HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2013
14. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Keine Sperrung der Vertrauensperson gemäß § 96 StPO analog bei gleichzeitiger Verletzung des Konfrontationsrechts aus Art. 6 Abs. 3d EMRK

Kurzanmerkung zu VGH Hessen, Beschluss vom 29.5.2013 - 8 B 1005/13; 8 D 1006/13 = HRRS 2013 Nr. 702

Von Rechtsanwältin Dr. Franziska Mahler, LL.M. (LSE), Berlin

Dass es im Zweifel schwierig ist zu erkennen, ob eine Vertrauensperson oder ein Verdeckter Ermittler rechtstaatlich handelt oder aber als Agent Provocateur die Grenzen des Rechtsstaats verlässt, wird auch in der hier zu besprechende Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs deutlich. Für die Richter des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs war ungeklärt, ob die Vertrauensperson über ihre Aktivitäten für die Ermittlungsbehörden hinaus den Angeklagten zu den Straftaten gedrängt bzw. diese ermöglicht hatte. In ihrem Beschluss heben die Richter die Rolle des Rechts auf konfrontative Befragung aus Art. 6 Abs. 3d EMRK hervor: Es diene aus ihrer Sicht der Überprüfung, ob es sich bei einem Verdeckten Ermittler oder einer Vertrauensperson um einen rechtswidrig handelnden Akteur im Sinne eines sog. Agent Provocateur handle. Diese Auffassung deckt sich mit der seit langem existierenden Rechtsprechung des EGMR, die bei Feststellung der Tatprovokation auch das Konfrontationsrecht aus Art. 6 Abs. 3d EMRK beachtet.[1] Obgleich die Entscheidung in einigen Punkten Divergenzen zur europäischen Rechtsprechung aufweist, verdeutlicht sie (abermals), dass die Sperrung eines Verdeckten Ermittlers oder einer Vertrauensperson in der Hauptverhandlung stets das letzte Mittel sein darf. Dies nicht nur um das Konfrontationsrecht des Angeklagten zu sichern, sondern auch um die Rechtsstaatlichkeit des Handelns der Ermittlungsbehörden und ihrer "Hilfspersonen" für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

I. Der Beschluss des VGH Hessen vom 29.05.2013

In der dem Beschluss zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellation war der Antragsteller vor der 3. Großen Jugendkammer des Landgerichts Frankfurt am Main angeklagt, gemeinschaftlich mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Hauptbelastungszeuge war eine Vertrauensperson der Ermittlungsbehörden, welche die Betäubungsmittel von einem Dritten in Empfang genommen und an den Angeklagten weitergeleitet haben soll. Die Vertrauensperson konnte in der Hauptverhandlung nicht befragt werden, da das Hessische Innenministerium eine Sperrerklärung gemäß § 96 StPO analog erlassen hatte. Das Ministerium begründete die Sperrerklärung damit, dass ansonsten eine Gefahr für Leib und Leben der Vertrauensperson bestehe und die Vertrauensperson anonym bleiben müsse, damit sie auch in weiteren Verfahren verwendet werden könne. Die Sperrerklärung sei auch generell notwendig, um Vertrauenspersonen zu verdeutlichen, dass ihre Vertraulichkeit langfristig gewährleistet werde, da sich ansonsten nur noch schwer Vertrauenspersonen finden ließen.

Diese umfassende Sperrerklärung hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof für rechtswidrig erachtet, der Beschwerde stattgegeben und die Vernehmung der Vertrauensperson unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet. Danach sei der Zeuge audiovisuell zu vernehmen, Angaben zur Person und Identität könne er verweigern. Ferner sei der Angeklagte für die Zeit der Vernehmung aus dem Sitzungszimmer zu entfernen, die Öffentlichkeit auszuschließen sowie die optische und akustische Verfremdung von Bild und Ton herbeizuführen. Außerdem sei der Zeuge in Anwesenheit seines Führungsbeamten zu befragen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof betont in seinem Beschluss, dass eine vollständige Versagung der Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung den Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere in seinem Recht auf konfrontative Befragung der Belastungszeugen aus Art. 6 Abs. 3d EMRK, verletzt. In seiner Begründung führt der Hessische Verwaltungsgerichtshof dezidiert aus, warum bei vollständiger Sperrung des Zeugen eine derartige Verletzung des Verfahrens vorliegt. Danach könne es nicht im Ermessen der Exekutive stehen, Zeugen dem Gericht vorzuenthalten. Es sei Aufgabe der Gerichte, die Schuld oder Unschuld der

