HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2017
18. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

358. BGH 4 StR 635/16 – Beschluss vom 1. Februar 2017 (LG Bochum)

Notwehr (Begriff des gegenwärtigen Angriffs: Voraussetzungen, objektive Bestimmung nach den Absichten des Angreifers; Erlaubnistatbestandsirrtum).

§ 32 Abs. 2 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB

Ein gegenwärtiger Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ist auch ein Verhalten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (st. Rspr). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung (vgl. NStZ-RR 2002, 203, 204).


Entscheidung

365. BGH 1 StR 588/16 – Beschluss vom 25. Januar 2017 (LG München I)

Notwehr (Gegenwärtigkeit des Angriffs); Putativnotwehrexzess.

§ 32 Abs. 2 StGB; § 33 StGB

1. Hat ein Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, so ist der Angriff so lange gegenwärtig i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist. Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutverletzung.

2. Auf einen Putativnotwehrexzess findet § 33 StGB keine Anwendung.


Entscheidung

360. BGH 1 StR 231/16 – Urteil vom 7. Februar 2017 (LG Weiden)

Unerlaubte bandenmäßige Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Anstiftung: Bezugspunkt, Einzelfallabwägung, omnimodo facturus; Mittäterschaft: Voraussetzungen); Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung der gegen Mittäter verhängten Strafen); Verfall (obligatorische Anordnung); Härtefall (revisionsrichterliche Überprüfung von Ermessensfehlern); Revisionsbegründung (Berücksichtigung trotz widersprüchlichen Verhaltens der Staatsanwaltschaft).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 26 StGB; § 46 StGB; § 73 StGB; § 73c StGB; § 344 StPO

1. Eine Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begeht, wer einen anderen durch Einwirkung auf dessen Entschlussbildung dazu veranlasst, Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in das Bundesgebiet zu verbringen und dabei zumindest in dem Bewusstsein handelt, dass sein Verhalten diese von ihm gebilligten Wirkungen haben kann. Die Willensbeeinflussung muss dabei nicht die einzige Ursache für das Verhalten des anderen sein; bloße Mitursächlichkeit reicht aus. Bezugsgegenstand der Anstiftung ist eine konkret-individualisierte Tat. Welche zur Tatindividualisierung tauglichen Merkmale jeweils erforderlich sind, entzieht sich dabei einer abstrakt-generellen Bestimmung und kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls entschieden werden.

2. Ein zu einer konkreten Tat fest Entschlossener kann nicht mehr zu ihr bestimmt werden (Fall des sog. omnimodo facturus), denn in diesem Fall fehlt es an der erforderlichen Kausalität der Anstiftungshandlung. Bis zum Tatentschluss bleibt allerdings ein Bestimmen zu einer konkreten Tat selbst dann noch möglich, wenn der Haupttäter bereits allgemein zu derartigen Taten bereit war und diese Bereitschaft auch aufgezeigt hat oder sogar selbst die Initiative zu den Taten ergriffen hat.

3. Die Tatsache, dass einzelne Einfuhren immer erst dann stattfinden, wenn der Angeklagte eine konkrete Menge Betäubungsmittel bestellt und mit den Lieferanten einen genauen Übergabezeitpunkt und Übergabeort vereinbart, steht der Annahme eines festen Tatentschlusses der anderen Bandenmitglieder zur Einfuhr nicht entgegen, wenn diese zu einer Belieferung des Angeklagten schon vorher fest entschlossen, die damit verbundene Einfuhr der Betäubungsmittel und die Liefermodalitäten im Einzelnen vereinbart, An- und Verkaufspreise für die von ihnen zur Einfuhr bestimmten Betäubungsmittel festgesetzt und der Transportweg bereits ausgewählt sind.

4. Eine Mittäterschaft des Auftraggebers an Einfuhren von Betäubungsmitteln scheidet aus, wenn er weder auf den Transportweg noch auf andere Modalitäten der Einfuhr Einfluss hat, weil er dann hinsichtlich des grenzüberschreitenden Transportvorgangs keinerlei Tatherrschaft hat. Die bloße Bereitschaft zur Entgegennahme der eingeführten Betäubungsmittel reicht für die Annahme von Mittäterschaft nicht aus.

