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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 294

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 453/16, Beschluss v. 21.12.2016, HRRS 2017 Nr. 294


BGH 3 StR 453/16 - Beschluss vom 21. Dezember 2016 (LG Trier)

Strafantragserfordernis beim Haus- und Familiendiebstahl (Anwendbarkeit bei Regelbeispiel und Qualifikationen; kein automatischer Übergang bei Tod des Antragsberechtigten; Antragsrecht des Eigentümers); Beendigung des Diebstahls; Keine Zweitzueignung bei Unterschlagung.

§ 77 StGB; § 242 StGB; § 243 StGB; § 244 StGB; § 246 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. § 247 StGB gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut - anders als § 248a StGB - nicht nur für den Grundtatbestand des Diebstahls nach § 242 StGB, sondern für alle seine - auch in §§ 243, 244, 244a StGB normierten - Begehungsweisen, gleich ob gesetzlich als besonders schwere Fälle oder als Qualifikationstatbestände ausgestaltet. Auf die Form der Beteiligung desjenigen, dessen Angehöriger der Verletzte ist, kommt es dabei nicht an.

2. § 77 Abs. 2 StGB, wonach ein Übergang des Antragsrechts beim Tod des Verletzten stattfindet, ist nur anwendbar „in den Fällen, die das Gesetz bestimmt"; sie gilt daher nicht für das Strafantragserfordernis nach § 247 StGB, der einen derartigen Übergang - anders als etwa § 194 Abs. 1 Satz 5 oder § 230 Abs. 1 Satz 2 StGB - nicht vorsieht.

3. Ein Diebstahl ist beendet, wenn - in weiterer Verwirklichung der Zueignungsabsicht des Täters - der Gewahrsam an der Beute gefestigt und gesichert ist. Wann der Zeitpunkt erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebende Kriterien sind, ob sich der Täter noch im unmittelbaren Herrschaftsbereich des Bestohlenen befindet oder noch direkte Eingriffsmöglichkeiten von diesem oder einem dritten Beobachter - gegebenenfalls in der Form der Nacheile - vorhanden sind.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 6. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Über die Verpflichtung zur Entschädigung der Angeklagten nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen entscheidet der Senat nach Anhörung der Beteiligten durch gesonderten Beschluss.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Sachrüge hat dagegen Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Urteils, soweit es die Angeklagte betrifft (§ 349 Abs. 4 StPO), und zur Einstellung des Verfahrens gegen sie, weil es an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt (§ 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO).

I.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fassten die Angeklagte und der Mitangeklagte U. G. den Entschluss, dass dieser in das Wohnhaus der alleinstehenden I. B., der Mutter des geschiedenen Ehemanns der Angeklagten, T. B., einbricht, um dort Bargeld und Wertsachen zu entwenden. Bei der Ausführung der gemeinschaftlich geplanten Tat traf der Mitangeklagte in dem Wohnhaus, nachdem er Diebesgut an sich genommen hatte, auf I. B. Er erwürgte sie, stellte ihren Tod fest, beseitigte Spuren und verließ den Tatort mit der Beute, welche die Angeklagten später gemeinsam verbrauchten.

2. Das Landgericht hat angenommen, dass beide Angeklagte mittäterschaftlich einen Wohnungseinbruchdiebstahl begingen (§ 242 Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3, § 25 Abs. 2 StGB). Den von dem Mitangeklagten U. G. tateinheitlich verübten Mord (§ 211 StGB) hat es als der Angeklagten nicht zurechenbaren Mittäterexzess bewertet.

II.

1. Die Verurteilung der Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls durfte nicht ergehen. Es fehlt an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Strafantrages. Den Kindern der I. B., H. Bi. und T. B., die form- und fristgerecht (vgl. § 158 Abs. 2 StPO, § 77b StGB) Strafantrag gegen die Angeklagte gestellt haben (Bl. 869 f. d. SA Bd. IV), steht kein Antragsrecht zu. Im Einzelnen:

a) Nach § 247 StGB bedarf es für die Verfolgung des Wohnungseinbruchdiebstahls der Angeklagten zum Nachteil der verstorbenen I. B., ihrer früheren Schwiegermutter, eines Strafantrages. Diese war Angehörige der Angeklagten im Sinne von § 11 Nr. 1 Buchst. a StGB, weil beide in gerader Linie verschwägert waren (§ 1590 Abs. 1 BGB); trotz der Scheidung von T. B. dauerte das Angehörigenverhältnis zur Tatzeit fort (s. auch § 1590 Abs. 2 BGB).