Angeklagten aufzuklären und nach ihrer richterlichen Überzeugung festzustellen (§§ 244, 261 StPO). Der Hauptverhandlung sei, insbesondere zur Ermittlung des wahren Sachverhalts, immanent, dass auf das unmittelbare und nicht auf das mittelbare Beweismittel zurückgegriffen werde. Die Möglichkeit, einen Zeugen zu sperren, müsse daher ultima ratio sein.

Ferner habe die vorliegende Sperrerklärung nicht die Weiterentwicklung des Strafprozessrechts in den letzten Jahren berücksichtigt. So sei u.a. die audiovisuelle Vernehmung unter optischer und akustischer Verzerrung trotz der gesetzlichen Regelung in § 247a StPO nicht als Möglichkeit in Betracht gezogen worden. Diesbezüglich machen die Richter - im Gegensatz zu einer Entscheidung des OVG Lüneburg vom 04.01.2012[2] - deutlich, dass eine Vernehmung an einem anderen Ort und audiovisueller Übertragung in den Verhandlungsraum gemäß § 247a StPO nicht deshalb als ungeeignet abgelehnt werden könne, weil die Vertrauensperson oder der Verdeckte Ermittler bisher "keinerlei Erfahrung mit derartigen Vernehmungssituationen" habe. Die möglicherweise bestehende Gefahr, dass er unüberlegt oder unbewusst Ansatzpunkte für seine Identifizierung liefere, könne - wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof hervorhebt - über die Begleitung durch die Führungsperson beseitigt werden. Ebenfalls könne das Risiko, dass die Identität des Informanten über die Verwendung besonderer Gestik oder Mimik offenbart werde, durch die technische Veränderung bei Bild und Ton beseitigt werden; auch dieses Risiko habe das OVG Lüneburg zu Unrecht bejaht. Folglich sei die Vernehmung gemäß § 247a StPO durchführbar, ohne dass Leib oder Leben der konkreten Vertrauensperson ernsthaft gefährdet würden; zumal durch die (oben bereits aufgezeigte) Kumulierung der Maßnahmen einerseits eine Enttarnung der Vertrauensperson verhindert und andererseits den Interessen des Angeklagten an einer möglichst unmittelbaren Beweiserhebung weitgehend Rechnung getragen werde.

Von größter Wichtigkeit sei ferner, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich die Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung bei Gegenüberstellung mit dem Angeklagten bzw. dessen Verteidiger als falsch herausstellen würde. Maßgeblich war für den Hessischen Verwaltungsgerichtshof dabei, dass der Zeuge sich als Hauptbelastungszeuge an der Grenze zum Agent Provocateur bewegt habe. Würde sich im Zuge der Hauptverhandlung ergeben, dass das Handeln des Zeugen tatsächlich alle Merkmale eines Agent Provocateur erfüllte, müsste dies über die sog. Vollstreckungslösung des Bundesgerichtshofs im Strafverfahren Beachtung finden.

Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass auch die gesteigerten Schutzmaßnahmen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Vernehmung einer Vertrauensperson grundsätzlich zu treffen sind, hier nicht zu beachten seien. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Vertrauenspersonen schutzbedürftiger als Verdeckte Ermittler, da sie in der Regel aus dem Nahbereich des Angeklagten stammen, damit einfacher zu identifizieren und somit erhöhten Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind.[3] Diese Voraussetzung sei - so die Richter - hier nicht erfüllt, da die Vertrauensperson gerade keine Person aus dem Nahbereich des Angeklagten gewesen sei. Zudem habe sie sich mehrfach mit dem Angeklagten getroffen und insgesamt mehrere Stunden mit ihm verbracht. Es sei mithin lediglich zu verhindern, dass die wahre Identität der Vertrauensperson preisgegeben werde.

