HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2015
16. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

1184. BGH 4 StR 352/15 – Beschluss vom 6. Oktober 2015 (LG Aachen)

Rücktritt vom Versuch (Fehlschlag: Rücktrittshorizont des Täters, Unzulänglichkeit bisheriger Drohungen).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 StGB

1. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, dem je nach Fallgestaltung allenfalls Indizwirkung für den Erkenntnishorizont des Täters zukommen kann, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung.

2. Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen (hier: Unzulänglichkeit bisheriger Drohungen). Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (vgl. BGH NJW 2015, 2898, 2899).


Entscheidung

1149. BGH 2 StR 71/15 – Urteil vom 16. September 2015 (LG Köln)

Versuchter Diebstahl (unmittelbares Ansetzen).

§ 242 Abs. 1 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein unmittelbares Ansetzen zum Diebstahl vor, wenn ein

Diebstahl aus der Wohnung eines Opfers dadurch ermöglicht werden soll, dass sich ein Täter unter einem Vorwand Einlass verschafft, um das Tatopfer abzulenken und dann zu bestehlen. Der Angriff auf den fremden Gewahrsam beginnt in diesen Fällen bereits mit dem Begehren um Einlass.

2. Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Es genügt, dass er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan schon bei ungestörtem Fortgang unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden.

3. Dies ist der Fall, wenn der Täter die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht. Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen, die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan der Täter als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden; dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind u.a. die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutgefährdung (vgl. BGH NStZ 2002, 309).


Entscheidung

1166. BGH 2 StR 483/14 – Urteil vom 16. September 2015 (LG Gießen)

Tötungsvorsatz (Voraussetzungen; tatrichterliche Beweiswürdigung: Darstellung der Einlassung des Angeklagten im Urteil).

§ 212 Abs. 1 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH NStZ 2011, 699). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH NStZ 2012, 443, 444). Bei der Würdigung des Willenselements sind neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 267, 268).

2. Es kann bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe liegen, dass der Täter damit rechnet, dass sein Opfer zu Tode kommen könnte, und er dies billigend in Kauf nimmt, wenn er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt. Aber immer ist auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Liegen Umstände vor, die auf diese Möglichkeit hinweisen, muss sich der Tatrichter damit auseinander setzen.

3. Aus § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil vorzunehmen, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. BGH NStZ 2015, 299). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, regelmäßig auch mit Blick auf die subjektive Tatseite, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler hin überprüfen zu können.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1112. BGH 3 StR 218/15 – Urteil vom 27. Oktober 2015 (LG München I)

BGHSt; Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Staatsschutzklausel; Zivilperson in ausländischem Staat; bewaffneter Konflikt; Verteidigungshandlungen; keine Maßgeblichkeit der völkerrechtlichen Bewertung; restriktive Auslegung; Sympathie mit terroristischer Organisation; „Syrien-Konflikt“).

§ 89a StGB

1. Wer sich als Zivilperson in einem ausländischen Staat, auf dessen Gebiet ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungstruppen und Widerstandsgruppen bzw. terroristischen Organisationen – aber auch unter diesen – ausgetragen wird, bei einem Mitglied einer terroristischen Vereinigung aufhält und sich von diesem im Gebrauch von Schusswaffen zu dem Zweck unterweisen lässt, sich und seine Angehörigen im Falle eines Angriffs auch staatlicher Streitkräfte verteidigen zu können, bereitet in der Regel auch dann keine schwere staatsgefährdende Gewalttat im Sinne von § 89a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, wenn er mit der betreffenden terroristischen Vereinigung sympathisiert. (BGHSt)