§ 247 StGB gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut - anders als § 248a StGB - nicht nur für den Grundtatbestand des Diebstahls nach § 242 StGB, sondern für alle seine - auch in §§ 243, 244, 244a StGB normierten - Begehungsweisen, gleich ob gesetzlich als besonders schwere Fälle oder als Qualifikationstatbestände ausgestaltet (vgl. MüKoStGB/Hohmann, 2. Aufl., § 247 Rn. 2; NKStGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 247 Rn. 2), damit auch für das abgeurteilte Vergehen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Auf die Form der Beteiligung desjenigen, dessen Angehöriger der Verletzte ist, kommt es dabei nicht an (vgl. LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 247 Rn. 5).

b) Die beiden Kinder der Verstorbenen sind nicht strafantragsberechtigt.

aa) Das der I. B. zustehende Antragsrecht ist mit ihrem Tod nicht auf die Strafantragsteller übergegangen, sondern erloschen. § 77 Abs. 2 StGB, wonach ein Übergang des Antragsrechts beim Tod des Verletzten stattfindet, ist nicht anwendbar. Die Vorschrift bewirkt dies nur „in den Fällen, die das Gesetz bestimmt"; sie gilt daher nicht für das Strafantragserfordernis nach § 247 StGB, der einen derartigen Übergang - anders als etwa § 194 Abs. 1 Satz 5 oder § 230 Abs. 1 Satz 2 StGB - nicht vorsieht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. Juni 2003 - 2 Ss 367/03, NStZ-RR 2004, 111, 112 [für § 266 Abs. 2 i.V.m. § 247 StGB]; NKStGB/Kindhäuser aaO, Rn. 9 aE).

bb) Der Senat hat erwogen, ob H. Bi. und/oder T. B. möglicherweise als Erben der I. B. selbst Verletzte gemäß § 247 StGB gewesen sein könnten, wobei die Erbenstellung im Wege des Freibeweises zu klären gewesen wäre. Zwar ist das Antragsrecht als höchstpersönliches Recht nicht vererblich. Das Eigentum der Verstorbenen ging jedoch kraft Gesetzes unmittelbar mit dem Tod auf die Erben über (§ 1922 Abs. 1 BGB). Im Sinne des § 247 StGB verletzt ist - jedenfalls - der Eigentümer (s. hierzu im Einzelnen BGH, Urteil vom 26. Juli 1957 - 4 StR 257/57, BGHSt 10, 400, 401 ff.; S/S/Eser/Bosch, StGB, 29. Aufl., § 247 Rn. 10 f.; LK/Vogel aaO, Rn. 6).

Da für die Strafantragsberechtigung die Zeit der Tat maßgebend ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1979 - 4 StR 204/79, BGHSt 29, 54, 55 f.; S/S/Sternberg-Lieben/Bosch aaO, § 77 Rn. 10), käme ein originäres Antragsrecht der Strafantragsteller in Betracht, wenn entweder der Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) über den Erbfall hinaus fortgedauert oder der Mitangeklagte U. G. dem Erbfall zeitlich nachfolgend eine der Angeklagten zurechenbare Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) begangen hätte. Beide Alternativen liegen hier nicht vor.

(1) Eine Verletzung des Eigentums der Strafantragsteller durch den Wohnungseinbruchdiebstahl scheidet schon deshalb aus, weil dieser mit dem Tod der I. B. bereits beendet war. Daher braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob ein Strafantragsrecht auch demjenigen zusteht, dessen Verletzteneigenschaft ausschließlich im Zeitraum zwischen formeller Vollendung und materieller Beendigung der Tat besteht.

Ein Diebstahl ist beendet, wenn - in weiterer Verwirklichung der Zueignungsabsicht des Täters - der Gewahrsam an der Beute gefestigt und gesichert ist. Wann der Zeitpunkt erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebende Kriterien sind, ob sich der Täter noch im unmittelbaren Herrschaftsbereich des Bestohlenen befindet oder noch direkte Eingriffsmöglichkeiten von diesem oder einem dritten Beobachter - gegebenenfalls in der Form der Nacheile - vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - 5 StR 395/14, BGHR StGB § 252 Frische Tat 5; Beschlüsse vom 18. Februar 1988 - 4 StR 28/88, BGHR StGB § 252 Frische Tat 3; vom 1. September 1999 - 1 StR 416/99, NStZ 2000, 31; vom 26. Mai 2000 - 4 StR 131/00, NStZ 2001, 88, 89 mwN; vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637, 638).

