HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2016
17. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Ändert Jan Böhmermann das Strafgesetzbuch? – Ãœber die Abschaffung des § 103 StGB

Von RA Dr. Ricarda Christine Schelzke, Hamburg

Auf einmal blicken alle auf § 103 StGB. Diese Dunkelnorm des Strafgesetzbuches stellt die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten unter Strafe. Dass Jan Böhmermann es schaffen würde, die Bundesregierung zur Abschaffung einer Strafnorm anzuregen, hätte wohl niemand erwartet als Jan Böhmermann zu einer nicht-massentauglichen Sendezeit auf dem Spartensender ZDFneo die Sendung Neo Magazin startete. Nun ist es aber soweit. Die Bundesregierung strebt die Abschaffung des § 103 StGB bis zum Jahr 2018 an.[1] Die Fraktion BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN hat sogar schon einen Gesetzesentwurf zur Streichung des § 103 StGB eingereicht.[2]

Dieser Aufsatz soll zunächst den § 103 StGB erläutern (dazu I.). Anschließend werden die Auswirkungen der Abschaffung von § 103 StGB aufgezeigt (dazu II.), um schließlich ein Fazit zu ziehen und einen Ausblick zu geben (dazu III.). Es wird nachfolgend nicht erläutert werden, ob Jan Böhmermann tatsächlich strafrechtlich relevant gehandelt haben könnte, da sich bereits viele dieser Frage gewidmet haben oder noch widmen werden.

I. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten gemäß § 103 StGB

Im Folgenden wird zunächst der Tatbestand des § 103 StGB erläutert (dazu 1.), anschließend der historische Hintergrund dieses dargestellt (dazu 2.) und schließlich versucht werden, zu ergründen, warum § 103 StGB in seiner aktuellen Form Teil des Strafgesetzbuches ist (dazu 3.).

1. Der Tatbestand

Nach § 103 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen Vertretung beleidigt.

a) Rechtsgut

Der Tatbestand soll nach überwiegender Meinung das kollektive Rechtsgut der Ehre ausländischer Staaten schützen, welches nach der Vorstellung des Gesetzgebers

durch die Tatobjekte des § 103 StGB in hervorgehobener Weise repräsentiert wird.[3] Damit wird von der überwiegenden Meinung angenommen, dass § 103 StGB ein ausländisches Rechtsgut schützt.

Nach anderer Auffassung soll § 103 StGB hingegen das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einem Mindestbestand funktionierender Beziehungen zu ausländischen Staaten schützen.[4] Die herrschende Auffassung setze das Handlungsobjekt fälschlicherweise mit dem Rechtsgut gleich und verkenne, dass nationale Strafvorschriften nicht ohne zwingenden Grund über den Schutz innerstaatlich anerkannter Schutzgüter hinaus erstreckt werden sollten.[5] Folgt man dieser Auffassung, schützt § 103 StGB ein inländisches Rechtsgut.

b) Tathandlung

Erforderlich ist zunächst, dass der Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB, der üblen Nachrede nach § 186 StGB oder der Verleumdung nach § 187 StGB erfüllt wurde. Dabei ist die Strafandrohung im Rahmen von § 103 StGB erhöht, wenn eine Verleumdung nach § 187 StGB vorliegt. Im Rahmen der Prüfung ist – wie grundsätzlich immer bei den Beleidigungsdelikten – besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob die in Frage stehende Äußerung unter Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit zulässig[6] war und die Äußerung eine Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB darstellt. § 193 StGB ist nach herrschender Meinung auch im Rahmen von § 103 StGB zu berücksichtigen.[7]

c) Tatsubjekt

Der Tatbestand differenziert zwischen drei Personenkreisen, die beleidigt werden können, wobei der Schutzumfang variiert: (1) Ausländische Staatsoberhäupter genießen uneingeschränkten Ehrenschutz, das heißt, sie sind auch geschützt, wenn sie sich nicht im Inland aufhalten. Zudem ist nicht erforderlich, dass sich die Beleidigung auf das Amt des Staatsoberhaupts bezieht. (2) Mitglieder einer ausländischen Regierung sind nur geschützt, wenn sich die Beleidigung auf ihre amtliche Stellung bezieht und wenn sie zum Zeitpunkt der Tat in amtlicher Eigenschaft in Deutschland aufhalten. (3) Leiter ausländischer diplomatischer Vertretungen sind nur dann geschützt, wenn sich die Beleidigung auf ihre amtliche Stellung bezieht. Sie müssen sich zum Zeitpunkt der Tat zwar nicht in Deutschland aufhalten, aber sie müssen als Leiter der ausländischen diplomatischen Vertretung beglaubigt sein.

