HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2011
12. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zur Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 5 Vereinsgesetz: Das Fortbestehen einer Strafbarkeitslücke

Von Rechtsanwältin Antonia von der Behrens und Rechtsreferendar Ole-Steffen Lucke

Die Verfasser vertreten im folgenden Beitrag die Ansicht, dass § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG trotz der Gesetzesänderung vom 21.01.1998 (BGBl. I 164) das Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen ausländischer Vereine, die einem Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG unterliegen, nicht unter Strafe stellt. Die gegenteilige, von weiten Teilen der Rechtsprechung vertretene Ansicht ist nicht mit dem Wortlaut der Norm vereinbar. Relevanz kommt dieser Rechtsfrage in straf- und versammlungsrechtlichen Verfahren zu, in denen die Strafbarkeit des Verbreitens oder Verwendens von Kennzeichen z.B. der mit einem Betätigungsverbot belegten "Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)" zu klären ist.

I. Einleitung

Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG, der in der Vergangenheit wenig Beachtung gefunden hat. Das gesamte Vereinsstrafrecht führt aufgrund seiner Subsidiarität zu den Vorschriften des StGB ein "Schattendasein"[1]. Die wenigen aktuellen Beiträge zum Vereinsstrafrecht richten ihren Fokus dabei vornehmlich auf § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG, der die Zuwiderhandlung gegen ein (Betätigungs-) Verbot nach den § 14 Abs. 3 S. 1 oder § 18 Abs. 2 VereinsG unter Strafe stellt.[2] Vertiefte Abhandlungen zur aktuellen Fassung des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG, der seit der Gesetzesänderung vom 21.01.1998[3] auch das Verwenden von Kennzeichnen eines nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 VereinsG mit einem Betätigungsverbot belegten Vereins unter Strafe stellt, sucht man dagegen vergeblich.[4] Dies verwundert - erst Recht vor dem Hin-

tergrund, dass diese Norm gerade im Bereich der strafrechtlichen Ahndung von Verstößen gegen das Betätigungsverbot der PKK eine bedeutende Rolle spielt.[5]

Relevanz erhält § 20 Abs.1 Nr. 5 VereinsG dabei vor folgendem Hintergrund: Unstreitig macht sich nach dem Vereinsgesetz strafbar, wer einem Betätigungsverbot eines ausländischen Vereins nach § 18 Satz 2 VereinsG zuwiderhandelt, vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG. Problematisch ist dagegen, ob auch bereits die Verbreitung oder das Zeigen seiner Kennzeichen strafbar ist. Dies könnte sich lediglich aus § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ergeben. Verneint man dies, wäre eine Strafbarkeit nur zu bejahen, wenn die bloße Verwendung oder Verbreitung von Kennzeichen zugleich gegen die weitergehenden Anforderungen des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG verstoßen würde. Dies wäre dann jeweils eine Frage des Einzelfalls.

II. Ursprung der Debatte

Durch Verfügung des Bundesministers des Inneren vom 22. 11. 1993[6], bestandskräftig seit dem 26. März 1994, wurde der "Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)" einschließlich ihrer Teilorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK)" gem. § 18 Satz 2 VereinsG unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung verboten, sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes zu betätigen.

Im Rahmen der hierauf folgenden juristischen Auseinandersetzung um strafbewehrte Verstöße gegen das Betätigungsverbot der PKK deckte der BGH in seinem Urteil vom 24. Januar 1996 bezüglich § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG a. F. eine Strafbarkeitslücke auf: Aufgrund des Wortlautes und der Gesetzessystematik sei die bloße Verwendung oder Verbreitung von Kennzeichen eines von einem vollziehbaren Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 Vereinsgesetz betroffenen Vereins nicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG strafbar.[7]

Als Reaktion ergänzte der Gesetzgeber den § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG durch das Gesetz vom 21.01.1998[8] dahingehend, dass seitdem auch das Verwenden und Verbreiten von Kennzeichen eines von einem vollziehbaren Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 VereinsG betroffenen Vereins unter Strafe gestellt wird.

