HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2015
16. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Gedanken zur Straflosigkeit von Beschuldigtenlügen bei den §§ 145d, 164 StGB

Zugleich Besprechung zu BGH HRRS 2015 Nr. 358

Von Prof. Dr. Paul Krell, Bucerius Law School, Hamburg

Die Strafbarkeit der Verdachtsumlenkung wird schon länger kontrovers diskutiert. Dabei geht es zum einen um Auslegungsfragen bei den §§ 145d, 164 StGB. Zum anderen wird vielfach ein Spannungsfeld zwischen diesen Vorschriften und dem Nemo-tenetur-Grundsatz betont. Die Rechtsprechung ist bisher nicht über eine fallgruppenbasierte Lösung hinausgelangt, die zudem als inkonsequent kritisiert wird. In einer aktuellen Entscheidung bot sich dem BGH die Gelegenheit, übergreifende Lösungsansätze zu erörtern. Leider hat er diese verstreichen lassen.

I. Einführung

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Verdächtige in einem Strafverfahren seinen Sohn belastet, um den Verdacht von sich selbst abzulenken. Er wurde deswegen nach § 164 StGB verurteilt. Eine einschränkende Auslegung des Tatbestands kam nach Ansicht des 1. Strafsenats nicht in Betracht: Die Fallgruppen, in denen dies erwogen wird, waren nicht einschlägig, weshalb auch offenbleiben könne, ob sie trotz der daran geübten Kritik überhaupt anzuerkennen seien. Eine Einschränkung könne sich daher "lediglich aus übergeordneten verfassungsrechtlichen oder menschenrechtlichen Grundsätzen ergeben, aus denen sich für Beschuldigte bzw. Angeklagte im Strafverfahren ein Recht auf Lüge ableiten ließe".[1] Da ein solches Recht jedoch nicht anzuerkennen sei, bestehe kein Grund für eine Einschränkung des § 164 StGB. Diese recht pauschale Begründung berücksichtigt nicht hinreichend, dass man den bisherigen Ansatz über Fallgruppen als unzureichend und teils auch widersprüchlich kritisieren kann und eine verallgemeinernde Lösung durchaus wünschenswert wäre. Diese wiederum stünde und fiele – anders als der BGH meint – nicht mit einem prozessualen Recht zur Lüge.

Entscheidend ist vielmehr, dass Beschuldigtenlügen generell straflos bleiben sollten, sofern sie lügen und dadurch ausschließlich staatliche Interessen beeinträchtigen. Es wird vielfach auch ausdrücklich anerkannt, dass die Grenze zur Strafbarkeit erst erreicht sei, wenn Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden.[2] Damit hat man auf den ersten Blick eine eindeutige und einleuchtende Differenzierung. Diese müsste konsequenterweise dazu führen, dass Beschuldigtenlügen bei § 145d StGB straffrei bleiben, während sie bei § 164 StGB strafbar sind. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass diese Grenze in doppelter Hinsicht nicht so konsequent gezogen wird (dazu II.). Das erscheint noch hinnehmbar, solange es zugunsten des Beschuldigten wirkt. Wesentlich problematischer ist dagegen, dass teils auch eine Strafbarkeit von Beschuldigtenlügen begründet wird, die nur staatliche Interessen beeinträchtigen. Der Beitrag plädiert dafür, zumindest insoweit die eben skizzierte Grenze konsequenter zu ziehen und so einen folgerichtigen Umgang des Strafrechts mit Beschuldigtenlügen zu erreichen (dazu III.). Auf dieser Basis ergibt sich dann ein uneingeschränktes Prinzip, wonach Beschuldigtenlügen straffrei bleiben, wenn sie keine Rechtsgüter Dritter verletzen. Das betrifft in erster Linie § 145d StGB, in Einzelfällen aber auch § 164 StGB.

II. Die herrschende Differenzierung nach Fallgruppen

Bei den §§ 145d, 164 StGB wird überwiegend nach verschiedenen Fallgruppen differenziert. Kennzeichnend ist jeweils, dass der Beschuldigte lügt und diese Lüge geeignet ist, die Ermittlungsbehörden in die Irre zu führen. Dabei wird vielfach unterschieden zwischen der straflosen Verdachtsablenkung, bei der die Ermittlungen nur behindert werden, und der strafbaren Verdachtsumlenkung, bei der die Ermittlungen auf eine konkrete falsche Spur und dadurch in die Irre gelenkt werden.[3] Viel gewonnen ist damit schon deshalb nicht, weil sich die jeweiligen Fallgruppen nicht durchweg eindeutig in diese

Kategorien einordnen lassen. Hinzu kommt, dass mit der Zuordnung in eine der Fallgruppen noch nichts Endgültiges über die Strafbarkeit gesagt ist, sondern teilweise weiter differenziert wird. Die Begründungen überschneiden sich bei den §§ 145d, 164 StGB weitgehend, was daran liegt, dass § 145d StGB nach dem herrschenden Verständnis gleichsam in § 164 StGB enthalten ist. Danach schützen beide Vorschriften die staatliche Ermittlungstätigkeit als Universalrechtsgut, § 164 StGB aber zusätzlich die individuellen Interessen des Verdächtigten.[4]

Versucht man, die Konstellationen für unsere Problematik zu systematisieren, so gibt es einerseits Fälle, bei denen die Beschuldigtenlüge zu Lasten eines bestimmten Dritten wirkt oder zumindest wirken kann. Diese müssten prinzipiell strafbar sein, weil hier ja Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden. Dennoch werden hier manche Fälle als straflos angesehen (dazu 1.). Daneben gibt es Konstellationen, in denen der Beschuldigte lügt, ohne den Verdacht auf eine konkrete Person zu lenken. Da hier keine Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden, müssten diese Fälle an sich straffrei bleiben, doch wird hier gleichwohl unter bestimmten Voraussetzungen eine Strafbarkeit bejaht (dazu 2.).

1. Fälle mit konkretem Drittbezug: "schlichtes", "modifiziertes" und "qualifiziertes" Leugnen

In den Fällen mit konkretem Drittbezug bestreitet der Beschuldigte die Tat und bezichtigt dabei implizit oder ausdrücklich eine bestimmte andere Person. Dabei kann man zwischen "schlichtem", ,,modifiziertem" und "qualifiziertem" Leugnen unterscheiden

a) Beim schlichten Leugnen erschöpft sich die Lüge darin, dass der Beschuldigte die Tat abstreitet. Eine Strafbarkeit scheidet nach h.M. auch dann aus, wenn dadurch in Zwei-Personen-Konstellationen – insbesondere bei Straßenverkehrsdelikten ("Sind Sie gefahren?") – der Verdacht gleichsam automatisch auf den einzig anderen in Betracht kommenden Täter gelenkt wird.[5] Da der Wortlaut der §§ 145d Abs. 2 Nr. 1, 164 StGB hier offensichtlich erfüllt ist, kann es sich dabei nur um eine teleologische Reduktion handeln.[6] Sie wird – mit Unterschieden im Detail und teils auch abhängig von den einzelnen Fallgruppen – zum einen mit dem geschützten Rechtsgut und zum anderen mit dem prozessualen Schweigerecht des Beschuldigten begründet.[7] Darauf wird zurückzukommen sein.

b) Neben dem "schlichten" soll auch das "modifizierte" Leugnen straflos sein. Darunter versteht man den Fall, dass der Beschuldigte in den eben beschriebenen Zwei-Personen-Konstellationen den anderen ausdrücklich als Täter bezichtigt. Wenn das einfache Leugnen prozessual zulässig sei und demnach straflos bleiben müsse, dürfe nichts anderes gelten, sofern der Beschuldigte nur ausspreche, was ohnehin im Leugnen impliziert sei.[8] Die Grenze zur Strafbarkeit sei erst beim "qualifizierten" Leugnen erreicht, wenn der Täter die Beweislage zu Lasten des Dritten modifiziere.[9]

c) Eine rechtsgutsorientierte Lösung wird in zwei Spielarten vertreten: Teils wird das Universalrechtsgut direkt mit dem Verfahrensrecht dergestalt verknüpft, dass die Ermittlungsarbeit nur gegen prozessual unzulässiges Verhalten geschützt wird.[10] Da das Leugnen aber zulässig sei, beeinträchtige es schon nicht das geschützte Rechtsgut. Auf Basis des herrschenden Verständnisses, wonach die Rechtspflege davor schützt, ungerechtfertigt in Anspruch genommen zu werden, ist die Argumentation dagegen eine andere: In den einschlägigen Fällen bestehe ohnehin schon ein Verdacht gegen den anderen in Betracht kommenden Täter, sodass kein Mehraufwand für die Ermittlungsbehörden drohe.[11] Hier wird also das Verhalten als nicht ausreichend gefährlich eingestuft; es fehle die erforderliche Täuschungseignung.

