HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2011
12. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

313. BGH 3 ARs 35/10 - Beschluss vom 17. Februar 2011

Anfrageverfahren; Sicherungsverwahrung; Auslegung; Wille des Gesetzgebers; redaktioneller Hinweis.

§ 66 StGB; § 132 GVG; Art. 5 EMRK; Art. 7 EMRK; Art. 5 EMRK; § 2 Abs. 6 StGB

1. Im Gegensatz zum anfragenden 5. Strafsenat ist der 3. Strafsenat in Übereinstimmung mit dem 4. Strafsenat der Ansicht, dass eine Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs im Wege vertretbarer Auslegung des nationalen Rechts möglich ist.

2. Der Auslegung, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK eine einfachgesetzliche „andere Bestimmung“ im Sinne von § 2 Abs. 6 StGB ist, steht nicht der Wille des Gesetzgebers entgegen. Für die Annahme eines solchen Willens wäre erforderlich, dass der Gesetzgeber klar bekundet hätte, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung

solcher Verpflichtungen ermöglichen zu wollen (vgl. BVerfGE 74, 358, 370).


Entscheidung

337. BGH 1 StR 528/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (LG Landshut)

Einschränkung der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts Sicherungsverwahrung.

§ 66 StGB; Art. 316e EGStGB; § 263 StGB; § 2 Abs. 6 StGB

Der Katalog der Straftaten, deren Begehung zur Anordnung oder zum Vorbehalt der Sicherungsverwahrung führen kann, ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) mit Wirkung vom 1. Januar 2011 neu gefasst worden. Diese Neufassung ist gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB auch für vor seinem Inkrafttreten begangene und noch nicht rechtskräftig verurteilte Taten maßgeblich, wenn es gegenüber der bisherigen Rechtslage milder ist. Zu einer Anwendung auf Betrugstaten.


Entscheidung

368. BGH 2 StR 642/10 - Beschluss vom 12. Januar 2011 (LG Trier)

Einschränkung der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts Sicherungsverwahrung (fehlende zweite Vorverurteilung; untaugliche Vermögensstraftaten).

§ 66 StGB; Art. 316e EGStGB; § 263 StGB; § 2 Abs. 6 StGB

Die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung sind durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) mit Wirkung vom 1. Januar 2011 neu gefasst worden. Diese Neufassung ist gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB auch für vor seinem Inkrafttreten begangene und noch nicht rechtskräftig verurteilte Taten maßgeblich, wenn es gegenüber der bisherigen Rechtslage milder ist.


Entscheidung

347. BGH 1 StR 645/10 - Urteil vom 15. Februar 2011 (LG München II)

Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung (fehlender Hang).

§ 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB

1. Das Merkmal „Hang“ i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung (wobei der Rechtsbegriff „Hang“ als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09 Rn. 9) - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner maßgebenden Umstände dem erkennenden Richter (st. Rspr.).

2. Der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde und dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, darf indiziell in zurückhaltender Form durchaus in die notwendige Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit eingestellt werden und muss nicht ausgeblendet werden. Die Gesamtwürdigung ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist. So darf auch berücksichtigt werden, dass ein Angeklagter in der Lage war, sich über einen längeren Zeitraum straffrei zu führen.


Entscheidung

291. BGH 3 StR 390/10 - Beschluss vom 9. November 2010 (LG Krefeld)

Doppelverwertungsverbot (Tateinheit; strafschärfende Berücksichtigung der Verwirklichung zweier Tatbestände).

§ 46 StGB; § 52 StGB

Es verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB), wenn im Rahmen der Strafzumessung ein Umstand zum Nachteil des Abgeklagten gewertet wird, der zwar nicht Tatbestandsmerkmal des Delikts ist, dessen Strafrahmen der Strafzumessung gem. § 52 Abs. 1 Satz 1 StGB zugrunde liegt, wohl aber zum Tatbestand eines tateinheitlich verwirklichten Delikts gehört, und dem Angeklagten zugleich diese tateinheitliche Begehung angelastet wird.


Entscheidung

288. BGH 3 StR 382/10 - Urteil vom 25. November 2010 (LG Hannover)

Sicherungsverwahrung (Gefährlichkeitsprognose; hohes Alter des Angeklagten; langjährige Haftstrafe); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 66 StGB; § 261 StPO; § 64 StGB

1. Zwar darf der Tatrichter bei seiner Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB den Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und dem Alter des Angeklagten nach der Strafverbüßung Bedeutung beimessen. Doch sind diese Umstände nur dann beachtlich, wenn tatsächlich zu erwarten ist, dass sie eine präventive Wirkung entfalten und beim Angeklagten zu einer Haltungsänderung führen werden.