III. Reaktion der Rechtsprechung

Der Großteil der (verwaltungsgerichtlichen) Rechtsprechung nahm dies - unberechtigterweise, wie noch zu zeigen sein wird - zum Anlass, fortan durch die Norm auch das Verbreiten bzw. die Verwendung von Kennzeichen eines ausländischen Vereins, dem nach § 18 Satz 2 VereinsG die Betätigung verboten ist, unter Strafe gestellt zu sehen. Zur Begründung verwies diese Rechtsprechung im Wesentlichen darauf, dass durch die Gesetzesänderung des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG die vom BGH aufgedeckte Strafbarkeitslücke geschlossen worden sei. Über den Verweis auf das Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 Satz 1 VereinsG sei nunmehr auch die Verwendung von Kennzeichen eines nach § 18 Satz 2 VereinsG mit einem Betätigungsverbot belegten ausländischen Vereins strafbar.[9]

IV. Die (immer noch) bestehende Strafbarkeitslücke

Diese Ansicht setzt sich jedoch in nicht zu rechtfertigender Weise in Widerspruch zum Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG und dies ohne in den zwölf seit der Gesetzesänderung vergangenen Jahren ernsthafte Kritik hervorgerufen zu haben. Zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangte bisher nur das OVG Berlin-Brandenburg:[10] Der PKK ist die Betätigung im Inland nicht "nach § 14 Abs. 3 i. V. m. § 15 VereinsG verboten. Vielmehr ist der PKK die Betätigung im Inland allein nach Maßgabe des § 18 Satz 2 VereinsG untersagt mit der Folge, dass der Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG nicht einschlägig ist." Zur Begründung nahm das Gericht hierbei allerdings hauptsächlich auf die Rechtsprechung zum alten Recht[11] Bezug, so dass es dieser Entscheidung an Überzeugungskraft fehlte.[12]

Dieser bisher vereinzelt gebliebenen Rechtsprechung ist im Ergebnis jedoch zwingend zu folgen. Deutlich wird dies, wenn man den § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG unter Anwendung der klassischen Auslegungsmethoden näher betrachtet:

1. Wortlaut

Ausgangspunkt und Grenze jeder Auslegung ist der Wortlaut der Norm. Nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG gilt das Verbot der Kennzeichenverwendung oder Kennzeichenverbreitung für die nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VereinsG verbotenen Vereinigungen, Vereine oder Parteien und für die mit einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 belegten Vereine. In dieser enumerativen Aufzählung des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG fehlt dagegen das Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG. Der Wortlaut der Vorschrift ist somit eindeutig: Der Gebrauch von Kennzeichen derjenigen Vereinigungen, die einem Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG unterliegen, wird durch § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG nicht mit Strafe bedroht.

Zu einem anderen Ergebnis kann man auch nicht durch die Gleichsetzung des Betätigungsverbots nach § 18 Satz 2 VereinsG mit einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 VereinsG gelangen. Dem steht bei formaler Betrachtungsweise schon entgegen, dass beide Verbote auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen. Diese Gleichsetzung ist darüber hinaus auch inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Beide Betätigungsverbote betreffen verschiedene Konstellationen, was sich aus einer Vergegenwärtigung der Differenzierung zwischen Ausländervereinen (§ 14 VereinsG) und ausländischen Vereinen (§ 15 VereinsG) sowie zwischen Organisations- und Betätigungsverbot ergibt.

a) Verbot von Ausländervereinen

Ausländervereine i. S. des § 14 VereinsG sind Vereine mit Sitz im Inland, deren Mitglieder oder Leiter ausschließlich bzw. überwiegend Ausländer sind.[13] Sie können wie "deutsche Vereine" aus den Gründen des Art. 9 Abs. 2 GG i. V. m. § 3 VereinsG sowie zusätzlich aus den Gründen des § 14 Abs. 2 VereinsG verboten werden.[14] Ein solches Organisationsverbot ist aber immer nur dann zulässig, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht entgegensteht, insbesondere kein milderes Mittel zum Schutz der Rechtsgüter ausreicht. Ein milderes Mittel stellt bei Ausländervereinen vor allem ein bloßes Betätigungsverbot nach § 14 Abs. 3 VereinsG dar, eine Maßnahme zwischen dem individuellen ausländerrechtlichen Betätigungsverbot und dem "totalen" Vereinsverbot als Organisationsverbot.[15]