d) Bekanntgabe der Verurteilung

Gemäß § 103 Abs. 2 StGB i.V.m. § 200 StGB ist, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung durch Verbreiten von Schriften begangen wurde, auf Antrag des Verletzten anzuordnen, dass die Verurteilung wegen der Beleidigung auf Verlangen öffentlich bekanntgemacht wird.

e) Verfolgungsvoraussetzung

§ 103 StGB ist anders als die §§ 185 ff. StGB kein Antrags- und auch kein Privatklagedelikt. Allerdings macht sich jemand nur dann wegen § 103 StGB strafbar, wenn zwei objektive Bedingungen der Strafbarkeit erfüllt sind (§ 104a StGB): Die Bundesrepublik Deutschland muss zu dem anderen Staats, dessen Organ oder Vertreter beleidigt wurde, diplomatische Beziehungen unterhalten und die Gegenseitigkeit muss verbürgt sein sowie zur Zeit der Tat verbürgt gewesen sein. Das heißt, dass die Bundesrepublik in dem betreffenden Auslandsstaat einen entsprechenden Rechtsschutz genossen haben und noch genießen muss.[8] Zudem müssen zwei Prozessvoraussetzungen erfüllt sein (§ 104a StGB): Es muss ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegen und die Bundesregierung muss die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt haben.

2. Historischer Hintergrund

§ 103 StGB geht insbesondere auf § 103 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) zurück.[9] § 103 RStGB lautete: "Wer sich gegen den Landesherrn oder den Regenten eines nicht zum Deutschen Reiche gehörenden Staats einer Beleidigung schuldig macht, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft, sofern in diesem Staate nach veröffentlichten Staatsverträgen oder nach Gesetzen dem Deutschen Reiche die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Regierung ein."[10] Die Strafnorm geht also auf eine Zeit zurück,

in der die demokratische Staatsform noch nicht weit verbreitet war. Das allein dürfte die Strafnorm aber nicht in Frage stellen, da das StGB zu großen Teilen auf dem RStGB beruht. Auffällig ist jedoch, dass § 103 StGB auf eine Strafnorm zurückgeht, die nur die Beleidigung von Landesherren und Regenten erfasste, nicht aber die Beleidigung des Präsidenten einer Republik.[11] § 103 StGB erfasst jedoch auch die Beleidigung des Staatsoberhaupts einer Republik und wurde insoweit aktualisiert.

Nach zwischenzeitlicher Aufhebung des § 103 RStGB nach dem zweiten Weltkrieg durch die Alliierten, gab der Gesetzgeber durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz im Jahr 1953 dem § 103 StGB seine im Wesentlichen heute gültige Form.[12] Die Wiederaufnahme einer Strafnorm gegen Ehrverletzungen ausländischer Staaten war bei den Beratungen zum Dritten Strafrechtsänderungsgesetz umstritten, da befürchtet wurde, dass die Strafbarkeit insbesondere im Hinblick auf Diktaturen zu weit ausgedehnt werden würde.[13] Diese Bedenken dürften weiterhin gelten, da es auch heute noch Staaten gibt, die keine Rechtsstaaten sind und deren Organe und Vertreter trotzdem den Schutz durch § 103 StGB genießen.

