HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2011
12. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Wider die Strafbarkeit von "Hardcore-Kartellen" de lege ferenda

Von Dr. Alexander Bräunig, Berlin

Im Schrifttum mehren sich Stimmen, die sich für die Einführung der Strafbarkeit von sogenannten "Hardcore-Kartellen" im deutschen Recht aussprechen.[1]

A. Ausgangslage

I. Submissionskartelle

In der augenblicklichen Rechtslage unterliegt dem strafrechtlichen Zugriff lediglich das Submissionskartell, ein Spezialfall der Kartellbildung. So bestraft § 298 StGB lediglich die Abgabe von auf rechtswidrigen Absprachen beruhenden Angeboten, die im Rahmen von Vergabe-

verfahren der öffentlichen Hand nach VOB/A, VOL/A oder im Rahmen einer freihändigen Vergabe nach einem öffentlichen Teilnahmewettbewerb getätigt werden. Darunter fallen Absprachen auf horizontaler Ebene, d.h. solche zwischen den Bietern im Rahmen einer Ausschreibung. Ob auch Absprachen auf vertikaler Ebene, also zwischen Bieter und Veranstalter darunter fallen, ist umstritten.[2] Einigkeit besteht demgegenüber weitestgehend darin, dass sich der Anwendungsbereich auch auf Ausschreibungen von Privaten erstreckt, soweit die privaten Vergabeverfahren gleich oder ähnlich ausgestaltet sind.[3]

In der Einführung des § 298 StGB mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 sah der Gesetzgeber eine Korrektur der unzulänglichen Strafbarkeit von Submissionskartellen auf der Grundlage des § 263 StGB, dessen Täuschungs- und Schadenserfordernis eine Verurteilung erschwerte.[4] Gleichwohl erfuhr die Auslegung des § 263 StGB eine zunehmende Ausweitung, sodass heute auf Submissionskartelle in der Regel § 298 StGB und § 263 StGB kumulativ Anwendung finden.[5] Neben der strafrechtlichen Verfolgung besteht, soweit der Täter für ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung handelte, die Möglichkeit einer durch die deutschen Kartellbehörden festzusetzenden Unternehmensgeldbuße nach § 81 GWB i.V.m. § 30 OWiG.[6] Dabei ist der Haftungsumfang des Bußgeldes gemäß § 81 Abs. 4 S. 1 GWB auf 10% des im vorausgegangenen Geschäftsjahrs erzielten Gesamtumsatzes begrenzt, soweit die Geldbuße nicht Mittel der Gewinnabschöpfung ist (§ 81 Abs. 5 GWB i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG).

Entsprechendes gilt für grenzüberschreitende Submissionskartelle im Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV. Eine absolute Obergrenze des Haftungsumfanges im Rahmen des mehrstufigen Bemessungsverfahrens existiert zwar nicht. Allerdings sieht Art. 23 Abs. 2 der VO EG 1/2003 eine Schwelle von 10% des Weltumsatzes des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung als Kappungsgrenze für die Haftung vor.[7]

II. "Hardcore-Kartelle"

Der Begriff des "Hardcore-Kartells" ist kein Rechtsbegriff. Mit ihm werden besonders schwere Verstöße gegen das Kartellverbot zum Ausdruck gebracht. Unter Hardcore-Kartellen bzw. Hardcore-Absprachen versteht man, genauer gesagt, schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen in Form von horizontalen Preisabsprachen, Mengenabsprache (Quoten- bzw. Absatzkartelle) und Marktaufteilungsabsprachen (Gebiets- bzw. Kundenabsprachen), d.h. alle Formen der kollusiven Übereinkunft auf horizontaler Ebene, welche die Handlungs- oder Entschließungsfreiheit der Beteiligten auf einen oder mehreren Aktionsparameter (Preis, Kondition, Qualität etc.) einschränken.[8] Auch Submissionsabsprachen sind in der Form von Marktaufteilungsabsprachen Hardcore-Kartelle. Nicht zu den Hardcore-Kartellen gehören per definitionem jedoch wettbewerbsbeschränkende vertikale Vereinbarungen, d.h. Absprachen zwischen verschiedenen Vertriebsebenen (etwa zwischen Produktions-Monopolisten und Händlern oder Lieferanten und Abnehmern) sowie Marktmissbräuche im Sinne der §§ 19 ff GWB / Art. 102 AEUV, die sich nur an marktbeherrschende Unternehmen richten und zusätzlich ein spezifisches Missbrauchsverhalten erfordern.

Mit Ausnahme der Submissionskartelle unterfallen Hardcore-Kartelle im deutschen Recht bisher nicht der Strafbarkeit. Dies gilt auch in Bezug auf § 263 StGB, dessen Anwendung insoweit auch in Zukunft nicht zu erwarten ist. Zum Einen ist eine Täuschungshandlung im Gegensatz zu den Submissionskartellen nicht konstruierbar, da es an einem Bewerbungsverfahren im Rahmen eines Teilnahmewettbewerbs mangelt, aus dem man die schlüssige Erklärung ableiten könnte, dass dem Angebot

keine vorherigen Preisabsprache zugrundelag. Zum Anderen scheint die Nachweisbarkeit eines Schadens aufgrund eines hypothetischen (fiktiven) Wettbewerbspreises in Fällen der Hardcore-Kartelle faktisch schwerlich praktikabel, da im Gegensatz zur Submissionsabsprache Indiztatsachen wie Ausgleichszahlungen an Konkurrenten o.Ä. regelmäßig ausbleiben.[9]

Hardcore-Kartelle werden jedoch in jedem Fall vom Kartellordnungswidrigkeitenrecht umfasst. Haftbar sind neben den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen gemäß § 81 GWB i.V.m. § 30 OWiG zudem auch die verantwortlichen natürlichen Personen gemäß § 81 GWB i.V.m. §§ 9, 130 OWiG.[10] Im Gegensatz zum Haftungsumfang bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen ist die Haftung bei Einzelpersonen auf 1 Mio. Euro plafoniert.

B. Strafrechtsdogmatische Anforderungen an eine Kriminalisierung von Hardcore-Kartellen

Die Verwendung des Strafrechts als Mittel zur gesellschaftlichen Steuerung muss aufgrund des besonders einschneidenden Charakters auch besondere Voraussetzungen erfüllen, um sich unter rechtstaatlichen Bedingungen als legitim zu erweisen. Die Berücksichtigung der fundamentalen strafrechtsdogmatischen Anforderungen an die Kriminalisierung eines Lebenssachverhalts kann nicht durch die Erörterung von Zweckmäßigkeitserwägungen und billigenswerten Zielsetzungen ersetzt werden, wie es tendenziell im Rahmen der bisherigen Erörterung eines verschärften Kartellstrafrechts im Schrifttum geschieht.

Setzt man stattdessen bei der dogmatischen Frage an, was das Strafrecht legitimerweise leisten kann und prüft sodann, ob der Lebenssachverhalt vor diesem Hintergrund kriminalisierungswürdig erscheint, ist der Ausgangspunkt die Erkenntnis, dass der Einsatz des Strafrechts nur zum Schutz gegen schwerwiegende Eingriffe in ein wesentliches, sozial gewichtiges Rechtsgut und nur als "Sekundärrecht", d.h. nur subsidiär, legitim ist. Dieser subsidiäre Rechtsgüterschutz impliziert zum Einen, dass nicht jede rechtliche Verhaltensnorm eine strafrechtliche Sanktionsnorm rechtfertigt.[11] Zum Anderen impliziert er das verfassungsrechtliche Grundprinzip der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Eingriffs.[12] Auch das Bundesverfassungsgericht betont die materielle Begrenzung der Strafgesetzgebung aufgrund des verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzips. Selbst wenn es zugesteht, dass es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers sei den Bereich des strafbaren Handelns festzulegen, so stellt es klar, dass das Strafrecht lediglich als "Ultima ratio" des Rechtsgüterschutzes eingesetzt werden kann, nämlich dann, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich und seine Verhinderung besonders dringlich ist. Wegen des sozialethischen Unwerturteils kommt dem Übermaßverbot als Maßstab zur Überprüfung einer Strafnorm besondere Bedeutung zu.[13]

Die strafrechtsdogmatischen Anforderungen an eine Kriminalisierung von Hardcore-Absprachen sind dementsprechend nur dann erfüllt, wenn sowohl eine "Strafwürdigkeit" als auch eine "Strafbedürftigkeit" uneingeschränkt bejaht werden kann.[14] Auf der Ebene der Strafwürdigkeit gilt es nach der Angemessenheit einer Pönalisierung von Hardcore-Kartellen zu fragen, d.h. ob Hardcore-Absprachen jeweils durch den Angriff auf ein bedeutsames Rechtsgut derart an den gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen rütteln, dass sich der Einsatz des Strafrechts als Ultima Ratio zusätzlich zu dem dem Opportunitätsprinzip unterliegenden Ordnungswidrigkeitenrecht als eine gebotene, angemessene Reaktion erweisen kann. Auf der Ebene der Strafbedürftigkeit ist zu überprüfen, ob eine strafrechtliche Reaktion geeignet und zusätzlich zum Ordnungswidrigkeitenrecht überhaupt erforderlich wäre.