Das entspricht prima facie den großzügigen Maßstäben, die die h.M. sonst anlegt, wenn es um "harmlose" Täuschungen geht. Exemplarisch sind Fälle, bei denen schon aus der Verdächtigung folgt, dass die Tat nicht verfolgbar ist, weil der angebliche Täter z.B. gerechtfertigt oder die Tat verjährt ist.[12] Hier wie dort ist allerdings zu kritisie-

ren, dass diese Ansätze jedenfalls nicht den äußerst strengen Maßstäben entsprechen, die man sonst für die teleologische Reduktion abstrakter Gefährdungsdelikten anlegt. Ob das (modifizierte) Leugnen in Zwei-Personen-Fällen wirklich generell ungeeignet ist, den Verdacht gegen die andere Person zu verstärken, ist durchaus zweifelhaft.[13] Nebenbei bemerkt: Wenn man argumentiert, dass es nicht wesentlich sei, wer am Steuer sitze, vielmehr die andere anwesende Person stets als potenzieller Fahrer und damit als Täter in Betracht gezogen werden müsse, ist es nur schwer verständlich, wieso dann das "qualifizierte Leugnen" und insbesondere der "Platztausch", strafbar sein soll. Für unsere Problematik ist dagegen entscheidend, dass eine "Lösung" abhängig von der Eignung, Ermittlungen gegen den anderen auszulösen, nur ein praktisch wie dogmatisch wenig befriedigender Ausweg in Einzelfällen ist, weil der Selbstbegünstigungsaspekt dabei überhaupt keine Rolle spielt. Man weicht der eigentlichen Problematik letztlich aus.

Allerdings vermag auch der zweite Begründungsansatz, die teleologische Reduktion über die Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten herzuleiten, nicht restlos zu überzeugen. Sowohl die wahrheitswidrige Aussage: "Ich war es nicht", wie auch "Der andere war es" sind Lügen, die nun gerade unzulässig sein sollen.[14] Gleichzeitig werden hier Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt, sodass an sich die Grenze des Zulässigen und damit auch diejenige zur Strafbarkeit von Selbstbegünstigungshandlungen überschritten sein müsste. Diesen Widerspruch kann man nur dann vermeiden, wenn man den oben dargelegten Ansatz hinzunimmt und auch hier argumentiert, in den Zwei-Personen-Konstellationen sei der andere ohnehin schon verdächtig, sodass er durch die implizite oder ausdrückliche Falschverdächtigung nicht schlechter gestellt werde.[15] Das wäre aber auch hier eine fragwürdige Prämisse, die wiederum den Selbstbegünstigungsaspekt außen vor ließe.

2. Fälle ohne konkreten Drittbezug: "großer Unbekannter" und falsches Alibi

Neben diesen Fällen gibt es noch Beschuldigtenlügen ohne konkreten Drittbezug, bei denen zwar die Tat bestritten, dabei aber keine bestimmte Person als Täter bezichtigt wird, weshalb § 164 StGB hier von vornherein ausscheidet und nur § 145d StGB in Betracht kommt. Diskutiert werden insofern der Hinweis auf den vielzitierten "großen Unbekannten" als Täter und die Behauptung eines falschen Alibis. Hier wie dort dürfte außer Zweifel stehen, dass typischerweise Ermittlungsmehraufwand entsteht und daher das Rechtsgut des § 145d StGB betroffen ist. Gleichzeitig werden aber jeweils keine Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt, sodass es naheläge, diese Fälle straflos zu lassen.

Die h.M. vertritt eine differenzierende Linie und argumentiert dabei mit der Dogmatik des § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB. Auf Basis einer rein rechtsgutsbezogenen Argumentation ist das durchaus plausibel. Teils wird aber auch ausdrücklich eine Parallele zum Leugnen der Tat gezogen.[16] Insofern spielt also der Selbstbegünstigungsgedanke im Ansatz eine Rolle, ohne dass dabei allerdings klar würde, was genau daraus folgt.

a) Wer als Verdächtiger einer Tat, die er tatsächlich begangen hat, den Verdacht auf den "großen Unbekannten" lenkt, bleibt nach wohl h.M. straflos.[17] Etwas anderes soll nun gelten, sofern der Täter sich nicht in erster Linie selbst verteidigt, sondern aktiv Strafanzeige gegen den Unbekannten erstattet.[18] Grund und Grenzen dieser Differenzierung erschließen sich allerdings nicht. Vielfach wird gefordert, der Täter müsse die Ermittlungsbehörden unmittelbar auf eine konkrete Spur schicken.[19] Für die Täuschungseignung kann das aber keine Rolle spielen, weil auch ohne eine solche konkrete Spur die Ermittlungen fehlgeleitet werden, sofern die Polizei dem Täter glaubt. Man kann sogar sagen, dass eine größere Fehlleitung droht, wenn es an einer konkreten Spur fehlt.

Eine Präzisierung der Einschränkung ist bisher nicht gelungen. Krümpelmann ist dafür eingetreten, den Täuschungsbegriff zu normativieren: Entscheidend sei nicht die faktische Eignung; strafbar sei ein Verhalten nur dann, wenn es nicht pflichtwidrig war, der falschen Spur zu folgen.[20] Dieser Ansatz ist jedenfalls auch von viktimodogmatischen Elementen getragen,[21] weil er strafrechtlichen Schutz dort versagt, wo die Mehrarbeit auf Unzulänglichkeiten innerhalb der jeweiligen Ermittlungsbehörde beruht bzw. beruhen würde.[22] Schon das kann man als problematisch ansehen. Vor allem aber wurde mit Recht darauf hingewiesen, dass in den Alibi-Fällen der normativierende Ansatz an sich eher das gegenteilige Ergebnis – nämlich deren Strafbarkeit – nahelegt, wenn und weil die Ermittlungsbehörden nach § 160 Abs. 2 StPO den verdachtsablenkenden Umständen nachgehen müssen.[23]

Besonders fragwürdig ist es bei alledem, wenn der BGH ausführt, die Strafbarkeit bei einer Strafanzeige gegen

Unbekannt bestehe " mindestens dann, wenn der, der die Anzeige bewirkt oder veranlaßt, selbst zu den an der Straftat Beteiligten gehört".[24] Wo man allenthalben darüber diskutiert, ob in Einzelfällen die Selbstbegünstigung zur Straffreiheit führen kann, soll sie plötzlich strafbarkeitsbegründend wirken?

b) Wer sich (oder einem anderen) ein falsches Alibi verschafft, bleibt nach h.M. straflos.[25] Auch das leuchtet nicht ohne weiteres ein, wenn man es allein mit dem geschützten Rechtsgut begründet: Solche Täuschungen führen – wenn sie erfolgreich sind – zwangsläufig dazu, dass nun in eine andere, nicht weiterführende Richtung ermittelt wird.[26] Man könnte allenfalls noch erwägen, eine ausdrückliche Fremdbezichtigung zu verlangen. Doch findet dies erstens keinen Ansatz im Gesetzeswortlaut und zweitens wird es auch sonst nicht verlangt: So wird etwa unstreitig derjenige von § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB erfasst,[27] der Beweismittel fingiert, die auf einen (bestimmten!) Dritten als Täter hinweisen.[28] Dann müsste man aber auch das falsche Alibi durch den Beschuldigten selbst erfassen. Insofern ist die h.M. nicht nur in ihrer Prämisse fragwürdig, sondern ermöglicht es auch nicht, zwischen Selbst- und Fremdbegünstigung zu differenzieren. Bei alledem hilft auch die Differenzierung zwischen Verdachtsablenkung und Verdachtsumlenkung nicht weiter, und zwar schon deshalb nicht, weil sich die genannten Fälle gar nicht trennscharf nach diesen Kategorien unterscheiden, geschweige denn sachgerecht lösen lassen. Schließlich kommt in den Fällen, in denen der Täter sich gleichsam selbst das Alibi schafft, der Selbstbegünstigungsaspekt wiederum nicht zum Tragen.

III. Beschuldigtenlügen, die ausschließlich staatliche Interessen beeinträchtigen

Nun war in dem vom 1. Senat entschiedenen Fall überhaupt keine der eben genannten Fallgruppen einschlägig. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht entgegen dem BGH doch jenseits dieser Konstellationen Straffreiheit in Betracht kommt. Dabei ist es zwar grundsätzlich richtig, die Grenze dort zu ziehen, wo Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden. Fraglich ist jedoch erstens, ob das immer schon der Fall ist, wenn der Beschuldigte eine bestimmte Person wahrheitswidrig als Täter angibt (dazu 1.). Da sich zeigen wird, dass dem nicht so ist, fragt sich zweitens, ob es nicht überzeugender ist, generell Straffreiheit anzunehmen, soweit die Beschuldigtenlüge ausschließlich staatliche Interessen beeinträchtigt (dazu 2.).