II. Das Recht auf konfrontative Befragung aus Art. 6 Abs. 3d EMRK in der Rechtsprechung des EGMR und des BGH

Die Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung aus Art. 6 Abs. 3d EMRK hat den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vorliegend dazu veranlasst, die Vernehmung des Hauptbelastungszeugen zu ermöglichen. Die Entscheidung stützt sich dabei auf die deutsche und europäische Rechtsprechung zum Konfrontationsrecht bei anonymen Zeugen, die im Folgenden kurz skizziert werden soll.

Art. 6 Abs. 3d EMRK garantiert das Recht des Beschuldigten, einen Belastungszeugen selbst oder durch den Verteidiger kontradiktorisch befragen zu können. Dieses Fragerecht ist damit ein wesentlicher Bestandteil eines fairen Strafverfahrens.[4] Zugleich ist Art. 6 Abs. 3 d EMRK Ausdruck des Prinzips der Waffengleichheit, weshalb es dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger in Bezug auf den Zeugenbeweis die gleichen Befugnisse wie der Staatsanwaltschaft gewährt.[5]

Das Konfrontationsrecht beinhaltet dabei nach herrschender Meinung kein Recht auf physische Gegenüberstellung.[6] Bei anonymen Belastungszeugen - wie z.B. Vertrauenspersonen - genügt jedoch nicht, dass Beschuldigter und/oder Verteidiger lediglich über eine akustische Übertragung die richterliche Vernehmung des Zeugen im Nebenraum verfolgen und Fragen stellen können.[7] Eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3d EMRK genügende Zeugenbefragung erfordert hier vielmehr, dass es der Verteidigung zu einem beliebigen Verfahrenszeitpunkt ermöglicht wird, die Reaktion des Zeugen auf direkte Fragen zu beobachten und seine Glaubwürdigkeit zu

überprüfen.[8] Der BGH will zu diesem Zweck die Vernehmung von Zeugen unter optischer und akustischer Abschirmung gemäß § 247a StPO zulassen.[9] Dieser Auffassung hat sich vorliegend auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof angeschlossen.

 

Wird bei anonymen Zeugen eine solche Vernehmung gewährleistet, erhält der Beschuldigte aus Sicht des Bundesgerichtshofs eine angemessene und geeignete Gelegenheit, dem Zeugen über seinen Verteidiger Fragen stellen zu lassen.[10] Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 d EMRK wird in diesen Fällen verneint.

Wird eine solche Vernehmungsmöglichkeit hingegen nicht gewährt, verstößt es auch dies aus Sicht der jüngsten Rechtsprechung des EGMR nicht automatisch gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3d EMRK, wenn dennoch der mittelbare Beweis zugelassen wird und dieser zugleich der einzige oder entscheidende Beweis gegen den Beschuldigten ist.[11] Eine Verurteilung aufgrund solcher Beweismittel sei allerdings nur zulässig, wenn die Glaubwürdigkeit des (unmittelbaren) Belastungszeugen fair und angemessen beurteilt werden könne und dieses Beweismittel im Ergebnis als hinreichend verlässlich erachtet werde.[12] Diese Herangehensweise entspricht weitestgehend der vom Bundesgerichtshof vertretenen und (in der Literatur stark kritisierten[13]) Rechtsprechung. Auch aus Sicht des Bundesgerichtshofs ist bei einer Nichtgewährung des Konfrontationsrechts eine besonders sorgfältige und kritische Würdigung des ungeprüften Beweismittels geboten.[14] Insbesondere bei Zeugenaussagen, die infolge einer Sperrerklärung lediglich mittelbar über einen Zeugen vom Hörensagen in die Verhandlung eingeführt werden, sind die Beweise besonders vorsichtig zu würdigen und ggf. der Zweifelssatz anzuwenden.[15]

III. Kritische Bewertung

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs steht in einheitlicher Linie mit der derzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Vernehmungsmöglichkeiten anonymer Zeugen. Dabei hebt das Gericht sowohl die Bedeutung des Konfrontationsrechts als auch des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Strafprozess hervor.

