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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2017
18. Jahrgang
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1. Bei einem unter Verstoß gegen deutsche Straßenverkehrsvorschriften durchgeführten internationalen Transport kann – bei Vorliegen der sonstigen hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach § 29a OWiG – der Verfall in Höhe des gesamten Transportlohns angeordnet werden. (BGHSt)
2. Nach § 29a OWiG kann der Verfall eines Geldbetrages bis zu der Höhe angeordnet werden, die dem Wert des Erlangten entspricht. Maßgeblich ist daher die Bestimmung des wirtschaftlichen Wertes des Vorteils, welcher dem Täter infolge der mit Geldbuße bedrohten Handlung zugeflossen ist. Dabei muss – entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift („dadurch“) – eine unmittelbare Kausalbeziehung zwischen bußgeldbewehrter Handlung und erlangtem Vorteil bestehen; die hieran anknüpfende Abschöpfung hat spiegelbildlich dem Vermögensvorteil zu entsprechen, welcher aus der Begehung der mit Bußgeld bedrohten Handlung gezogen wurde. Bei einem internationalen Transport wird eine solche unmittelbare Kausalbeziehung zwischen der mit Bußgeld bedrohten Handlung und dem wirtschaftlichen Vorteil des gesamten Transportlohns nicht dadurch in Frage gestellt, dass nur auf einem Teilstück der Transportstrecke gegen Straßenverkehrsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland verstoßen wird. (Bearbeiter)
3. Zwar stellt nicht der (Gesamt-)Transport als solcher die mit Bußgeld bedrohte Handlung im Sinne von § 29a OWiG dar, sondern Anknüpfungspunkt des Verfalls ist nur der jeweilige Verstoß gegen deutsche Straßenverkehrsvorschriften- Dies steht der unmittelbaren Kausalbeziehung zwischen einem entsprechenden Verstoß und der Erlangung des gesamten Transportlohns jedoch nicht entgegen. Vielmehr besteht eine Ursächlichkeit auch dann, wenn mehrere Handlungen einen Erfolg erst durch ihr Zusammenwirken – kumulativ – herbeiführen. Ist daher die Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit conditio sine qua non für den entstandenen Vermögensvorteil, wurde dieser aus der mit Bußgeld bedrohten Handlung „gezogen“ und kann demnach abgeschöpft werden. Eine spiegelbildliche Entsprechung muss gerade nicht zwischen bußgeldbewehrter Handlung und Vermö-
gensvorteil bestehen, sondern nur zwischen dem gezogenen Vermögensvorteil und dem abgeschöpften Betrag. (Bearbeiter)
4. Die Anordnung des Verfalls für den gesamten Transportlohn verstößt nicht gegen das Territorialitätsprinzip nach § 5 OWiG. Diese Vorschrift eröffnet in Verbindung mit § 7 OWiG lediglich in räumlicher Hinsicht den Anwendungsbereich des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, hat jedoch keine materielle Aussagekraft über die Bestimmung des Erlangten im Rahmen des Verfalls nach § 29a OWiG. Die Vorschrift des § 5 OWiG ist vielmehr dem materiellen Recht vorgeschaltet. (Bearbeiter)
5. Ebenso wenig ist die bloße Möglichkeit einer mehrfachen Abschöpfung des Transportlohns in verschiedenen Ländern geeignet, den Begriff des Erlangten nach § 29a OWiG inhaltlich zu bestimmen oder den Anwendungsbereich der Vorschrift materiell zu begrenzen. Sollte eine mehrfache Abschöpfung in Rede stehen, kann diesem Umstand jedenfalls unter Opportunitätsgesichtspunkten im Rahmen des nach § 29a OWiG auszuübenden Ermessens Rechnung getragen werden. (Bearbeiter)
6. Bei einem Verstoß gegen ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt kommen die ersparten Kosten des Genehmigungsverfahrens grundsätzlich nicht als erlangtes Etwas in Betracht, da das bußgeldbewehrte Verhalten ohne tatsächlich erteilte Genehmigung nicht nur formell, sondern materiell rechtswidrig ist und die hypothetische Ermessensausübung der Verwaltungsbehörde nicht im Bußgeldverfahren ersetzt werden kann. (Bearbeiter)
1. Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss sind (st. Rspr.).
2. Ist eine konkrete Berechnung der Umsätze und Gewinne nicht möglich und kommen ausgehend von der vorhandenen Tatsachenbasis andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht, darf das Tatgericht die Besteuerungsgrundlagen gestützt auf die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen (vgl. BGH NZWiSt 2016, 354). Da es sich bei der Anwendung der Richtsätze aber um ein eher grobes Schätzungsverfahren handelt, müssen auch bei dieser Schätzungsmethode die festgestellten Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden.