3. Zweck des § 103 StGB

Im Folgenden soll versucht werden, zu ergründen, warum es eine Strafnorm wie den § 103 StGB geben könnte. Dafür wird zunächst knapp dargestellt, ob völkerrechtlich eine Pflicht bestehen könnte, eine Strafnorm wie § 103 StGB zu erlassen (dazu a.). Anschließend wird § 103 StGB mit den Strafnormen verglichen, welche die Beleidigung von deutschen Staatsorganen und Politikern speziell unter Strafe stellen (dazu b.).

a) Keine völkerrechtliche Pflicht, Sonderstrafnormen zu erlassen

Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht bereits völkerrechtlich dazu verpflichtet, eine Strafnorm, welche die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten unter Strafe stellt, zu erlassen. Nach klassischem Völkergewohnheitsrecht war ein Staat zwar gehalten, einen auf seinem Gebiet begangenen – ihm jedoch nicht zurechenbaren – Angriff von Privatpersonen zu bestrafen oder den Täter an den ausländischen Staats auszuliefern.[14] Nach gewichtigen Stimmen der Völkerrechtslehre sollte dies auch für Ehrangriffe gegen ausländische Staaten gelten.[15] Dieser Ansicht scheint auch das Bundesverwaltungsgericht zu sein oder jedenfalls gewesen zu sein.[16]

Selbst wenn es Völkergewohnheitsrecht sein sollte, dass ein Staat auch Ehrangriffe gegen den ausländischen Staat zu bestrafen hat, so soll hieraus aber wegen mangelnder konsistenter Praxis noch keine Pflicht folgen, Sonderstrafnormen wie den § 103 StGB zu erlassen.[17]

b) Vergleich mit anderen Strafnormen

Um festzustellen, ob es erforderlich sein könnte, § 103 StGB abzuschaffen oder zu reformieren, soll § 103 StGB mit den Normen verglichen werden, die Beleidigungen von deutschen Politikern und Staatsorganen speziell unter Strafe stellen – § 188 StGB sowie der § 90 StGB und der § 90b StGB.[18]

aa) Strafbarkeit nach § 188 StGB sowie § 90 StGB und § 90b StGB

Nach § 188 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften eine üble Nachrede (§ 186) aus Beweggründen begeht, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren. Zudem steht eine Verleumdung (§ 187) unter den genannten Voraussetzungen des § 188 Abs. 2 StGB unter einer erhöhten Strafandrohung. Damit § 188 StGB Anwendung findet, ist somit erforderlich, dass die üble Nachrede oder die Verleumdung öffentlich stattfand und geeignet ist, das politische Wirken des Opfers zu erschweren; ein tatsächlicher Vertrauensverlust (wie eine Abwahl) ist aber nicht erforderlich.[19] Zudem ist erforderlich, dass der Täter subjektiv aus besonderen Beweggründen handelt, die mit der Stellung des Opfers im öffentlichen Leben zusammenhängen. Dabei reicht, dass der Täter sich wegen der herausragenden Stellung des Opfers eine höhere Einschaltquote verspricht.[20]

Zudem kann die Verunglimpfung des Bundespräsidenten gemäß § 90 StGB und die verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen § 90b StGB einschlägig sein. Nach § 90 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten

von Schriften den Bundespräsidenten verunglimpft.[21] Nach § 90 Abs. 3 StGB ist der Strafrahmen erhöht, wenn die Tat eine Verleumdung ist oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.

Nach § 90b StGB macht sich strafbar, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Gesetzgebungsorgan, die Regierung oder das Verfassungsgericht des Bundes oder eines Landes oder eines ihrer Mitglieder in dieser Eigenschaft in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise verunglimpft und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.

bb) Vergleich der Rechtsgüter

Wenn man zunächst die Rechtsgüter dieser Normen gegenüberstellt, zeigt sich, dass sowohl § 90 StGB als auch § 90b StGB darauf zielen, die Bundesrepublik Deutschland und deren verfassungsmäßige Ordnung zu schützen, indem die jeweiligen Verfassungsorgane vor Verunglimpfungen geschützt werden sollen.[22] Die persönliche Ehre der Person soll von § 90b StGB hingegen nicht geschützt werden.[23] Bei § 90 StGB dürfte der persönliche Ehrenschutz zwar mitgeschützt sein.[24] Da sich die beiden Straftatbestände aber in dem Teil des StGB befinden, der mit der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats überschrieben ist, dürfte der Schutz der persönlichen Ehre nur mittelbar geschützt sein, weil das Amt des Bundespräsidenten mit der jeweiligen Person untrennbar verknüpft ist.