b) Verbot ausländischer Vereine

Ein ausländischer Verein ist dagegen ein Verein mit Sitz im Ausland, dessen Organisation oder Tätigkeit sich auf Deutschland erstreckt, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 VereinsG. Ein Organisationsverbot gegen ausländische Vereine kann aus denselben Gründen ergehen wie gegen Ausländervereine, § 14 VereinsG gilt gem. § 15 Abs. 1, Satz 1 letzter Halbsatz VereinsG für sie entsprechend.[16] Die Wirkungsweise und -reichweite eines solchen Organisationsverbots bestimmt sich dabei nach § 18 VereinsG: Nach einem in § 18 Satz 1 VereinsG festgeschriebenen allgemeinen Grundsatz des internationalen Verwaltungsrechts - Maßnahmen der hoheitlichen Gewalt müssen sich auf den Bereich der Gebietshoheit des jeweiligen Staates beschränken - kann sich dieses Verbot nur auf Teilorganisationen der ausländischen Vereine im Inland beziehen.

Besitzt ein ausländischer Verein dagegen keine organisatorische Verankerung im Inland, d.h. auch keine hier ansässige Teilorganisation, kann ihn das Verbot auch nicht im Sinne eines Organisationsverbots treffen. Nach § 18 Satz 2 VereinsG kann dieses Verbot vielmehr nur als inländisches Betätigungsverbot wirken.[17]

Daneben müssen die Behörden aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch beim Verbot von inländischen Teilorganisationen ausländischer Vereine überprüfen, ob statt des Organisationsverbots nicht schon ein Betätigungsverbot zum Schutz der Rechtsgüter genügt, § 15 Abs. 1, Satz 1, letzter HS i. V. m. § 14 Abs. 3 VereinsG.[18] Das Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 VereinsG stellt also - wie das Betätigungsverbot nach § 14 Abs. 3 VereinsG gegen Ausländervereine - ein milderes Mittel zum Organisationsverbot dar, soweit der ausländische Verein eine Teilorganisation im Inland hat.

c) Unterschied zwischen einem Betätigungsverbot nach § 14 Abs. 3 (i. V. m. § 15 Abs. 1) und § 18 S. 2 VereinsG

Der maßgebliche Unterschied zwischen einem Betätigungsverbot nach § 14 Abs. 3 bzw. § 18 S. 2 VereinsG ist zum einen somit der Adressat. Das Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG ist nur auf einen ausländischen Verein anwendbar, der ohne Teilorganisation eine Tätigkeit im Inland ausübt. Im Gegensatz hierzu kommt das Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 VereinsG bei ausländischen Vereinen in Betracht, die im Inland eine Teilorganisation besitzen.

Zum anderen ist das Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 3 VereinsG eine Alternative zum Organisationsverbot im Sinne eines milderen Mittels. Die Behörde steht hier vor der Wahl, die Teilorganisation des ausländischen Vereins zu verbieten oder ihr die Betätigung zu untersagen und hat sich aus Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen gegebenenfalls für Letzteres zu entscheiden. Das Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG ist dagegen gleichwertig mit einem Organisationsverbot. Es beruht auf der räumlichen Begrenztheit deutscher Staatsgewalt und ist die einzige rechtswirksame Möglichkeit, Aktivitäten ausländischer Vereine ohne Sitz oder Organisation in der Bundesrepublik zu verbieten. "Es stellt sich als rechtliche Notwendigkeit dar, nicht aber als ,freiwillige' Abstufung gesetzgeberisch vorgesehener Eingriffsmöglichkeiten im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgedankens"[19].

2. Systematische Auslegung

Auch die systematische Auslegung spricht gegen eine Subsumtion von Vereinigungen, die mit einem Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG belegt sind, unter § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG. So ist in § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG ausdrücklich von einem vollziehbaren Verbot nach § 18 Satz 2 VereinsG die Rede, weshalb es aus systematischen Gesichtspunkten bei einer entsprechenden

Intention erforderlich gewesen wäre, auch in § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG das Betätigungsverbot nach § 18 S. 2 VereinsG ausdrücklich zu benennen.

3. Historische Auslegung

Die historische Auslegung stützt ebenfalls den Wortlaut und damit das von uns vertretene Ergebnis.

a) Subjektiver Gesetzgebungswille

Lediglich der subjektive Wille der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe spricht hier für die Gegenansicht. So schlug die damalige Bundesregierung als Reaktion auf die Rechtsprechung des BGH als Bestandteil des "Entwurfs eines sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts" vom 25.09.1997 für den § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG folgenden neuen Gesetzeswortlaut vor:

"In § 20 Abs. 1 Nr. 5 des Vereinsgesetzes vom 5. August 1964 … werden nach dem Wort "Parteien" die Wörter "oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 betroffenen Vereins" (eigene Hervorhebung) eingefügt."