1. Drittbeeinträchtigung als grundsätzliche Grenze zur Strafbarkeit

Grundsätzlich leuchtet es ein, zwischen § 145d und § 164 StGB zu differenzieren, jedenfalls, wenn man mit der h.M. von einer doppelten Schutzrichtung des § 164 StGB ausgeht.[29] Dass die Grenze zulässiger Selbstverteidigung dann erreicht ist, wenn der Beschuldigte in Rechtsgüter Dritter eingreift, erscheint jedenfalls plausibel, wenn man die Selbstbelastungsfreiheit aus dem Rechtsstaatsprinzip herleitet, weil dann a priori nur das Verhältnis zwischen Bürger und Staat betroffen ist.[30] Es müsste dann näher begründet werden, warum es der Nemo-tenetur-Grundsatz gestattet, Rechtsgüter Dritter zu beeinträchtigen. Diese Begründung dürfte tendenziell leichter fallen, wenn man die Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 1 GG ableitet; aber selbst sofern das geschieht, werden derart weitreichende Konsequenzen nicht gezogen.[31] Das erscheint jedenfalls kriminalpolitisch auch sinnvoll, weil sonst ein uferloser straffreier Raum entstünde: Der Beschuldigte könnte auf dem Boden der Selbstbelastungsfreiheit Beweismittel vernichten, Zeugen einschüchtern und – denkt man einen solchen Ansatz konsequent zu Ende – letztlich sogar töten.[32] Derart weitgehend wird wohl niemand Beschuldigtenlügen straflos lassen wollen: "Ein Recht des Beschuldigten auf Lüge wäre radikaler Ausdruck der Freiheit, sich so zu verteidigen, wie es den besten Erfolg verspricht. Es gehört Kälte dazu, dem Menschen ein solches Recht überzustülpen."[33] Sofern der Beschuldigte bspw. wahrheitswidrig einen Dritten belastet, der deshalb in Untersuchungshaft genommen wird, lässt sich die Strafbarkeit des Angeklagten aus §§ 239, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB also nicht unter Rekurs auf seine Selbstbelastungsfreiheit verneinen. Ob man in Bagatellbereichen – namentlich bei § 164 StGB – Ausnahmen anerkennen will, wenn die falsche Verdächtigung außer den Ermittlungen folgenlos bleibt, ist eine kriminalpolitische Frage de lege ferenda; de lege lata lässt sich die Straflosigkeit kaum begründen, zumal damit die wohl einzig konsensfähige Grenze endgültig und vollständig eingerissen würde. Es sei aber in Erinnerung gerufen, dass auch die h.M. diese Grenze bei § 164 StGB nicht konsequent einhält, weil sie jedenfalls beim "modifizierten" Leugnen auch gezielte Drittverdächtigungen straflos lässt.

Im Übrigen handelt es sich bei der Diskussion, inwieweit die Beschuldigung Dritter von § 145d StGB erfasst wird, nur auf den ersten Blick um eine akademische Frage, weil sie scheinbar – jenseits skurriler Ausnahmefälle[34] – im-

mer auch § 164 StGB erfüllt und § 145d StGB dann ohnehin formell subsidiär ist.[35] Dabei würde nämlich übersehen, dass nicht immer, wenn ein konkreter Dritter bezichtigt wird, stets dessen Rechtsgüter verletzt werden. Insbesondere wenn der Angeklagte den Tatverdacht auf ihm nahestehende Personen lenkt, ist es denkbar, dass diese damit einverstanden sind, zumal wenn sie davon ausgehen können, ein aus der Falschverdächtigung folgendes Strafverfahren folgenlos zu überstehen.[36] In einem solchen Fall geht man zwar auf Basis der doppelten Schutzrichtung, wie sie von der h.M. vertreten wird, davon aus, dass eine rechtfertigende Einwilligung ausscheidet.[37] Das könnte aber nur solange gelten, wie nicht der andere – nunmehr allein strafbegründende – Aspekt, die Beeinträchtigung staatlicher Interessen, aus anderen Gründen einer Strafbarkeit nicht entgegenstünde. Mit anderen Worten: Wenn sich begründen ließe, dass die Selbstbegünstigung(sabsicht) bei § 145d StGB zur Straffreiheit führt, müsste bei § 164 StGB ausnahmsweise dasselbe gelten, wenn der Adressat der Verdächtigung einverstanden ist.[38] Dann würde nämlich keine der beiden Säulen des § 164 StGB noch die Strafbarkeit tragen.[39]

Es lässt sich der Entscheidung allerdings nicht entnehmen, dass das Landgericht Feststellungen zu einer möglichen Einwilligung getroffen hätte, obwohl es sich bei dem Dritten immerhin um den Sohn des Angeklagten gehandelt hatte. Somit ist festzuhalten, dass sich eine Strafbarkeit jedenfalls nicht damit begründen lässt, der Angeklagte habe in Rechtsgüter Dritter eingegriffen. Dass es dem BGH auf Feststellungen zu einem möglichen Einverständnis des Sohnes nicht ankam, ist allerdings konsequent, weil für ihn schon die Beeinträchtigung staatlicher Strafverfolgungsressourcen die Strafbarkeit trägt. Aber auch das ist fraglich. Bei allen Unsicherheiten um die Auslegung des § 145d StGB wäre nämlich schon viel gewonnen, wenn man die Grenze streng (erst) dort ziehen würde, wo Dritte (wider ihren Willen) beeinträchtigt werden. Das gilt umso mehr, als es widersprüchlich ist, wenn teils bei § 145d StGB mit der Beeinträchtigung Dritter argumentiert wird, wo diese doch von dieser Vorschrift überhaupt nicht geschützt werden. So wird man die Strafwürdigkeit des falschen Alibis und des Hinweises auf den "großen Unbekannten" schwerlich damit begründen können, dass nun zwangsläufig gegen irgendwelche anderen Personen ermittelt werde.[40] Es ist also in jedem Falle erforderlich, die Beeinträchtigung Dritter als Grenze ernster zu nehmen.

2. Selbstbelastungsfreiheit vs. staatliche Interessen

Damit bleibt die Frage, ob es bei Selbstbegünstigungshandlungen sachgerecht ist, aus § 145d StGB zu bestrafen, wenn Rechtsgüter Dritter nicht beeinträchtigt werden. Das betrifft nicht nur die eben erwähnten Ausnahmefälle, in denen eine bestimmte Person bezichtigt wird, die damit aber einverstanden ist. Hierher gehören vielmehr auch der Hinweis auf den großen Unbekannten und das falsche Alibi, soweit man hier Strafbarkeit annimmt. Der BGH geht davon aus, dass allein ein Recht zur Lüge die Strafbarkeit auszuschließen vermöchte, ein solches aber nicht anzuerkennen sei. Diese Sichtweise ist in doppelter Hinsicht verkürzt. Einerseits müsste nämlich aus einem Recht zur Lüge nicht zwingend folgen, dass deswegen straffrei bleibt, wer wider besseres Wissen Dritte bezichtigt (dazu a). Andererseits ließe sich Straffreiheit auch begründen, ohne dass man dafür ein Recht zur Lüge anerkennt (dazu b).

a) Bei dem vieldiskutierten Recht zur Lüge geht es zunächst und vor allem um die prozessuale Bedeutung der Lüge, also etwa um die Frage, ob und inwiefern die Beschuldigtenlüge bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten berücksichtigt werden darf.[41] Diese Frage ist aber von den materiell-rechtlichen Auswirkungen eines möglichen prozessualen Lügerechts[42] zu trennen.[43] Insofern ist auch die Annahme eines solchen Rechts keineswegs präjudizierend. So wird vielfach Fezer als prominenter Befürworter eines Rechts zur Lüge genannt. Auch er geht allerdings davon aus, dass dieses Recht nur in bestimmten Grenzen besteht, die sich auch aus den §§ 145d, 164 StGB ergeben können, die dann gleichsam bestimmte Lügeverbote enthalten.[44] Deshalb sind auch die oben skizzierten Einschränkungen der h.M. letztlich nichts anderes als Ausnahmen von diesen Lügeverboten.[45] Wenn aber die §§ 145d, 164 StGB die Grenze zulässiger Lügen ziehen, kann nicht zugleich auf ein Lügerecht abgestellt werden, um die §§ 145d, 164 StGB zu begrenzen. Letztlich ist es entscheidend, wie weit die Lügeverbote reichen.[46]