3. Deshalb muss sich das Tatgericht bei der Beweiswürdigung zum Rohgewinnaufschlagsatz zwar einerseits nicht zugunsten eines Angeklagten an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben (vgl. BGH NStZ 2014, 337). Soweit Zweifel verbleiben, darf das Tatgericht aber andererseits auch nicht ohne Weiteres einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen (vgl. BGH NStZ 2016, 728). Auch bei Zugrundelegung des Mittelsatzes aus der amtlichen Richtsatzsammlung muss das Tatgericht daher in den Urteilsgründen ausführen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen es davon überzeugt ist, dass es sich um einen Betrieb handelt, bei dem jedenfalls dieser Mittelsatz erreicht ist.
4. Wenn der Tatrichter seine Überzeugung aufgrund eigener Schätzung bildet, muss er in diesem Fall in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, dass keine konkretere und damit genauere Schätzungsmethode zur Verfügung steht als die pauschale Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen (vgl. BGH NStZ 2016, 728).
1. Bei Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach müssen für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Höhe der zu zahlenden Arbeitsentgelte und des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse angegeben werden, weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet.
2. War ein Teil der Arbeitnehmer mit einem geringeren als dem tatsächlich gezahlten Lohn gemeldet und ist deshalb - anders als bei vollständig illegalen Beschäftigungsverhältnissen - davon auszugehen, dass die Arbeitnehmer dem Angeklagten ihre Lohnsteuerkarte vorgelegt haben, muss die Strafkammer angeben, welche Lohnsteuerklassen sie bei der Berechnung des fiktiven Bruttoarbeitsentgelts jeweils zugrunde gelegt hat.
3. Nach der Aufhebung einer Kompensationsentscheidung hat der neue Tatrichter das Verschlechterungsverbot zu beachten.
1. Die Strafvorschrift des Veruntreuens von Arbeitsentgelt, mit welcher der Gesetzgeber treuwidrige Verhaltensweisen des Arbeitgebers im Grenzbereich von Betrug und Untreue erfassen, stellt das heimliche Nichtabführen
von einbehaltenen Teilen des dem Arbeitnehmer zustehenden Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber unter Strafe. Erforderlich ist eine den Arbeitgeber treffende rechtliche Verpflichtung zur Abführung von Entgeltteilen des Arbeitnehmers an Dritte, die sich neben gesetzlichen Regelungen auch aus vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben kann.
2. Tatbestandlich geschützt sind ausschließlich Bestandteile des dem Arbeitnehmer zustehenden Entgelts. Zahlungen, die der Arbeitgeber aufgrund einer eigenen, wenn auch im Interesse der Arbeitnehmer bestehenden Beitragsverpflichtung zu erbringen hat, unterfallen der Strafnorm dagegen nicht.
3. Ob sich die seitens des Arbeitgebers unterbliebene Erbringung vertraglich vereinbarter Leistungen zur Altersvorsorge als Nichterfüllung einer eigenen Beitragsverpflichtung des Arbeitgebers oder als Nichtabführung einbehaltener Entgeltteile des Arbeitnehmers darstellt, beurteilt sich nach dem – gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden – Inhalt der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen einzel- und tarifvertraglich getroffenen Vereinbarungen.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegen die Voraussetzungen der Qualifikation aus § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG grundsätzlich nicht vor, wenn lediglich eine als Gehilfe am Grunddelikt strafbar beteiligte Person während des Tatzeitraums eine Schusswaffe oder einen sonstigen Gegenstand mit sich führt, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist. Ausreichend ist allerdings das Mitsichführen eines von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erfassten Gegenstandes durch einen Mittäter des betäubungsmittelrechtlichen Grunddelikts, wenn sich der gemeinsame Tatentschluss auf den Qualifikationstatbestand bezieht (vgl. BGHSt 48, 189, 192 ff.).