Doch wird bei Betrachtung der Entscheidung deutlich, dass das Gericht (wie auch der Bundesgerichtshof) hinter den Vorgaben aus der Rechtsprechung des EGMR zurückbleibt. So behandelt der EGMR private Gewährsleute wie Vertrauenspersonen als "disinterested" und als damit weniger gefährdet,[16] während der BGH hier besondere Vorsicht walten lässt, wenn sich ein bestimmtes Näheverhältnis feststellen lässt.[17] Auch wenn das Gericht über diese Gefährdung hier nicht zu entscheiden hatte, da sich eine solche enge, direkte Beziehung nicht herstellen ließ, ändert es nichts an dem Umstand, dass die Richter dem Grunde nach dem EGMR die Gefolgschaft versagen.

Eine weitere Divergenz zwischen deutscher und europäischer Rechtsprechung wird durch dieses Urteil deutlich. Der EGMR legt einen hohen Prüfungsmaßstab bei Kontrolle der Sperrerklärung an. Danach habe sich das nationale Gericht nicht mit einer Plausibilitätskontrolle zufrieden zu geben, sondern die Verhältnismäßigkeit der Sperrerklärung selbst zu überprüfen.[18] Hingegen können sich die deutschen Strafgerichte - das hebt auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof hervor - mit einer bloßen Ermessenskontrolle bzw. Plausibilitätsprüfung begnügen. Nur wenn die Sperrerklärung grob rechtswidrig oder willkürlich ist, sind die Gerichte hieran nicht gebunden. Dieses Problem stellte sich im vorliegenden Verfahren nicht, da die Sperrerklärung mittels des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens umfänglich zu überprüfen war.[19] Wäre die Sperrerklärung allerdings im Rahmen des Strafverfahrens zu beurteilen gewesen, so hätte eine derart dezidierte Prüfung nicht erfolgen können. Dies verdeutlicht (auch aus Verteidigersicht) die Notwendigkeit, eine erlassene Sperrerklärung unverzüglich mit den verwaltungsgerichtlichen Rechtsmitteln

anzugreifen, um diese einer vollständigen tatsächlichen und rechtlichen Kontrolle zuzuführen. Um die hohen rechtlichen Anforderungen, welche an die Zulässigkeit und die Begründetheit eines Antrags im einstweiligen Rechtsschutz gestellt werden, einzuhalten, kann es sich für einen auf das Strafrecht spezialisierten Rechtsanwalt empfehlen, externe verwaltungsrechtliche Expertise hinzuziehen.

Bemerkenswert an der Entscheidung ist die damit verbundene Bestätigung, dass das Recht des Beschuldigten und seiner Verteidigung auf konfrontative Befragung der Belastungszeugen integraler Bestandteil des deutschen Strafprozesses ist. Allerdings steht dieses Recht in der Rechtspraxis offenbar nur dem Verteidiger, nicht aber dem Beschuldigten zu. Denn schließlich sollte der Angeklagte in der vorliegenden Entscheidung nach Ansicht der Verwaltungsrichter für die Zeit der Vernehmung aus dem Gerichtssaal entfernt werden. Wird das Konfrontationsrecht in der Rechtsprechung mithin derart beschnitten bzw. allein auf den Verteidiger zugeschnitten, so ist dieser umso mehr gezwungen, von diesem Recht umfassend Gebrauch zu machen. Andernfalls liefe das Konfrontationsrecht gänzlich leer.

