HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2016
17. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

212. BGH 1 StR 373/15 - Urteil vom 27. Oktober 2015 (LG Mannheim)

BGHSt; Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall (Steuerverkürzung im großen Ausmaß: einheitliche Wertgrenze von 50.000 Euro, keine Differenzierung nach Gefährdung des Steueranspruchs oder dem Eintritt des Vermögensschadens beim Staat, keine Differenzierung nach der Art der Herbeiführung; Vorliegen eines besonders schweren Fall bei Erfüllung des Regelbeispiels: Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls; Konkurrenzen bei Abgabe unterschiedlicher Steuererklärung: ausnahmsweise Tateinheit bei einheitlicher Erklärung); Umsatzsteuerhinterziehung („Strohmann“ als leistender Unternehmer und Steuerschuldner).

§ 370 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Abs. 4 AO; § 52 StGB; § 13a UStG; § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG

1. Ein großes Ausmaß im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO liegt bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000 Euro vor (Fortentwicklung von BGHSt 53, 71). (BGHSt)

2. Der Senat hält nicht an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Wertgrenze für eine Steuerverkürzung im großen Ausmaß bei 100.000 Euro liegt, wenn der Steuerpflichtige zwar eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) begeht, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt, er dabei aber lediglich steuerpflichtige Einkünfte oder Umsätze verschweigt und allein dadurch eine Gefährdung des Steueranspruchs herbeiführt. (Bearbeiter)

3. Steuerhinterziehung und Betrug sind nicht uneingeschränkt vergleichbar (dazu näher BGHSt 58, 50, 54 ff. Rn. 12-18), weil die Steuerhinterziehung gegenüber dem Betrugstatbestand „strukturelle Unterschiede“ aufweist. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO fordert für eine Steuerverkürzung lediglich eine nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig erfolgte Steuerfestsetzung, nicht aber den Eintritt eines Vermögensverlusts beim Fiskus. Das Gesetz unterscheidet damit in § 370 AO nicht zwischen der Gefährdung des Steueranspruchs und dem Eintritt des Vermögensschadens beim Staat. Vor diesem Hintergrund zwischen Gefährdungsschaden und eingetretenem Schaden zu differenzieren, ist deshalb nicht gerechtfertigt. Steht aber die Gefährdung des Steueranspruchs dem beim Fiskus eingetretenen Schaden bei der Tatbestandserfüllung qualitativ gleich, ist die Verdoppelung des Schwellenwerts bei dem sog. Gefährdungsschaden nicht zu begründen. (Bearbeiter)

4. Das Merkmal „in großem Ausmaß“ ist erfolgsbezogen, weil es an der Höhe der verkürzten Steuer betragsmäßig anknüpft. Aus dem erfolgsbezogenen würde ein handlungsbezogenes Merkmal, wenn der das Regelbeispiel begründende, typischerweise erhöhte Unrechts- und Schuldgehalt nicht mehr aus dem Umfang des Taterfolgs, sondern aus der Art seiner Herbeiführung hergeleitet wird. Die Unterscheidung nach der Art und Weise der Hinterziehung von Steuern ist mit dem auf den Taterfolg abstellenden Regelbeispiel schon von seinem Wortlaut her nicht ohne Weiteres vereinbar. Die Art seines manipulativen Verhaltens findet ihren Platz bei der Gesamtwürdigung im Rahmen der Prüfung, ob die „Indizwirkung“ des Regelbeispiels entkräftet wird oder umgekehrt bei Nichterreichen der Wertgrenze ein unbenannter besonders schwerer Fall anzunehmen ist. (Bearbeiter)

5. Für den Tatrichter verbleibt auch bei einer einheitlichen Wertgrenze von 50.000 Euro ausreichend Spielraum, um den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Hierzu hat der Senat in seiner Grundsatzentscheidung bereits angemerkt (BGHSt 53, 71, 88), dass die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet, dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen auch - in einem zweiten Schritt zu prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften. In diesem Zusammenhang spielen die vorgenannten handlungsbezogenen Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle. In ihrem Licht hat der Tatrichter zu beurteilen, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels durchgreifen kann. (Bearbeiter)