2. Die tatrichterliche Erwartung einer Haltungsänderung ist im Einzelfall in Bezug auf den Angeklagten und unter Berücksichtung aller Umstände, die seine Gefährlichkeit begründen, zu erörtern und für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen.


Entscheidung

306. BGH 3 StR 466/10 - Urteil vom 3. Februar 2011 (LG Hannover)

Sicherungsverwahrung (Ermessensentscheidung des Tatrichters; maßgeblicher Zeitpunkt; Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen).

§ 66 StGB

1. Zwischen ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht jedenfalls dann ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, wenn das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat.

2. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich. Dieser soll die Möglichkeit haben, sich auch trotz festgestellter hangbedingter Gefährlichkeit eines Angeklagten zum Zeitpunkt des Urteils auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt.

3. Für die Beurteilung, ob die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen.

4. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens jedoch in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs schon zum Urteilszeitpunkt eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen. Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus.


Entscheidung

297. BGH 3 StR 429/10 - Beschluss vom 13. Januar 2011 (LG Oldenburg)

Besonders schwerer Fall des Diebstahls (Versuch; Regelwirkung); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Sucht; Hang; intensive Neigung); angemessene Rechtsfolge.

§ 22 StGB; § 23 StGB; § 242 StGB; § 243 StGB; § 49 Abs. 1 StGB; § 64 StGB; § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO

1. Begeht der Täter einen versuchten Diebstahl und verwirklicht dabei den Tatbestand eines Regelbeispiels des § 243 Abs. 1 StGB, so hat der Tatrichter stets zu prüfen, ob der geringere Unrechtsgehalt der versuchten Tat die Regelwirkung entkräftet oder eine Strafrahmenmilderung gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist.

2. Ein Hang im Sinne von § 64 StGB ist nicht nur im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit zu bejahen. Vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss.


Entscheidung

317. BGH 5 StR 403/10 - Urteil vom 12. Januar 2011 (LG Cottbus)

Minder schwerer Fall der besonders schweren Vergewaltigung (umfassende Würdigung aller Umstände); Strafrahmenuntergrenze des besonders schweren Falles (Entfallen der Regelwirkung in außergewöhnlichen Fällen); Strafzumessung; erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Alkoholintoxikation; Erinnerungsvermögen; Orientierungsvermögen; Verneinung).

§ 177 StGB; § 46 StGB; § 21 StGB

1. Für den Wegfall der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB genügt nicht die bloße Bezugnahme auf die Erwägungen, die zur Annahme eines minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB geführt haben. Das Tatgericht muss sich vielmehr mit dem systematischen Zusammenhang zwischen dem Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 StGB, der eine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB nicht erfordert, und dem Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB auseinandersetzen.

2. Eine Entkräftung der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB kommt nur bei ganz außergewöhnlichen Milderungsgesichtspunkten in Betracht.


Entscheidung

378. BGH 4 StR 610/10 - Beschluss vom 21. Dezember 2010 (LG Saarbrücken)

Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot durch die Versagung eines minder schweren Falles beim schweren Raub (Einsatz eines Pfeffersprays); Vorwurf fehlender Strafmilderungsgründe in der Strafzumessung.

§ 250 Abs. 2, Abs. 3 StGB; § 46 Abs. 2, Abs. 3 StGB

1. Bei der Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB, darf der tatsächliche oder geplante Einsatz von Pfefferspray nicht als bestimmender Umstand herangezogen, wenn er die Raubqualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und damit den zugrunde gelegten Strafrahmen begründet.

2. Berücksichtigt der Tatrichter strafschärfend, dass der Angeklagte eine Raubtat ohne erkennbare finanzielle Not begangen hat, liegt darin ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden darf (vgl. BGH StV 1995, 584).


Entscheidung

302. BGH 3 StR 441/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (OLG München)

Strafzumessung (revisionsgerichtliche Kontrolle; Doppelverwertungsverbot; Regelbeispiel); Verletzung des Dienstgeheimnisses.

§ 46 StGB; § 337 StPO; § 353b StGB

1. Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen. Dieses kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, namentlich das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer acht lassen oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit nach oben oder unten löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist.

2. In Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Wertung des Tatgerichts hinzunehmen.

3. Der Tatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB) setzt u.a. voraus, dass der Täter vorsätzlich ein ihm anvertrautes oder sonst bekannt gewordenes Geheimnis offenbart, d.h. öffentlich bekannt macht oder einem Unbefugten mitteilt, obwohl er durch eine generelle Rechtsnorm oder besondere Anordnung zum Schweigen verpflichtet ist. Der Tathandlung ist also ein Verstoß gegen die dienstlichen Vorschriften immanent, sodass einem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung nicht (erneut) vorgehalten werden darf, er habe sich über Dienstvorschriften hinweggesetzt.