5. Das Tatgericht muss in jedem Einzelfall die angemessene Strafe unter Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände aus der Sache selbst finden. Revisionen, die auf vergleichende Strafzumessung gerichtet sind, werden daher grundsätzlich als unbegründet angesehen. Allerdings muss das Tatgericht innerhalb seines Urteils den Grundsatz beachten, dass gegen Mittäter verhängte Strafen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen müssen.

6. Die Anordnung des Verfalls (des Wertersatzes) ist obligatorisch, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen. Es stellt daher einen Erörterungsmangel dar, wenn sich das Tatgericht in den Urteilsgründen nicht mit der Frage einer Verfallsanordnung befasst, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass deren Voraussetzungen gegeben sein könnten.

7. Die Anwendung des § 73c StGB ist zwar Sache des Tatgerichts; Auslegung und Anwendung (bzw. Nichtanwendung) der Vorschrift unterliegen aber – wie jede Gesetzesanwendung – der Überprüfung auf Rechtsfehler hin durch das Revisionsgericht. Dementsprechend prüft das Revisionsgericht lediglich, ob das Tatgericht das ihm eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Dazu gehört, dass es von rechtlich zutreffenden Maßstäben für die Merkmale der Ermessensvorschrift ausgegangen ist. Zudem bedarf es ausreichender Feststellungen zu denjenigen rechtlichen Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, die dem Tatgericht die Ausübung seines Ermessens erst ermöglichen. Fehlt es daran, liegt darin ein Rechtsfehler (Ermessensdefizit).

8. Nach § 73c Abs. 1 StGB kann die Anordnung des Verfalls gänzlich unterbleiben oder auch auf einen Teil des Erlangten beschränkt werden.

9. Auch wenn der Sitzungsstaatsanwalt in seinem Schlussvortrag ausdrücklich ausführt, ein Antrag zum Verfall des Wertersatzes werde nicht gestellt, und damit ausdrücklich ein Prozessergebnis erstrebt, das die Staatsanwaltschaft mit ihrer späteren Revision beanstandet, ist eine solche Beanstandung nicht rechtsmissbräuchlich.


Entscheidung

348. BGH 4 StR 196/16 – Urteil vom 2. März 2017 (LG Detmold)

Mittäterschaft (erforderliche Gesamtbetrachtung: eingeschränkte revisionsrechtliche Überprüfbarkeit); Strafzumessung (Darstellung der Strafzumessungsgründe im Urteil).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 46 StGB; § 267 Abs. 2 Satz 1 StPO

1. Beim Feststellen von Mittäterschaft ist dem Tatrichter vor allem in Grenzfällen ein Beurteilungsspielraum eröffnet, der revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Enthalten die Urteilsgründe eine hinreichende Darlegung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, ist die tatrichterliche Wertung vom Revisionsgericht auch dann hinzunehmen, wenn im Einzelfall eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre.

2. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Daraus, dass ein für die Straf-

zumessung bedeutsamer Umstand nicht angeführt worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden (st. Rspr.).


Entscheidung

351. BGH 4 StR 406/16 – Beschluss vom 2. März 2017 (LG Bochum)

Verhältnis von Beihilfe und späterer täterschaftlichen Beteiligung an derselben Tat (einheitliche täterschaftliche Tat; sukzessive Mittäterschaft).

§ 25 StGB; § 27 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB

Hinter einer Tatbeteiligung nach den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft tritt die frühere Beihilfe zurück.


Entscheidung

366. BGH 1 StR 604/16 – Beschluss vom 12. Januar 2017 (LG Ravensburg)

Rücktritt vom Versuch (Rücktrittshorizont bei Tötungsdelikten: beendeter und unbeendeter Versuch); Hang (psychische Abhängigkeit; symptomatischer Zusammenhang).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 64 StGB

1. Die Frage, ob von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch – vom Täter wahrgenommen – zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen. Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben.

2. Für einen Hang im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint.

3. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus.

4. Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist, mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe.

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

361. BGH 1 StR 253/16 – Urteil vom 21. Dezember 2016 (LG München I)

Verfahrensrüge (Anforderungen); Erpressung (Voraussetzungen; keine unrechtmäßige Bereicherung bei tatsächlichem oder irrtümlich angenommenem fälligen, einredefreien Anspruch); Nötigung (Voraussetzungen; Parkkralle oder Ankündigung der Abschleppung als Nötigungsmittel; Verwerflichkeit des Handelns); Verbotsirrtum (Unvermeidbarkeit: rechtlicher Maßstab, Vertrauen in rechtliche Beratung).