In der dazugehörigen Begründung hieß es:

"Der Entwurf zielt auf die Herstellung strafrechtlicher Gleichbehandlung von vereinsgesetzlichen Kennzeichenverstößen mit solchen, die einer Strafbarkeit nach dem StGB unterliegen. Dazu werden Kennzeichenstraftaten nach dem Vereinsgesetz generell, d.h. auch für verbotene Verwendung von Kennzeichen einer mit einem Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG belegten Vereinigung der Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG als spezieller Norm unterstellt. Diese Änderung bewirkt eine materielle Gleichstellung aller Kennzeichenstraftaten nach dem Vereinsgesetz..."[20].

Im Bericht des Rechtsausschusses vom 13.11.1997 wurde darüber hinaus die Änderung zum heutigen Wortlaut wie folgt begründet:

"...Um dem Anliegen des Entwurfes Rechnung zu tragen, ist jedoch auf ein Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 i. V. m.§ 14 Abs. 2 Satz 1 des Vereinsgesetzes abzustellen" [21] .

Der subjektive Wille der Bundesregierung sowie des Rechtsausschusses war mithin darauf gerichtet, die Gesetzeslücke zu schließen und entsprechend auch Vereinigungen, die einem Betätigungsverbot nach § 18 S. 2 VereinsG unterliegen, unter den Tatbestand des § 20 Abs. 5 VereinsG zu fassen.

b) Objektivierter Wille des Gesetzgebers

Dieser subjektive Wille ist jedoch nicht maßgeblich. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG kommt es für die Bedeutung einer Norm nämlich nicht entscheidend auf die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder an. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist vielmehr der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt. Dieser ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei nach dem BVerfG im Strafrecht die grammatikalische Auslegung eine herausgehobene Bedeutung hat - "hier zieht der mögliche Wortsinn der Vorschrift gerade mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG der Auslegung eine Grenze, die unübersteigbar ist"[22].

Wendet man diese Grundsätze des BVerfG auf § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG an, bildet der eindeutige Wortlaut dieses Straftatbestandes für die anders lautende Auslegung der Rechtsprechung ein unüberwindbares Hindernis.

V. Zusammenfassung

Die Gesetzesänderung hat damit ihr von den damaligen Gesetzgebungsorganen verfolgtes Ziel verfehlt. Die Auslegung der Norm stellt den Rechtsanwender hinsichtlich der Einbeziehung des Betätigungsverbots nach § 18 Satz 2 VereinsG vor die gleichen, unüberwindbaren Hindernisse wie zuvor.

Zur Verdeutlichung sei hier die wesentliche Begründung der BGH-Entscheidung wiedergegeben, die damals den Anstoß zur Änderung gab:

"Angesichts der sachlichen Gleichwertigkeit des Betätigungsverbots mit einem Organisationsverbot erscheint freilich die innere Rechtfertigung dafür fraglich, dass die Verbreitung und Verwendung der Kennzeichen im Falle von Vereinen und Parteien i. S. des § 20 I Nr. 1 und 2 Vereinsgesetz ohne weiteres, im Falle der mit einem Betätigungsverbot belegten ausländischen Verein aber nur unter den Voraussetzungen des § 20 I Nr. 4 Vereinsgesetz strafbar sind. Eine danach mögliche Strafbarkeitslücke kann jedoch wegen des eindeutigen Wortlauts in § 20 I Nr. 5 Vereinsgesetz und wegen des systematischen Regelungszusammenhangs der Strafvorschriften in § 20 I Vereinsgesetz nicht im Wege ausdehnender Anwendung des § 20 I Nr.5 VereinsG geschlossen werden. Darin läge eine die Wortlautschranke durchbrechende analoge Normanwendung zum Nachteil des Täters, die unzulässig ist. Daran ändert nichts, dass die Entstehungsgeschichte dieser Strafbestimmungen (eigene Hervorhebung) Hinweise auf die Anwendbarkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG auch im Falle des Betätigungsverbots nach § 18 Satz 2 VereinsG zu entnehmen sein mögen. Entscheidend ist, dass
solche Vorstellungen keinen hinreichenden Ausdruck im Wortlaut und in der Regelungssystematik des § 20 Abs. 1 VereinsG gefunden haben"[23].