Infolgedessen sollte ein Verteidiger das Konfrontationsrecht als ureigenes Vernehmungsrecht dem Zeugen gegenüber verstehen und es entsprechend ausüben.[20] In diesem Zusammenhang trifft den Zeugen die Pflicht, sich auch den unbequemen Fragen der Verteidigung zu stellen, solange sie der Wahrheitsfindung zuträglich sind. Diese unangenehmen Frage sind es, die zum einen dazu führen, dass der Zeuge die Verteidigung als "bedrohende Inquisitorin" wahrnimmt und die zum anderen geeignet sind, die Konstanz der Zeugenaussage auf die Probe stellen, Widersprüche zu Tage treten lassen und damit im besten Fall den Wahrheitsgehalt der Aussage ergründen.[21] Die Ausübung des Konfrontationsrechts ist für die Wahrheitsfindung im Strafprozess mithin von elementarer Bedeutung.[22] Deshalb sollte ein Verteidiger auch versuchen in einen Diskurs mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht einzutreten, um die tradierte Reihenfolge des Befragungsrechts "Gericht, Staatsanwaltschaft und erst dann die Verteidigung" in Frage zu stellen und eine Umkehr dieser Reihenfolge zu bewirken.[23] Dafür kann der Verteidiger das Konfrontationsrecht als menschenrechtliche Garantie der aktiven Beweisteilhabe im Strafprozess fruchtbar machen.

Wird das Konfrontationsrecht im Strafprozess jedoch versagt, sollte der Verteidiger sich unter Rekurs auf Stimmen in der Literatur[24] nicht mit einer besonders vorsichtigen Würdigung sämtlicher Beweise zufrieden geben. Zum einen sind die Anforderungen an eine derartige Beweiswürdigung in der richterlichen Praxis völlig unklar und damit auch nur eingeschränkt überprüfbar.[25] Zum anderen ist die Annahme eines Beweisverwertungsverbots die rechtsstaatlich gebotene Lösung. Denn durch eine bloß "besonders vorsichtige Beweiswürdigung" erhält die Verletzung dieses elementaren Prozessgrundrechts nicht die notwendige Anerkennung. Vielmehr gerät in Fällen der Versagung dieses Rechts das Gebot der effektiven Verteidigung mit dem Gebot der effektiven Strafverfolgung in einen von staatlicher Seite u.U. hervorgerufenen und von dieser Seite jedenfalls beeinflussbaren Zielkonflikt,[26] der nicht einseitig zu Lasten des Angeklagten entschieden werden kann. Demgegenüber sollte die Schuld eines Angeklagten nur bejaht werden, wenn dem Angeklagten seine Verteidigungsrechte umfassend gewährt und nicht etwa von einer allgemeinen Abwägung geprägt bzw. beschnitten worden sind.[27] Dementsprechend sollte ein Verteidiger bei Nichtgewährung des Konfrontationsrechts argumentieren, dass über die bekannten Fälle staatlich zurechenbarer Beschränkung des Konfrontationsrechts hinaus - nicht zuletzt wegen Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht des Gerichts aus § 238 Abs. 1 StPO[28] - die fehlende Konfrontationsmöglichkeit ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben muss.[29]

IV. Praxisfolge

Der Verdeckte Ermittler bzw. die Vertrauensperson ist nur bei einer von der Verwaltungsbehörde rechtmäßig erlassenen Sperrerklärung ein unerreichbares Beweismittel im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO.[30] Nur dann stehen seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung "andere, nicht zu beseitigende Hindernisse" im Sinne des § 223 Abs. 1 StPO entgegen.[31] Besteht aus Verteidiger- bzw. Beschuldigtensicht zumindest die Möglichkeit, dass eine Konfrontation mit dem Zeugen zu wesentlich anderen Beweisergebnissen führt, ist es unerlässlich, den Verwaltungsrechtsweg mit dem Ziel zu bestreiten, die Sperrerklärung zu beseitigen und die Vernehmung des Zeugen zu erreichen. Andernfalls bleibt die Sperrerklärung bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs für das Gericht verbindlich.