§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 253 Abs. 1 StGB; § 240 Abs. 1 und 2 StGB; § 17 StGB

1. Eine Strafbarkeit nach § 253 StGB setzt voraus, dass die Bereicherung nach der materiellen Rechtslage zu Unrecht angestrebt wird. Daran fehlt es, wenn der Täter auf den Vermögensvorteil einen fälligen einredefreien Anspruch besitzt oder irrtümlich davon ausgeht, ein entsprechender Anspruch bestehe.

2. Eine Erpressung kann aber begehen, wer bewusst die Begleichung unberechtigter Forderungen durch das Anbringen einer Parkkralle erzwingt.

3. Rechtswidrig ist eine Nötigung nur dann, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist (§ 240 Abs. 2 StGB). Dies ist der Fall, wenn die Verquickung von Mittel und Zweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar ist, sie also „sozial unerträglich“ ist.

4. Dabei ist die Androhung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, zur Durchsetzung einer ihm tatsächlich oder jedenfalls nach seiner Meinung zustehenden Forderung eine zulässige gesetzliche Maßnahme wie ein Zurückbehaltungsrecht ausüben zu wollen, grundsätzlich sozialadäquat. Allein ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) begründet in diesen

Fällen zwar den Vorwurf zivilrechtswidrigen, nicht aber zugleich auch verwerflichen Verhaltens, wobei jedoch auch in den Blick zu nehmen ist, dass die Rechtsordnung grundsätzlich kein „privates Faustrecht“ dulden kann.

5. Der Angeklagte setzt Nötigungsmittel ein, wenn er an unberechtigt geparkten Fahrzeugen entweder Parkkrallen anbringt oder sie abschleppen lässt und den Fahrzeugführern anschließend erklärt, er werde die Parkkralle nur abnehmen, den Abschleppvorgang nur stoppen oder den Standort des abgeschleppten Kfz nur verraten, wenn ihm der verlangte Geldbetrag gezahlt werde. Darin liegt jeweils zumindest die Androhung eines empfindlichen Übels.

6. Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.

7. Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte „Gefälligkeitsgutachten“ scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine „Feigenblattfunktion“ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

8. Ein Freispruch anstelle einer Einstellung des Verfahrens hat beim Vorliegen eines Verfahrenshindernisses nur zu erfolgen, wenn eine valide Freispruchslage vorliegt. Umgekehrt ist die Einstellung auszusprechen, wenn die Straftat sogar rechtsfehlerfrei festgestellt wird.

9. Die Verfahrensrüge, ein von der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag auf Verlesung eines in einem Zivilverfahren erstatteten Sachverständigengutachtens sei zu Unrecht wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit zurückgewiesen worden, genügt nicht § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn die Revision nicht vorträgt, ob die Verfahrensbeteiligten der beantragten Verlesung des Gutachtens nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO zugestimmt haben oder nicht. Hängt die Zulässigkeit der begehrten Beweiserhebung von zusätzlichen, außerhalb des Beweisantrags liegenden Tatsachen ab, muss die Revision hierzu grundsätzlich vortragen.


Entscheidung

357. BGH 4 StR 597/16 – Beschluss vom 31. Januar 2017 (LG Halle)

Gefährdung des Straßenverkehrs (Fahruntüchtigkeit bei Rauschmittelkonsum: Blutwirkstoffbefund alleine nicht ausreichend, Berücksichtigung der Fahrweise bei Fluchtfahrt); unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Verhältnis zu Straftaten, die während einer Beförderungsfahrt begangen werden: Tateinheit); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB; § 316 StGB; § 29 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 52 StGB; § 261 StPO

1. Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a), § 316 StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern.

2. Grundsätzlich kann hierbei auch aus der Fahrweise auf eine relative Fahruntüchtigkeit geschlossen werden. Befand sich der Täter auf der Flucht vor der Polizei, muss dies in die Beurteilung des Indizwertes seines Fahrverhaltens einbezogen werden. Dabei ist der Tatrichter nicht gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 173).

3. § 315c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat. Es sind daher stets zwei Prüfschritte erforderlich, zu denen im Strafurteil entsprechende Feststellungen zu treffen sind: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt, was etwa bei älteren oder bereits vorbeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeuten-

dem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert und die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 289).

