenn darüber hinaus erkennbar eine Schutzfunktion gegenüber Hilfsbedürftigen aus der Gruppe übernommen wird. Davon abzugrenzen sind lose Zusammenschlüsse etwa von Zechkumpanen oder auch von Rauschgiftkonsumenten, bei denen es regelmäßig an der Übernahme einer Beistandspflicht fehlen wird. Auch dass sich mehrere Personen zufällig in derselben Gefahrensituation befinden, begründet noch nicht die Annahme einer gegenseitigen rechtlichen Pflicht zur Unterstützung.

2. Grund für eine Garantenstellung ist das Einstehenmüssen aufgrund einer tatsächlichen Übernahme von Verantwortung. Diese Voraussetzungen werden nicht ersetzt durch die bloße Kenntnis von Hilfsbedürftigkeit, die lediglich Pflichten nach § 323c StGB begründet. Soweit eine besondere Kenntnis über den Grad und das Ausmaß der Gefahr besteht, hat dies lediglich Einfluss auf das Maß dessen, was der nach § 323c StGB Hilfeleistungspflichtige zu unternehmen hat.

3. In einer ersten Hilfeleistung liegt keine konkludente Zusage, sich weiter um den Geschädigten zu kümmern, wenn sich sein Zustand nicht bessert. Allein daraus, dass jemand einem Hilfsbedürftigen beisteht, ergibt sich – jedenfalls dann, wenn damit keine wesentliche Veränderung der Situation des Hilfsbedürftigen eingetreten ist – noch keine Garantenpflicht zur Vollendung einer begonnenen Hilfeleistung.

4. Eine Garantenstellung kann sich auch aus einem pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhalten ergeben. Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist allgemein nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein pflichtwidriges Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht. Im Zusammenhang mit der Abgabe von Betäubungsmitteln bzw. der Unterstützung des Konsums von Rauschgift durch einen Dritten hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass dies jedenfalls dann pflichtwidrig ist, soweit dies strafbar ist.

5. Eine generelle Verpflichtung des Eigentümers eines weder vom Betäubungsmittel- noch vom Arzneimittelgesetz erfassten Mittels, besondere Vorkehrungen gegen selbstschädigenden Missbrauch zu treffen, führte zur Auferlegung von Verpflichtungen, die die freie Verfügbarkeit konterkarieren.

6. Ein nicht pflichtwidriges Verhalten, das zwar kausal eine Gefahr herbeiführt, die unmittelbar aber erst durch das verantwortungsvolle Handeln eines Dritten begründet wird, kann nicht zu einer Garantenstellung führen. Die Strafrechtsordnung verlangt grundsätzlich nur, dass jeder sein Verhalten so einrichtet, dass er selbst Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber auch darauf, dass andere dies nicht tun.

7. Die Eröffnung der Gefahrenquelle muss die „nahe liegende Gefahr“ hervorrufen, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden. Daran fehlt es, wenn eine eingeräumte unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den an sich gefährlichen Gegenstand nicht besteht, der Zugriff im Gegenteil sogar verweigert wird und im Übrigen nicht voraussehbar ist, dass ein anderer den Gegenstand gleichwohl an sich nehmen wird.


Entscheidung

184. BGH 4 StR 500/19 – Beschluss vom 21. November 2019 (LG Arnsberg)

Rücktritt (Freiwilligkeit); Grundsätze der Strafzumessung (Doppelverwertungsverbot: Altersgefälle bei Missbrauch eines Kindes).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

1. Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

2. Die Berücksichtigung eines „großen Altersunterschiedes“ zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten zu dessen Lasten kann bezüglich des sexuellen Missbrauchs eines Kindes einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB darstellen. Das Bestehen eines Altersgefälles zwischen Täter und Opfer als solchem ist in dem Schutzzweck des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs eines Kindes und der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren angelegt. Eine nicht unerhebliche Höhe dieses Altersgefälles ist für Taten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes zumindest typisch.


Entscheidung

113. BGH 3 StR 323/19 – Beschluss vom 26. November 2019 (LG Düsseldorf)

Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe beim Betrug durch den Vertrieb von Aktien (Tatherrschaft; Interesse am Taterfolg; wertende Gesamtbetrachtung; untergeordnete Hilfstätigkeiten; keine Beteiligung am eigentlichen Verkaufsgeschehen).

§ 263 StGB; § 25 StGB; § 27 StGB

Wer im Rahmen einer dem betrügerischen Vertrieb von Aktien durch Telefonverkäufe dienenden Organisation lediglich untergeordnete Hilfstätigkeiten verrichtet (z. B. vorgefertigte Materialien versendet, Anrufe entgegennimmt und weiterleitet oder Rückrufbitten notiert), ohne in die eigentlichen Verkaufsvorgänge involviert zu sein, ist regelmäßig auch dann kein Mittäter der durch die Verkäufe begangenen Betrugsdelikte, wenn er ein erhebliches Interesse am Erfolg der Tat hat.