C. Strafwürdigkeit von Hardcore-Absprachen

I. Freier Wettbewerb und individuelle Freiheitsrechte als strafrechtlich schutzwürdige Rechtsgüter

Das Kartellverbot dient dem Schutz des freien Wettbewerbs.[15] Damit ist zunächst problematisch, ob die Wettbewerbsfreiheit auch ein den Anforderungen an einen Strafrechtsschutz genügendes Rechtsgut ist. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht der Gesetzgeber im Grundsatz frei über Anlässe, Ziele und Instrumente strafrechtlicher Verbote zu befinden;

gleichwohl ist er beschränkt auf den Schutz elementarer Werte des Gemeinschaftslebens. Wie weit der Gesetzgeber konkret in der Wahl der strafrechtlich zu schützenden Rechtsgüter begrenzt ist, ist dabei selbst innerhalb des Bundesverfassungsgerichts nicht unumstritten.[16] Dass es von Vornherein an einem für die Strafbarkeit von Hardcore-Kartellen denkbaren Schutzgut mit hinreichender rechtlicher Bedeutung mangelt, wird vorliegend allerdings nicht behauptet. Es wird nicht in Frage gestellt, dass ein verfassungsrechtliches Schutzgut in Betracht kommen kann. Vielmehr wird im Folgenden bezweifelt, dass Hardcore-Kartelle eine hinreichende Rechtsgutsverletzung implizieren. Nichtsdestotrotz ist die Frage unerlässlich, welches Rechtsgut denn der Strafgesetzgeber durch eine Pönalisierung von Hardcore-Kartellen möglicherweise zu schützen beabsichtigen könnte. In Betracht käme dabei zunächst der freie Wettbewerb. Begrifflich lässt sich der freie Wettbewerb definieren als das Nicht-Vorhandensein von aktiv willentlichen Verhaltensweisen, die die freie unabhängige Teilnahme anderer Marktteilnehmer am Markt beschränken und primär auf das Ausschalten von Risiko auf Kosten der Entschlussfreiheit anderer gerichtet sind.[17] Trotz der ausdrücklichen Kompetenzregelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG wird weitestgehend und zu Recht bestritten, dass Wettbewerb ein der staatlichen Schutzpflicht unterliegendes selbstständiges Rechtsgut von Verfassungsrang ist. Diese Sichtweise entspricht der Grundvorgabe des Bundesverfassungsgerichts, das die Wirtschaftsordnung nicht als in unmittelbarer Weise grundgesetzlich vorgegeben ansieht.[18] Wettbewerbsfreiheit stellt vielmehr ein offenes, relatives sowie "überindividuelles" Rechtsgut dar, da es als wirtschaftspolitisches Konstrukt im Wesentlichen von normativen Vorgaben und Wandelungen abhängt. Angesichts eines derart unselbstständigen und vagen Rechtsguts wird die Strafwürdigkeit von Kartellverstößen (auch die Existenzberechtigung des § 298 StGB) von vielen Stimmen generell in Frage gestellt.[19] Die Zweifel an der Strafwürdigkeit sind – wie noch auszuführen ist – berechtigt, können jedoch nicht ohne Weiteres durch ein unzulängliches Rechtsgut begründet werden. Denn der Wettbewerbsfreiheit kann zumindest die Funktion eines "Zwischenrechtsguts" zum mittelbaren Schutz von individuellen Freiheitsrechten als Primärrechtsgüter zukommen (dazu sogleich). Die kritische Betrachtung des Rechtsgutes "freier Wettbewerb" ist indessen insoweit überzeugend, als sie den freien Wettbewerb als selbstständiges Primärrechtsgut verneint. Die gegenteilige Auffassung, die den freien Wettbewerb als verselbstständigtes "Kollektiv-Rechtsgut" betrachtet, das nicht nur Ausdruck der Gesamtheit von Einzelrechtsgütern sei, sondern einen nicht-distributiven Charakter habe[20], d.h. als emergente soziale Erscheinung um ihrer selbst willen schützenswert erscheine, verkennt, dass individuelle Freiheitsrechte nicht eo ipso ein spezifisches, invariantes "System" eines freien Wettbewerbs erzeugen. Wettbewerb ist vielmehr ein wirtschaftspolitisches Desiderat, ein normatives Konstrukt, das immer bei den individuellen Freiheitsrechten ansetzt, sich aber nicht auf deren Grundlage verselbstständigt und manifestiert. Gegen einen selbstständigen Charakter des Rechtsguts Wettbewerbsfreiheit spricht insbesondere, dass wettbewerbsbeschränkende Absprachen zunächst selber Teil der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit (Privatautonomie) sind[21] und daher die Wettbewerbsfreiheit keine automatische Folge individueller wirtschaftlicher Freiheit sein kann. Freier Wettbewerb ist kein apriorisches wirtschaftliches Prinzip, sondern eine normative Begrenzung des Wirtschaftssystems.[22] Das Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen begrenzt die wirtschaftliche Handlungsfreiheit Einzelner zum Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit vieler. Dieser vorausgelagerte normative Abwägungsprozess bestimmt und relativiert die Wettbewerbsfreiheit. Der Schutz des Wettbewerbs ist also immer nur Mittel zum Schutz individueller Freiheitsrechte.

Primäre Rechtsgüter eines Kartellstrafrechts können daher nur die Rechtsgüter sein, um derentwillen freier Wettbewerb normativ angestrebt wird. Geboten ist daher, im Einklang mit der Rechtsprechung, den Schutz des freien Wettbewerbs als mittelbaren Ausdruck des objektiven Wertgehalts von verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechten zu begreifen, namentlich der Berufsfreiheit (Art. 12 GG)[23] bzw. der wirtschaftlichen Hand-

lungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)[24], welche durch Wettbewerbsbeschränkungen beeinträchtigt werden können.

Anders als bei dem schon bestehenden § 298 StGB, bei dem nach der h.M. ein unmittelbarer Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit (Vermögensinteresse) des Ausschreibungsveranstalters (i.d.R. die öffentliche Hand) gegeben sei[25], kommt bei Hardcore-Kartellen die wirtschaftliche Handlungsfreiheit als unmittelbares Primärrechtsgut von Vornherein nicht in Betracht, da der Rechtsgutsträger bei Hardcore-Verboten nicht individualisiert wird und gerade nicht auf den Eintritt eines Vermögensschadens abgestellt wird. Daher bleiben der Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit bzw. der Berufsfreiheit als Primärrechtsgüter nur mittelbar. Wettbewerbsfreiheit ist insoweit ein "vermittelndes" Zwischenrechtsgut, das nur als Ausdruck des Primärrechtsschutzes (Schutz individueller Freiheitsrechte) strafrechtlich schutzwürdig sein kann.[26] Dieses Ergebnis entspricht auch dem Verständnis des Strafrechts als Individualstrafrecht, d.h. dem Grundsatz, dass Interessen der Allgemeinheit berechtigterweise nur Anerkennung finden können, soweit sie personalen Interessen dienen.[27]

II. Kein hinreichender Unwertgehalt einer Schutzgutgefährdung

Als Normtypus einer Kriminalisierung von Hardcore-Absprachen kommt, da die Absprache selbst die geschützten Rechtsgüter noch nicht verletzt, nur ein abstraktes Gefährdungsdelikt zum unmittelbaren Schutz des freien Wettbewerbs und zum mittelbaren Schutz der individuellen Freiheitsrechte als Primärrechtsgüter in Betracht.[28] Abstrakte Gefährdungsdelikte beruhen auf der normativen Vermutung, dass bestimmte Verhaltensweisen für das Schutzobjekt prinzipiell gefährlich sind. Diese prinzipielle Gefährlichkeit ist – nach weitläufiger, aber keineswegs unbestrittener Ansicht[29] – legitimierender Grund für abstrakte Gefährdungsdelikte.[30] Prinzipiell kann in diesem Zusammenhang nur bedeuten, dass der kriminalisierten Handlung immer das Potenzial zur Verletzung des Rechtsguts innewohnt, ohne dass es darauf ankommt, ob sich dieses Potenzial auch in einer konkreten Verletzung niederschlägt.