6. Bei Bejahung eines Regelbeispiels verbleibt die Möglichkeit, innerhalb des Strafrahmens die konkrete Einzelstrafe wegen des Eintritts eines bloßen Gefährdungsschadens niedriger oder wegen eines Steuerverlusts höher anzusetzen; auch Geständnis, lange Verfahrensdauer, Nachzahlung der verkürzten Steuern, Steuerhinterziehungen, die sich erst nach Anwendung des Kompensationsverbots ergeben, der Aufbau besonderer unternehmerischer Strukturen, um den steuerunehrlichen Handel zu betreiben, raffinierte Manipulationen und Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden, können als Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt werden. (Bearbeiter)

7. Auch ein Strohmann, der nach außen im eigenen Namen auftritt, im Verhältnis zum Hintermann jedoch auf dessen Rechnung handelt, kann leistender Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes sein. Vorgeschobene Strohmanngeschäfte zwischen einem Strohmann und dem Leistungsempfänger sind hingegen dann umsatzsteuerrechtlich unbeachtlich, wenn sie nur zum Schein (vgl. § 41 Abs. 2 AO) abgeschlossen sind, mithin die Vertragsparteien - der Strohmann und der Leistungsempfänger - einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem „Hintermann“ eintreten sollen (vgl. BGH NStZ 2015, 283, 285). (Bearbeiter)


Entscheidung

248. BGH 2 StR 525/13 - Urteil vom 23. Dezember 2015 (LG Frankfurt a. M.)

BGHSt; Verfassungskonformität von Blankettstrafgesetzen mit Rückverweisungsklausel (Anforderungen des Bestimmtheitsgebots und des Demokratieprinzips); gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind (Verfassungsmäßigkeit; Begriff des Tabakerzeugnis; Begriff des oralen Gebrauchs); Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen; unerlaubtes Inverkehrbringen von Arzneimitteln (Verfassungsmäßigkeit; Begriff des Arzneimittel: gesundheitsfördernde Wirkung); Verbotsirrtum (bedingtes Unrechtsbewusstsein); Normauslegung (Dokumentationen des Gesetzgebungsprozess als Auslegungshilfen).

Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 12 Abs. 1 GG; § 3 Abs. 1 VTabakG; § 20 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 VTabakG; § 21 Abs. 1 Nr. 1 VTabakG; § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG; § 2 Abs. 1 AMG; § 95 Abs. 1 AMG; § 17 StGB

1. Nikotinhaltige Verbrauchsstoffe für elektronische Zigaretten sind keine Arzneimittel, soweit sie nicht zur Rauchentwöhnung bestimmt sind. Es handelt sich um Tabakerzeugnisse, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind und dem Anwendungsbereich des § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG unterliegen. Diese Strafnorm genügt dem Gesetzesvorbehalt für das Strafrecht, auch soweit sie auf eine Rechtsverordnung mit Rückverweisungsklausel Bezug nimmt. (BGHSt)

2. Die Strafdrohung gegen das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind und gegen das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. (Bearbeiter)

3. Dem Gesetzgeber ist es nicht untersagt, in einem Blankettstrafgesetz die Beschreibung des Straftatbestandes durch Verweisung auf eine Regelung im gleichen Gesetz oder in Normen eines anderen rechtssetzenden Organs zu ersetzen (vgl. BVerfGE 14, 245, 252). Dabei sind Gesetze im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG auch Rechtsverordnungen, welche im Rahmen von Ermächtigungen ergangen sind, die den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen (vgl. BVerfGE 51, 60, 73). Die Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen allerdings im Blankettstrafgesetz selbst oder in einer in Bezug genommenen gesetzlichen Regelung desselben parlamentarischen Gesetzgebers hinreichend deutlich umschrieben sein (vgl. BGHSt 59, 11, 15 f.). Verweist der Gesetzgeber im Rahmen einer Verweisungskette auch auf Rechtsverordnungen, muss er dafür Sorge tragen, dass die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aus dem Gesetz heraus voraussehbar sind. Dem Verordnungsgeber darf nur eine gewisse Spezifizierung des Tatbestandes überlassen werden (vgl. BVerfGE 37, 201, 209). (Bearbeiter)

4. Danach führt die Verweisung eines Blankettstrafgesetzes auf eine Rechtsverordnung mit Rückverweisungsvorbehalt nicht zur Verfassungswidrigkeit der Strafnorm. Der zusätzliche Schutz des Normadressaten kann nicht dahin verstanden werden, dass die Beschreibung strafbaren Handelns der Exekutive überlassen werde. (Bearbeiter)