Entscheidung

178. BGH 4 StR 348/19 – Beschluss vom 25. September 2019 (LG Arnsberg)

Vorsatz (dolus subsequens); Urteilsgründe (Widerspruchsfreiheit hinsichtlich des Vorsatzes).

§ 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; § 261 StPO; § 267 StPO

1. Bei einem Erfolgsdelikt muss der Täter im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung einen Vorsatz haben, der auf alle tatsächlichen Umstände bezogen ist, die die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands erfüllen (§ 16 Abs. 1 StGB). Ein der erfolgsursächlichen Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos.

2. Sowohl die dazu getroffenen Feststellungen und Wertungen als auch die sie tragende Beweiswürdigung müssen dabei in sich widerspruchsfrei sein.


Entscheidung

181. BGH 4 StR 485/19 – Beschluss vom 17. Dezember 2019 (LG Dessau-Roßlau)

Vorsatz (bedingter Vorsatz); Brandstiftung (Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorsatzes).

§ 15 StGB; § 306 StGB; § 306a StGB

1. Bedingter Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen, bei welcher die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Gegebenheiten zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tat-

handlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement darstellt.

2. Bei der Prüfung eines auf die Inbrandsetzung eines Wohngebäudes gerichteten bedingten Vorsatzes sind in die vorzunehmende Gesamtabwägung aller im Einzelfall maßgeblichen Umstände insbesondere die baulichen Gegebenheiten und die sonstige Beschaffenheit des Tatobjekts, die Vorgehensweise des Täters, die aus der konkreten Angriffsweise resultierende Gefährdung des Tatobjekts sowie die psychische Verfassung des Täters und seine Motivlage einzubeziehen.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

124. BGH 3 StR 521/18 – Urteil vom 17. Oktober 2019 (LG Osnabrück)

BGHR; banden- und gewerbsmäßige Hehlerei (persönliche Merkmale; Beihilfe; Durchbrechung der Akzessorietät; Mittäterschaft; Zurechnung von Bandentaten); Urkundenfälschung durch Verändern der Fahrzeugidentifikationsnummer eines Kfz (Gebrauchen einer Urkunde); mittelbare Falschbeurkundung (Zulassungsbescheinigung Teil I als öffentliche Urkunde); Geldwäsche; Einziehung von Taterträgen.

§ 27 Abs. 1 StGB; § 28 Abs. 2 StGB; § 259 Abs. 1 StGB; § 260a Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 und 4 StGB; § 271 StGB; § 261 StGB; § 73 StGB

1. Handelt der Gehilfe einer Hehlerei gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat, macht er sich auch dann wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Bandenhehlerei strafbar, wenn der von ihm unterstützte Haupttäter diese besonderen persönlichen Merkmale nicht erfüllt. Das gilt entsprechend für die Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung. (BGHR)

2. Auch der Gesetzeswortlaut in § 260a Abs. 1 StGB steht der Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB nicht entgegen, falls sich nicht der Täter der Hehlerei, sondern ausschließlich dessen Gehilfe als Bandenmitglied betätigt. Aus der Formulierung „wer die Hehlerei als Mitglied einer Bande ... gewerbsmäßig begeht“ ergibt sich nicht, dass die Qualifikationsmerkmale beim Haupttäter vorhanden sein müssen. Wenngleich der Terminus „begehen“ in den §§ 25 ff. StGB zur Beschreibung täterschaftlichen Handelns verwendet wird, ist der Wortsinn nicht darauf begrenzt. (Bearbeiter)

3. Aus einer Bande heraus begangene Straftaten werden dem einzelnen Bandenmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede als eigene zugerechnet. Vielmehr ist hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, inwieweit sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt oder ob es insoweit keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet hat. (Bearbeiter)

4. Derjenige, der eine fremde Tat fördert (vgl. § 27 Abs. 1 StGB), braucht um Einzelheiten dieser Tat nicht zu wissen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr zu haben; von der Person des Täters braucht er keine Kenntnis zu haben. (Bearbeiter)

5. Bei der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) eines Kfz handelt es sich um ein vom Hersteller ausgestelltes Beweiszeichen, das mit dem Fahrzeug als Bezugsobjekt eine zusammengesetzte Urkunde bildet. Das Verändern der an einem Fahrzeug fest angebrachten FIN führt daher zu einer verfälschten Urkunde. (Bearbeiter)

6. Die Tathandlungsalternative des Gebrauchens einer Urkunde i.S.d. § 267 Abs. 1 StGB verwirklicht, wer die Urkunde demjenigen, der durch sie getäuscht werden soll, so gegenständlich zugänglich macht, dass dieser sie wahrnehmen kann. Dass der Täuschungsadressat vom Urkundeninhalt Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich. (Bearbeiter)


Entscheidung

146. BGH StB 21/19 – Beschluss vom 22. August 2019

Fortdauer der Untersuchungshaft wegen des dringenden Tatverdachts der Beihilfe zu einem aus politischen Motiven verübten Mord („Fall Lübcke“); politische Motivation als niedriger Beweggrund; Gehilfenvorsatz (Konkretisierung der Haupttat); Strafgerichtsbarkeit des Bundes (spezifisch staatsgefährdender Charakter; besondere Bedeutung).