Bei der Frage nach der Strafbarkeit von Hardcore-Kartellen hat man es mit einer Doppelung des Gefährdungszusammenhangs zu tun. Zum Einen müssten Hardcore-Absprachen prinzipiell den freien Wettbewerb gefährden. Zum Anderen müssten Hardcore-Absprachen darüber hinaus durch die Wettbewerbsgefährdung zugleich prinzipiell die individuellen Freiheitsrechte gefährden. Ebenso wie abstrakte Gefährdungsdelikte als solche sind derartige "doppelt abstrakte Gefährdungsdelikte" erst recht einer Kritik auszusetzen, da der nurmehr mittelbare Primärrechtsgüterschutz eine weitere Ausuferung des strafrechtlichen Zugriffs markiert. Die Kritik an derartigen "doppelt-abstrakten Gefährdungsdelikten" pointierte der Richter am BVerfG Sommer wie folgt: "Die Anknüpfung der Strafandrohung an ein Verhalten[...]nur mittelbarer Gefährlichkeit rückt sie damit in die Nähe eines bloßen Mittels zum Zweck; das aber lässt die Strafandrohung als mit dem verfassungsrechtlich geschützten Wert- und Achtungsanspruch nicht mehr vereinbar erscheinen".[31] Es besteht die Gefahr, dass sich das Strafrecht zu einem Gefahrabwehrrecht pervertiert und den Grundzweck des Schuldausgleichs völlig außer Acht lässt.

Selbst wenn man den Normtypus eines hier sogenannten "doppelt-abstrakten Gefährdungsdelikts" akzeptiert – im Umweltstrafrecht hat er sich bereits etabliert -, so ist diese Normstruktur vorliegend gleichwohl Anknüpfungspunkt von Kritik.

Die notwendige Struktur eines kartellstrafrechtlichen Tatbestands in Form eines doppelten Gefährdungszusammenhangs ist deshalb ein Kernpunkt der Kritik an einer Strafwürdigkeit, weil eine derartige prinzipielle Gefährdung sowohl des freien Wettbewerbs als auch der primären Rechtsgüter durch Hardcore-Absprachen unter Zugrundelegung der strengen Voraussetzungen für einen strafrechtlichen Zugriff erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist.[32] D.h. ein solcher doppelter prinzipieller Gefährdungszusammenhang ist in concreto zu bezweifeln.

1) Hardcore-Absprachen gefährden nicht prinzipiell den freien Wettbewerb

a) Bereits die kriminalisierte Handlung, also die Absprache als solche, wäre vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots nicht unproblematisch. Im Fall des § 298 StGB hat das Bundesverfassungsgericht die hinreichende Bestimmtheit des Begriffs "Angebot" bejaht, da es im Zusammenhang mit der öffentlichen Ausschreibung verständlich sei.[33] Bei einer Absprache/Vereinbarung/abgestimmten Verhaltensweise außerhalb öffentlicher Vergabeverfahren erscheint dies hingegen nicht unbedenklich. Als Beispiel zur Veranschaulichung von zu befürchtenden überbordenden Strafbarkeitsrisiken aufgrund unzureichender Bestimmtheit der kriminalisierten Handlung kann das Verbandskartellrecht dienen:

Wirtschaftsverbände unterliegen als Unternehmensvereinigungen der kartellrechtlichen Haftung und stehen auch zunehmend im Blickfeld der Kartellbehörden.[34] Verbände und deren Entscheidungsträger unterliegen einem besonderen Risiko einer kartellrechtlichen Haftung, das sich in der Grauzone des Verbandskartellrechts verbirgt. Diese Grauzone entsteht dort, wo die ureigene Aufgabe der Verbände, nämlich "Plattform" und beratender Dienstleister für seine Mitglieder zu sein, unmittelbar in verbotene Wettbewerbsverstöße münden kann. Eine genaue Feststellung, wann etwa bloße Marktgespräche in Arbeitskreisen, Marktinformationsverfahren oder Empfehlungen der Verbände an ihre Mitglieder die Grenze zu verbotenen Vereinbarungen bzw. abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne des § 1 3.Alt. GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 3.Alt. AEUV überschreiten, sind keineswegs eindeutig.[35] Eine Strafbarkeit würde die Akteure einem unzumutbaren Risiko aussetzen und die kartellrechtsgemäße Verbandstätigkeit nachhaltig negativ beeinflussen. Auch die europäische Rechtsprechung vermochte bisher eine strafrechtlich gangbare Begriffseingrenzung nicht vorzunehmen.[36]

b) Bejaht man letztlich eine kartellrechtswidrige Absprache, so bestehen weiterhin Zweifel, ob sich daraus in allen Fällen prinzipiell eine unmittelbare Gefährdung des Zwischenrechtsguts "Wettbewerbsfreiheit" ergibt. Abstrakten Gefährdungsdelikten ist gemein, dass der Unwert der von ihnen pönalisierten Handlung in der prinzipiellen Gefährdung des Rechtsguts liegt, ohne dass es auf eine tatsächliche Rechtsgutsverletzung ankäme. Nun ist die Eigenart einer Hardcore-Absprache aber nicht nur, dass es viele denkbare Einzelfälle geben kann, bei denen der Absprache aus unterschiedlichen Gründen keine effektive Wettbewerbsbeschränkung folgt.[37] Derartige Fälle vermögen an der Strafwürdigkeit nicht zu rütteln. Allerdings besteht jedoch, im Gegensatz zu typischen abstrakten Gefährdungsdelikten, bei Hardcore-Absprachen die Besonderheit darin, dass missbilligte Handlungen nicht immer das Potenzial der Rechtsgutsverletzung in sich tragen, vielmehr dem Rechtsgut sogar abstrakt und konkret förderlich sein können.

Anerkannt ist unter gewissen Voraussetzungen insbesondere der tatbestandliche Abwehreinwand eines sog. "Abwehrkartells". Ein solches liegt vor, wenn die Absprache den Zweck verfolgt eine eindeutig kartellrechtswidrige oder unlautere Maßnahme Dritter zu "kompensieren".[38] Dabei handelt es sich nicht um einen Rechtfertigungsgrund, sondern bereits begrifflich um einen tatbestandlichen Ausschluss einer Wettbewerbsbeschränkung, denn die Wettbewerbsbeschränkung bezweckt die Aufhebung einer Wettbewerbsbeschränkung.

Diesem Anspruch folgend sieht etwa § 3 GWB[39] auch die Möglichkeit wettbewerbswidriger Absprachen zwischen kleineren Unternehmen ("Mittelstandskartelle") vor, um eine Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu ermöglichen.

Ein unmittelbarer Gefährdungszusammenhang von Tathandlung und Zwischenrechtsgut gilt daher im Prinzip nicht, da eine Absprache nicht immer das Potenzial einer Wettbewerbsgefährdung in sich trägt. Dieser für abstrakte Gefährdungsdelikte untypische Umstand und die damit zusammenhängenden Abgrenzungsschwierigkeiten relativieren einen strafrechtstypischen Unrechtsgehalt. Grundsätzlich gilt dieser Kritikpunkt auch für § 298 StGB, jedenfalls dann, wenn der Ausschreibende durch seine Nachfragemacht den Wettbewerb vorab bereits einschränkt hatte.[40]

2) Wettbewerbsgefährdende Absprachen stellen nicht prinzipiell missbilligte Primärrechtsgutsgefährdungen dar

Das Kartellrecht legt selbst eine Vielzahl von Restriktionen bei der Annahme einer kartellrechtlich unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung fest und konterkariert damit normativ einen prinzipiellen Gefährdungszusammenhang zwischen wettbewerbsgefährdenden Hardcore-Absprachen und strafrechtlich schützenswerten Primärrechtsgutsgefährdung. Darüber hinaus sind auch hier Einzelfälle denkbar, bei denen eine Hardcore-Absprache den Primärrechtsgütern sogar förderlich wäre, beispielsweise im Rahmen der Verhinderung von ruinösem Wettbewerb (dazu sogleich). Das bedeutet, dass, selbst wenn man einen prinzipiellen Gefährdungszusammenhang zwischen Hardcore-Kartell und Wettbewerbsbeschränkung bejaht, eine prinzipielle Primärrechtsgefährdung nicht gegeben wäre.

a) Unabhängig davon, ob eine die Hardcore-Kartelle kriminalisierende Strafnorm als Annex zum Kartellrecht (Blankettnorm) ausgestaltet würde oder mit eigenständigen normativen Tatbestandsmerkmalen versehen würde, die ihrerseits im Rahmen einer negativen Akzessorietät durch die kartellrechtlichen Ausnahmetatbestände restringiert wären[41], sind die kartellrechtlichen Vorgaben von normativ gebilligten Wettbewerbsbeschränkungen der Annahme abträglich, dass die Gefährdung der Primärrechtsgüter durch Hardcore-Absprachen einen deutlichen sozialethischen Unwertgehalt darstellt, der zwingend mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden müsse. Das gilt umso mehr als die Ausnahmemöglichkeiten für Hardcore-Kartelle von besonderer Unterbestimmtheit und Einzelfallabhängigkeit zeugen.