4. Das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB gilt bei Merkmalen von Regelbeispielen entsprechend.


Entscheidung

364. BGH 2 StR 577/10 - Beschluss vom 27. Januar 2011 (LG Mühlhausen)

Rechtsfehlerhafte Ablehnung eines minder schweren Fall des schweren Raubes (Doppelverwertungsverbot und Beurteilungsgrundlagen bei der Beihilfe).

§ 250 Abs. 2, Abs. 3 StGB; § 27 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

1. Eine Tatbegehung aus eigenem Antrieb ist das Regelbild der Beihilfe; dieser Umstand darf daher infolge § 46 Abs. 3 StGB nicht zu Lasten des Gehilfen straferhöhend gewertet werden.

2. Auch die im Rahmen der Gesamtwürdigung und zu Lasten der Angeklagten erfolgte Wertung, schon das Handeln des Haupttäters sei nicht als minderschwerer Fall einzuordnen, ist rechtsfehlerhaft. Bei der Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falls des Beihilfedelikts darf zwar auch das Gewicht der Haupttat mitberücksichtigt werden (BGHR StGB § 250 Abs. 2 Beihilfe 1, BGHR StGB vor § 1 minderschwerer Fall Gehilfe 2), nicht aber, ob sich das Handeln des Haupttäters insgesamt als minderschwerer Fall darstellt, weil insoweit nicht nur die die Tat betreffenden, sondern auch allein die die Person des Haupttäters betreffenden Umstände im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung Berücksichtigung finden müssen.


Entscheidung

357. BGH 2 StR 446/10 - Urteil vom 26. Januar 2011 (LG Koblenz)

Bemessung der Gesamtstrafe (sinkende Hemmschwelle); Verfahrensbeendende Verständigung (zugesagte Verfahrenseinstellungen).

§ 54 StGB; § 55 StGB; § 257c StPO; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

1. Die Bemessung der Gesamtstrafe ist auch im Falle ihrer nachträglichen Bildung nach §§ 55, 54 Abs. 1 StGB ein eigenständiger und zu begründender Zumessungsakt, der unter zusammenfassender Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten durch angemessene Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) erfolgt. Dabei kann die Erhöhung der Einsatzstrafe geringer ausfallen, wenn zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht, da die wiederholte Begehung gleichartiger Taten der Ausdruck einer niedriger werdenden Hemmschwelle sein kann. Andererseits kann hierin aber je nach den Umständen des Einzelfalles auch ein Indiz für eine besondere kriminelle Energie (§ 46 Abs. 2 StGB) gesehen werden. Gerade bei Sexualdelikten kann die mildernde Wirkung der sinkenden Hemmschwelle durch den ständigen Druck ausgeglichen sein, dem das Opfer dadurch ausgesetzt ist, dass es jederzeit mit einer neuen Tat rechnen muss. Auch zeitlich weit auseinander liegende Taten gegen verschiedene Rechtsgüter sprechen eher für eine deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe.

2. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Tatgericht die Gründe für die Zumessung nicht nur hinsichtlich der neu hinzutretenden Einzelstrafen, sondern auch hinsichtlich der Gesamtstrafe nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO im Urteil anzuführen (BGH NStZ 1987, 183; NJW 1953, 1360). Dabei sind an die Begründung der Gesamtstrafenhöhe umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr sich die Strafe der oberen oder unteren Grenze des Zulässigen nähert.


Entscheidung

292. BGH 3 StR 393/10 - Beschluss vom 23. November 2010 (LG Kleve)

Strafzumessung (Generalprävention); Einziehung (genaue Bezeichnung des einzuziehenden Gegenstands).

§ 46 StGB; § 74 StGB

1. Generalpräventive Aspekte dürfen bei der Strafzumessung nur in den Grenzen des schuldangemessenen Strafens und auch nur dann zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden, wenn eine gemeinschaftsgefährdende Zunahme vergleichbarer Straftaten festzustellen ist, die zur Abwehr der Gefahr der Nachahmung und zum Schutz der betroffenen Rechtsgüter eine allgemeine Abschreckung geboten erscheinen lässt.

2. Der Ausspruch über die Anordnung einer Einziehung hat die einzuziehenden Gegenstände so genau zu kennzeichnen, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht. Im Falle von Betäubungsmitteln gehört dazu die Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts, die sich aus dem Urteilstenor ergeben muss.