Mit dem Tod der I. B. trat die Beendigung des Wohnungseinbruchdiebstahls ein. Nach den Feststellungen lebte die Verstorbene allein in dem Wohnhaus, in das der Mitangeklagte U. G. einbrach. Durch den Tod endete der durch ihren generellen Gewahrsamswillen begründete Gewahrsam an den im Wohnhaus befindlichen Sachen, ohne dass er auf eine andere Person - etwa einen Mitbewohner oder eine (anwesende) Hausangestellte - hätte übergehen können (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 1987 - 3 StR 546/86, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Gewahrsam 1; vom 9. Dezember 2009 - 5 StR 403/09, StraFo 2010, 122 f.; S/S/Eser/Bosch aaO, § 242 Rn. 30). Ein I. B. oder einer solchen Person zuzuordnender Herrschaftsbereich existierte danach nicht mehr. Dass für den Mitangeklagten das reale Risiko des Einschreitens eines Dritten bestand, ist hier weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

(2) Eine dem Tod der I. B. zeitlich nachfolgende Unterschlagung, mit der das Eigentum der Strafantragsteller verletzt worden wäre, liegt ebenso wenig vor. Insbesondere der vom Mitangeklagten U. G. vorgenommene Abtransport der Beute stellt keine eigenständige Unterschlagungshandlung zum Nachteil der Erben dar.

Mit der Beendigung des Wohnungseinbruchdiebstahls war auch die Zueignung endgültig abgeschlossen. Es waren ein Aneignungs- und ein Enteignungserfolg eingetreten.

Hat sich indes ein Täter eine fremde Sache durch eine strafbare Handlung bereits zugeeignet, kann er sie sich in einem späteren Zeitpunkt nicht noch einmal im Sinne von § 246 Abs. 1 StGB zueignen, ohne vorher seine Scheineigentümerposition wieder aufgegeben zu haben (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1959 - GSSt 1/59, BGHSt 14, 38; ferner BGH, Urteil vom 17. Oktober 1961 - 1 StR 382/61, BGHSt 16, 280, 281 f.; Beschluss vom 13. Juli 1995 - 1 StR 309/95, NStZ-RR 1996, 131, 132; MüKoStGB/Hohmann aaO, § 246 Rn. 40; SSWStGB/Kudlich, 3. Aufl., § 246 Rn. 20); eine solche Position lässt sich nicht beliebig wiederholend begründen. Ohne Einfluss hierauf ist, dass die (erste) strafbare Zueignungshandlung - wie hier - nicht verfolgt werden kann.

2. Die angeklagte prozessuale Tat (§ 264 StPO) umfasst auch kein sonstiges verfolgbares strafbares Verhalten der Angeklagten, so dass das Verfahren einzustellen ist.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1, 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Der Senat hat von dem ihm durch § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eingeräumten Ermessen dahin Gebrauch gemacht, nicht davon abzusehen, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Es ist nicht unbillig, die Staatskasse hiermit zu belasten. Maßgebend ist dafür zum einen, dass das Verfahrenshindernis bereits vor Anklageerhebung bestand und auch erkennbar war, ohne dass dies in einer tatrichterlichen Hauptverhandlung noch hätte aufgeklärt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 1995 - 2 StR 331/94, BGHR StPO § 467 Abs. 3 Verfahrenshindernis 1); zum anderen ist ein prozessual vorwerfbares Verhalten der Angeklagten nicht ersichtlich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 467 Rn. 18 mwN).

2. Über die Verpflichtung zur Entschädigung der Angeklagten nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) hat der Senat selbst zu befinden, weil er die das Verfahren abschließende Sachentscheidung getroffen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2008 - 3 StR 378/07, StraFo 2008, 266; vom 26. Mai 2015 - 3 StR 437/12, StraFo 2015, 438, 439). Er behält dies einem weiteren Beschluss vor, der erlassen werden wird, nachdem die Beteiligten dazu angehört worden sind (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 294

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 211 ; StV 2019, 92

Bearbeiter: Christian Becker