4. Begeht ein Täter, der Rauschgift zu Handelszwecken in einem Pkw befördert (Einfuhrfahrt, Transportfahrt vom Lieferanten zum Depot, Fahrt zu Abnehmern etc.), durch das Führen des Transportfahrzeuges weitere Gesetzesverstöße, so stehen diese zu dem in der Beförderung liegenden Betäubungsmittelhandel im Verhältnis der Tateinheit nach § 52 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 320, 321).


Entscheidung

289. BGH 3 StR 430/16 – Beschluss vom 7. Februar 2017 (LG Bad Kreuznach)

Beihilfe zum Betrug durch Anfertigung von Scheinrechnungen bei tatsächlichem Angebot zur Aufnahme in ein nichtexistierendes privates Onlineregister; Bestimmtheit der Haupttatvorstellung beim Gehilfenvorsatz; Gewerbsmäßigkeit als besonderes persönliches Merkmal.

§ 27 StGB; § 28 StGB; § 263 StGB

1. Beim Betrug durch den Versand von als Rechnungen getarnten Schreiben, die in Wahrheit ein Angebot zur Aufnahme in ein nichtexistierendes privates Online-Register enthalten, sind nähere Feststellungen zum Vorstellungsbild der eine Zahlung veranlassenden Adressaten in der Regel entbehrlich. Denn sofern unklar bleiben sollte, ob die Anweisenden im Einzelfall vom Bestehen eines Anspruchs ausgingen oder nicht, wäre jedenfalls ohne Weiteres davon auszugehen, dass auch diejenigen, die den wahren Inhalt des Schreibens erkannt hatten, den geforderten Betrag nur zahlten, weil sie irrtümlich annahmen, dass das private Online-Register tatsächlich existiere.

2. Der Vorsatz eines Teilnehmers – sei er Anstifter oder Gehilfe – muss sich auf die Ausführung einer zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Tat richten. Dem Bestimmtheitserfordernis des Teilnehmervorsatzes liegt letztlich die Annahme zugrunde, dass nur derjenige Teilnehmer ernstlich mit der Begehung der Haupttat rechnet, der bereits wesentliche Einzelheiten des Tatplans kennt. Für den Vorsatz des Teilnehmers sind diejenigen Tatumstände als wesentlich anzusehen, deren Kenntnis die Begehung der Haupttat hinreichend wahrscheinlich werden lässt.

3. Die unterschiedlichen Teilnahmestrukturen, die verschiedene Nähe zur Tat und die differenzierten Strafdrohungen gebieten es, an den Gehilfenvorsatz andere Maßstäbe anzulegen als an den Vorsatz des Anstifters. Während der Anstifter eine bestimmte Tat, insbesondere einen bestimmten Taterfolg vor Augen hat, erbringt der Gehilfe einen von der Haupttat losgelösten Beitrag. Er strebt diese nicht notwendigerweise an, weiß aber oder hält es für möglich und nimmt jedenfalls billigend in Kauf, dass sich sein Handeln als unterstützender Bestandteil einer Straftat manifestieren kann. Beihilfe kann deshalb schon begehen, wer dem Täter ein entscheidendes Tatmittel willentlich an die Hand gibt und damit bewusst das Risiko erhöht, dass eine durch den Einsatz gerade dieses Mittels geförderte Haupttat verübt wird (vgl. zu allem BGHSt 42, 135, 137 f.).


Entscheidung

368. BGH 1 StR 632/16 – Beschluss vom 21. Februar 2017 (LG Ulm)

Versuch der Anstiftung zur Falschaussage (Konkurrenzen); Strafvereitelung (Konkurrenzen; Versuch).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; 53 Abs. 1 StGB; § 159 StGB; § 258 Abs. 1 und 4 StGB

1. Erfolgen ein wahrheitswidriger Vortrag eines Verteidigers im Haftprüfungstermin im Strafverfahren gegen seinen Mandanten und Einwirkungen auf Zeugen aufgrund eines einheitlichen Verteidigungskonzeptes, stellt dies bei deliktsbezogener Betrachtung nach den Grenzen der tatbestandlichen Handlungseinheit nur einen einheitlichen Versuch der Strafvereitelung dar, sofern eine rechtlich bedeutsame Zäsur innerhalb des Tatzeitraums nicht eingetreten ist.

2. Die Bewertung eines solchen Verhaltens als einheitlicher Versuch der Strafvereitelung führt zur Annahme von Tateinheit auch bezüglich etwaiger im Zuge dieses Handelns begangener Anstiftungen zur uneidlichen Falschaussage bzw. dem Versuch der Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage durch Verklammerung.