Mithin bestehen - wie oben aufgezeigt - die wesentlichen Auslegungshürden von damals auch heute noch. Insgesamt betrachtet liegt die vom BGH im Jahr 1996 aufgedeckte Strafbarkeitslücke somit nach wie vor: Unter Berücksichtigung der grundlegenden Auslegungsmethoden ist insbesondere die PKK (immer noch) keine verbotene Vereinigung i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG.


[1] Heinrich NStZ 2010, 429 f.

[2] Heinrich NStZ 2003, 43 f.; ders. 2010, 429 ff.; Puppe JZ 2000, 735 f.

[3] BGBl. I S. 164.

[4] Zwar enthält etwa der Kommentar von Erbs/Kohlhaas-Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, Band 4, 146. Ergänzungslieferung Mai 2002, § 20 VereinsG, Rn. 23ff. Ausführungen zu § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG, zum hier betrachteten Problem jedoch lediglich zwei Sätze in Rn. 23.

[5] U. a. OVG Bremen, Urteil vom 25.10.2005, Az.: 1 A 144/05; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. April 2008, Az.: OVG 1 S 79.08; VG Bremen, Urteil vom 08.06.2009, Az.: 5 K 1408/08; VG Berlin, Beschluss vom 14.08.2009, Az.: VG 1 L 657/09.

[6] Vgl. Bundesanzeiger vom 26.11.1993, S. 10313.

[7] BGH, Urteil vom 24.01.1996, Az.: 3 StR 530/95; ebenso Scholz NStZ 1996, 602 ff. ; a.A. Köbler NStZ 1995, 531 ff.

[8] Siehe Fn. 3.

[9] OVG Bremen, siehe Fn. 5; VG Bremen, siehe Fn. 5; VG Berlin, siehe Fn. 5; in diese Richtung wohl auch: Erbs/Kohlhaas-Wache, siehe Fn. 4, § 20 VereinsG, Rn. 23.

[10] OVG Berlin-Brandenburg, siehe Fn. 5.

[11] BGH, s. Fn. 7.

[12] Vgl. etwa die entsprechende Argumentation in VG Berlin, Beschluss vom 14.08.2009, Az.: VG 1 L 657/09.

[13] Erbs/Kohlhaas-Wache (Fn. 4), § 14 VereinsG, Rn. 3; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 11. Auflage (2007), Rn. 6236.

[14] Erbs/Kohlhaas-Wache (Fn. 4), § 14 VereinsG, Rn. 6; Heinrich NStZ 2010, 429, 430.

[15] Erbs/Kohlhaas-Wache (Fn. 4), § 14 VereinsG, Rn. 7 und 17; Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht (1999), S. 138f. ; Heinrich NStZ 2010, 429, 430.

[16] Erbs/Kohlhaas-Wache (Fn. 4), § 15 VereinsG, Rn. 2; Grundmann (Fn. 15), S. 125; BVerwG, Beschluss vom 09.11.2005, AZ.: 6 VR 6/05.

[17] Erbs/Kohlhaas-Wache (Fn. 4), § 15 VereinsG, Rn. 2, § 18 VereinsG Rn. 1-4; Heinrich NStZ 2003, 43; ders. NStZ 2010, 439, 430; Köbler (Fn. 7), S. 531 ff., 532; Wagner MDR 1966, 18, 19.

[18] Grundmann (Fn. 15), S. 138; Reichert (Fn. 13), Rn. 6047 f.

[19] Köbler (Fn. 7), S. 531 ff., 532.

[20] BT-Drucks. 13/8587, S. 76.

[21] BT-Drucks. 13/9064, S. 24; durch das Gesetz vom 9.1.2002 (BGBl. I S. 361) wurde § 14 Abs. 2 VereinsG zu § 14 Abs. 3 VereinsG; ebenso wurde die Verweisung entsprechend angepasst.

[22] BVerfGE 105, 135 ff., 157; vgl. zum Charakter des § 20 VereinsG als Strafnorm: Heinrich NStZ 2010, 429.

[23] BGH, siehe Fn. 7.