[1] EGMR, Urteil vom 05.02.2008 - 74420/01 (Ramanauskas/Litauen), zitiert nach juris = HRRS 2008 Nr. 200; EGMR, Urteil vom 21.02.2008 - 15100/06 (Pyrgiotakis/Griechenland), zitiert nach juris = HRRS 2008 Nr. 500; vgl. zu beiden Urteilen: Gaede/Buermeyer HRRS 2008, 279.

[2] OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.01.2012 - 14 PS 3/11, NJW 2012, 2372.

[3] BGH, Beschluss vom 17.08.2004 -1 StR 315/04 = HRRS 2004 Nr. 827, NStZ 2005, 43.

[4] BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008 - 2 BvR 2491/07, zitiert nach juris, = HRRS 2008 Nr. 391; BVerfG, Beschluss vom 05.07.2006 - 2 BvR 1317/05, NJW 2007, 204; BVerfG, Beschluss vom 20.12.2000 - 2 BvR 591/00, NJW 2001, 2245.

[5] Esser, in: Löwe/Rosenberg, Band 11, 26. Auflage (2012), Art. 6 EMRK Rn. 760; Gaede StV 2012, 51; Mahler, Das Recht des Beschuldigten auf konfrontative Befragung der Belastungszeugen, jur. Dissertation (2011), passim.

[6] BGH, Urteil vom 25.07.2000 - 1 StR 169/00, NStZ 2001, 212; Esser, a.a.O. (Fn. 5), Art. 6 EMRK Rn. 773; a.A. Walther GA 2003, 204.

[7] Valerius, in: Beck'scher Online-Kommentar StPO (2013), Art. 6 EMRK Rn. 51 unter Hinweis auf: EGMR, Urteil vom 25.06.1992 - 17/1991/269/340 (Lüdi/Schweiz), zitiert nach juris; EGMR, Urteil vom 20.11.1989 - 10/1988/154/208 (Kostovski/Niederlande), zitiert nach juris.

[8] Vgl. statt vieler: EGMR, Urteil vom 17.11.2005 - 73047/01 (Monika Haas/Deutschland), NStZ 2007, 103 = HRRS 2006 Nr. 63; BGH, Urteil vom 25.07.2000 - 1 StR 169/00, NStZ 2001, 212 unter Hinweis auf EGMR, Urteil vom 24.11.1986 - 1/1985/87/134 (Unterpertinger/Österreich), zitiert nach juris.

[9] BGH, Beschluss vom 07.03.2007 - 1 StR 646/06, NStZ 2007, 477 = HRRS 2007 Nr. 430; BGH, Beschluss vom 26.09.2002 - 1 StR 111/02, NStZ 2003, 274; aA noch BGH, Beschluss vom 17.10.1983 - GSSt 1/83, NStZ 1984, 36, 38; Valerius GA 2005, 459; Walter StraFo 2004, 224; Weider StV 2000, 48; Wattenberg/Violet StV 1997, 617.

[10] EGMR, Urteil vom 23.04.1997 - 55/1996/674/861 - 864 (Van Mechelen/Niederlande), zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 03.12.2004 - 2 StR 156/04 = HRRS 2005 Nr. 74, NStZ 2005, 224; BGH, Urteil vom 27.02.2004 - 2 StR 146/03 = HRRS 2004 Nr. 488, NStZ 2004, 505; BGH, Urteil vom 25.07.2000 - 1 StR 169/00, NStZ 2001, 212.

[11] EGMR, Urteil vom 19.07.2012 - 26171/07 (Hümmer/Deutschland), zitiert nach juris; EGMR-GK, Urteil vom 15.12.2011 - 26766/05, 22228/06 (Al-Khawaja u. Tahery/Vereinigtes Königreich), zitiert nach juris = HRRS 2012 Nr. 1; Meyer HRRS 2012, 117; du Bois-Pedain HRRS 2012, 120.

[12] EGMR, a.a.O. (Fn. 11).