5. Die Strafdrohung gegen gewerbsmäßiges Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind, oder gegen Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen verstößt ebenso nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. (Bearbeiter)

6. Die Strafdrohung gegen gewerbsmäßiges Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind, oder gegen Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen ist schließlich auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Eine unterschiedliche Behandlung solcher Tabakerzeugnissen gegenüber Tabakerzeugnissen, die zum Gebrauch durch Rauchen oder Kauen bestimmt sind, ist wegen ihrer Anziehungskraft auf Jugendliche und noch ungenügender Qualitätskontrolle beim Inverkehrbringen solcher Stoffe gerechtfertigt. (Bearbeiter)

7. § 3 Abs. 1 VTabakG setzt nicht voraus, dass die Tabakerzeugnisse im Sinne dieses Gesetzes selbst ganz oder teilweise aus Rohtabak bestehen. Erfasst werden nach dem Wortlaut des Gesetzes vielmehr auch Weiterverarbeitungsprodukte, die „unter Verwendung von Rohtabak“ hergestellt wurden. (Bearbeiter)

8. Weder Wortlaut, der Zweck der Norm noch der Wille des Gesetzgebers erfordern auch bei richtlinienkonformer Auslegung des § 3 VTabakG, dass der Begriff des Tabakerzeugnisses zum anderweitigen oralen Gebrauch auf Tabakprodukte zu beschränken ist, welche, wie Snustabak, in der Mundhöhle gehalten werden. (Bearbeiter)

9. Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels fallen nur solche Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG). Ein Erzeugnis erfüllt diese Merkmale, wenn es entweder ausdrücklich als Mittel mit solchen Eigenschaften bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher, gegebenenfalls auch nur schlüssig, jedoch mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Produkt in Anbetracht seiner Aufmachung solche Eigenschaften haben müsse. (Bearbeiter)

10. Arzneimittel sind Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten bestimmt sind oder sich dazu eignen, physiologische Funktionen zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu ermöglichen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AMG). Bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung werden davon Stoffe nicht erfasst, deren Wirkungen sich auf eine Beeinflussung der physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein. Deshalb können Erzeugnisse, die ausschließlich zu Entspannungs- oder Rauschzwecken konsumiert werden und zum Teil auch gesundheitsschädlich wirken, nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden. (Bearbeiter)

11. Die genaue rechtliche Einordnung der Strafbarkeit seines Verhaltens braucht der Täter nicht zu kennen, damit ihm ein Unrechtsbewusstsein vorgehalten werden kann (vgl. BGHSt 52, 227, 239 f.). Es genügt das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche gesetzlichen Bestimmungen (vgl. BGHSt 58, 15, 28). (Bearbeiter)

12. Bei einem Handeln mit bedingtem Unrechtsbewusstsein weiß der Täter jedenfalls, dass ein Teil der vertretenen Rechtsauffassungen zur Annahme der Rechtswidrigkeit seiner Handlung führt. Er kann sich dann nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine zum anderen Teil vertretene Rechtsauffassung dies ablehnt. (Bearbeiter)

13. Der Wille des Gesetzgebers kann zwar im Einzelfall aus den Materialien eines Gesetzgebungsverfahrens entnommen und unter bestimmten Umständen zur Auslegung eines Gesetzes herangezogen werden. Das gilt aber nicht in gleicher Weise für eine nachträgliche Bemerkung eines einzelnen an der Gesetzgebung beteiligten Organs. (Bearbeiter)


Entscheidung

251. BGH 2 ARs 434/14 - Beschluss vom 23. Dezember 2015 (BGH)

Anfrageverfahren zum unerlaubtem Inverkehrbringen von Arzneimitteln (Begriff des Funktionsarzneimittels: gesundheitsfördernde Wirkung); unerlaubtes Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen (Kräutermischung).

§ 132 Abs. 1 GVG; § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG; § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG; § 52 VTabakG

Der Senat stimmt mit dem 5. Strafsenat darin überein, dass der Begriff des Funktionsarzneimittels auch voraussetzt, dass das Mittel – unbeschadet eventueller gesundheitsschädlicher Nebenfolgen – jedenfalls unter anderem auch eine positive Wirkung auf die Gesundheit hat oder haben soll.


Entscheidung

281. BGH 5 StR 510/13 - Beschluss vom 19. Februar 2014 (LG Hamburg)

Betrug (Schaden bei Risikogeschäften: wirtschaftliche Bestimmung, Darstellung im Urteil; subjektiver Schadenseinschlag: Voraussetzungen).