Dahingegen schützt § 103 StGB – wie bereits dargestellt – nach der überwiegend vertretenen Meinung die Ehre des ausländischen Staates und nach einer anderen Ansicht den Mindestbestand funktionierender Beziehungen zu ausländischen Staaten. § 103 StGB ist in seiner Schutzrichtung daher nicht mit dem § 90 StGB oder dem § 90b StGB vergleichbar, sondern vielmehr mit § 188 StGB, der einem erhöhten Ehrschutz deutscher Politiker sowie der Vermeidung der Vergiftung des politischen Klimas dient.[25]

cc) Vergleich von § 103 StGB zu § 188 StGB

Wegen der ähnlicheren Rechtsgüter soll § 103 StGB zunächst mit § 188 StGB verglichen werden. Hierbei fällt auf, dass der § 103 StGB bereits eine Beleidigung nach § 185 StGB erfasst, wohingegen dies § 188 StGB nicht tut. Zudem ist der Tatbestand des § 188 StGB auch enger, weil er objektiv erfordert, dass die Tat geeignet sein muss, das öffentliche Wirken der Person erheblich zu erschweren und subjektiv, dass der Täter aus besonderen Beweggründen handelt, die mit der Stellung des Opfers im öffentlichen Leben zusammenhängen. Wenn § 103 StGB – wie von der überwiegenden Meinung angenommen – Ehrschutz bezweckt, ist es fraglich, warum die Ehre von deutschen Politikern im Rahmen von § 188 StGB weniger weitreichend geschützt wird als die Ehre des ausländischen Staates.

Leichter zu begründen könnte diese Differenzierung sein, wenn § 103 StGB nicht oder nicht nur den Schutz der Ehre des ausländischen Staates bezweckt, sondern auch das Mindestmaß an funktionierenden Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten. Denn dann könnte man vertreten, dass die Bundesrepublik Deutschland durch § 103 StGB bezweckt, politische Kooperation mit anderen Staaten zu erreichen, die letztlich ihre Bürger schützen soll. Ob aber gerade eine Strafverfolgung – wie es der § 103 StGB vorsieht – dafür erforderlich ist, dürfte zweifelhaft sein. Zudem dient auch § 188 StGB nicht allein dem Ehrschutz, sondern soll die Vermeidung der Vergiftung des politischen Klimas sichern. Die unterschiedliche Ausgestaltung von § 103 StGB und § 188 StGB ist daher fragwürdig.

dd) Vergleich von § 103 StGB zu § 90 StGB und § 90b StGB

Aber auch wenn man § 103 StGB mit § 90 StGB sowie § 90b StGB vergleicht, fällt auf, dass § 103 StGB besonders streng ausgestaltet ist. Zum einen sieht § 103 StGB kein besonderes subjektives Element vor. Dies setzt aber § 90b StGB voraus und bei der Verunglimpfung des Bundespräsidenten nach § 90 StGB ist ein besonderes subjektives Element immerhin erforderlich, um eine Strafschärfung auszulösen. Diese unterschiedliche Ausgestaltung verwundert, weil § 103 StGB – anders als § 90 StGB – nicht nur die Beleidigung des ausländischen Staatsoberhaupt unter Strafe stellt, sondern auch die Beleidigung anderer ausländischer Exekutivmitglieder.

Zum anderen ist auffällig, dass § 103 StGB auch privat geäußerte Beleidigungen unter Strafe stellt,[26] diese hinsichtlich der durch § 90 StGB, § 90b StGB und § 188 StGB geschützten Personengruppen jedoch nicht strafbar sind. Welchen Grund das hat, ist unklar. Unbefangen würde man ja annehmen, dass ausländische Organe und Vertreter keinen weiterreichenden Schutz durch das Strafrecht benötigen als der Bundespräsident.

II. Konsequenzen der Abschaffung der Norm

Im Folgenden wird erläutert, welche Konsequenzen eine Abschaffung oder Reform des § 103 StGB hätte. Dazu wird zunächst dargestellt, wie dies ein laufendes Strafverfahren betreffen könnte (dazu 1.). Anschließend wird erläutert, dass nach Abschaffung des § 103 StGB die Beleidigung von Organen oder Vertretern eines ausländischen Staates strafbar wäre (dazu 2.).