Die Vielzahl an Ausnahmemöglichkeiten und komplexen Abgrenzungsfragen gibt es auch im Bereich vertikaler Absprachen sowie der Tatbestände des Marktmissbrauchs (§§ 19 ff. GWB). Dieser Umstand überzeugte die eigentlichen Befürworter einer weitergehenden Kartell-Kriminalisierung gerade bei diesen Fällen auf eine Kriminalisierung gänzlich zu verzichten.[42] Auch bei Hardcore-Kartellen können Unterbestimmtheiten und Einzelfallabhängigkeiten im Rahmen der normativen Billigung bzw. Missbilligung nicht unberücksichtigt bleiben.

§ 2 GWB bzw. Art. 101 Abs. 3 AEUV sehen beispielsweise Freistellungen vom Kartellverbot, etwa zum Zwecke der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts, vor.[43] Eine Freistellung vom Kartellverbot kommt also grundsätzlich in Betracht, wenn sich aus der Zusammenarbeit Vorteile ergeben, von denen auch der Verbraucher letztlich profitieren kann. Wettbewerbsbeschränkende Abreden über einen gemeinsamen Einkauf, eine wechselseitige Spezialisierung oder eine gemeinsame Produktion können also unter gewissen Umständen den eine Primärrechtsgutsgefährdung aufheben oder zumindest legitimieren.

Es gibt in diesem Sinne sogar eine Tendenz der Gemeinschaftsorgane nicht erst im Rahmen einer Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV, sondern bereits beim Begriff der "Wettbewerbsbeschränkung" gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV eine Abwägung von Vor- und Nachteilen der Wettbewerbsbeschränkung vorzunehmen (sog. "rule of reason"), z.B. bei Zusammenschlüssen von Unternehmen bei Großaufträgen, die sie alleine nicht ausführen könnten[44] oder bei wettbewerbsbeschränkenden Klauseln in Lizenzverträgen (ausschließliche Lizenzerteilung)[45] . Der Gerichtshof hatte zudem wiederholt verschiedene Wettbewerbsformen als nicht schutzwürdig aus dem Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgeklammert, soweit die Vorteile einer wettbewerbsbeschränkenden Abrede für das Binnenmarktprojekt die Nachteile wesentlich überwiegen. 2001 hat EU-Kommission zum Ausdruck gebracht, dass – ganz allgemein – die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit horizontaler Absprachen von den negativen Auswirkungen der Absprache hinsichtlich Preis, Produktion, Vielfalt und Qualität der Waren oder Dienstleistungen auf dem entsprechenden Markt abhänge.[46]

Rechtlich gewollte Wettbewerbsbeschränkungen gibt es auch Form von sog. Strukturkrisenkartellen zum raschen Abbau von Überkapazitäten. Gerade im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde dies ausgiebig diskutiert.[47] Dies zeigt, dass die Beantwortung der Frage, wann Hardcore-Kartelle primärrechtsgutsgefährdend sind, von wirtschaftspolitischen Abwägungen abhängt und keineswegs einem strikten Prinzip unterliegt.

b) Die Unzulänglichkeit des Unwertgehalts von Hardcore-Absprachen zeigt sich in diesem Zusammenhang insbesondere in Fällen des sog. ruinösen Wettbewerbs, der durch Preisdumping das wirtschaftliche Überleben und damit auch die individuellen Freiheitsrechte einer Vielzahl von Anbietern am Markt gefährden kann. Kartellbildungen sind insoweit grundsätzlich geeignet den Primärrechtsgütern sogar förderlich zu sein. Trotz ihrer Kartellrechtswidrigkeit erscheint etwa eine Strafbarkeit von Absprachen, die in keiner Weise auf Schädigung fremder Vermögensinteressen abzielen, sondern allein den Zweck des wirtschaftlichen Existenzerhalts beabsichtigen (vgl. dazu auch "Abwehrkartelle", II.1.b)) unverhältnismäßig.[48]

So gab beispielsweise der Bundesverband deutscher Milchviehhalter 2008 zum Zwecke der Stabilisierung eines kostendeckenden Rohmilchpreises Preisempfehlungen und zudem Aufforderungen zu Liefer- und Bezugssperren ab, um aufgrund des horrend zugenommenen Preisdumpings im freien Wettbewerb einer erwarteten Vielzahl von Konkursen von landwirtschaftlichen Betrieben und den damit einhergehenden volkswirtschaftlichen Schäden entgegenzuwirken. Das Bundeskartellamt verzichtete in diesem Fall auf ein Bußgeld und betonte im weiteren Verlauf auch stets eine Schieflage bei der Milchpreisbildung zu Lasten der Milchbauern, die jedoch nicht über die Kartellierung zum Nachteil der Verbraucher gelöst werden könne.[49] Auch das OLG Düsseldorf führte dazu aus: "Das sich[...]bildende Preisniveau ist von den Marktbeteiligten grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn es nicht zu einem kostendeckenden Abgabepreis führt. Auch ein solcher - nicht kostendeckender - Preis genießt[...]den Schutz des Kartellrechts".[50] Das prinzipielle ordnungsrechtliche Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen mag auch in solchen Extremfällen geboten sein. Einem Kriminalisierungsvorhaben stehen sie jedoch disparat gegenüber.

III. Zwischenergebnis: Zweifel an der Strafwürdigkeit

An der Strafwürdigkeit bestehen aufgrund der Ausführungen erhebliche Zweifel. Zwischen Hardcore-Absprachen und freiem Wettbewerb als Zwischenrechtsgut bzw. Wettbewerbsgefährdungen und den individuellen Freiheitsrechten als Primärrechtsgüter besteht kein den strafrechtlichen Anforderungen genügender prinzipieller Gefährdungszusammenhang, wie er bei abstrakten Gefährdungsdelikten, und erst recht bei das Primärrechtsgut nur mittelbar schützenden "doppelt-abstrakten Gefährdungsdelikten", zugrunde zu legen ist. Zum Einen bestehen begriffliche Unterbestimmtheiten sowie Vagheiten im Zusammenhang mit einzelnen Ausnahmetatbeständen. Zum Anderen mangelt es insbesondere an einem deutlichen sozialethischen Unwertgehalt, weil das Potenzial einer Rechtsgutverletzung in vielen Einzelfällen, aber eben nicht immer zu bejahen ist. Dies spricht dafür, die Sanktionierung von Absprachen auf der Ebene des gemäß § 47 Abs. 1 OWiG dem Opportunitätsprinzip unterworfenen Ordnungswidrigkeitenrechts zu belassen.

D. Strafbedürftigkeit für Hardcore-Absprachen

Schließlich ist – soweit man die Strafwürdigkeit entgegen der obigen Ausführungen bejaht - zu fragen, ob eine Kriminalisierung darüber hinaus angesichts einer bereits vorhandenen ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung für Hardcore-Kartelle überhaupt erforderlich erscheint oder ob dies nicht gegen das Übermaßverbot verstößt.

Inwieweit man dogmatisch Straftaten von Ordnungswidrigkeiten abgrenzen kann, ist nicht unumstritten. Maßgeblich sind nach wie vor qualitative und quantitative Abgrenzungskriterien.[51] Im Wesentlichen gilt jedoch, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht im Sinne eines Abstufungsverhältnisses eine geringere Eingriffsintensität besitzt als das Strafrecht. Dies zeigt sich insbesondere an drei Gesichtspunkten:

  • Hauptrechtsfolge ist nach dem OWiG die Geldbuße (§§ 1,30), nach dem StGB auch die Freiheitsstrafe sowie Maßregeln zur Besserung und Sicherung (§§ 38 f., 61 f.).
  • Eine Eintragung in das BZR erfolgt grundsätzlich nur im Rahmen des Strafrechts (§§ 3, 4, 10 BZRG).
  • Zuständig für Ordnungswidrigkeiten sind die Verwaltungsbehörden auf der Grundlage des Opportunitätsprinzips (§ 35 OWiG, § 81 Abs. 10 GWB). Für Straftaten die Staatsanwaltschaft und Gerichte (§§ 152, 160 f., 173 StPO; Art. 92 GG) jeweils auf der Grundlage des Legalitätsprinzips.

