HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2018
19. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

457. BGH 5 StR 611/17 - Urteil vom 10. April 2018 (LG Hamburg)

BGHSt; fortbestehende Möglichkeit zum Verzicht auf eine Einziehungsanordnung bei freiwilligem Verzicht auf Rückgabe von Betäubungsmittelerlösen nach Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung; keine Anwendbarkeit der Übergangsvorschriften auf Regelungen über die Einziehung.

§ 73 StGB; § 74 StGB; 316h EGStGB

1. Hat ein Angeklagter wirksam auf die Rückgabe bei ihm sichergestellter Betäubungsmittelerlöse verzichtet, bedarf es auch aufgrund der seit 1. Juli 2017 geltenden §§ 73 ff. StGB regelmäßig keiner förmlichen Einziehung. (BGHSt)

2. Hat ein Angeklagter wirksam den aus seinem früheren Besitz erwachsenden Herausgabeanspruch bezüglich des durch Drogengeschäfte erlangten Geldes aufgegeben, so ginge dessen Einziehung ins Leere und wäre ungeeignet, ihr Ziel zu erreichen (und somit unverhältnismäßig). Da der Angeklagte nach § 134 BGB am Kauferlös kein Eigentum erwerben kann, könnte ihm mehr als das Besitzrecht auch nach § 73 StGB nicht entzogen werden. Einer dennoch vorgenommenen Einziehungsanordnung käme ihm gegenüber nur deklaratorische Bedeutung zu. (Bearbeiter)

3. Nach Art. 316h EGStGB sind lediglich die durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I 2017, S. 872) neu

gefassten Bestimmungen zur Einziehung von Taterträgen (§§ 73 ff. StGB), nicht aber die der Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten nach §§ 74 ff. StGB auch auf vor ihrem Inkrafttreten verübte Taten anwendbar. (Bearbeiter)


Entscheidung

414. BGH 4 StR 568/17 - Urteil vom 29. März 2018 (LG Detmold)

BGHSt; Verfall des Wertersatzes (anwendbare Übergangsvorschriften im Falle des nicht begründeten Unterbleibens einer Anordnung); Rechtsmittelbegründung (Möglichkeit der isolierten Anfechtung des Strafausspruchs: Unzulässigkeit im Einzelfall); Strafbemessung (eingeschränkte revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit); bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Vorliegen eines minder schweren Falles: Gesamtabwägung); Bildung der Gesamtstrafe (Anforderungen an den Begründungsaufwand).

§ 54 Abs. 1 StGB; § 73a Satz 1 StGB aF; Art. 316h Satz 2 EGStGB; § 30a Abs. 3 BtMG

1. Eine „Entscheidung über die Anordnung des Verfalls und des Verfalls von Wertersatz“ im Sinne von Art. 316h Satz 2 EGStGB ist auch das nicht begründete Unterbleiben der Anordnung einer dieser Maßnahmen in einem tatrichterlichen Urteil. (BGHSt)

2. Eine den Schuldspruch unberührt lassende isolierte Anfechtung des Strafausspruchs ist grundsätzlich möglich. Anderes gilt nur, wenn Umstände vorliegen, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung von Schuld- und Straffrage ergibt. Auch die Entscheidung über die Nichtanordnung eines Wertersatzverfalls kann getrennt vom Schuldspruch angefochten werden. (Bearbeiter)

3. Grundsätzlich besteht zwischen dem Strafausspruch und der Entscheidung über die Nichtanordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keine Wechselwirkung. Nur wenn sich den Urteilsgründen oder der Strafhöhe ausnahmsweise entnehmen lässt, dass der Strafausspruch von dem Unterbleiben der Maßregelanordnung beeinflusst sein kann, bestehen gegen die Trennbarkeit beider Entscheidungen Bedenken, sodass eine isolierte Anfechtung unzulässig wäre. (Bearbeiter)

4. Die Strafbemessung (Strafrahmenbestimmung, Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe) ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen. (Bearbeiter)

5. Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen. Dabei sind alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der außerordentliche Strafrahmen anzuwenden ist. (Bearbeiter)

6. Die Bemessung der Gesamtstrafe ist ein eigenständiger Zumessungsakt, bei dem die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend zu würdigen sind. Dabei sind vor allem das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander, ihre größere oder geringere Selbstständigkeit, die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Besteht zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang, hat die Erhöhung der Einsatzstrafe in der Regel geringer auszufallen. Auch hierbei braucht der Tatrichter nur die bestimmenden Zumessungsgründe im Urteil darzulegen. Eine Bezugnahme auf die zu den Einzelstrafen gemachten Ausführungen ist grundsätzlich zulässig. Einer eingehenderen Begründung bedarf es hingegen, wenn die Einsatzstrafe nur geringfügig überschritten oder die Summe der Einzelstrafen nahezu erreicht wird. (Bearbeiter)


Entscheidung

385. BGH 2 StR 150/15 - Urteil vom 10. Januar 2018 (LG Köln)

Strafzumessung (Tötungsabsicht als strafschärfender Umstand: gebotene Einzelfallbetrachtung, kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot).