§ 263 Abs. 1 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Inwieweit die Grundsätze des subjektiven Schadeneinschlags angesichts der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 126, 170), wonach normative Gesichtspunkte bei der Bewertung von Schäden zwar eine Rolle spielen, die wirtschaftliche Betrachtung allerdings nicht überlagern oder verdrängen dürfen, in Teilen einer Korrektur bedarf, muss der Senat hier nicht entscheiden.

2. Bei Bestehen eines der Leistung entsprechenden objektiven Gegenwertes des seitens des Getäuschten erlangten Anlagegegenstands kann nur dann aufgrund des subjektiven Schadenseinschlags gleichwohl ein Vermögensschaden eintreten, wenn der objektive Wert des Erlangten für den Erwerber nicht realisierbar ist, weil es ihm unmöglich (oder unzumutbar) ist, diesen in Geld umzusetzen, und ihm der erworbene Anlagegegenstand auch keinen vermögensmäßig beachtlichen Gebrauchsvorteil verschafft. Soweit das Erlangte hingegen einen für jedermann realisierbaren Geldwert aufweist, scheidet danach ein Vermögensschaden unabhängig von Aspekten des persönlichen Schadenseinschlags in jedem Fall aus.

3. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung, vgl. BGHSt 53, 199, 201). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt (vgl. BGHSt 16, 220, 221).

4. Ist der Getäuschte ein Risikogeschäft eingegangen, kommt es für die Bestimmung des Schadens maßgeblich auf die täuschungs- und irrtumsbedingte Verlustgefahr an. Ein nur drohender, ungewisser Vermögensabfluss stellt erst dann einen Schaden dar, wenn der wirtschaftliche Wert des gefährdeten Vermögens bereits gesunken ist (vgl. BGHSt 53, 199, 202 f.). Dies ist der Fall, wenn der Geldwert des seitens des Getäuschten erworbenen Anspruchs infolge der Verlustgefahr geringer ist als derjenige der eingegangenen Verpflichtung. Dieser Minderwert des im Synallagma Erlangten ist unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen und entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 126, 170, 229;) konkret festzustellen sowie gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zur wirtschaftlichen Schadensfeststellung zu beziffern (vgl. BGH wistra 2013, 20).

5. Dazu ist das zum Verfügungszeitpunkt bestehende Verlustrisiko anhand des vorhandenen Unternehmensvermögens und der in Anbetracht der Pläne des Täters zu prognostizierenden Unternehmensentwicklung mit sachverständiger Hilfe nach wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungsverfahren beziffert und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BVerfGE 126, 170, 224, 230 f.).


Entscheidung

217. BGH 1 StR 465/14 - Urteil vom 28. Oktober 2015 (LG München I)

Steuerhinterziehung (Anforderungen an die Darstellung der hinterzogenen Steuern im Urteil); Beihilfe zur Steuerhinterziehung (Beihilfevorsatz: Strafzumessung: Höhe der Steuern, deren Hinterziehung durch die Beihilfehandlung tatsächlich gefördert wurde); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 370 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StPO; § 27 StGB; § 15 StGB; § 16 StGB; § 46 StGB; § 261 StPO

1. Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) reicht es regelmäßig nicht aus, dass die den Straftatbestand ausfüllende steuerrechtliche Norm bezeichnet und die Summe der verkürzten Steuern in den Urteilsgründen mitgeteilt wird. Vielmehr müssen die Urteilsgründe gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO für jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum unter Schuldgesichtspunkten so klare Feststellungen treffen, dass sowohl die dem Schuldspruch zugrunde liegenden steuerrechtlichen Gesichtspunkte als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden (st. Rspr). Dazu gehören jedenfalls diejenigen Tatsachen, die den staatlichen Steueranspruch begründen, und diejenigen Tatsachen, die für die Höhe der geschuldeten und der verkürzten Steuern von Bedeutung sind (vgl. BGH wistra 2015, 476).

2. Die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und daher Aufgabe des Tatgerichts (vgl. BGH NStZ 2001, 200 f.), die für das Revisionsgericht nachvollziehbar sein muss. Den der Berechnungsdarstellung zukommenden Aufgaben kann nicht durch Bezugnahmen auf Betriebsprüfungsberichte, Steuererklärungen o.ä. entsprochen werden.

3. Bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist für die Bemessung der Strafe des Gehilfen das im Gewicht seines Tatbeitrages zum Ausdruck kommende Maß seiner Schuld maßgeblich; dabei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit Umfang und Folgen der Haupttat ihm zuzurechnen sind (vgl. BGH wistra 2000, 463 mwN). Denn die Strafe jedes einzelnen Tatbeteiligten einer Steuerhinterziehung bestimmt sich – wie auch sonst – nach dem Maß seiner individuellen Schuld. Hieraus folgt, dass sich im Falle der Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung aus

dem Urteil auch ergeben muss, in welcher Höhe die eingetretene Steuerverkürzung vom Gehilfen gefördert wurde. Hat der Haupttäter unabhängig vom Gehilfenbeitrag weitere Steuern verkürzt, muss sich das Urteil auch zum Ausmaß dieser Verkürzung verhalten, wenn diese beim Gehilfen strafschärfend gewertet werden soll (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 311, 312).


Entscheidung

219. BGH 1 StR 530/15 - Beschluss vom 20. Januar 2016 (LG Krefeld)

Hinterziehung von Tabaksteuer durch Einfuhr auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Verhältnis zu einer Steuerhehlerei der Tabakwaren im EU-Ausland: Tatmehrheit).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 21 Abs. 1 TabStG; § 374 Abs. 1 AO; § 53 StGB

Verschafft sich ein Täter in einem anderen Mitgliedsstaat Tabakwaren, hinsichtlich deren bei der Einfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Union Einfuhrabgaben hinterzogen wurden, und führt er diese Tabakwaren nach Deutschland ein, stehen die durch Unterlassen begangene Hinterziehung deutscher Tabaksteuer und die zuvor im Ausland durch aktives Tun begangene Steuerhehlerei im Verhältnis der Tatmehrheit nach § 53 StGB (vgl. BGH NStZ 2009, 159)


Entscheidung

228. BGH 2 StR 172/15 - Urteil vom 5. August 2015 (LG Fulda)

Vorenthalten von Arbeitsentgelt (Begriff des Arbeitgebers; Strafzumessung: Bestimmung der vorenthaltenden Sozialversicherungsbeiträge, Lohnzahlung aufgrund Schwarzgeldabrede als Nettoarbeitsentgelt).

§ 266a Abs. 1, 2 StGB; § 46 StGB; § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV

1. Arbeitgeber im Sinne des § 266a StGB ist derjenige, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 246, 247). Das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu bestimmen, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. In diese Gesamtbetrachtung sind insbesondere die Frage des Bestehens eines umfassenden Weisungsrechts, das Inhalt, Zeit, Ort und Dauer der Tätigkeit umfasst, die Gestaltung des Entgelts und seine Berechnung, Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des Arbeitgeberbetriebes sowie die Festlegung des täglichen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit einzustellen. Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses in dem genannten Sinne kann insbesondere das Vorliegen eines umfassenden Weisungsrechts, die Bestimmung der Arbeitszeiten und die Bezahlung nach festen Entgeltsätzen sowie der Umstand sprechen, dass der Arbeitnehmer kein unternehmerisches Risiko trägt.

2. Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a Abs. 1 und 2 StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge (vgl. BGHSt 53, 71, 75). Vorenthalten im Sinne des § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge.

3. Nach der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV enthaltenen Fiktion gilt in Fällen, in denen im Rahmen eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses, also einem Beschäftigungsverhältnis, in dem zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts bedingt vorsätzlich verletzt und Steuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt werden, ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Die Lohnzahlung aufgrund einer „Schwarzlohnabrede“ entspricht mithin bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BGHSt 53, 71, 77).


Entscheidung

227. BGH 2 StR 165/15 - Urteil vom 25. November 2015 (LG Rostock)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Mitführen einer Schusswaffe (Voraussetzungen).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 StGB

Ein Mitsichführen von Waffen beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln liegt vor, wenn der Täter eine Schusswaffe bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Der Wille des Täters, die Waffe im Fall eines Übergriffs Dritter im Zusammenhang mit dem Drogenhandel oder des Zugriffs von Ermittlungsbeamten tatsächlich einzusetzen, ist nicht erforderlich, es genügt vielmehr das Bewusstsein der Verfügbarkeit der Waffe.