HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2012
13. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

559. BGH 3 StR 65/12 – Beschluss vom 17. April 2012 (LG Kleve)

BGHR; Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (maßgebliche Frist, innerhalb der der Erfolg einer Maßregel zu erwarten sein muss).

§ 64 Satz 2 StGB; § 67d Abs. 1 Satz 1, Satz 3 StGB; § 67 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 StGB

1. Eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 2 StGB) besteht nicht, wenn die voraussichtlich notwendige Dauer der Behandlung die Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB überschreitet. (BGHR)

2. Mit der Einführung des § 67 Abs. 2 StGB im Zuge der grundlegenden Reform des Rechts der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Jahr 2007 ist einer Auslegung endgültig die Basis entzogen, der zufolge in die Frist, innerhalb derer der Erfolg der Maßregel erwartbar sein müsse, auch eine gemäß § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB eintretende Verlängerung der Unterbringungsdauer einzubeziehen ist (gegen BGH, Beschl. v. 6. Februar 1996 – 5 StR 16/96). (Bearbeiter)

3. Ob ein rechtspolitisches Bedürfnis besteht, Verurteilten, die aufgrund einer mit der Suchterkrankung kombinierten Persönlichkeitsstörung nicht von einer auf höchstens zwei Jahre befristeten Unterbringung nach § 64 StGB profitieren können, im Rahmen einer Maßregel anderen Zuschnitts Heilungschancen zu eröffnen, hat nicht der Senat, sondern der Gesetzgeber zu entscheiden. (Bearbeiter)


Entscheidung

650. BGH 4 StR 120/12 – Beschluss vom 9. Mai 2012 (LG Stendal)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Feststellungsanforderungen bei der schweren anderen seelischen Abartigkeit: kombinierte Persönlichkeitsstörung, Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen).

§ 63 StGB; § 20 StGB; § 21 StGB

1. Zwar können auch nicht pathologisch bedingte Störungen Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein, allerdings nur dann, wenn sie ihrem Gewicht nach der krankhaften seelischen Störung entsprechen. Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, dürfen nicht als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor allem dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer „kombinierten Persönlichkeitsstörung“ der Fall ist. Entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit.

2. Für die Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden.


Entscheidung

648. BGH 4 StR 76/12 – Beschluss vom 23. Mai 2012 (LG Dortmund)

Feststellungsvoraussetzungen für die Anordnung des Verfalls, des Wertersatzverfalls und des erweiterten Verfalls (Subsidiarität; Verhältnis unter den verschiedenen Formen der Vermögensabschöpfung).

§ 73 StGB; § 73a StGB; § 73d StGB; § 33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG

1. Findet der erweiterte Verfall Anwendung, weil der Angeklagte wegen einer Tat verurteilt wird, für die das Gesetz (hier: § 33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) auf die Vorschrift des § 73d StGB verweist, erstreckt sich der Verfall auf Vermögensgegenstände des Angeklagten, die unmittelbar für oder aus rechtswidrigen Taten erlangt worden sind, ohne dass diese Taten im Einzelnen festgestellt werden müssen. Als Verfallsgegenstände erfasst werden alle im Sinne des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB aus rechtswidrigen Taten herrührenden Gegenstände oder deren Surrogate gemäß § 73d Abs. 1 Satz 3, § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB, die bei Begehung der den erweiterten Verfall eröffnenden Anknüpfungstat im Vermögen des Angeklagten vorhanden waren. Ist der Verfall eines bestimmten Gegenstandes nach der Anknüpfungstat ganz oder teilweise unmöglich geworden, ist nach § 73d Abs. 2 StGB in entsprechender Anwendung des § 73a StGB auf Wertersatzverfall in Höhe des Wertes des ursprünglich dem erweiterten Verfall unterliegenden Gegenstandes zu erkennen.

2. Die Anordnung des § 73d StGB setzt voraus, dass nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht festgestellt werden kann, dass die aus oder für rechtswidrige Taten erlangten Gegenstände aus solchen Taten herrühren, die Gegenstand der Verurteilung sind.

3. Bei der Anordnung des Verfalls nach § 73 StGB muss die Tat, für die oder aus der etwas erlangt worden ist, Gegenstand der Verurteilung sein.


Entscheidung

646. BGH 4 StR 65/12 – Beschluss vom 10. Mai 2012 (LG Bielefeld)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (konkrete Erfolgsaussicht: Erörterung der Erfolgslosigkeit früherer Therapien und Sachverständigengutachten).

§ 64 Satz 2 StGB

1. Zwar steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Umstand, dass ein Täter bereits eine Entzugsbehandlung absolviert hat und danach wieder rückfällig geworden ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie nicht ohne weiteres entgegen.

2. Hat der Täter mehrere Entwöhnungsbehandlungen absolviert und ist er entweder danach wieder rückfällig geworden oder mussten die Therapien abgebrochen werden, so darf sich der Tatrichter jedoch nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigen beschränken. Das Revisionsgericht muss prüfen können, ob die Strafkammer bei ihrer Bewertung der Erfolgsaussicht von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.


Entscheidung

632. BGH 2 StR 73/12 – Beschluss vom 17. April 2012 (LG Wiesbaden)

Strafzumessung (fehlende Milderungsgründe; Doppelverwertungsverbot).

§ 46 Abs. 1, Abs. 3 StGB

1. Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung wie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder auch eine Suchterkrankung können ebenso wie die Tatverstrickung durch Dritte strafmildernd zu Buche schlagen; ihr Fehlen berechtigt allerdings nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen. Deshalb darf zu Lasten des Angeklagten weder in Rechnung gestellt werden, dass „keine spontane Tat ohne Anlass“ vorliege, noch angeführt werden, dass der Angeklagte „ohne Druck oder Beeinflussung Dritter“ und auch nicht „aus einer Notsituation heraus“ gehandelt habe.

2. Beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verstößt es gegen das Doppelverwertungsverbot, wenn das Tatgericht belastend einbezieht, dass „primär finanzielle Erwägungen, die Aussicht auf eine lukrative Einnahmequelle“ Anlass für die Tatbegehung gewesen sei. Dies gilt, soweit von einem besonders verwerflichen, den Rahmen des Tatbestandsmäßigen erheblich übersteigenden Gewinnstreben nach den Feststellungen nicht gesprochen werden kann.