Hinzu kommt im Übrigen, dass nicht alle Argumente, die für ein erweitertes Verständnis des Nemo-tenetur-Grundsatzes angeführt werden, zwingend auch materiell-strafrechtlich einschränkend wirken müssten. So wendet etwa Bosch ein, es bestehe ein psychisch vermittelter Aussagezwang deswegen, weil Schweigen in manchen Fällen zwangsläufig verdächtig wirke und der Beschuldigte dieser Gefahr nur durch Lüge entgehen könne.[47] Selbst

wenn das zuträfe, wäre damit nicht gesagt, dass entsprechende Lügen zwingend straflos bleiben müssten,[48] ebenso wie etwa der Beschuldigte nach den §§ 303, 274 StGB straffrei bleibt, wenn er Beweismittel zerstört, die rechtswidrig verwertet zu werden drohen.

b) Gleichzeitig wird – so vor allem in der grundlegenden Untersuchung von Hartmut Schneider – zwar ein Recht zur Lüge und auch eine umfassende Straffreiheit bei aktiver Selbstbegünstigung abgelehnt, aber doch dafür plädiert, aktive Selbstbegünstigungshandlungen jedenfalls insoweit weitergehend als die h.M. straffrei zu lassen, als dabei (nur) staatliche Rechtsgüter beeinträchtigt werden.[49] Dabei kann und soll es ausdrücklich nicht um ein Recht zur Lüge gehen.[50] Schneider wendet sich zunächst gegen die Prämisse der h.M., wonach es in den §§ 145d, 258 StGB, obschon man sie unter dem Dach der Rechtspflegedelikte zusammenfassen könne, doch um Wesensverschiedenes handele. Er selbst geht davon aus, dass die Arbeitsökonomie der Strafrechtspflege auch von § 258 StGB geschützt sei.[51]

Wesentlich wichtiger ist allerdings das weitere Argument, die h.M. stelle ohne sachlichen Grund die aktive Selbstbegünstigung in § 145d StGB recht umfassend unter Strafe, während sie in anderem Kontext weitgehend straffrei bleibt. Schneider nennt insofern die Straffreiheit sub specie Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB), Gefangenbefreiung (§ 120 StGB) und Strafvereitelung (§ 258 StGB).[52] Dagegen wird zwar teilweise eingewandt, die Selbstbegünstigung führe lediglich zur Straffreiheit, wenn der staatliche Strafanspruch beeinträchtigt werde, nicht aber, wenn andere staatliche Rechtsgüter beeinträchtigt werden: "Der Täter, der sich der Strafverfolgung entziehen möchte, verdient nur solange Rücksicht, wie er dies ohne überflüssige Arbeitsveranlassung unternimmt."[53] Damit wird aber nur behauptet, was zu begründen wäre: dass Selbstbegünstigungshandlungen, die nur staatliche Interessen beeinträchtigen, ausgerechnet in diesem einen Fall strafbar sein sollen. Das ist aber, anders als die apodiktische Behauptung suggeriert, alles andere als selbstverständlich. Immerhin betrifft die Ausnahme ein Delikt, dessen Legitimität generell in Frage gestellt wird.[54] Das gilt umso mehr, als die staatliche Ermittlungsarbeit letztlich darauf gerichtet ist, dass der staatliche Strafanspruch umgesetzt wird. Die Ausnahme bei § 145d StGB schafft daher eine insofern systemwidrige Vorfeldstrafbarkeit.[55] Soweit dagegen eine generelle Grundsatzentscheidung zur Ausnahme erklärt wird, begegnet das ebenfalls Bedenken. Darauf wird noch zurückzukommen sein (unten 3. a). Um Widersprüche zu vermeiden, erscheint es überzeugender, den Schutz der Rechtspflege generell gegenüber der Selbstbelastungsfreiheit in konkreten Strafverfahren als nachrangig anzusehen, ungeachtet der Frage, ob es dabei um den Strafanspruch oder um Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden geht.[56] Das hat aber nichts mit der strafprozessualen Selbstbelastungsfreiheit zu tun, sondern mit Nachsicht vor dem menschlichen Selbsterhaltungstrieb.[57]

c) Es muss dann aber auch eine Strafbarkeit aus § 164 StGB ausscheiden, wenn ausnahmsweise keine Rechtsgüter Dritter verletzt werden, namentlich, weil der Dritte einverstanden ist. Schneider überträgt seine Lösung zu § 145d StGB nur deshalb nicht auf § 164 StGB, weil er davon ausgeht, dass letzterer nur den falsch Verdächtigten schütze.[58] Die hier vertretene Auffassung wird zwar nur in seltenen Fällen eine Strafbarkeit ausschließen, weil zumeist § 164 StGB erfüllt sein wird und damit die auch hier anerkannte Grenze überschritten wird. Es handelt sich aber dennoch um keine rein akademische Frage. Auch wenn es um Ausnahmefälle geht, erscheint es wichtig, die Grenze konsequenter zu ziehen, wenn ausschließlich staatliche Interessen beeinträchtigt werden. Hier steht es nun aber einem Rechtsstaat gut zu Gesicht, wenn er Beschuldigtenlügen gegenüber Nachsicht zeigt,[59] zumal wenn sonst Widersprüche innerhalb der Strafrechtsordnung drohen.

d) Vor diesem Hintergrund ist es misslich, dass der 1. Senat über die bestehenden Bedenken einfach hinweggeht und meint, mit einer Absage an ein Recht zur Lüge stünde auch – jedenfalls jenseits der etablierten Fallgruppen – die Strafbarkeit im Falle aktiver Selbstbegünstigung fest. Wenig überzeugend ist auch das ergänzende systematische Argument des 1. Senats, wonach der mit dem 43. StrÄndG eingefügte § 145d Abs. 3 StGB gegen eine einschränkende Auslegung spreche. Zwar ist es richtig, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, bereits zuvor sei eine Vielzahl an Selbstbegünstigungshandlungen von den

§§ 145d, 164 StGB erfasst.[60] Allerdings handelt es sich bei § 145d Abs. 3 StGB um eine Regelung, die sich erheblich von § 145d Abs. 1 und 2 StGB unterscheidet und letztlich den Missbrauch der Kronzeugenregelung unter Strafe stellt.[61] Deshalb werden auch § 145d Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 StGB als eigenständige Tatbestände aufgefasst.[62] Schon deshalb erscheint es fragwürdig, aus der Vorschrift auf Grund und Grenzen der übrigen Regelung rückzuschließen.[63]

3. Umsetzung des Ergebnisses

Es bleibt die Frage, wie sich die hier vertretene Einschränkung umsetzen lässt. An den Gesetzeswortlaut lässt sich – wie bereits erwähnt – nicht sinnvoll anknüpfen.

a) Teils wird für eine analoge Anwendung des § 258 Abs. 5 StGB plädiert.[64] Dagegen wird insbesondere eingewandt, dass der E 1962 für das Vortäuschen einer Straftat eine § 258 Abs. 5 StGB entsprechende Regelung vorsah, die jedoch nicht Gesetz geworden ist, weshalb eine planwidrige Regelungslücke fehle.[65] Die Skepsis gegenüber einer Analogie dürfte, wie auch die vorliegende Entscheidung zeigt, durch die Gesetzesbegründung des 43. StrÄndG zusätzlich Auftrieb erhalten. Zwingend ist diese Sichtweise indes nicht. Das zeigen auch die Niederschriften der Großen Strafrechtskommission. Eine Grundsatzentscheidung, wonach Selbstbegünstigungshandlungen von § 145d StGB strafbewehrt sein sollten, lässt sich daraus nicht ablesen. Das gilt auch für die Entscheidung gegen den Strafausschließungsgrund. Sie war eher einer Unsicherheit über dessen nicht vollständig absehbare Folgen geschuldet.[66] Das generelle Bedürfnis, Selbstbegünstigungen in weiten Bereichen straffrei zu lassen, sollte damit nicht bestritten werden;[67] man ging allerdings davon aus, dass die Rechtsprechung dies gewährleisten werde.[68] Teils wurde sogar eingewandt, dass es bedenklich sei, Selbstbegünstigungshandlung nicht schon auf Tatbestandsebene, sondern erst über einen Strafausschlussgrund auszusondern.[69] Nach alledem lässt sich eine planwidrige Regelungslücke jedenfalls bejahen, sofern sich die Erwartung nicht erfüllt hat, die Rspr. werde Selbstbegünstigungen in dem gebotenen Maße straffrei belassen.

b) Eine Alternative könnte in einer verfassungskonformen Auslegung des § 145d StGB liegen, die an den oben skizzierten Widerspruch anknüpft.[70] Dafür wäre es aber erforderlich, dass man eine verfassungskonforme Auslegung auch über den Gesetzeswortlaut hinaus zulässt. Es handelt sich dann um eine verfassungskonforme Rechtsfortbildung,[71] die nach st. Rspr. zulässig – und auch nicht dem BVerfG vorbehalten – ist, sofern dabei nicht gegen den Wortsinn des Gesetzes und den eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzgebers verstoßen wird.[72] Geht man nun mit der fast einhelligen Ansicht davon aus, dass der Gesetzeswortlaut die hier für nötig erachtete Restriktion nicht hergibt, stellt sich also die Frage, ob diese dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspricht. Dabei ist zu bedenken, dass fast niemand Selbstbegünstigungen ausnahmslos nach §§ 145d, 164 StGB bestrafen möchte. Jedenfalls beim normalen und "modifizierten" Leugnen ist man sich fast durchweg einig, dass eine teleologische Reduktion sowohl bei § 145d StGB, als auch bei § 164 StGB angezeigt ist. Schon hier zeigt sich, dass von einem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzgebers keine Rede sein kann. Die Wortlautgrenze wird durch die anerkannten Einschränkungen ohnehin weitgehend überschritten.[73] Hinzu kommt noch: Selbst wenn man akzeptiert, dass es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelte, Selbstbegünstigungshandlungen nicht durch eine ausdrückliche Sonderregelung straffrei zu stellen, lassen sich daraus nur bedingt Umkehrschlüsse ziehen. Das zeigen wiederum die Beratungen der Großen Strafrechtskommission.