1. Zeitliche Geltung von Strafnormen

Die Abschaffung oder Reform des § 103 StGB würde ein laufendes Strafverfahren beeinflussen: Zwar richtet sich grundsätzlich die Strafe nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt (§ 2 Abs. 1 StGB). Nach § 2 Abs. 3 StGB – die sogenannte Meistbegünstigungsklausel – ist aber, wenn das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert wird, das mildeste Gesetz anzuwenden.

Wenn § 103 StGB abgeschafft würde, könnte ein Täter in einem laufenden Strafverfahren nicht mehr wegen dieser Norm bestraft werden.[27] Wenn der Straftatbestand des § 103 StGB reformiert wurde, so wäre der mildere neue Straftatbestand anzuwenden.

Zeitpunkt der Entscheidung meint die rechtskräftige Aburteilung, sodass auch noch in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen wäre, falls zwischenzeitlich § 103 StGB reformiert oder gar abgeschafft wurde.[28]

2. Bestrafung aus §§ 185 ff. StGB

Auch wenn § 103 StGB abgeschafft werden würde, wären Beleidigungen von Organen und Vertretern ausländischer Staaten weiterhin strafbar. Es wird nachfolgend dargestellt, dass dann die §§ 185 ff. StGB anwendbar wären (dazu a.) und dass bei den Delikten nach §§ 185 ff. StGB prozessuale Besonderheiten gelten (dazu b.).

a) Anwendbarkeit der §§ 185 ff. StGB

Wenn man – wie die überwiegende Meinung – als Rechtsgut des § 103 StGB den Ehrschutz annimmt, werden die §§ 185 ff. StGB verdrängt, wenn § 103 StGB einschlägig ist (lex specialis).[29] Wenn die Bestrafung aus § 103 StGB wegen Fehlens der Verfolgungsvoraussetzungen nach § 104a StGB ausscheidet oder aber § 103 StGB abgeschafft worden sein sollte, so wären die §§ 185 ff. StGB anwendbar.

Auch wenn Rechtsgut des § 103 StGB das Interesse des Bundesrepublik Deutschland an einem Mindestbestand funktionierender Beziehungen zu ausländischen Staaten wäre, so stünden § 103 StGB und §§ 185 ff. StGB grundsätzlich in Tateinheit zueinander. Bei Nichtanwendung von § 103 StGB, kann sich eine Strafbarkeit auch dann aus §§ 185 ff. StGB ergeben.[30]

Die §§ 185 ff. StGB erfassen selbstverständlich Beleidigungen ausländischer Personen und somit von Organen und Vertretern des ausländischen Staates, unabhängig davon, ob sie sich in Deutschland aufhalten oder nicht, da jede natürliche Person beleidigungsfähig ist.[31] Zudem gilt deutsches Strafrecht jedenfalls für solche Beleidigungen, die in Deutschland begangen werden (§ 3 StGB).

b) Prozessuale Besonderheiten

Grundsätzlich ist für eine Strafverfolgung nach §§ 185 ff. StGB ein Strafantrag des Verletzten gemäß § 194 Abs. 1 S. 1 StGB erforderlich. Eine Ersetzung des Strafantrags durch die Bejahung besonderen öffentlichen Interesses ist nicht vorgesehen (sogenanntes absolutes Antragsdelikt).[32] Anders als bei einer Strafverfolgung nach § 103 StGB muss somit der Verletzte einen Strafantrag stellen, um die Verfolgung der Tat zu ermöglichen.

Außerdem handelt es sich bei den Delikten nach §§ 185 ff. StGB um Privatklagedelikte im Sinne der §§ 374 ff. StPO. Die Staatsanwaltschaft verfolgt die Tat daher auch nur, wenn ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht (§ 376 StPO). In Strafverfahren, in denen die ausländische Regierung ein Strafverlangen nach § 104a StGB gestellt hatte, dürfte in der Regel ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehen. Ein solches Strafverlangen wird von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Öffentlichkeit hat daher ein Interesse, ob das Verhalten gegenüber dem Organ oder Vertreter des ausländischen Staates tatsächlich eine Strafnorm erfüllt haben könnte.