Entscheidung

364. BGH 1 StR 569/16 – Beschluss vom 7. März 2017 (LG Mosbach)

Schwere Körperverletzung (Verlust des Sehvermögens als schwere Folge; Schwellenwert).

§ 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Der Verlust des Sehvermögens im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jedenfalls bei einer dauerhaften Reduzierung der Sehfähigkeit auf einem Auge auf 2 % erfüllt.


Entscheidung

297. BGH 3 ARs 16/16 – Beschluss vom 15. November 2016

Anfrageverfahren; Herausgabe von Betäubungsmitteln als Vermögensverlust (wirtschaftlicher Vermögensbegriff; tatsächlicher Wert; zivilrechtlicher Besitzschutz; Wertungswidersprüche; Einheit der Rechtsordnung).

§ 253 StGB; § 263 StGB; § 266 StGB; § 132 GVG

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – an der der Senat festzuhalten beabsichtigt (gegen BGH HRRS 2016 Nr. 814 [2. Senat]; vgl. aber auch vom selben Senat mit anderer Sitzgruppe BGH HRRS 2016 Nr. 1152) – ist der Schutzbereich der Vermögensdelikte dann eröffnet, wenn der Verlust der Sache oder des Rechts, die der Täter durch seine Tat zu erlangen strebt, bei wirtschaftlicher Betrachtung zu einer Verringerung des Vermögens des Tatopfers führt. Ohne Bedeutung ist demgegenüber in aller Regel, ob die Sache oder das Recht aus einem unsittlichen oder gesetzwidrigen Geschäft oder aus einer strafbaren Handlung herrührt oder etwa für strafbare Zwecke eingesetzt werden soll; die Rechtsordnung kennt im Bereich der Vermögensdelikte allgemein kein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdiges Vermögen.

2. Auch der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln ist demnach ein dem Schutz der Vermögensdelikte unterfallenden wirtschaftlichen Wert beurteilt. Dass Betäubungsmittel auf dem legalen Markt keinen Wert besitzen, ist bei wirtschaftlicher Betrachtung für sich ohne Belang; denn diese knüpft nicht an die Klagbarkeit einer Sache oder eines Rechts an, sondern allein an tatsächliche Verhältnisse.


Entscheidung

290. BGH 3 StR 435/16 – Beschluss vom 20. Dezember 2016 (KG)

Billigung von Straftaten durch nachträgliches Gutheißen von Tötungen Gefangener durch Mitglieder des „IS“ (Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Verherrlichung von Auslandstaten; „Internationalisierung“ eines zunächst nichtinternationalen bewaffneten Konflikts in Syrien; Journalist als „„in der Gewalt der gegnerischen Partei“ befindliche Person; humanitäres Völkerrecht).

§ 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 140 Nr. 2 StGB; § 8 VStGB

1. Die Verherrlichung von Auslandstaten kann in gleicher Weise wie die von Inlandstaten auch in Deutschland die allgemeine Bereitschaft zur Begehung ähnlicher Delikte fördern und das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Sicherheit erschüttern. Für die Strafbarkeit wegen Billigung von Straftaten ist daher diese kriminogene Inlandswirkung einer Auslandstat erforderlich, aber auch ausreichend. Eine Strafbarkeit scheidet demgegenüber aus, wenn auf Grund rechtlicher oder tatsächlicher Besonderheiten im Ausland eine solche Wirkung ausgeschlossen erscheint.

2. Der Wortlaut des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB stellt unter anderem darauf ab, dass sich die Person, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnimmt, „in der Gewalt der gegnerischen Partei“ befindet. Ob diese Legaldefinition für den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt sämtliche in der Gewalt einer Konfliktpartei befindliche Zivilpersonen erfasst, soweit sie ihr – im Sinne einer allein negativen Abgrenzung – nicht angehören, oder ob etwa einer solchen Deutung der die äußerste Grenze jeder Auslegung bestimmende Wortsinn der Vorschrift („der gegnerischen Partei“) entgegensteht, kann der Senat hier offenlassen.

3. Unter einem internationalen bewaffneten Konflikt i.S.d. § 8 Abs. 6 Nr. 1 VStGB ist ein Krieg oder eine sonstige mit Waffengewalt ausgetragene Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Staaten zu verstehen. Der nichtinternationale bewaffnete Konflikt hingegen erfasst solche Auseinandersetzungen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind.