Damit ist aber erst gesagt, dass keine Bedenken gegen die generelle Möglichkeit bestehen, § 145d StGB im Wege verfassungskonformer Rechtsfortbildung einschränkend auszulegen. Erforderlich wäre aber darüber hinaus, dass dies auch aus verfassungsrechtlichen Gründen angezeigt ist. Das wäre jedenfalls dann der Fall, wenn schon die gesetzgeberische Entscheidung verfassungswidrig wäre, Beschuldigtenlügen, die nur staatliche Interessen beeinträchtigen, nach § 145d StGB ausnahmsweise unter Strafe zu stellen. Da sich eine solche Grundsatzentscheidung aber aus den genannten Gründen nicht sicher feststellen lässt, soll die Frage im Folgenden vereinfacht werden: Wäre eine Norm mit dem Inhalt "Beschuldigtenlügen sind straflos, es sei denn sie beeinträchtigen Rechtsgüter Dritter oder bergen die Gefahr, unnötige Ermittlungen zu

verursachen" verfassungsgemäß? Das wäre zu verneinen, wenn die Strafandrohung des § 145d StGB unverhältnismäßig wäre. Dafür würde es schon ausreichen, wenn dies nicht die Legitimation der Strafvorschrift als solche beträfe, sondern allein deshalb gälte, weil auch Beschuldigtenlügen erfasst werden. Dieser Aspekt wird hier ausgeklammert.[74]

Im Mittelpunkt steht vielmehr die Überlegung, dass § 145d StGB eine kaum einleuchtende Ausnahme macht. Das ist ein Problem des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Ob insofern ein verfassungsrechtliches Konsequenzgebot anzuerkennen ist, wird im verfassungsrechtlichen Schrifttum neuerdings vermehrt diskutiert.[75] Die Diskussion hat auch das Strafrecht erreicht.[76] Dass eine konsequente Gesetzgebung ein rechtsstaatliches Desiderat ist, versteht sich von selbst. Inwieweit man daraus ein Gebot ableiten kann und was daraus folgen würde, ist hingegen unklar. Die Unsicherheiten beginnen bei der unterschiedlichen Terminologie.[77] Das zeigt sich, wenn man den Begriff der Systemgerechtigkeit, der vor allem in der älteren Rspr. des BVerfG auftaucht, dem der Folgerichtigkeit gegenüberstellt, der sich zunehmender Beliebtheit erfreut.[78] Das der Systemgerechtigkeit immanente Denken in Systemen birgt erhebliche Unsicherheiten. Das zeigt sich auch an unserem Problem: So kann man schon fragen, ob überhaupt von einem System gesprochen werden kann, das sich mit Beschuldigtenlügen befasst. Anders als in der hier aus Gründen der Vereinfachung hinterfragten hypothetischen Norm hat der Gesetzgeber die Beschuldigtenlüge schließlich nicht gezielt in einem Gesamtkontext geregelt; ein System entstünde erst durch das Zusammenspiel diverser, durchaus unterschiedlicher Strafnormen – und deren Auslegung. Selbst wenn man darin ein System erblicken wollte, hängt die Frage nach der Systemwidrigkeit davon ab, wie man dieses System bestimmt und damit ist stets die Gefahr einer gewissen Willkür verbunden.[79] Besteht das System aus der Wertung, dass Beschuldigtenlügen straffrei bleiben, solange keine Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt werden? Dann läge es wesentlich näher, die Ausnahme bei § 145d StGB als Bruch dieses Systems zu begreifen. Oder ist die Ausnahme bei § 145d StGB selbst noch Teil des Systems?

Fragt man nach Folgerichtigkeit, so wird das Problem nur scheinbar entschärft: Fordert man für diese etwa, dass die einem gesetzlichen Regelungsgefüge zugrunde liegenden Grundentscheidungen ihren konsequenten Niederschlag in den einzelnen gesetzlichen Regelungen finden müssen,[80] so stellen sich praktisch identische Fragen, wenn es darum geht, ob eine solche Grundentscheidung ermittelt werden kann und wie genau sie lautet. Unter anderem aus diesen Gründen bestehen im verfassungsrechtlichen Schrifttum Zweifel, was die Folgerichtigkeit verfassungsdogmatisch leisten kann. "Gesetzliche Widersprüche sind zunächst bloße gesetzespolitische Unzulänglichkeiten. Sie werden zur Gleichheitswidrigkeit, wenn der Widerspruch zu Rechtsfolgeunterschieden führt, die sich nicht – sachbereichsbezogen – auf einen vernünftigen oder sonst einleuchtenden Grund zurückführen lassen."[81] Auch daran zeigt sich, dass ein Folgerichtigkeitsgebot zwar möglicherweise die Kontrolldichte verschärften kann; klare Leitlinien lassen sich daraus indes kaum ableiten.[82]

Dennoch wird zu Recht gefordert, Art. 3 Abs. 1 GG im Strafrecht verstärkt zu achten: Wenn es nämlich nach der neuen Formel des BVerfG entscheidend auf die freiheitseinschränkende Wirkung ankommt, spricht dies bei der Kriminalstrafe als ultima ratio für einen strengen Maßstab.[83] Insofern spielt das Systemdenken jedenfalls mittelbar eine Rolle, weil es offenlegt, dass Beschuldigtenlügen von der Strafrechtsordnung ungleich behandelt werden. Nach der neuen Formel ist der Gleichheitssatz verletzt, " wenn keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten."[84] Eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern Dritter dürfte als Differenzierungskriterium ausreichen. Soweit dagegen ausschließlich staatliche Interessen betroffen sind, könnte das Differenzierungskriterium letztlich nur in deren besonderer Schutzwürdigkeit gerade bei § 145d StGB gesehen werden. Diese ist bisher aber nur behauptet worden. Es erscheint auch fraglich, ob sie sich wirklich überzeugend begründet lässt. Jedenfalls solange dies nicht gelungen ist, erscheint eine systemwahrende Auslegung aber vorzugswürdig.

Dabei ist zweierlei zuzugeben: Erstens muss man bei dem Ruf nach Konsistenz berücksichtigen, dass gewissen Inkonsistenzen durch ein fragmentarisches Strafrecht Vorschub geleistet wird.[85] Zweitens ist der Befund, die gegenwärtige Regelung sei – jedenfalls auf Basis der herrschenden Auslegung – insofern gleichwohl problematisch, nicht völlig frei von impliziten Erwägungen zur Strafwürdigkeit. Spätestens bei der Frage, ob ein zulässiges Differenzierungskriterium in Sicht ist, kommen diese

zwangsläufig zum Tragen. Insofern hängt der Befund ersichtlich auch damit zusammen, dass die einschlägigen Fälle hier nicht für strafwürdig gehalten werden. Wer das ganz anders sieht, wird die herrschende Auslegung auch nicht für inkonsistent halten.