Für Beleidigungen von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, bei denen die ausländische Regierung kein Strafverlangen gestellt hat – sei es weil sie darauf verzichtet hat oder es die Möglichkeit, ein Strafverlangen zu stellen, nicht mehr gäbe –, dürfte zu differenzieren sein: Bei übler Nachrede und Verleumdung dürfte die Staatsanwaltschaft in der Regel ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung annehmen. Dies dürfte sich aus dem Regelungsgedanken der Nr. 229 Abs. 1 S. 2 RiStBV ergeben, welche für Fälle des § 188 StGB – bei denen ein deutscher Politiker sich einer üblen Nachrede oder Verleumdung ausgesetzt sieht – vorsieht, dass das öffentliche Interesse meist gegeben ist. Wenn es sich lediglich um eine Beleidigung handelt, dürfte die Staatsanwaltschaft hingegen in der Regel kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung annehmen.

III. Fazit und Ausblick

In der geltenden Weite und Schärfe bietet die Strafnorm des § 103 StGB durchaus Anlass, über ihre Notwendigkeit nachzudenken. Es bleibt spannend, ob der Gesetzgeber § 103 StGB tatsächlich abschaffen wird (und die mit den §§ 185 ff. StGB verbundenen prozessualen Besonderheiten in Kauf nehmen wird). Denkbar wäre es auch, § 103 StGB nicht abzuschaffen, sondern lediglich enger zu fassen.

§ 103 StGB könnte in Anlehnung an § 188 StGB auf solche Sachverhalte begrenzt werden, die geeignet sind, das öffentliche Wirken des Organs oder des Vertreters des ausländischen Staates erheblich zu erschweren. Zudem wäre denkbar, ein besonderes subjektives Merkmal vorzusehen. Dabei käme zum einen in Betracht – ebenfalls in Anlehnung an § 188 StGB –, dass der Täter in Zusammenhang mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben agiert haben müsste. Zum anderen wäre es aber auch vorstellbar, dass der Täter – wie von § 90b StGB vorgesehen – handelt, um sich für Bestrebungen gegen den Bestand des ausländischen Staates oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen.


[1] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/04/2016-04-15-bundesregierung-entscheidung-boehmermann.html.

[2] BT-Drucksache 18/8123.

[3] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), § 103 StGB Rn. 1 mit Verweis auf BT-Drucksache 1/1307, S. 39; BVerwG NJW 1982, 1008, 1009; vgl. Schönke/Schröder-Eser, 29. Auflage (2014), § 103 StGB Rn. 1; Lackner/Kühl, 28. Auflage (2014), § 103 StGB Rn. 1; Leipziger Kommentar-Bauer/Gmel, 12. Auflage (2007), § 103 StGB Rn. 1; diese überwiegende Meinung scheint sich seit dem Jahr 1953 durchgesetzt zu haben: Heinen, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts: Historische Entwicklung und aktuelle Gesetzeslage in den Niederlanden (Art. 118 Sr) und in Deutschland (§ 103 StGB), 2005, S. 95 f.

[4] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Wohlers/Kargl, 4. Auflage (2013), Vor §§ 102 ff. Rn. 2 m.w.N.

[5] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Wohlers/Kargl, 4. Auflage (2013), Vor §§ 102 ff. Rn. 2 m.w.N.

[6] Vgl. nur: BVerfG NStZ 1990, 383, 383; BVerfG NJW 2003, 3760, 3760.

[7] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), § 103 StGB Rn. 3 m.w.N.; BVerwG NJW 1982, 1008, 1009; Beck’scher Online Kommentar-Valerius, 30. Edition (Stand: 1. Dezember 2015), § 103 StGB Rn. 2.

[8] Fischer , 63. Auflage 2016, § 104a StGB Rn. 2; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Wohlers/Kargl, 4. Auflage (2013), § 104a StGB Rn. 5.

[9] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), Vor §§ 102 ff. StGB Rn. 1. Zuvor fanden sich in § 78 Preußisches Gesetzbuch von 1851 sowie in § 135 f. Allgemeines Preußisches Landerecht ähnliche Strafnormen. Hierzu im Einzelnen: Heinen, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts: Historische Entwicklung und aktuelle Gesetzeslage in den Niederlanden (Art. 118 Sr) und in Deutschland (§ 103 StGB), 2005, S. 21 ff.