Entscheidung

408. BGH 4 StR 629/16 – Beschluss vom 15. Februar 2017 (LG Freiburg)

Urkundenfälschung (Nutzung gestohlener amtlicher Kennzeichen im öffentlichen Straßenverkehr; Ausnahme bei Überführungskennzeichen).

§ 267 Abs. 1 StGB

1. Hat der Täter schon beim Anbringen der gestohlenen amtlichen Kennzeichen den Vorsatz, das Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, stellen der – gegebenenfalls mehrfache – Gebrauch der unechten zusammengesetzten Urkunde sowie ihre Herstellung eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit nur eine Urkundenfälschung dar.

2. Das jeweils tateinheitliche Zusammentreffen weiterer, auf der Fahrt begangener Delikte mit der einheitlichen Urkundenfälschung hat zur Folge, dass sämtliche Gesetzesverstöße zu einer Tat im materiell-rechtlichen Sinne verklammert werden.

3. Wird an einem Fahrzeug lediglich ein Überführungskennzeichen („rotes Nummernschild“) angebracht, stellt selbst bei einer – nach § 16 Abs. 5 Satz 2 FZV nicht vorgeschriebenen – festen Verbindung mit einem solchen Kennzeichen das Fahrzeug keine (zusammengesetzte) Urkunde dar.


Entscheidung

353. BGH 4 StR 470/16 – Beschluss vom 9. November 2016 (LG Essen)

Computerbetrug; Kreditkartenmissbrauch.

§ 263a Abs. 1 StGB; § 266b StGB

1. Wer von dem berechtigten Inhaber einer Kreditkarte die Daten der Karte erhält und unter ihrer Verwendung absprachewidrige Verfügungen tätigt, indem er bei der Bezahlung seiner Rechnung bewusst wahrheitswidrig erklärt, der Karteninhaber habe ihm die Ermächtigung zum Einsatz der Kreditkarte erteilt, begeht keinen Computerbetrug (st. Rspr.).

2. Die Voraussetzungen eines Kreditkartenmissbrauchs im Sinne von § 266b StGB sind in dieser Fallkonstellation ebenfalls nicht erfüllt (vgl. BGH NStZ 1992, 278).


Entscheidung

354. BGH 4 StR 87/16 – Beschluss vom 24. November 2016 (LG Bielefeld)

Betrug (Mitursächlichkeit der Täuschung für den Irrtum; Umgang mit massenhaft vorliegenden Sachverhalten); Tateinheit (uneigentliches Organisationsdelikt: Darstellung im Urteil).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 StPO

1. Der Annahme eines vollendeten Betruges steht die Mitursächlichkeit der Täuschung für den Irrtum selbst dann nicht entgegen, wenn daneben noch ein anderer Beweggrund bestand, der für sich allein zu demselben Entschluss geführt hätte (vgl. BGHSt 13, 13, 14 f.).

2. Nach den Grundsätzen des sog. uneigentlichen Organisationsdelikts können einzelne Beiträge eines Mittäters, mittelbaren Täters oder Gehilfen, die der Errichtung, Aufrechterhaltung und dem Ablauf eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs dienen, zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden, indem die aus der Unternehmensstruktur heraus begangenen Tathandlungen in der Person des betreffenden Tatbeteiligten zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammengeführt werden (st. Rspr.). Dies gilt nament-

lich für wiederkehrende gleichartige Einzelbetrugstaten im Rahmen einer betrieblichen Organisation (vgl. BGHSt 49, 177, 184).

3. Auch bei Straftaten, die unter Schaffung und Ausnutzung einer Unternehmensstruktur „organisiert“ begangen werden, sind aber im Urteil hinreichend konkrete Feststellungen zu den Einzelakten dergestalt zu treffen, dass das Revisionsgericht auch in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob der Tatrichter von einem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen ist.


Entscheidung

294. BGH 3 StR 453/16 – Beschluss vom 21. Dezember 2016 (LG Trier)

Strafantragserfordernis beim Haus- und Familiendiebstahl (Anwendbarkeit bei Regelbeispiel und Qualifikationen; kein automatischer Übergang bei Tod des Antragsberechtigten; Antragsrecht des Eigentümers); Beendigung des Diebstahls; Keine Zweitzueignung bei Unterschlagung.