§ 112 StPO; § 120 Abs. 2 GVG; § 211 StGB; § 27 StGB

1. Eine politische Tatmotivation ist jenseits des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG nach allgemeiner sittlicher Anschauung grundsätzlich verachtenswert und steht auf tiefster Stufe, da die bewusste Missachtung des Prinzips der Gewaltfreiheit der politischen Auseinandersetzung durch physische Vernichtung politischer Gegner mit der Rechtsordnung schlichtweg unvereinbar ist. Die Tötung eines Menschen aus politischen Gründen erfüllt demnach regelmäßig die Voraussetzung eines Mordes (§ 211 StGB) aus niedrigen Beweggründen.

2. Der spezifisch staatsgefährdende Charakter eines Katalogdelikts im Sinne von § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a GVG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Tat der Feindschaft des Täters gegen das freiheitlich-demokratische Staats- und Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland entspringt und er

seine Opfer nur deshalb auswählt, weil sie dieses System als Amtsträger oder in sonstiger Weise repräsentieren, oder ohne jeden persönlichen Bezug lediglich deshalb angreift, weil sie Bürger oder Einwohner der Bundesrepublik Deutschland sind oder sich im Bundesgebiet aufhalten.

3. Die besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn es sich bei der Tat unter Beachtung des Ausmaßes der eingetretenen Rechtsgutsverletzung um ein staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht handelt, das die Schutzgüter des Gesamtstaats in einer derart spezifischen Weise angreift, dass ein Einschreiten des Generalbundesanwalts und eine Aburteilung durch ein die Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten ist. Die Beurteilung der Bedeutung des Falles erfordert dabei eine Gesamtwürdigung der Umstände und Auswirkungen der Tat unter besonderer Berücksichtigung ihres Angriffs auf das jeweils betroffene Rechtsgut des Gesamtstaats, hier der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.

4. Allein die Schwere der Tat und das Ausmaß der von ihr hervorgerufenen Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter vermögen für sich die besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht zu begründen; allenfalls können die konkrete Tat- und Schuldschwere den Grad der Gefährdung bundesstaatlicher Belange mitbestimmen. Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung sind neben dem individuellen Schuld- und Unrechtsgehalt auch die konkreten Auswirkungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihr Erscheinungsbild gegenüber Staaten mit gleichen Wertvorstellungen in den Blick zu nehmen. Zudem ist zu beachten, welche Signalwirkung von der Tat für potentielle Nachahmer ausgeht.

5. Gehilfenvorsatz erfordert, dass der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern. Einzelheiten der Haupttat muss er dabei nicht kennen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr haben. Allerdings ist ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Der Hilfeleistende muss die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsatzes zumindest für möglich halten und billigen. Zudem muss der Hilfeleistende wissen, dass seine Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern.


Entscheidung

147. BGH 1 StR 182/19 – Urteil vom 19. Dezember 2019 (LG Kempten)

Untreue (Vermögensnachteil: keine Gesamtsaldierung bei einseitigen Geschäften; Konkurrenzverhältnis zum Betrug bei Täuschung durch Vermögensbetreuungspflichtigen).

§ 266 Abs. 1 StGB; § 263 Abs. 1 StGB; § 52 StGB

1. In dem Fall, in dem Täter sich Geld der Geschädigten auf sein Konto überweist, um damit ohne den festen Willen, das Geld zurückzuführen, Anlagegeschäfte in seinem Namen durchführt, bedarf es für die Feststellung eines Vermögensnachteils keine weiteren Feststellungen zum Risiko beziehungsweise zu dem Wert der vom Täter unter Einsatz der von den Geschädigten erlangten Beträge auf eigenen Namen abgeschlossenen Vermögensanlagen. Der Schaden beziehungsweise Vermögensnachteil ist mit dem Vermögensabfluss bei den jeweiligen Geschädigten eingetreten, ohne dass – anders, als bei einem erschlichenen Austauschgeschäft – für den anzustellenden Vermögensvergleich vor und nach der Vermögensverfügung ein etwaiger Gegenwert zu saldieren wäre.