[13] Vgl. statt vieler: Renzikowski, in: Festschrift für Mehle (2009), S. 529; Wohlers ZStrR 2005, 144; Sowada NStZ 2005, 1; Meyer-Lohkamp StV 2004, 11; Gleß NJW 2001, 3606.

[14] BVerfG, Beschluss vom 08.10.2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925 = HRRS 2009 Nr. 1114; BGH, Beschluss vom 24.11.2009 - 5 StR 448/09, NStZ-RR 2010, 83; BGH, Beschluss vom 17.03.2009 - 4 StR 662/08, NStZ-RR 2009, 212 = HRRS 2009 Nr. 458; BGH, Beschluss vom 29.11.2006 - 1 StR 493/06 = HRRS 2007 Nr. 39, NStZ 2007, 166; Radtke GA 2012, 187; Jung GA 2009, 235; Wattenberg/Violet StV 1997, 617.

[15] BGH, Urteil vom 04.03.2004 - 3 StR 218/03, NStZ 2004, 343 = HRRS 2004 Nr. 200; BGH, Urteil vom 25.07.2000 - 1 StR 169/00, NStZ 2001, 212; Safferling NStZ 2006, 75; Renzikowski JR 1999, 605; Wattenberg StV 2000, 688; kritisch hierzu: Mahler, a.a.O. (Fn. 5), S. 106 ff.

[16] EGMR, Urteil vom 14.02.2002 - 26668/95 (Visser/Niederlande), StraFO 2002, 160.

[17] BGH, Beschluss vom 17.08.2004 - 1 StR 315/04, NStZ 2005, 43 = HRRS 2004 Nr. 827.

[18] EGMR, Urteil vom 23.04.1997 - 55/1996/674/861 - 864 (Van Mechelen/Niederlande), zitiert nach juris; vgl. zu dieser Diskrepanz auch Safferling NStZ 2006, 75.

[19] Vgl. dazu auch: BVerwG, Beschluss vom 02.07.2009 - 20 F 4/09, zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 18.03.1992 - 1 BGs 90/92, zitiert nach juris; BVerwG, Beschluss vom 26.11.2003 - 6 VR 4/03, zitiert nach juris.

[20] Renzikowski, a.a. O. (Fn. 13), S. 529; Walther GA 2003, 204; vgl. insoweit zu der falschen Übersetzung im Deutschen: Gaede StV 2012, 51.

[21] Siehe hierzu: Gaede StV 2012, 51.

[22] Mahler, a.a.O. (Fn. 5), S. 28.

[23] Vgl. dazu schon: Sommer StraFo 2010, 102.

[24] Vgl. u.a. Renzikowski, a.a. O. (Fn. 13), S. 529; Schwenn StraFO 2008, 225; Gaede, Fairness als Teilhabe, jur. Dissertation (2007), S. 349; Mahler, a.a.O. (Fn. 5), S. 113.

[25] Mahler, a.a.O. (Fn. 5), S. 106 ff. m.w.N.

[26] Mahler, a.a.O. (Fn. 5), passim.

[27] So die höchstrichterliche US-amerikanischen Rechtsprechung zuletzt in: U.S. Supreme Court, Crawford v. Washington, Urteil vom 08.03.2004 - 02-9410, 74 CrL 412 (2004) = HRRS 2004 Nr. 690; vgl. hierzu Mahler, a.a.O. (Fn. 5), S. 33.

[28] BGH, Urteil vom 9.06.2009 - 4 StR 461/08, NStZ 2009, 581 = HRRS 2009 Nr. 803.

[29] Schädler StraFo 2008, 229; Esser JR 2005, 248; Pauly StV 2002, 291; Wohlers, in: Festschrift für Trechsel (2002), 813; Gleß a.a. O. (Fn. 13), 3606; Mahler, a.a.O. (Fn. 5), S. 118.

[30] BGH, Beschluss vom 03.11.1987 - 5 StR 579/87, NJW 1988, 2187.

[31] BGH, Beschluss vom 17.10.1983 - GSSt 1/83, NStZ 1984, 36.