§ 77 StGB; § 242 StGB; § 243 StGB; § 244 StGB; § 246 StGB

1. § 247 StGB gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut – anders als § 248a StGB – nicht nur für den Grundtatbestand des Diebstahls nach § 242 StGB, sondern für alle seine – auch in §§ 243, 244, 244a StGB normierten – Begehungsweisen, gleich ob gesetzlich als besonders schwere Fälle oder als Qualifikationstatbestände ausgestaltet. Auf die Form der Beteiligung desjenigen, dessen Angehöriger der Verletzte ist, kommt es dabei nicht an.

2. § 77 Abs. 2 StGB, wonach ein Übergang des Antragsrechts beim Tod des Verletzten stattfindet, ist nur anwendbar „in den Fällen, die das Gesetz bestimmt"; sie gilt daher nicht für das Strafantragserfordernis nach § 247 StGB, der einen derartigen Übergang – anders als etwa § 194 Abs. 1 Satz 5 oder § 230 Abs. 1 Satz 2 StGB – nicht vorsieht.

3. Ein Diebstahl ist beendet, wenn – in weiterer Verwirklichung der Zueignungsabsicht des Täters – der Gewahrsam an der Beute gefestigt und gesichert ist. Wann der Zeitpunkt erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebende Kriterien sind, ob sich der Täter noch im unmittelbaren Herrschaftsbereich des Bestohlenen befindet oder noch direkte Eingriffsmöglichkeiten von diesem oder einem dritten Beobachter – gegebenenfalls in der Form der Nacheile – vorhanden sind.


Entscheidung

338. BGH 1 StR 532/16 – Beschluss vom 27. Januar 2017 (LG Mosbach)

Geiselnahme (Zusammenhang zwischen Bemächtigungslage und beabsichtigter Nötigung: Eintritt des Nötigungserfolgs während der Dauer der Zwangslage); Schuldunfähigkeit (relevanter Zeitpunkt alleine der Tatbegehung).

§ 239b Abs. 1 StGB; § 20 StGB

1. Für eine Geiselnahme nach § 239b StGB muss zwischen der Bemächtigungslage und der beabsichtigten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang in der Weise bestehen, dass der Täter das Opfer während der Dauer der Zwangslage nötigen will und die abgenötigte Handlung während der Dauer der Zwangslage vorgenommen werden soll (vgl. BGH StV 2015, 765).

2. Maßgebend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ist die Begehung der Tat (§ 20 StGB), bei aktivem Tun mithin die Zeit, zu welcher der Täter gehandelt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 275). Danach ist auf die jeweilige Tathandlung abzustellen und nicht auf den gesamten Zeitraum, in dem der Angeklagte mehrere Delikte begeht. Dem Geisteszustand des Angeklagten in den Zeiträumen zwischen den Taten kommt daher keine maßgebliche Bedeutung zu.


Entscheidung

283. BGH 3 StR 354/16 – Beschluss vom 13. Dezember 2016 (LG Aurich)

Körperverletzung (Anforderungen an das Vorliegen einer körperlichen Misshandlung bei einem Schlag gegen den Hals oder den Oberkörper; üble unangemessene Behandlung; nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens).

§ 223 StGB

Nicht jeder vorsätzliche Schlag oder Stoß, der das Opfer trifft, stellt eine tatbestandliche Körperverletzungshandlung dar. Der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB ist – in der Variante der körperlichen Misshandlung – erst erfüllt, wenn die Schwelle zu einer üblen und unangemessenen Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt, überschritten wird. Ein Schlag gegen den Hals oder die Brust, aufgrund dessen das Opfer einen Augenblick lang nur schwer Luft bekommt, erfüllt diese Anforderungen nicht ohne Weiteres.


Entscheidung

393. BGH 4 StR 401/16 – Beschluss vom 1. Februar 2017 (LG Coburg)

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (Konkurrenzen).

§ 43 Abs. 1 StGB; § 142 StGB

Zwar werden Verkehrsverstöße, die der Täter im Verlaufe einer einzigen, ununterbrochenen Fluchtfahrt begeht, nach ständiger Rechtsprechung tateinheitlich verübt. Ein (weiteres) tatmehrheitliches Entfernen vom Unfallort kann gegeben sein, wenn sich der Angeklagte nach Beendigung der Fluchtfahrt zu Fuß vom Unfallort entfernt hat.