Dass eine Strafbarkeit zusätzlich zu der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung erforderlich sein soll, überzeugt letztlich nicht.

I. Verfolgungs- und Verfahrenseffizienz

Vorgebracht wird von Befürwortern einer Gesetzesänderung zunächst, dass eine Strafbarkeit von Hardcore-Kartellen mit einem Effizienzzuwachs bei der Aufdeckung und Ermittlung von Hardcore-Kartellen einhergehe. So könnten beispielsweise Ermittlungsmaßnahmen der StPO, wie etwa die Telefonüberwachung gemäß § 100a StPO, ergriffen werden, die für Ordnungswidrigkeiten in der Art nicht zur Verfügung stehen.[52]

Einerseits unterbewertet die Argumentation die besondere Effizienz der Verfahren des Bundeskartellamtes, die in ihrem Spezialisierungsvorteil begründet ist. Sowohl die seit 2002 neben den beiden Kartellbeschlussabteilungen eingesetzte Sondereinheit SKK ("Sonderkommission Kartellbekämpfung"), die als Enforcement-Abteilung erfolgreich hochspezialisierte Ermittlungs- und Aufdeckungsarbeit leistet, als auch die Implementierung sog. Bonus- bzw. Leniency-Programme, die in wirksamer Weise wie Kronzeugenregelungen funktionieren[53], sprechen dafür, dass die Aufdeckungs- und Ermittlungsarbeit des Bundeskartellamtes besonders effizient ist[54] und es aufgrund dieser Spezialisierung einer staatsanwaltschaftlichen Strafverfolgung nicht notwendig bedarf.

Vielmehr würde die Strafbarkeit von Hardcore-Kartellen den Verfahrensablauf sogar verkomplizieren und damit möglicherweise sogar nachteilig beeinflussen. Denn die Kartellbehörde ist für Verfahren wegen der Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person sowohl aufgrund des Ordnungswidrigkeitenrechts als auch aufgrund eines Strafgesetzes wegen §§ 35, 40 OWiG i.V.m. § 82 GWB weiterhin zuständig. Jedoch ist die Zuständigkeit für die Sanktionierung der natürlichen Person (Staatsanwaltschaft, Gericht) und der juristischen Person (Kartellbehörde) aufgespalten, was auch schon nach Einführung des § 298 StGB zu Koordinierungsaufwand bei der Ermittlungsarbeit geführt hat.[55] Die Kriminalisierung von Hardcore-Kartellen würde die Verkomplizierung des Verfahrensablaufs ausweiten.

II. Spezial- und Generalprävention

Die Schaffung eines auf Hardcore-Kartelle ausgeweiteten Straftatbestands wird auch mit dem Argument gefordert, dass mit der bloßen Anwendung des Ordnungswidrigkeitenrechts keine ausreichende spezial- und generalpräventive Wirkung zu erzielen sei. Unternehmen reagierten mit einer Einpreisung einer zu erwartenden Geldbuße, sodass Negativanreize unmittelbar zu Lasten der Entscheidungsträger als Individuen nötig seien.[56] Diese Argumentation verfängt letztlich nicht, da sie einen konkreten empirischen Nachweis für einen Präventionsnachteil eines ordnungsrechtlichen Verfahrens gegenüber einem kriminalstrafrechtlichen schuldig bleibt.[57]

1) Ganz im Gegenteil, gibt es Belege, die von einer durchschlagenden Wirkungskraft des hohen Bebußungsumfangs zeugen. So sind strukturelle Änderungen innerhalb ganzer Teilmärkte, etwa im Energiesektor, auf die besonders hohen Bußgeldandrohungen zurückzuführen.[58] Einer systematischen Einpreisung steht entgegen, dass die Geldbußen sowohl nach deutschem als auch europäischem Recht immer auch Ahndungsgeldbußen und nicht lediglich Gewinnabschöpfungsgeldbußen sind. Auch die Entscheidungsträger selbst müssen mit hohen Geldbußen rechnen (siehe A.), sodass ein Anreiz im Sinne der Principle-Agent-Theorie, zum eigenen Vorteil und zu Lasten des Unternehmens Kartellbildungen vorzunehmen, erheblich abgemindert sein dürfte.

Die Geldbußen – namentlich gegen juristische Personen – haben, insbesondere innerhalb der europäischen Kartellbekämpfung, bereits solche Höhen erreicht, dass inzwischen sogar ein überbordender, unverhältnismäßiger Haftungsumfang beklagt wird.[59] In europäischen Kartellbußverfahren durch die Kommission werden zuweilen Rekordbußgelder festgesetzt, so beispielweise 1,4 Mrd. Euro im Jahre 2008 gegen ein Autoglaskartell oder 799 Mio. Euro gegen ein Luftfrachtkartell im Jahre 2010.[60] Derartige Bebußungen widerlegen jedenfalls die Behauptung, das Ordnungswidrigkeitenrecht sei wirkungsschwach.

In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings auch die Frage, ob das Kartellordnungswidrigkeitenrecht aufgrund des Haftungsumfangs nicht praktisch bereits Strafcharakter angenommen hat und somit selbst Anlass dafür gibt als eine Strafnorm konzipiert zu sein. Bedenken gegen die Rechtsstaatlichkeit des gesetzlichen Haftungsumfangs hinsichtlich des § 81 GWB werden in diesem Zusammenhang insbesondere bezüglich des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Richtervorbehalts (Art. 92 GG) geäußert.[61] Gegen die Annahme eines gleichwohl

faktischen Strafcharakters aufgrund des Haftungsumfangs könnte vorgebracht werden, dass hohe absolute Ahndungsbußgelder für sich genommen dem Charakter einer Ordnungswidrigkeit solange nicht abträglich sind, wie sie in angemessener Relation zur Gewinnabschöpfung stehen und somit auch mit Ordnungswidrigkeiten im kleineren Umfang vergleichbar sind. Selbst wenn man dem nicht folgt und an einem Konflikt des bisherigen Ordnungswidrigkeitenrecht angesichts Art. 92 GG festhält, redet man damit nicht zwingend den Kriminalisierungsbefürwortern das Wort, da den Vorgaben des Art. 92 GG auch schon durch eine Adaption der Prozessbedingungen innerhalb des bestehenden Ordnungswidrigkeitenrechts entsprochen werden könne.[62]

2) Zu berücksichtigen ist desweiteren auch, dass eine strafrechtliche Regelung spezial- und generalpräventive Zielsetzungen durch Umgehungsstrategien und Verdeckungsmaßnahmen konterkarieren kann.[63] Zu befürchten ist fernerhin auch eine Einbuße der teilweise kooperativen Strukturen zwischen Unternehmenswelt und Kartellamt.[64]

3) Auch spricht auch ein zu besorgender "chilling effect" gegen eine Strafbedürftigkeit. Gerade bei komplexen Sachverhalten, deren Kriminalisierung mit Vagheiten und dem Risiko eines überbordenden strafrechtlichen Zugriffs einhergeht, besteht die Möglichkeit eines sich aufbauenden Druck- und Abschreckungspotentials, das auf das zu schützende Rechtsgut letztlich sogar einschränkend wirkt.[65] Entscheidungsträger könnten Handlungen unterlassen, die in Wirklichkeit kartellrechtlich erlaubt sind, weil sie eine persönliche Inkriminierung fürchten. Dies betrifft insbesondere die Bereiche, in denen eine rechtliche Grauzone existiert (vgl. C.II.).

III. Kohärenz der Rechtsordnung(en)

Schließlich kann auch die Forderung nach einer Kohärenz der Rechtsordnung(en)[66] kein zwingendes Strafbedürfnis belegen.

1) Soweit im Hinblick auf das deutsche Strafrecht die Frage gestellt wird "ob eine Submissionsabsprache zwischen lokalen Handwerkern wirklich strafwürdiger ist als ein weltweites Preiskartell [...], das Milliardenschäden verursacht"[67], so ist darauf zunächst zu entgegnen, dass ungeachtet der leicht divergierenden Struktur von Submissionskartellen gegenüber den übrigen Hardcore-Kartellen – die im Übrigen auch den Grund für eine unterschiedliche Bewertung beider Kartellformen im Rahmen des § 263 StGB darstellt – die Missbilligung eines sozialschädlicheren weltweiten Preiskartells freilich größer ist als die eines lokalen Submissionskartells. Diese graduell unterschiedliche Missbilligung spiegelt sich, wie aufgezeigt, auch in graduell sehr divergierenden Haftungsvolumen wider.

