HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2016
17. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

418. BGH 1 StR 526/15 - Urteil vom 15. März 2016 (LG Ansbach)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (abweichendes Sexualverhalten als schwere andere seelische Abartigkeit: Gesamtbetrachtung; Gefährlichkeitsprognose: schwere Störung des Rechtsfriedens durch zu erwartende Straftaten).

§ 63 StGB; § 20 StGB; § 21 StGB

1. Ein abweichendes Sexualverhalten, wie es für den Angeklagten in Form einer Pädophilie festgestellt worden ist, kann nicht ohne Weiteres einer schweren Persönlichkeitsstörung gleichgesetzt und dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit i.S.v. §§ 20, 21 StGB zugeordnet werden (st. Rspr.). Eine festgestellte Pädophilie kann aber im Einzelfall eine schwere andere seelische Abartigkeit und eine hierdurch erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit begründen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen.

2. Ob die sexuelle Devianz in Form einer Pädophilie einen Ausprägungsgrad erreicht, der dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit zugeordnet werden kann und dann regelmäßig eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nahelegt (vgl. dazu BGH, NStZ 2015, 688), ist aufgrund einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und seiner Taten zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 2001, 243, 244). Dabei kommt es darauf an, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag.

3. Für die Gefährlichkeitsprognose im Rahmen von § 63 StGB kommt es darauf an, dass die zukünftig zu erwartenden Straftaten eine schwere Störung des Rechtsfriedens befürchten lassen. Die den Anlass der Unterbringung bildenden verfahrensgegenständlichen Taten müssen dabei selbst nicht erheblich sein (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 76 f.). Allerdings müssen nach geltendem Recht die zukünftig zu erwartenden Straftaten, um schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen zu lassen, grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (st. Rspr.).

4. Das ist bei Taten wie dem Besitz und dem Verbreiten von Kinderpornographie der Fall (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 339, 340) und gilt für „hands-on-Delikte“ zu Lasten von Kindern erst recht.

5. Dafür kommt es auf eine individuelle Prognose auf der Grundlage einer differenzierten Einzelfallanalyse an. Dabei ist es bei entsprechenden Anknüpfungstatsachen möglich, individualprognostisch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten anzunehmen, die den Anlasstaten nicht entsprechen, sondern – wie Sexualdelikte zu Lasten von Kindern mit körperlichem Kontakt (hands-on-Delikte) – über diese im Unrechtsschweregrad hinausgehen.


Entscheidung

512. BGH 5 ARs 50/15 - Beschluss vom 1. März 2016 (BGH)

Anfrageverfahren (selbst zu verantwortende Trunkenheit; Strafrahmenverschiebung; Festhalten an bisheriger Rechtsprechung).

§ 21 StGB; § 49 StGB; § 132 GVG

Der Senat hält entgegen der Ansicht des anfragenden Senates an seiner Rechtsprechung fest, wonach es im Falle selbst zu verantwortender Trunkenheit in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung spricht, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls infolge der Alkoholisierung das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant erhöht hat.


Entscheidung

459. BGH 4 StR 54/16 - Beschluss vom 1. März 2016 (LG Essen)

Strafzumessung (Berücksichtigung der vom Angeklagten nicht zu vertretenen Art der Tatausführung).

§ 46 StGB

Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nicht oder nur eingeschränkt zur Last gelegt werden, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 140).


Entscheidung

471. BGH 4 StR 586/15 - Beschluss vom 3. März 2016 (LG Detmold)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Zusammenhang zwischen Tat und Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen: Voraussetzungen).

§ 64 StGB

1. Für die Bejahung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Tat und Hang im Sinne des § 64 StGB ist es ausreichend, dass der Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter die Tat begangen hat. Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar oder mittelbar auch der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum dient.

2. Der für eine Anordnung nach § 64 StGB erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und der bzw. den Anlasstaten muss sicher feststehen und es bedarf hierfür bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielten, besonderer, diese Feststellung begründender Umstände. Auch hält der Senat daran fest, dass es an einem solchen Zusammenhang fehlt, wenn die Taten allein zur Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs oder zur Gewinnerzielung bestimmt waren.


Entscheidung

488. BGH 3 StR 547/15 - Beschluss vom 23. Februar 2016 (LG Oldenburg)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei kaum messbaren, objektiv schwer darstellbaren Befunden („kombinierte Persönlichkeitsstörung“).

§ 63 StGB

Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung stellt nicht ohne Weiteres eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer relevanten Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters dar und rechtfertigt nur bei Vorliegen weiterer Umstände die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Denn bei solchen Störungen besteht häufig die Gefahr, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Das gilt vor allem dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer „kombinierten Persönlichkeitsstörung“ der Fall ist.