[10] https://de.wikisource.org/wiki/Strafgesetzbuch_für_das_Deutsche_Reich_(1871)#.C2.A7._103. Daneben existierte § 104 RStGB, der lautete: "Wer sich gegen einen bei dem Reiche, einem bundesfürstlichen Hofe oder bei dem Senate einer der freien Hansestädte beglaubigten Gesandten oder Geschäftsträger einer Beleidigung schuldig macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Beleidigten ein."

[11] Heinen , Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts: Historische Entwicklung und aktuelle Gesetzeslage in den Niederlanden (Art. 118 Sr) und in Deutschland (§ 103 StGB), 2005, S. 29.

[12] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), Vor §§ 102 ff. StGB Rn. 1; vgl. Heinen, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts: Historische Entwicklung und aktuelle Gesetzeslage in den Niederlanden (Art. 118 Sr) und in Deutschland (§ 103 StGB), 2005, S. 36.

[13] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), § 103 StGB Rn. 3.

[14] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), Vor §§ 102 ff. StGB Rn. 2.

[15] Vgl. Nachweise bei Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), Vor §§ 102 ff. StGB Rn. 2.

[16] BVerwG NJW 1982, 1008, 1009.

[17] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), Vor §§ 102 ff. StGB Rn. 2 m.w.N.; Heinen, Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts: Historische Entwicklung und aktuelle Gesetzeslage in den Niederlanden (Art. 118 Sr) und in Deutschland (§ 103 StGB), 2005, S. 85.

[18] Selbstverständlich finden die allgemeinen Strafnormen nach §§ 185 StGB auch Anwendung auf deutsche Politiker und Staatsorgane.

[19] Münchner Kommentar-Regge/Pegel, 2. Auflage (2012), § 188 StGB Rn. 11.

[20] Münchner Kommentar-Regge/Pegel, 2. Auflage (2012), § 188 StGB Rn. 15.

[21] Gemäß § 90 Abs. 2 StGB kann das Gericht in minder schweren Fällen, in denen die Voraussetzungen von § 188 StGB nicht erfüllt sind, die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2 StGB).

[22] Für § 90 StGB: Münchner Kommentar-Steinmetz, 2. Auflage (2012), § 90 StGB Rn. 1; für § 90b StGB: BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1981 – 3 StR 396/81; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Paeffgen, 4. Auflage (2013), § 90b StGB Rn. 2; vgl. Münchner Kommentar-Steinmetz, 2. Auflage (2012), § 90b StGB Rn. 1

[23] Münchner Kommentar-Steinmetz, 2. Auflage (2012), § 90b StGB Rn. 1; vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2012 – 3 StR 397/81.

[24] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Paeffgen, 4. Auflage (2013), § 90 StGB Rn. 2.

[25] Leipziger Kommentar-Bauer/Gmel, 12. Auflage (2007), § 103 StGB Rn. 3; BVerfG NJW 1956, 99, 100.

[26] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Wohlers/Kargl, 4. Auflage (2013), § 103 StGB Rn. 2.

[27] Münchner Kommentar-Schmitz, 2. Auflage (2011), § 2 StGB Rn. 27; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Hassemer/Kargl, 4. Auflage (2013), § 2 Rn. 25 m.w.N.

[28] Münchner Kommentar-Schmitz, 2. Auflage (2011), § 2 StGB Rn. 25; Beck’scher Online Kommentar-Heintschel-Heinegg, 30. Edition (Stand: 1. Dezember 2015), § 2 StGB Rn. 6.

[29] Münchner Kommentar-Kreß, 2. Auflage (2012), § 103 StGB Rn. 2; Leipziger Kommentar-Bauer/Gmel, 12. Auflage 2007, § 103 StGB Rn. 6.

[30] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Wohlers/Kargl, 4. Auflage (2013), §§ 103 Rn. 4.

[31] Münchner Kommentar-Regge/Pegel, 2. Auflage (2012), Vor §§ 185 ff. StGB Rn. 39 m.w.N.

[32] Münchner Kommentar-Regge/Pegel, 2. Auflage (2012), § 194 StGB Rn. 1 m.w.N.