Bei alledem ist eines ohnehin klar: Völlige Klarheit und Stimmigkeit könnte – wenn überhaupt – nur durch den Gesetzgeber geschaffen werden. Eine Regelung der Selbstbegünstigung ist längst überfällig.[86] Solange sie fehlt, sollte aber die Rechtsprechung nicht nur auf eine präzisierende,[87] sondern auch auf eine konsistente Auslegung verpflichtet werden.[88]

Die Forderung nach einer systemgerechten Behandlung von Beschuldigtenlügen hat Vorteile gegenüber einem unmittelbaren Rekurs auf nemo tenetur und der Differenzierung zwischen Verdachtsablenkung und Verdachtsumlenkung: Man muss sich erstens nicht auf ein Recht zur Lüge festlegen. Zweitens wird die verfassungskonforme Auslegung nicht ausschließlich mit eigenen Maßstäben begründet, sondern knüpft an eine verallgemeinerungsfähige Wertung des Gesetzgebers an.[89] Und drittens entsteht ein höheres Maß an Rechtssicherheit, weil sich nunmehr uneingeschränkt der Rechtssatz aufstellen lässt: "Beschuldigtenlügen sind straflos, solange sie nur staatliche Interessen beeinträchtigen und nicht darüber hinaus Rechtsgüter Dritter beeinträchtigen." Auf dieser Basis bleiben auch der Hinweis auf den großen Unbekannten und die Schaffung eines falschen Alibis durch den Beschuldigten straflos, ohne dass es auf die zahlreichen Differenzierungen oder eine Gesamtbetrachtung ankäme. Auch das Präzisierungsgebot spricht also letztlich für diese Sichtweise.

d) Auf Fremdbegünstigungen lassen sich die hier angestellten Erwägungen dagegen offensichtlich nicht übertragen, weil die Angehörigenbegünstigung vom Gesetz wesentlich differenzierter behandelt wird.[90] Lügen werden hier grundsätzlich von den §§ 153 ff. StGB erfasst; Strafmilderung und Absehen von Strafe stehen nach § 157 StGB im Ermessen des Gerichts. Auch die Gefangenbefreiung zu Gunsten eines Angehörigen wird nach § 120 StGB bestraft.

IV. Fazit und Ausblick

Selbstbegünstigungshandlungen sollten entgegen vielfach vertretener Auffassung nach § 145d StGB generell straflos bleiben, soweit sie nur staatliche Interessen beeinträchtigen. Das gilt jedenfalls, soweit es um dasselbe Verfahren geht. Man wird aber nicht verlangen können, dass bereits ein Strafverfahren läuft.[91] Es reicht auch aus, wenn der Täter mit der Selbstbegünstigungshandlung einem Verfahren zuvorkommt, und zwar jedenfalls, wenn es sich dabei um das dominierende Motiv handelt.[92] Damit bleiben allerdings noch Fragen offen, die hier nur angedeutet werden können. Was ist zum Beispiel, wenn der Täter eine ganz andere Straftat behauptet, z.B. wahrheitswidrig eine Körperverletzung gesteht, weil ihm dies als Alibi für ein ihm vorgeworfenes Tötungsdelikt dient?[93] Auch hier werden nur staatliche Interessen beeinträchtigt und die Lüge geht auf den maßgeblichen Selbsterhaltungsdrang zurück.

Schwieriger liegt eine weitere aktuelle Entscheidung des 1. Strafsenats:[94] Der Täter hatte dort (möglicherweise) einen Pkw unterschlagen, indem er ihn verkaufte. Er erstattete nun Strafanzeige wegen Unterschlagung gegen einen Dritten. Da dieser wahrscheinlich in die strafbaren Vorgänge verwickelt war, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass er auch mit der Anzeige einverstanden war. Dem Täter ging es jedoch in erster Linie darum, über staatliche Hilfe beim Käufer den Pkw beschlagnahmen zu können. Es wäre also zu klären, ob es eine Rolle spielt, inwiefern der Täter sich durch eine objektive Selbstbegünstigungshandlung vor Strafe schützen will oder ob er nur bzw. in erster Linie andere – hier sogar strafbare – Zwecke verfolgt.[95]

Was auf den ersten Blick wie eine sehr beschuldigtenfreundliche Lösung erscheinen mag, führt zur Straffreiheit nur in dem praktisch seltenen Fall, dass der falsch Verdächtigte einverstanden ist. In allen anderen Fällen, in denen Dritte betroffen sind, müsste man, um der dogmatisch durchaus berechtigten Kritik an der fallgruppenorientieren Lösung vollständig zu entgehen, die Strafbarkeit dagegen erheblich ausweiten. Doch wird man bezweifeln müssen, ob das widerspruchslos möglich ist. Zwar mag man beim modifizierten Leugnen noch fragen, warum die ausdrückliche Bezichtigung des anderen unbedingt straffrei sein müsse.[96] Spätestens beim schlichten Leugnen verbleiben allerdings erhebliche Bauchschmerzen, und man wird nicht umhin kommen, mit Blick auf § 136 StPO Straffreiheit anzunehmen – und sei es um den Preis

verbleibender Widersprüchlichkeiten.[97] Immerhin lässt sich sagen, dass im Gegensatz zum "modifizierten" Leugnen der Beschuldigte nicht gezielt in Rechtsgüter Dritter eingreift.[98] Eine vollkommen stimmige Lösung wäre daher nur de lege ferenda möglich; überfällig ist sie allemal. Immerhin würde durch den hier vertretenen Ansatz ein erheblicher Widerspruch aufgelöst und die einzig naheliegende und klare Grenze– anders als es derzeit der Fall ist – konsequent gezogen.


[1] BGH HRRS 2015 Nr. 358; m. insofern zust. Anm. Löffelmann JR 2015, 492; i.E. auch Dehne-Niemann NStZ 2015, 677 ff.; tendenziell ähnlich Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, 2006, S. 403.

[2] S. dazu neben BGH NJW 2015, 1705, 1706 nur OLG Hamm NJW 1965, 62; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998, S. 192; Münch, Die Selbstbegünstigung, 1961, 46 ff.; Satzger Jura 2007, 754, 755; H. Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips im Strafrecht, 1991, S. 33, 38, 42 f., 50 f.

[3] Vgl. nur Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 29. Aufl. (2014), § 145d Rn. 14; MüKoStGB/Zopfs, 2. Aufl. (2014), § 145d Rn. 35.

[4] Vgl. für die h.M. BGHSt 9, 240 (242); 14, 240 (244 f.); Fischer, StGB, 62. Aufl. (2015), § 164 Rn. 2; Lackner/Kühl, 28. Aufl. (2014), § 164 Rn. 1; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch (Fn. 3), § 164 Rn. 1a f.; Schröder, NJW 1965, 1988, 1989 f.; anders noch RGSt 70, 367, 374: nur Schutz der Rechtspflege; so auch heute noch MüKoStGB/Zopfs (Fn. 3), § 164 Rn. 4; ausschließlich für Individualrechtsgut NK/Vormbaum, 4. Aufl. (2013), § 164 Rn. 9; H. Schneider (Fn. 2), S. 315 ff..

[5] Fahrenhorst JuS 1987, 707, 709; Geppert Jura 2000, 383, 387; ders. GS für Schlüchter, 2002, S. 43, 48 f.; SK/ Rogall/Rudolphi , Stand: 143. EL (Juni 2014), § 145d Rn. 28, § 164 Rn. 14; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001, S. 89.

[6] Geppert Jura 2000, 383, 387; Saal, Das Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB) als abstraktes Gefährdungsdelikt, 1997, S. 186; H. Schneider (Fn: 2), S. 243; a.A. Otto JK, StGB § 145d/3 und wohl auch Kuhlen JuS 1990, 396, 398 f.: "mangels Pflichtwidrigkeit schon kein den objektiven Tatbestand erfüllendes Verhalten".

[7] Vgl. vorerst nur NK/Schild/Kretschmer (Fn: 4), § 145d Rn. 22.

[8] In diesem Sinne etwa NK/Schild/Kretschmer (Fn: 4), § 145d Rn. 22: "die Frage der Strafbarkeit sollte nicht von derlei Wortspielerei abhängen"; s. ferner Fahrenhorst JuS 1987, 707, 709; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT, 3. Aufl. (2015), § 48 Rn. 17, 27; SK/ Rogall/Rudolphi (Fn. 5), § 145d Rn. 28, § 164 Rn. 15.

[9] Fahrenhorst JuS 1987, 707, 709; Fischer (Fn. 4), § 145d Rn. 9; Geppert Jura 2000, 383, 388; ders. GS Schlüchter (Fn. 5), S. 43, 49; Kuhlen JuS 1990, 396, 399; SK/ Rogall/Rudolphi (Fn. 5), § 145d Rn. 28, § 164 Rn. 15.

[10] Becker , Rechtsgutbestimmung und Anwendungsbereich der Beteiligtentäuschung, 1992, S. 215; tendenziell auch NK/Schild/Kretschmer (Fn: 4), § 145d Rn. 22.

[11] Gruber , Die Lüge des Beschuldigten im Strafverfahren, 2008, S. 145 ff.; Küper/Zopfs , Strafrecht BT, 8. Aufl. (2015), Rn. 489; SK/ Rogall/Rudolphi (Fn. 5), § 145d Rn. 28, § 164 Rn. 15.