Hinzu kommt, dass § 298 StGB im Unterschied zu einer geforderten Strafbarkeit von Hardcore-Kartelle, nach h.M. einen unmittelbaren Primärrechtsgutsschutz aufweist und daher vor dem Hintergrund der vorgenannten Erwägungen eine andere Bewertung erfahren kann als es Hardcore-Kartelle tun.[68]

Folgt man der Auffassung eines unmittelbaren Primärrechtsgüterschutzes bei § 298 StGB nicht, so ist die hier vorgetragene Kritik an einer Kriminalisierung von Hardcore-Kartelle weitestgehend auch auf Submissionskartelle übertragbar, sodass die Lösung dieser Divergenz theoretisch auch in der Rücktransformation des § 298 StGB – in das Ordnungswidrigkeitenrecht diskutiert werden kann.

2) Das deutsche Strafrecht hat auch angesichts des US-amerikanischen und britischen Kartellstrafrechts keinen Kriminalisierungs-Nachholbedarf.[69] Es bestehen erhebliche Zweifel, dass in den Ländern Kartellvergehen nur aufgrund der Strafbarkeit abgenommen haben.[70] Auch besteht keine begründete Gefahr einer Isolierung Deutschlands innerhalb der Europäischen Union, in der kartellstrafrechtliche Regelungen die Ausnahme bleiben. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass in Österreich das Kartellstrafrecht im Jahr 2002 sogar wieder zu einer Ordnungswidrigkeit zurücktransformiert worden ist.[71]

E. Ergebnis

In der vorangegangenen Erörterung wurde aufgezeigt, dass Kartellverstöße innerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts adäquat angesiedelt sind. Es bestehen Zweifel an einer darüber hinausreichenden Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit von Hardcore-Kartellen. Diese Zweifel werden sowohl von strafrechtsdogmatischen wie auch von empirischen Gründen getragen. Sie sind geleitet von

einem Verständnis des Strafrechts, das sich selbst begrenzenden Prinzipien unterwirft, um dadurch an Legitimation zu gewinnen. Die Kriminalisierung von Hardcore-Kartellen in der Form eines "doppelt abstrakten Gefährdungsdelikts" genügt den Grundsätzen eines begrenzten strafrechtlichen Zugriffs nicht. Die Forderung nach der einer Ausweitung des Kartellstrafrechts ist möglicherweise Ausdruck eines symbolischen Strafrechtsverständnisses, das den politischen Anspruch einer flächendeckenden Regulierung erhebt.


[1] Siehe Wagner-von Papp WuW 2010, 268 m.w.N.; Biermann ZWeR 2007, 1; vgl. auch Säcker WuW 2009, 3. Ein unmittelbar anwendbares europäisches Kartellstrafrecht de lege ferenda ist derzeit allerdings von Vornherein ausgeschlossen: vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 30.06.2009, Rn. 253; Heger ZIS 2009, 406, 415 m.w.N.

[2] Seit der Änderung des § 1 GWB vom 01.07.2005 werden von diesem auch vertikale Absprachen erfasst, hierzu BT-Ds. 15/3640, S. 7 u. 44; Bechtold DB 2004, 235 f. Ob diese Änderung unmittelbar auf den Anwendungsbereich des § 298 StGB durchschlägt, hängt davon ab, ob man § 298 StGB als Blankettnorm begreift (so MüKoStGB-Hohmann [2006], § 298, Rn. 84) oder ob man im Merkmal "Rechtswidrigkeit" ein normatives Tatbestandsmerkmal ausmacht (so Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Dannecker, StGB (2010), § 298, Rn. 47 b ff.).

[3] BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 366/02; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Dannecker, StGB (2010), § 298, Rn. 29 ff.

[4] Siehe BT-Ds. 13/3353, S. 10; Korte NStZ 1997, 513, 516.

[5] Zum Einen durch die Annahme, dass die Angebotsabgabe regelmäßig die schlüssige Erklärung enthält, dass dem Angebot keine vorherigen Preisabsprache zugrundelag. Zum Anderen durch Ermöglichung einer erweiterten Anwendung des § 263 StGB auf der Schadensebene durch Schätzung eines hypothetischen Marktpreises anhand objektiver Indizien wie z.B. Ausgleichszahlungen an Konkurrenten, siehe BGH NJW 2001, 3718, 3719; NJW 1997, 3034, 3038; NJW 1995, 737 ("Wasserbaufall"); NStZ 1993, 40; entsprechend schon OLG Frankfurt, NJW 1990, 1057. Dass – trotz Einführung des § 298 StGB – § 263 StGB bei Submissionskartellen eine Ausweitung erfahren hat, begegnet dabei sowohl hinsichtlich der Täuschungshandlung als auch hinsichtlich des Vermögensschadens Bedenken (siehe umfassend Götting/Götting ZfBR 2003, 341, 342 ff. m.w.N.; Schönke/Schröder-Cramer/Perron, StGB (2010), § 263, Rn. 137 a; Federmann, Kriminalstrafen im Kartellrecht (2006), S. 116 ff.). Gegen die Annahme einer Täuschungshandlung spricht insbesondere, dass das GWB nicht bestimmte Personen (Verbraucherschutz) sondern den Wettbewerb als solchen, in abstrakter Weise, schützt. Gegen die Bejahung des Schadens spricht die Annahme einer nur fiktiven vermögenswerten Exspektanz auf der Grundlage eines hypothetischen Marktpreises, der sich gerade nicht durch Angebot und Nachfrage konstituiert hat.

[6] Siehe dazu die Bußgeldleitlinie des Bundeskartellamts, Bekanntmachung Nr. 38/2006 über die Festsetzung von Geldbußen – Bußgeldleitlinien – vom 15. September 2006.

[7] Siehe Ziff. 4 der Leitlinien der Kommission für das Ver-fahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Nr. a der VO EG Nr.1/2003; dazu auch Mansdörfer/Timmerbeil EuZW 2011, 214, 217 m.w.N; Barth/Budde wrp 2010, 712; Sünner EuZW 2007, 8.

[8] So Bundeskartellamt: http://www.bundeskartellamt.de/ wDeu tsch/Kartellverbot/kartellverbot.php; zur Eingrenzung des Begriffs Hardcore-Kartell siehe nur Wagner-von Papp WuW 2010, 268, 268 f., 277 f.; Weitbrecht EuZW 2002, 581, 583; vgl. auch dezidierte Nennung in Art. 101 Abs. 1 Nrn. a), b), c) AEUV.

[9] Siehe Joecks wistra 2002, 251; Federmann, Kriminalstrafen im Kartellrecht (2006), S. 134; kritisch zu Marktpreishypothesen auch Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz (1990), S. 142 ff.; entsprechend kritisch bereits zur Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Schadensannahme im Rahmen von § 263 StGB durch die Ermittlung eines hypothetischen Marktpreises etwa Joecks wistra 1992, 247 ff.; Lüderssen wistra 1995, 243 ff., 248; Rutkowsky NJW 1995, 705 f.

[10] Ohne eine Strafbarkeit greift insoweit das Verbot der Doppelbestrafung nicht ein und lässt Raum für die ordnungswidrigeitenrechtlichen Haftung der Einzelpersonen.

[11] Siehe etwa Roxin, AT, 3. Auflage (1997), § 2, Rn. 48 m.w.N.; Radtke in: MüKoStGB, Band 1 (2003), Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 3; Hassemer NStZ 1989, 553, 557 ff.

[12] Radtke in: MüKoStGB, Band 1, 1. Auflage (2003), Vorbem. zu §§ 38 ff., Rn. 2 f. m.w.N.; Achenbach, Frankfurter Kommentar (2009), Vorbem. § 81, Rn. 17.

[13] Vgl. BVerfG, 2 BvR 392/07, Beschl. vom 26. Februar 2008, Rn. 34 ff.; BVerfGE 96, 10, 25; 90, 145, 172, 184; 73, 206, 253; 39, 1, 47; 27, 18, 29 f.; 8, 197, 207 f.

[14] Zum Begriffspaar und seiner Erläuterung Hassemer in: Al- ternativkommentar zum Strafrecht (AK-StGB), Bd. 1, § 1, Rn. 191 ff., 212 ff. m.w.N.; Federmann, Kriminalstrafen im Kartellrecht (2006), S. 261 ff. m.w.N.

[15] Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: EG (2007), Einleitung B. II, Rn. 8 ff. m.w.N.; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meessen (2009), Rn. 6 ff. m.w.N.

[16] Vgl. etwa BVerfG, 2 BvR 392/07, Beschluss vom 26. Februar 2008, Rn. 34 f., 39 sowie die abweichende Meinung des Richters Hassemer, ebd., Rn. 76, 84 ff.; zur strafrechtlichen Rechtsgutslehre, die das BVerfG in seiner Entscheidung ablehnt (Rn. 39), siehe auch Fn. 11 und 12.