2. Wird aus Anlass der Straftat eines Jugendlichen oder Heranwachsenden dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, so wird gemäß § 5 Abs. 3 JGG – bei Heranwachsenden in Verbindung mit § 105 Abs. 1 JGG – von Jugendstrafe abgesehen, wenn die Maßregelanordnung eine solche Ahndung entbehrlich macht. Die spezifisch jugendstrafrechtliche Regelung ermöglicht es nach dem Verständnis des Bundesgerichtshofs, die im allgemeinen Strafrecht vorgesehene Kumulation von Strafe und freiheitsentziehender Maßregel zu vermeiden und dem Gedanken der Einspurigkeit im Jugendstrafrecht Rechnung zu tragen (vgl. BGHSt 39, 92, 95). Angesichts dessen ist das Tatgericht grundsätzlich gehalten, auch bei einem nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 JGG zu erörtern (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 354 mwN).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es nicht erforderlich, dass der Täter der Einfuhr von Betäubungsmitteln diese eigenhändig ins Inland verbringt, vielmehr kann auch derjenige, der die Betäubungsmittel nicht selbst nach Deutschland transportiert, (Mit-)Täter der Einfuhr des unmittelbar handelnden Täters sein. Auch der im Inland aufhältige Empfänger von Betäubungsmitteln aus dem Ausland kann wegen täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln strafbar sein, wenn er sie durch Dritte über die Grenze bringen lässt und dabei mit Täterwillen die Tatbestandsverwirklichung fördernde Beiträge leistet. Hat der Empfänger hingegen keinen Einfluss auf den Einfuhrvorgang und wartet nur darauf, dass der Lieferant ihm die eingeführten Betäubungsmittel bringt, kann er sich zwar im Hinblick auf die Bestellung des Rauschgifts wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafbar machen; die bloße Bereitschaft zur Entgegennahme der eingeführten Betäubungsmittel begründet aber weder die Stellung als Mittäter noch als Gehilfe der Einfuhr.
Es steht der Anwendbarkeit von § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG nicht entgegen, wenn der durch die Angaben des Angeklagten - zur Überzeugung des Tatrichters der Sache nach zutreffend - Belastete bisher noch nicht ergriffen werden konnte (vgl. BGH NStZ 2003, 162 f.). Ein Aufklärungserfolg setzt nicht die Verurteilung oder Festnahme des von dem Täter Belasteten voraus, sondern ist schon dann anzunehmen, wenn zur Überzeugung des Gerichts durch seine Angaben, insbesondere eine für Fahndungsmaßnahmen ausreichende Bezeichnung der von ihm belasteten Person, die Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung eines Strafverfahrens im Falle der Ergreifung geschaffen wurden (vgl. BGH StV 2000, 318).
Allein der gleichzeitige Besitz zum Handel bestimmter Betäubungsmittelmengen aus verschiedenen Liefervorgängen ist nicht geeignet, Tateinheit zwischen den selbständigen Taten des Handeltreibens zu begründen. Jedoch stellt der gleichzeitige Besitz verschiedener, zum Eigenkonsum bestimmter Betäubungsmittelmengen nur einen Verstoß gegen das BtMG dar, selbst wenn verschiedene Rauschgiftmengen separat an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden. Der Erwerb der Betäubungsmittel geht in diesen Fällen in dem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf.
Allein der gleichzeitige Besitz verschiedener zum Handeltreiben bestimmter Mengen Betäubungsmittel aus verschiedenen Liefervorgängen vermag eine Bewertungseinheit nicht zu begründen. Werden Teilmengen aus zwei verschiedenen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten erworbenen Rauschgiftmengen gleichzeitig verkauft, liegt aufgrund der teilweisen Identität der tatbestandlichen Ausführungshandlung Tateinheit im Sinne des § 52 StGB vor.
1. Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 55 StPO setzt voraus, dass ein Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die geeignet sind, unmittelbar oder auch nur mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) begangenen Straftat zu begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu bestärken. Bloße Vermutungen ohne Tatsachengrundlage oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen für die Annahme einer solchen Verfolgungsgefahr nicht aus.
2. Eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht grundsätzlich dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren Begehung er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, sodass die Strafklage verbraucht ist, oder wenn die Straftat verjährt oder aus anderen Gründen zweifelsfrei ausgeschlossen wäre, dass er für diese noch verfolgt werden könnte.
3. Eine Verfolgungsgefahr ist selbst bei Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung aber dann nicht auszuschließen, wenn zwischen der abgeurteilten Tat und anderen Straftaten, deretwegen der Zeuge noch verfolgt werden könnte, ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Beantwortung von Fragen zu der abgeurteilten Tat die Gefahr der Verfolgung wegen dieser anderen Taten mit sich bringt. Sofern die Aussage lediglich die Gefahr begründet, dass andere Personen zu einer weitergehenden Belastung veranlasst werden könnten, ist jedoch der Schutzzweck der Selbstbelastungsfreiheit nicht berührt.
4. Wer lediglich als Beifahrer auf einer Kurierfahrt anwesend ist und anschließend die transportierten Betäubungsmittelpäckchen säubert und neu verpackt, verfügt regelmäßig nicht über täterschaftsbegründende Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Vorgangs des Handeltreibens und kommt insofern allenfalls als Teilnehmer (hier: als Gehilfe) der entsprechenden Straftat in Betracht.
Auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe ist gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Strafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (st. Rspr.). Allerdings kommt bei Angeklagten, die zum Zeitpunkt der Verurteilung seit Jahren erwachsen sind, dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer einer Sanktion nur noch ein geringes Gewicht zu (vgl. BGH NStZ 2016, 101 f.).