[12] BGH StV 2002, 303; OLG Hamm NStZ-RR 2002, 167, 168; OLG Köln JR 1955, 273; OLG Stuttgart NStZ-RR 2014, 276 = JuS 2015, 182 (Hecker); Lackner/Kühl (Fn. 4), § 145d Rn. 4, § 164 Rn. 5; Küper/Zopfs (Fn. 11), Rn. 489, 568; SK/ Rogall/Rudolphi (Fn. 5), § 145d Rn. 17, § 164 Rn. 23; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT 2, 10. Aufl. (2013), § 99 Rn. 12; enger Fischer (Fn. 4), § 164 Rn. 5b.

[13] Langer , in: FS für Lackner, 1987, S. 541, 559; Saal (Fn. 6), S. 186, 188; H. J. Schneider, Die Deliktsvortäuschung nach § 145d StGB, 1966, S. 86; H. Schneider (Fn. 2), S. 241, 307 f.; ders. NZV 1992, 471, 472.

[14] Vgl. nur Aselmann, Die Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit, 2004, S. 251; Dehne-Niemann NStZ 2015, 677, 678 f.; Fezer, FS für Stree/Wessels, 1993, S. 663, 676; Mitsch JZ 1992, 979; S. 402 f.; Saal (Fn. 6), S. 186; H. Schneider (Fn. 2), S. 244, 305 f.; ders. NZV 1992, 471, 473 f.; Verrel (Fn. 5), S. 89.

[15] Gruber (Fn. 11), S. 162 f.; Mitsch JZ 1992, 979, 980; dagegen etwa Dehne-Niemann NStZ 2015, 677, 680 f.

[16] Besonders deutlich Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf (Fn. 8), § 48 Rn. 27.

[17] OLG Celle NJW 1961, 1416; Brand NStZ 2013, 7, 12; Matt/Renzikowski/Dietmeier, 2011, § 145d Rn. 17; Fischer (Fn. 4) § 145d Rn. 9; tendenziell auch MüKoStGB/Zopfs (Fn. 3), § 145d Rn. 34: Strafbarkeit "nur in Ausnahmefällen".

[18] BGHSt 6, 251, 254 f.

[19] S. etwa BayObLG NJW 1984, 2302; Stree, FS Lackner (Fn. 13), S. 527, 533.

[20] Krümpelmann ZStW 96 (1984), 999, 1020, 1023 ff., 1028 ff.

[21] Vgl. Krell NStZ 2011, 671, 672.

[22] Ähnliche Überlegungen finden sich in wieder anderem Kontext auch bei Langer, FS Lackner (Fn. 13), S. 541, 557.

[23] H.  Schneider (Fn. 2), S. 258 f.; ferner Saal (Fn. 6), S. 198 f.

[24] BGHSt 6, 251, 255 – Hervorhebung nur hier.

[25] BayObLG NJW 1984, 2302; Brand NStZ 2013, 7, 12; Matt/Renzikowski/Dietmeier (Fn. 17), § 145d Rn. 16; AnwK/Graf v. Schlieffen, 2. Aufl. (2015), § 145d Rn. 8; Küper/Zopfs (Fn. 11), Rn. 489; SK/ Rogall/Rudolphi (Fn. 5), § 145d Rn. 27; NK/ Schild/Kretschmer (Fn. 4), § 145d Rn. 22; MüKoStGB/Zopfs (Fn. 3), § 145d Rn. 35.

[26] Für Strafbarkeit in diesen Fällen daher grds. Becker (Fn. 10), S. 201; Lackner/Kühl (Fn. 4), § 145d Rn. 7; Saal (Fn. 6), S. 194 ff.; H. Schneider (Fn. 2), S. 252 ff.; tendenziell auch Geppert Jura 2000, 383, 387.

[27] S. nur Brand NStZ 2013, 7, 12; MüKoStGB/Zopfs (Fn. 3), § 145d Rn. 34.

[28] Zutr. hervorgehoben von Saal (Fn. 6), S. 194 f.

[29] S. nur Binder, Die entlastende Berücksichtigung der strafvereitelnden Selbstbegünstigung im Strafgesetzbuch, 2001, S. 192 ff.; H. Schneider (Fn. 2), S. 302 f.

[30] H. Schneider (Fn. 2), S. 42 f.

[31] Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 139 ff., 158 ff.

[32] Vgl. auch Binder (Fn. 29), S. 201; H. Schneider (Fn. 2), S. 157 f.

[33] Salditt StV 1999, 61, 63.

[34] Ein solcher lag einer weiteren aktuellen Entscheidung des 1. Senats zugrunde (BGH HRRS 2015 Nr. 614). Hier hatte das LG München I in erster Instanz § 164 StGB offenbar schlicht übersehen.

[35] Vgl. nur die Stellungnahmen von Tröndle, Fritz und Lackner, Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 13, S. 193, 195 sowie Krell/Eibach StV 2016 (im Erscheinen).

[36] Man denke etwa an Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichte "Der Igel" (aus "Verbrechen").

[37] Fahrenhorst JuS 1987, 707, 708; Kuhlen JuS 1990, 396, 399; Maurach/Schroeder/Maiwald (Fn. 12), § 99 Rn. 6.

[38] Es sei denn, man begründet bei § 145d die Straffreiheit mit der Subsidiaritätsklausel (so insbesondere Geilen JK StGB § 145d/2; zur Kritik an diesem Ansatz s. nur Saal[Fn. 6], S. 227  ff.; H. Schneider[Fn. 2], S. 273 ff.).

[39] Vgl. dazu in anderem Kontext Krell/Eibach StV 2016 (im Erscheinen).

[40] So aber Schäfer, Niederschriften (Fn. 34), S. 194.

[41] Vgl. Salditt StV 1999, 61, 63; eingehend Aselmann (Fn. 14), S. 171 ff.

[42] Zur unterschiedlichen Terminologie vgl. Aselmann (Fn. 14), S. 36 ff.; Bosch (Fn. 2), S. 190 m. Fn. 294.

[43] H. Schneider (Fn. 2), S. 244 Fn. 34

[44] Vgl. Fezer, FS Stree/Wessels (Fn. 14), 663, 665 f., 673 ff.; s. ferner Gruber (Fn. 11), S. 132 ff., 155 ff.; Kölbel (Fn. 1), S. 27.

[45] Insofern zutr. Kölbel (Fn. 1), S. 402, 404.

[46] Gruber (Fn. 11), S. 150.

[47] Bosch (Fn. 2), S. 193 f. am Beispiel von OLG Düsseldorf StV 1990, 442; ein (eklatantes) neueres Beispiel ist OLG Jena OLG Jena JuS 2008, 176 (Jahn), wo eine Entscheidung des AG Gera wegen Verstoßes gegen nemo tenetur aufgehoben wurde, das ausgeführt hatte: "Es ist demnach überhaupt nicht ersichtlich, wer sonst das Fahrzeug gefahren haben könnte. Hätte ein anderer das Fahrzeug geführt, hätte dies der Angeklagte zu seiner Entlastung angeben können” (Urt. v. 27. Juni 2007, Az: 260 Js 8779/07-14 Cs – nicht veröffentlicht).

[48] Auch Bosch zieht diese Konsequenz offensichtlich nicht (JK 2015, S. 880, § 164 I StGB).

[49] H. Schneider (Fn. 2), S. 277 ff.

[50] H. Schneider (Fn. 2), S. 217, 243 f., 305 ff.

[51] H. Schneider (Fn. 2), S. 316 ff., 319 f.

[52] Insofern zust. Rogall StV 1996, 63, 67.

[53] Krümpelmann ZStW 96 (1984), 999, 1032 f.; s. auch BGHSt 17, 236, 237; NK/Schild/Kretschmer (Fn: 4), § 145d Rn. 4;

[54] Vgl. Stübinger GA 2004, 338 ff. Allerdings gibt es entsprechende oder ähnliche Regelungen auch in zahlreichen anderen europäischen Rechtsordnungen; vgl. dazu Janott, Täuschungen mit Wahrheitskern im Rahmen des Vortäuschens einer Straftat (§ 145d I Nr. 1 StGB), 2004, S. 35 ff.

[55] Binder (Fn. 29), S. 189; s. auch Aselmann (Fn. 14), S. 255, die daraus aber letztlich keine Einschränkungen ableitet.

[56] In diesem Sinne auch Fezer, FS Stree/Wessels (Fn. 14), S. 663, 674; SSW/Jeßberger, 2. Aufl. (2014), § 145d Rn. 18; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben (Fn. 3), § 145d Rn. 15.

[57] Vgl. Chr. Dannecker ZStW 127 (2015), 370, 401.