[17] Vgl. Maunz/Dürig-Di Fabio, Grundgesetz (2010), Art. 2, Rn. 124 ff. m.w.N.; Kohlhoff, Kartellstrafrecht und Kollektivstrafe, S. 26 ff., 158; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Meessen, Kartellrecht (2009), Einf., Rn. 7 ff.

[18] So gibt es keine unmittelbare institutionelle Garantie eines bestimmten Wirtschaftssystems: BVerfGE 4, 7 ff, 17; 50, 290 ff., 337.

[19] Gegen den strafrechtlichen Schutz des Wettbewerbs daher Oldigs wistra 1998, 293; König, JR 1997, 397, 402; siehe auch schon Selmer, Verfassungsrechtliche Probleme einer Kriminalisierung des Kartellrechts (1977), S. 18 ff.; Möschel, Zur Problematik einer Kriminalisierung von Submissionsabsprachen (1980), S. 33 ff.

[20] Kohlhoff, Kartellstrafrecht und Kollektivstrafe, S. 123 f., 135 ff., 138 ff., 146 ff., 179 ff.

[21] Vgl. Maunz/Dürig-Di Fabio, Grundgesetz (2010), Art. 2, Rn. 116 f.; 124 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann-Leistner/Facius, Wettbewerbsrecht (2010), § 14, Rn. 8.

[22] Zu erinnern ist in dem Zusammenhang an wett-bewerbspolitische Ansätze, die allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes verweisen und eine Wettbewerbssteuerung für entbehrlich halten, so etwa der "Laissez-faire Approach", dazu Schmidt, Wettbewerbstheorie und Kartellrecht, 6. Auflage (1999), S. 153 ff.

[23] Vgl. insbesondere BVerfGE 32, 311, 317: "Die bestehende Wirtschaftsverfassung enthält den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer als eines ihrer Grundprinzipien. Das Verhalten der Unternehmer in diesem Wettbewerb ist Bestandteil ihrer Berufsausübung, die, soweit sie sich in erlaubten Formen bewegt, durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist"; entsprechend BVerfGE 46, 120, 137. Die Verortung der Wettbewerbsfreiheit bei Art. 12 GG ist insoweit problematisch, als die Wettbewerbsfreiheit, insbesondere wenn sie Schutzzweck eines Kartellstrafrechts sein soll, auch die Konsumentenfreiheit umfassen muss. Der Schutz der Konsumenten vor auch für sie nachteiligen Eingriffen wird jedoch von der Berufsfreiheit nicht abgedeckt, dazu Gloy/Loschelder/Erdmann-Leistner/Facius, Wettbewerbsrecht (2010), § 14, Rn. 8 m.w.N.

[24] So insbesondere das Bundesverwaltungsgericht: BVerwGE 17, 306, 309; 30, 191, 198; 79, 326, 329.

[25] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Dannecker, § 298, Rn. 12 f. m.w.N.; a.A. MüKoStGB-Hohmann, § 298, Rn. 4 m.w.N. mit Verweis darauf, dass die Beeinträchtigung von Vermögensinteressen bei § 298 StGB gerade kein Tatbestandsmerkmal ist.

[26] Vgl. Achenbach WuW 1997, 959. Zum Zusammenhang von Wettbewerb und individuellen Freiheitsrechten Maunz/Dürig-Di Fabio, Grundgesetz (2010), Art. 2, Rn. 124 f. m.w.N.; Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 12 ff.; Möschel, Wettbewerbsbeschränkungen (1983), S. 75. Der Schutz des freien Wettbewerbs ist auch unter dem Gesichtspunkt der "negativen Freiheit" i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Zwar schützt Art. 2 Abs. 1 GG an sich auch die Freiheit nicht zum Wettbewerb verpflichtet zu werden und im Rahmen einer Vertragsfreiheit dessen ungeachtet zu handeln. Wettbewerbsfreiheit und Vertragsfreiheit überschneiden sich insoweit. Die Sicherung der Wettbewerbsfreiheit im Sinne eines institutionellen Freiheitsschutzes rechtfertigt einen Eingriff jedoch insoweit, als die Freiheitsbetätigung aller in einem freien Markt der Schutzgegenstand ist, so Maunz/Dürig-Di Fabio, Grundgesetz (2010), Art. 2, Rn. 116 f.; 124 f. m.w.N.; Gloy/Loschelder/Erdmann-Leistner/Facius, Wettbewerbsrecht (2010), § 14, Rn. 8 m.w.N.

[27] Siehe z.B. Hassemer in: Alternativkommentar zum Straf-recht (AK-StGB), Bd. 1, § 1, Rn. 275.

[28] Der Normtyp eines Schädigungsdelikts scheidet aus den gleichen Erwägungen aus, wie sie im Zusammenhang mit § 263 StGB erläutert wurden (siehe A.II.). Die Fixierung einer Strafnorm auf einen spürbaren (zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit bei Kartellverboten Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Nordemann, Kartellrecht (2009), § 1, Rn. 141 ff. m.w.N.) kollektiven Vermögensschaden hält den dogmatischen Anforderungen an die Bestimmtheit sowie den praktischen Anforderungen an die Ermittlung solcher volkswirtschaftlicher Schäden nicht stand. Zudem bleibt das "Ob" eines hypothetischen Wettbewerbspreises auch hier lediglich fiktiv. Vgl. dazu Fn. 9 m.w.N.

[29] Zur Kritik an abstrakten Gefährdungsdelikten wegen der Verschleierung des Zurechnungsprogramms von Verhalten und Rechtsgutsverletzung siehe Hassemer NStZ 1989, 553, 558 ff.; ders., JuS 1987, 257 ff.; Seelmann NJW 1990, 1257; Krauß, StV 1989, 315 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 83 ff. ("vergeistigtes Zwischenrechtsgut"), 156 ff. Verfassungsrechtliche Bedenken insbesondere für Fälle einer ex post als sicher auszuschließenden Rechtsgutsgefahr: Koriath GA 2001, 51, 69. A.A. z.B. Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Auflage (2007), Rn. 106 f. m.w.N.; Radtke in: MüKoStGB, 1. Auflage (2006), Vorbem. zu §§ 306 ff., Rn. 5 f. m.w.N.

[30] Siehe nur Koriath, GA 2001, 51, 57; Radtke in: MüKoStGB, 1. Auflage (2006), Vorbem. zu §§ 306 ff., Rn. 5 f.; Schröder, JZ 1967, 522, 524.

[31] Zitiert nach Vogel StV 1996, S. 110 ff., 114 (rechts); vgl. desweiteren schon Fn. 29.

[32] Vgl. die Kritik zum fehlenden sachlich-zeitlichen Un-mittelbarkeitszusammenhang zwischen Handlung und Endrechtsgutsverletzung im Umweltstrafrecht, Seelmann, NJW 1990, 1257, 1259 ff.: "Die dem traditionellen Zurechnungsmodell[...] zugrundeliegende Kausalbeziehung zwischen Handlung und Verletzungserfolg ist hier nicht nur wie[...]bei den Gefährdungsdelikten in eine Gefährdung ausgedünnt, sondern diese Ausdünnung wird durch die Beziehung der potentielle oder auch nur hypothetischen Gefährdung auf das vorverlagerte Zwischenrechtsgut potenziert" (1259).

[33] Beschluss vom 02.04.2009 – 2 BvR 1468/08, NZBau 2009, 530.

[34] So setzte etwa in seinen jüngsten Entscheidungen das Bundeskartellamt Bußgelder gegen fünf führenden Brillenhersteller und den Zentralverband der Augenoptiker (ZVA) in Höhe von 115 Mio. Euro fest (siehe Pressemeldung vom 10.06.2010) sowie gegen acht Kaffeeröster und den Deutschen Kaffeeverband in Höhe von 30 Mio. Euro (siehe Pressemeldung vom 09.06.2010); vgl. auch Bundeskartellamt, WuW 2008 DE-V 1679 – Bundesverband deutscher Milchviehhalter; bestätigt durch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.09.2009, VI-Kart 13/08 (V).

[35] Siehe etwa Stancke BB 2009, 912, 918; Möhlenkamp WuW 2008, S. 428 ff.; Köhler WuW 2009, S. 258 ff.

[36] Siehe nur EuGH, Urteil vom 04.06.2009, Rs. C-8/08 – T-Mobile Netherlands, Rn.31; EuGH, Urteil vom 02.10.2003, Rs. 194/99 P – Thyssen Stahl, Rn. 85 ff.