2. Nicht jede Gewalthandlung gegen Leib oder Leben von Personen, die auf Seite eines Staates in einem bewaffneten Konflikt kämpfen, erfüllt per se ohne Berücksichtigung der sonstigen Umstände die Voraussetzungen der Staatsschutzklausel des § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB. Insbesondere dann, wenn es bei in den Blick genommenen Handlungen allein darum geht, Gefahren für Leib und Leben zu begegnen, liegt die Bejahung der Voraussetzungen des § 89a Abs. 1 Satz 2 StGB regelmäßig fern, selbst wenn die Handlungen mittelbar gegen die staatliche Ordnung gerichtet sind. Ob der Betreffende bei solchen defensiven Handlungen unter den Voraussetzungen eines formalen Rechtfertigungsgrundes, handelt, ist ebenso wenig entscheidend wie die völkerrechtliche Bewertung der Handlungen der Beteiligten. (Bearbeiter)

3. Die ratio legis des § 89a StGB zielt auf die Verfolgung des sog. terroristischen Einzeltäters und nicht auf Fälle, in denen eine Person, die sich in dem Gebiet eines im außereuropäischen Ausland stattfindenden bewaffneten Konflikts aufhält, ohne sich an diesem aktiv durch eigene Gewalthandlungen zu beteiligen, von einem Familienangehörigen in die Bedienung der der Familie zur Verfügung stehenden Waffen eingewiesen wird, um sich mit diesen bei einem Angriff einer der Konfliktparteien auf Leib und Leben gegen die konkret angreifenden Personen verteidigen zu können. (Bearbeiter)

4. Mit Blick darauf, dass nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sämtliche ausländische Staaten – darunter etwa auch Diktaturen oder sonstige Unrechtsstaaten – von der Staatsschutzklausel des § 89a Abs. 1 Satz 2 mitumfasst werden, legen Sinn und Zweck der Norm sowie völkerrechtliche Grundsätze wie derjenige der Nichteinmischung eine zurückhaltende, die konkreten Umstände angemessen in den Blick nehmende Anwendung der Vorschrift auf ausländische Sachverhalte und dabei insbesondere solche nahe, die sich in einem bereits lange andauernden bewaffneten Konflikt ereignen, der sich auf dem Gebiet eines ausländischen Staates oder mehrerer ausländischer Staaten zuträgt und insgesamt wesentlich durch massive Gewalthandlungen der an dem Konflikt beteiligten zahlreichen Parteien geprägt wird. (Bearbeiter)

5. § 89a StGB würde bezüglich seiner materiellrechtlichen Voraussetzungen überdehnt bzw. entgrenzt, wollte man ihn in extensiver Weise auf die Vorbereitung jedweder die äußere oder innere Sicherheit eines beliebigen Staates dieser Welt gefährdenden Gewalttat anwenden. (Bearbeiter)


Entscheidung

1115. BGH 3 StR 242/15 – Urteil vom 3. September 2015 (LG Kleve)

Heimtücke trotz offen feindseliger Vorgehensweise (Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und Angriff; erste mit Tötungsvorsatz geführte Handlung; keine Verteidigungsmöglichkeit; Abwehrversuche im letzten Moment).

§ 211 StGB

Heimtückisches Handeln erfordert kein „heimliches“ Vorgehen. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Abwehrversuche, die das durch einen überraschenden Angriff in seinen Verteidigungsmöglichkeiten behinderte Opfer im letzten Moment unternommen hat, stehen der Heimtücke daher nicht ohne Weiteres entgegen.


Entscheidung

1165. BGH 2 StR 441/14 – Urteil vom 21. Juli 2015 (LG Bonn)

Schwerer Bandendiebstahl (Voraussetzungen der Bande: Bandenabrede, Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung).

§ 244 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

1. Wegen schweren Bandendiebstahls gemäß § 244a Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Diebstählen verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds einen Diebstahl der in § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Art begeht. Eine Bande in diesem Sinne setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit dem Willen voraus, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Diebstähle zu begehen (vgl. BGHSt 46, 321, 325). Nicht erforderlich ist die gegenseitige verbindliche Verpflichtung zur Begehung bestimmter Delikte; es genügt vielmehr auch die Übereinkunft, in Zukunft sich ergebende günstige Gelegenheiten zu gemeinsamer Tatbegehung zu nutzen (vgl. BGH NStZ 2009, 35, 36).

2. Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich nach der deliktischen Vereinbarung, der so genannten Bandenabrede. Sie setzt den Willen voraus, sich mit anderen zu verbinden, um künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstypus zu begehen. Sie bedarf keiner ausdrücklichen Vereinbarung; die Bandenabrede kann auch durch schlüssiges Verhalten zustande kommen. Das Vorliegen einer Bandenabrede kann daher auch aus dem konkret feststellbaren, wiederholten deliktischen Zusammenwirken mehrerer Personen hergeleitet werden (vgl. BGHSt 50, 160, 161 f.). Haben sich die Täter jedoch von vornherein nur zur Begehung einer einzigen Tat verabredet und in der Folgezeit – auf der Grundlage eines jeweils neu gefassten Tatentschlusses – weitere Straftaten begangen, so fehlt es an der erforderlichen Bandenabrede (vgl. BGH NStZ 2009, 35, 36).

3. In Grenzfällen kann die Abgrenzung zwischen einer auf einer konkludent getroffenen Bandenabrede beruhenden Bandentat und bloßer Mittäterschaft schwierig sein. Erforderlich ist in diesen Fällen eine sorgfältige und umfassende Würdigung aller im konkreten Einzelfall für und gegen eine Bandenabrede sprechenden Umstände. Der Tatrichter muss sich insbesondere bewusst sein, dass ein Rückschluss von dem tatsächlichen deliktischen Zusammenwirken auf eine konkludente Bandenabrede für sich genommen zu kurz greifen kann (vgl. BGH StV 2013, 508, 509 f.).


Entscheidung

1172. BGH 4 StR 54/15 – Beschluss vom 23. September 2015 (LG Dortmund)



Hehlerei (Vorsatz bzgl. der Vortat: Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung und die Darstellung im Urteil).

§ 259 Abs. 1 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Die genaue Kenntnis des Hehlers von der Vortat ist nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass dieser sich eine strafbare Handlung vorstellt, die als Vortat für eine Hehlerei prinzipiell geeignet ist.

2. Wie sich der Tatrichter die hinreichende Überzeugung vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der von ihm angewendeten Strafvorschriften verschafft, unterliegt seiner freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO). In welchem Umfang er sie in den Urteilsgründen mitzuteilen hat, hängt von den Gegebenheiten des jeweiligen Falles ab (vgl. BGH NStZ 2014, 459, Rn. 16). Das gilt regelmäßig auch dann, wenn die Verurteilung auf Geständnissen der Angeklagten beruht. Der Tatrichter ist daher nicht gehindert, auf der Grundlage der vom Täter glaubhaft eingeräumten objektiven Tatumstände im Wege eines Indizschlusses auf das Vorliegen von Umständen zu schließen, die außerhalb seiner unmittelbaren Wahrnehmung liegen.

3. Es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, Feststellungen zum Vorsatz bezüglich der Vortat bei der Hehlerei könnten nicht auf der Grundlage geständiger Angaben des Täters getroffen werden Der Tatrichter muss aber in den Urteilsgründen darlegen, auf welcher Grundlage er sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass der Täter es als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und sich wenigstens damit abgefunden hat, dass die jeweiligen Gegenstände durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Vortat erlangt wurden (st. Rspr).


Entscheidung

1142. BGH 1 StR 473/15 – Beschluss vom 14. Oktober 2015 (LG Traunstein)

Bedrohung (Verhältnis zum Versuch des Verbrechens: Konsumtion).

§ 241 Abs. 1 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB

Der Tatbestand der Bedrohung wird von dem versuchten Verbrechen konsumiert, wenn die angedrohte Tat mit dem Versuch oder der Vollendung des angedrohten Verbrechens zusammentrifft (vgl. BGH NJW 2005, 1203, 1205).