[58] Dagegen zieht etwa SSW/Jeßberger (Fn. 56), § 164 Rn. 11 – ohne nähere Begründung – die Grenze beim qualifizierten Leugnens. Das wird man aber auf Basis seiner Auffassung zu § 145d nur mit der typischerweise gegebenen Verletzung von Rechtsgütern Dritter erklären können. Der Fall, dass der Dritte mit der Vorgehensweise des Täters einverstanden ist, wird auf Basis der "selbstbegünstigungsfreundlichen" Auffassungen für § 164 StGB – soweit ersichtlich – nicht diskutiert.

[59] Auf dieser Linie auch die Stellungnahmen von Jescheck, Fritz und und Lackner, Niederschriften, S. 194 f.; besonders deutlich wird dabei Jescheck: "Die Frage ist., ob[…]auch der Fall unter Strafe gestellt werden muß, in dem der Verdacht auf einen anderen gelenkt wird. Mir ist das immer etwas polizeistaatlich vorgekommen."

[60] BT-Drucks. 16/6268, S. 15.

[61] S. nur SSW/Jeßberger (Fn. 56), § 145d Rn. 19a; MüKoStGB/Zopfs (Fn. 3), § 145d Rn. 40.

[62] Fischer § 145d Rn. 14; diff. NK/Schild/Kretschmer (Fn: 4), § 145d Rn. 29.

[63] Auch Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf (Fn. 8), § 48 Rn. 17 versteht die § 164 Abs. 3 StGB offenbar eher als Ausnahme von der Straffreiheit bestimmter Selbstbegünstigungshandlungen.

[64] H. Schneider (Fn. 2), S. 292 ff.; im Ergebnis zust. etwa SSW/Jeßberger (Fn. 56), § 145d Rn. 18.

[65] Vgl. BayObLG 1978, 2563, 2564; Dehne-Niemann NStZ 2015, 677, 678; Kühl JR 1985, 296, 297; Saal (Fn. 6), S: 229 ff., der für eine Lösung de lege ferenda plädiert (S. 235 ff.); s. ferner Kuhlen JuS 1990, 396, 399, der offenbar schon eine vergleichbare Interessenlage verneint.

[66] Vgl. etwa Baldus, Niederschriften (Fn. 34), S. 193.

[67] Vgl. Dreher, Fritz, Lackner und Schafheutle, Niederschriften (Fn. 34), S. 194 ff.

[68] Vgl. Tröndle und Wilkerling, Niederschriften (Fn. 34), S. 193, 196.

[69] Baldus , Niederschriften (Fn. 34), S. 193.

[70] Das wäre auf zwei Wegen denkbar (vgl. nur Kuhlen, Die verfassungskonforme Auslegung von Strafgesetzen, 2006, S. 39): Eine verfassungskonforme Auslegung i.w.S. wendet eine andere Norm analog an und vermeidet dadurch das verfassungswidrige Ergebnis. Das wäre der eben beschriebene Weg über die analoge Anwendung des § 258 Abs. 5 StGB, wenn man ihn auf eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit stützte. Stattdessen kommt aber auch eine verfassungskonforme Auslegung i.e.S. in Betracht, also eine Einschränkung des § 145d StGB, die in den genannten Ausnahmefällen auch bei § 164 StGB gelten müsste.

[71] Kuhlen (Fn. 70), S. 13

[72] BVerfGE 18, 97 (111); 90, 263 (275); 93, 37 (84); Kuhlen (Fn. 70), S. 12 f., 90 f.; R. Schmidt, FS für Canaris, 2007, S. 1353, 1360 f.

[73] S. auch Stree, FS Stree/Wessels (Fn. 14), S. 527, 529.

[74] Verhältnismäßigkeitserwägungen finden sich – allerdings einzelfallbezogen – etwa bei Binder (Fn. 29), S. 184 ff.

[75] Vgl. etwa Bumke Der Staat 49 (2010), 77 ff.; Kischel AöR 124 (1999), 174 ff.; Payandeh AöR 136 (2011), 578 ff.; Osterloh, FS für Bryde, 2013, S. 429 ff.; Schmidt FS Canaris, 2007, S. 1353 ff.;

[76] Vgl. zuletzt Chr. Dannecker NZWiSt 2014, 6, 9 ff.; ausführlich Gaede, Der Steuerbetrug, Habilitation Bucerius Law Schol (im Erscheinen), B. VI. Neu ist der Gedanke aber keineswegs: Auf ein "Postulat der Konsistenz der Strafbarkeitserklärung" hat Frisch schon früher hingewiesen (FS Stree/Wessels, 1992, S. 69, 88 ff., 93 ff.; Zuspruch bei Kuhlen, in: Wolter/Freund, Straftat, Strafzumessung und Strafprozess im gesamten Strafrechtssystem, 1996, S. 77, 97; s. auch Mellinghoff, in: ders./Palm, Gleichheit im Verfassungsstaat, 2008, S. 147, 150, 158 f.).

[77] S. nur Payandeh AöR 136 (2011), 578, 581; umfassender Überblick bei Kischel AöR 124 (1999), 174, 193.

[78] S. etwa Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, 3. Aufl. (2010), § 181 Rn. 209 ff.

[79] Kischel , AöR 124 (1999), 174, 206 f.; Payandeh, AöR 136 (2011), 578, 590 f.

[80] BVerfGE 19, 101, 116.

[81] Kirchhof , in: Isensee/Kirchhof (Fn. 77), Rn. 219.

[82] Übereinstimmend Chr. Dannecker NZWiSt 2014, 6, 10.

[83] Vgl. Gaede (Fn. 76), VI 1. b), VI. 2. a).

[84] Vgl. BVerfGE 55, 72, 88.

[85] S. schon Frisch (Fn. 76), S. 69, 88 f.; Mellinghoff (Fn. 76), S. 147, 152. Es ist aber keineswegs klar, was daraus folgt. Frisch sieht deshalb eine besondere Gefahr, die einzudämmen sei. Man kann aber auch sagen, dass manche Inkonsistenzen hinzunehmen seien, will man nicht den Gesetzgeber zwingen, allein deshalb umfassend zu kriminalisieren, um dem Vorwurf der Inkonsistenz zu entgehen (in diesem Sinne etwa Mellinghoff a.a.O.).

[86] Es ist durchaus bezeichnend, wenn Saal (Fn. 6), S. 235 ff., der durchweg für die wohl rigideste Handhabe des § 258 StGB eintritt, ausgerechnet bei den Selbstbegünstigungshandlungen für eine solche Lösung plädiert.

[87] Vgl. dazu BVerfGE 126, 170, 198 f.; A. Albrecht, FS für Dencker, 2012, S. 1, 5 f.; AnwK/Gaede (Fn. 25), § 1 Rn. 20; NK/Hassemer/Kargl (Fn. 4), § 1 Rdn. 70a; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, 2014, S. 157; Kuhlen, in: Kudlich/Montiel/Schuhr, Gesetzlichkeit und Strafrecht, 2012, S. 429, 435 f.; Schulz, FS für Roxin II, 2011, S. 305, 310.

[88] Gaede (Fn. 76), VI. 3., VI 3. b), dort allerdings in anderem Zusammenhang (systematische Betrachtung innerhalb einer "Deliktsfamilie").

[89] Vgl. zu diesem Aspekt auch Gaede (Fn. 76), VI. 3.,a) (3).

[90] Vgl. dazu Kuhlen JuS 1990, 396, 398.

[91] Das Problem ist von den bisherigen Selbstbelastungsfällen bekannt; vgl. etwa Küper/Zopfs (Fn. 11), Rn. 570.

[92] Deshalb ist die auch hier gewählte Bezeichnung der "Beschuldigtenlüge" streng genommen noch verkürzt.

[93] Vgl. Schäfer, Niederschriften (Fn. 34), S. 194.

[94] BGH HRRS 2015 Nr. 614.

[95] Für die Vertreter einer analogen Anwendung des § 258 Abs. 5 StGB wird diese Frage schon deshalb relevant, weil diese Vorschrift ein solches Motiv fordert, wenn auch umstritten ist, welche Anforderungen daran zu stellen sind; vgl. MüKoStGB/Cramer/Pascal (Fn. 3), § 258 Rn. 53; SSW/Jahn (Fn. 56), § 258 Rn. 44: Selbstbegünstigung darf nicht völlig in den Hintergrund treten; enger LK/Walter, 12. Aufl., 2010, § 258 Rn. 131, der sich an den Grundsätzen zu Motivmündeln orientieren will.

[96] So nunmehr auch Geppert, GS Schlüchter (Fn. 5), S. 43, 49 (anders noch ders. Jura 2000, 383, 387); s. auch Löffelmann JR 2015, 492, 494.

[97] Vgl. aber neuerdings Dehne-Niemann NStZ 2015, 677, 682 mit dem Vorschlag, das schlichte Leugnen als Unterlassen zu begreifen und so zur Straflosigkeit zu gelangen.

[98] Ähnlich schon Langer, FS Lackner (Fn. 13), S. 541, 560.