2. Betrug und Untreue treffen tateinheitlich zusammen, wenn der Täter schon bei Vornahme der Täuschung in einem Treueverhältnis im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB zum Getäuschten oder dem zu Schädigenden steht (vgl. BGHSt 8, 254, 260 mwN). Die Untreue tritt in einem solchen Fall insbesondere nicht als mitbestrafte Nachtat zurück.


Entscheidung

115. BGH 3 StR 342/19 – Beschluss vom 13. November 2019 (LG Koblenz)

Gewahrsam (Wegnahme; Raub; Diebstahl; Vollendung; kleine Gegenstände; Einstecken in die Kleidung; kurzfristige Übergabe; Gewahrsamslockerung).

§ 242 StGB; § 249 StGB

Bei leicht beweglichen Sachen geringen Umfangs wird neuer Gewahrsam (vgl. §§ 242, 249 StGB) in der Regel durch das Einstecken in die eigene Kleidung begründet. Eine vermeintlich kurzfristige Übergabe eines Gegenstands begründet demgegenüber regelmäßig zunächst nur eine Gewahrsamslockerung.


Entscheidung

127. BGH 5 StR 333/19 – Urteil vom 9. Januar 2020 (LG Hamburg)

Geiselnahme (Bemächtigungslage; funktionaler Zusammenhang; Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe); schwere Vergewaltigung (Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs; anales Einführen eines Dildos; konkludente Drohung).

§ 177 Abs. 5, Abs. 8 StGB; § 239b StGB

Das Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs „bei der Tat“ im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Var. 2 StGB liegt in zeitlicher Hinsicht vor, wenn es zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung der Tat eingesetzt wird. Ein Verwenden kann auch bei einer (konkludenten) Drohung mit dem gefährlichen Werkzeug vorliegen. Dies kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn der Täter aufgrund der Nähe zum Tatopfer diesem jederzeit ohne weiteres mit dem Tatmittel Verletzungen beibringen kann und das Opfer wegen fortbestehender Angst vor dem gefährlichen Werkzeug den ungewollten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lässt.


Entscheidung

168. BGH 2 StR 415/19 – Beschluss vom 12. November 2019 (LG Kassel)

Mord (gemeingefährliches Mittel: Abgrenzung zur Mehrfachtötung).

§ 211 Abs. 2 Var. 7 StGB

Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht

in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters. Von dem Mordmerkmal tatbestandlich nicht erfasst wird eine „schlichte“ Mehrfachtötung; eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der Täter mit Tötungsabsicht gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Opfer richtet.


Entscheidung

125. BGH 3 StR 529/19 – Beschluss vom 10. Dezember 2019 (LG Krefeld)

Diebstahlsqualifikationen (schwerer Wohnungseinbruchsdiebstahl; schwerer Bandendiebstahl; Idealkonkurrenz; Konkurrenzen bei mehreren an einer Tatserie beteiligten Personen).

§ 242 StGB; § 244 Abs. 4 StGB; § 244a StGB; § 52 StGB

Der (hier versuchte) schwere Wohnungseinbruchdiebstahl und der (hier ebenfalls versuchte) schwere Bandendiebstahl stehen zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz. Das gilt unabhängig davon, ob der schwere Wohnungseinbruchdiebstahl nach § 244 Abs. 4 StGB (mangels Milderungsmöglichkeit in minder schweren Fällen) ein schwereres Unrecht darstellt als der schwere Bandendiebstahl nach § 244a StGB. Denn bei einem Zurücktreten des schweren Bandendiebstahls käme dessen gesonderter Unrechtsgehalt nicht zum Ausdruck. Eine Idealkonkurrenz zwischen beiden Tatbeständen entspricht zudem dem mehrfach im Gesetzgebungsverfahren bei Schaffung des § 244 Abs. 4 StGB geäußerten Willen des Gesetzgebers.


Entscheidung

166. BGH 2 StR 378/19 – Beschluss vom 19. November 2019 (LG Hanau)

Minder schwerer Fall des Totschlags (erforderlicher Zusammenhang zwischen Provokation und Tatbegehung).

§ 213 1. Alt. StGB

Die Provokation und der durch die Misshandlung hervorgerufene Zorn müssen im Zeitpunkt der Tatbegehung noch anhalten und als nicht durch rationale Abwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortwirken.


Entscheidung

140. BGH 5 StR 578/19 – Beschluss vom 10. Dezember 2019 (LG Bremen)

Tateinheitlich begangene Waffendelikte bei gleichzeitiger Ausübung der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen.

§ 52 WaffG; § 52 StGB

Durch die gleichzeitige Ausübung der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen werden alle in Bezug auf diese Waffen in der Besitzphase begangenen Verstöße gegen das Waffengesetz zu Tateinheit (§ 52 StGB) verbunden.