[37] So wird beispielsweise von den Kartellbehörden in der Re-gel nur vermutet, dass sich die Kartellanten auch tatsächlich an die Absprachen halten. Den beschuldigten Unternehmen wird regelmäßig die Möglichkeit eingeräumt einen Gegenbeweis zu liefern. Der EuGH führte hierzu aus: "Jedoch gilt vorbehaltlich des den betroffenen Unternehmen obliegenden Gegenbeweises die Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen", Urteil des EuGH vom 08.07.1999, C-199/92 P, Rn. 162 – Hüls AG.

[38] Vgl. dazu Köhler WuW 2009, 258, 267 f.

[39] Bei zwischenstaatlichen Sachverhalten geht Art. 101 AEUV dem § 3 GWB vor.

[40] Das kann beispielsweise durch eine künstliche Verengung des Marktes durch detaillierte Leistungsausschreibungen geschehen.

[41] Was das Kartellrecht erlaubt, kann nicht strafbewehrt sein. Kartellrechtliche Erlaubnisse wären daher zumindest auf der Ebene der Rechtswidrigkeit strafbarkeitsausschließend.

[42] Siehe Wagner-von Papp WuW 2010, 268, 277; zur "Theo-rie der beweglichen Schranken" bei §§ 19 und 20 insbesondere Möschel in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Auflage (2007), § 19, Rn. 16 m.w.N.

[43] Zu den Gruppenfreistellungsverordnungen auf der Grund-lage von Art. 101 Abs. 3 AEUV, die nach § 2 Abs. 2 GWB auch für deutsche Sachverhalte entsprechend Anwendung finden: Emmerich in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 26. Auflage (2010), H.I. § 1 Art. 81 und 82 EGV, Rn. 186 ff. mw.N.

[44] Siehe Kommission, Entscheidung vom 24. 10. 1988, ABl. 1998, L 311/35 (38) – Euro-Tunnel; vom 20.05.1999, ABl. 1999, L 218/14 (18 ff.) – Cégétel; vom 27.07.1999, ABl. 1999, L 218/24 (27 ff.) – TD.

[45] EuGH U. v. 8. 6. 1982 Rs. 258/78 - Nungesser/Komm., Slg 1982, 2015, 2069; siehe auch Emmerich in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 26. Auflage 2010, H.I. § 1 Art. 81 und 82 EGV, Rn. 144, 224 ff. mw.N.; ders., in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 1. Auflage (1997-2001), Art. 85 EGV, Rn. 195 ff.

[46] So ausdrücklich in den Horizontalleitlinien vom 06. Januar 2001, ABl. 2001, C 3/2 (4, Rn. 18 ff.); Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EGV vom 27.04.2004, ABl. 2004, C 191/97, Rn. 17 ff., 23. Damit ist eine Relativierung des Rechtsgutschutzes markiert, selbst wenn der EuG nahelegt, dass auch in den Fällen einer Restriktion des Wettbewerbsschutzes (Art. 101 Abs.1, Abs. 2 AEUV) offenkundige Verstöße gegen das Kartellverbot wie Preis- und Quotenkartelle nicht gerechtfertigt werden können, vgl. EuG 10.03.1992, Slg. 1992 II 1155, 1246 ff. – Montedipe.

[47] Siehe Lüderssen StV 1997, 318 ff.; ders., wistra 1995, 243, 245; Hohmann NStZ 2001, 566, 569. Vgl. auch Herrlinger/Kahlert BB 2009, 1930, 1932 f. m.w.N.

[48] Götting/Götting, ZfBR 2003, 341, 347; Hohmann NStZ 2001, 566, 568 f. m.w.N.; Jung ZweR 2007, 141, 161; Lüderssen wistra 1995, 243, 248.

[49] BKartA, WuW 2008 DE-V 1679 – Bundesverband deutscher Milchviehhalter; bestätigt durch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.09.2009, VI-Kart 13/08 (V); Spiegel Online, "Kartellamt warnt vor neuen Milchstreiks" (01.07.2008): http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,563168,00.html; BdM "Kartellamt unterstützt Milchbauern" (02.03.2010): http://www.bdmverband.org/html/index.php?module=News&func=display&sid=130

[50] OLG Düsseldorf (Fn. 49), Rn. 45.

[51] Siehe Achenbach, Frankfurter Kommentar (2009), Vorbem. § 81, Rn. 16 m.w.N.

[52] Wagner-von Papp WuW 2010, 268, 276.

[53] Danach kann das Bundeskartellamt vom Bußgeld absehen oder es reduzieren, wenn die Kartellanten einen wesentlichen Beitrag zur Aufdeckung oder zum Nachweis eines Kartells leisten und das kartellwidrige Verhalten einstellen, siehe http://www.bundeskartellamt.de/ wDeutsch/Kartellverbot/kartellverbot.php

[54] Siehe http://www.bundeskartellamt.de/wEnglisch/Further Info/leniency.php ; www.compliancemagazin.de/ markt/interviews/bundeskartellamt190307.html ; zur Effizienz der behördlichen Kartellverfolgung in Deutschland Lampert, Betriebs Berater 2002, 2237 ff.; Federmann, Kriminalstrafen im Kartellrecht (2006), S. 480 ff.

[55] Dazu Achenbach WuW 1997, 958, 960 f.; Korte NStZ 1997, 513, 517.

[56] Wagner-von Papp WuW 2010, 268, 272 ff. Dabei ist auch auf den Principle-Agent-Effekt zu verweisen, dass Entscheidungsträger trotz Bebußung der Unternehmen einem Anreiz zur Kartellbildung ausgesetzt sind, um ihre Chance auf Beförderungen oder Bonuszahlungen zu erhöhen (aaO, S. 271 f. m.w.N.).

[57] Siehe schon Möschel, Zum Problem einer Kriminalisierung von Submissionsabsprachen (1990), S. 40 ff.; so im Ergebnis auch die ökonomische Analyse, Federmann, Kriminalstrafen im Kartellrecht (2006), S. 295 ff.

[58] Möschel WuW 2010, 869, 870.

[59] Zuletzt Mansdörfer/Timmerbeil EuZW 2011, 214, 217 f. m.w.N., mit der Forderung nach einem Sanktionssystem, welches eine "Geldbuße auf Bewährung" vorsieht; Möschel Der Betrieb 2010, 2377 f.

[60] Siehe http://ec.europa.eu/competition; Soltesz EuZW 2011, 121 ff.

[61] Siehe Möschel WuW 2010, 869, 875 f.; aus ähnlichen Erwägungen heraus werden die europäischen Verwaltungsrichtlinie bei europäischen Kartellsanktionen kitisiert: Mansdörfer/Timmerbeil EuZW 2011, 214, 218; Schwarze EuZW 2003, 261, 268 f.; Möschel Der Betrieb 2010, 2377.

[62] Möschel WuW 2010, 869, 875 ff. Ein solches Alter-nativkonzept würde überdies auch den europarechtlichen Vorgaben des Art. 6 EMRK sowie des Art. 47 Charta der Grundrechte entsprechen, siehe Möschel Der Betrieb 2010, 2377, 2380 f. mit Verweis auf die französische Regelung.

[63] Ebenso denkbar ist eine abnehmende Grenzabschreckung, d.h. eine sinkende Hemmschwelle zur Begehung von noch schwerwiegenderen Verdeckungstaten, vgl. Cseres/Schinkel/Vogelaar, Law and economics of criminal antitrust enforcement: an introduction, in: Criminalization of Competition Law Enforcement , S. 1 ff., 11.

[64] Siehe etwa Möschel, Zur Kriminalisierung von Kartell-rechtsverstößen, in: Merz/Schluep (Hrsg), Recht und Wirtschaft heute, Festgabe Max Kummer (1980), S. 431 ff., 433 f.

[65] Vgl. statt vieler Sieber NStZ 2009, 353, 363.

[66] So Wagner-von Papp WuW 2010, 268, 276 f.; Biermann ZweR 2007, 1, 20.

[67] Biermann ZweR 2007, 1, 20.

[68] Siehe C.I., Fn. 25.

[69] So Wagner-von Papp WuW 2010, 268, 281. Zur Kartellstrafbarkeit in den USA und in Großbritannien: Federmann, Kriminalstrafen im Kartellrecht (2006), S. 54 ff., 64 ff., 148 ff, 179 ff.; Reimann/Crohs WuW 2003, 739 ff.

[70] Kritisch insbesondere zur britischen Regelung: Julian Joshua, Shooting the Messenger: Does the UK Criminal Cartel Offense Have a Future?, in: The Antitrust Source 2010, S. 1 ff. (www.antitrustsource.com) m.w.N.; siehe auch Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamts: www.compliancemagazin.de/markt/interviews/bundeskartellamt190307.html

[71] Siehe Götting/Götting ZfBR 2003, 341, 347.