§ 46 StGB; § 15 StGB; § 212 StGB

1. Tötungsabsicht kann ein taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein. Die Frage, ob in der festgestellten Tötungsabsicht ein die Strafhöhe beeinflussender, bestimmender Strafschärfungsgrund zu sehen ist, kann aber nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls getroffen werden. Die Entscheidung hierüber obliegt dem Tatrichter, der hier – wie stets im Rahmen der Strafzumessung – gehalten ist, gegenläufig wirkende strafmildernde Umstände im konkreten Einzelfall zu berücksichtigen.

2. Die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht verstößt grundsätzlich nicht gegen das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB). Mit der Tötungsabsicht verbindet sich regelmäßig – ergibt sich nicht aus gegenläufig zu gewichtenden Umständen eine andere Beurteilung des Handlungsunrechts – eine erhöhte Tatschuld des absichtsvoll Tötenden.

3. Offen bleiben kann, ob eine isolierte Negativbewertung der Tötungsabsicht rechtlich unbedenklich ist. Eine solche darf jedenfalls nicht zu einer schematischen Betrachtungsweise führen; der Tatrichter hat je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls auch die das Handlungsunrecht mildernden Umstände in den Blick zu nehmen.


Entscheidung

430. BGH 4 StR 57/18 - Beschluss vom 12. März 2018 (LG Essen)

Einziehung des Wertes von Taterträgen (Haftung als Gesamtschuldner: keine Rechtsänderung).

§ 73a StGB aF; § 73c StGB; Art. 316h Satz 1 EGStGB

Haben die Angeklagten als Mittäter Mitverfügungsgewalt an einem Teilbetrag, haften sie für diesen Teilbetrag nur als Gesamtschuldner, was bereits im tatrichterlichen Urteil ausdrücklich anzuordnen ist. § 73c StGB in der hier geltenden Fassung (vgl. Art. 316h Satz 1 EGStGB) des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) hat die Regelung des § 73a StGB aF auch insoweit ohne inhaltliche Änderung übernommen.


Entscheidung

376. BGH 1 StR 228/17 - Beschluss vom 8. Februar 2018 (LG Regensburg)

Strafzumessung (Kategorisierung nach der Schadenshöhe bei einer Vielzahl gleichartiger Vermögensstraftaten); Tateinheit (natürliche Handlungseinheit).

§ 46 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB

1. Zwar erfordert das Schuldmaßprinzip (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) regelmäßig eine differenzierende Zumessung der Einzelstrafen (vgl. BGH wistra 2011, 423, 424 Rn. 9), die eine an der Höhe der Schäden ausgerichtete Differenzierung der Einzelstrafen nahelegt (vgl. BGH wistra 1998, 269, 270). Dies schließt jedoch nicht aus, dass bei Vermögensstraftaten, denen gleichgelagerte Begehungsformen zugrunde liegen, eine Kategorisierung nach der Schadenshöhe erfolgen kann. Zwar muss diese immer am Maß des der konkreten Tat immanenten Schuldumfangs orientiert sein (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 72, 73). Allerdings kann bei Tatserien der durch die Einzeltat verursachte Vermögensschaden gegenüber der systematischen Vorgehensweise zur Herbeiführung eines Gesamtschadens dergestalt in den Hintergrund treten (vgl. BGHSt 53, 221, 232 f. Rn. 48), dass Schwankungen bei den Schadensbeträgen im Rahmen der fortgesetzten Tatbegehung bei der Bemessung der Einzelstrafen keine erhebliche Bedeutung mehr zukommt. Soweit dies der Fall ist, dürfen auch Taten mit unterschiedlichem Schadensumfang für die Bemessung der Einzelstrafen zu Gruppen zusammengefasst werden.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit voraus, dass ein Geschehen durch einen solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen gekennzeichnet ist, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen „objektiven Dritten“ bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches zusammengefasstes Tun darstellt (vgl. BGHSt 4, 219, 220).


Entscheidung

383. BGH 1 StR 663/17 - Beschluss vom 7. März 2018 (LG Bochum)

Strafzumessung (Zulässigkeit strafschärfender generalpräventiver Erwägungen).

§ 46 Abs. 1 StGB

Der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher rechtfertigt eine schwerere Strafe als sie sonst angemessen wäre nur dann, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist (vgl. BGH NStZ 2007, 702).


Entscheidung

429. BGH 4 StR 35/18 - Beschluss vom 12. März 2018 (LG Halle)

Verhängung in Tagessätzen (Bestimmung des Tagessatzes bei Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe).

§ 40 Abs. 2 Satz 3 StGB

Die Höhe des Tagessatzes zu bestimmen ist auch dann erforderlich, wenn aus Einzelgeldstrafen und Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird.