HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2010
11. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Das europäische Strafrecht nach dem Vertrag von Lissabon - oder: Europäisierung des Strafrechts unter nationalstaatlicher Mitverantwortung

Von Dr. Marco Mansdörfer, Freiburg i. Brsg.

Mit dem Inkrafttreten des "Vertrages von Lissabon" wurde das europäische Strafrecht in weiten Teilen auf neue Grundlagen gestellt.[1] Anders als es der verkürzte[2] Wortlaut "Vertrag von Lissabon" nahe legt und anders als es noch im "Vertrag über eine Verfassung für Europa" (VVE) vorgesehen war, wird mit dem Dokument von Lissabon allerdings kein neuer, einheitlicher primärrechtlicher Vertrag geschaffen, äußerlich bleibt der bisherige "Vertrag über die Europäische Union" (EUV) vielmehr bestehen.[3] In der konsolidierten Fassung des EUV verschmelzen indessen die Europäische Union und die frühere Europäische Gemeinschaft zu einer neuen Europäischen Union mit supranationalem Charakter.[4] Der bisherige EG-Vertrag wird zu einem runderneuerten und um Regelungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit erweiterten "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV).[5] Die bisherige "Europäische Gemeinschaft" ist damit Geschichte. Aus dem europäischen Tempel wird ein veritables Haus mit dem Namen "Europäische Union" und einer eigenen Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV). Die Innenausstattung dieses Hauses geben in erster Linie der AEUV und die Europäische Grundrechtscharta vor. Rechtlich stehen der neue EUV, der AEUV und die Grundrechtscharta gem. Art. 1 Abs. 3 S. 2, 6 Abs. 1 EUV gleichrangig nebeneinander.[6]

Im Bereich der Strafrechtspflege wurden die Kompetenzen der Union "erheblich erweitert"[7]. Das deutsche Bundesver-

fassungsgericht hat daher gerade diese Zuständigkeiten sehr kritisch gewürdigt.[8] Die Karlsruher Richter waren besorgt, dass der Union im Bereich der Strafrechtspflege zu weitgehende Zuständigkeiten eingeräumt wurden und den Mitgliedstaaten keine substantiellen Handlungsfreiräume verblieben sind.[9] Der durch das Strafrecht geschaffene elementare Verhaltenskodex[10] sollte schließlich in den Werten der nationalen Gemeinschaften verortet bleiben. Strafrecht sei ein Instrument zur "Sicherung des Rechtsfriedens", zur "Sicherung der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung" oder zur "sozialen Kontrolle";[11] es ist aber kein "rechtstechnisches Instrument zur Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit"[12].

Das Bundesverfassungsgericht räumt in seinem Lissabon-Urteil jetzt zwar grundsätzlich ein[13], dass bei der Harmonisierung des Straf- und Strafverfahrensrechts nach dem Vertrag von Lissabon der Subsidiaritätsgedanke und die Befindlichkeiten der Nationalstaaten noch hinreichend berücksichtigt werden.[14] Gleichwohl wird deutlich, dass die europäische Strafrechtsintegration mit Lissabon eine neue Stufe erreicht hat. Die folgende Kommentierung des neuen Primärrechts widmet sich daher zunächst den neuen kriminalpolitischen Determinanten des europäischen Strafrechts (I.), in einem größeren Abschnitt werden dann die neuen Kompetenzen (II.) und das Verfahren (III.) zur Strafrechtssetzung näher untersucht, ehe zur institutionellen Entwicklung von Eurojust und Europäischer Staatsanwaltschaft (IV.) sowie kurz zum Europäischen Strafverfahrensrecht (V.) Stellung genommen wird.

I. Die kriminalpolitischen Determinanten des europäischen Strafrechts

Die europäische Kriminalpolitik thematisiert die Zwecke und die Ziele des Einsatzes des Strafrechts auf Europäischer Ebene.[15] Die zentralen Fragen, in welchen Bereichen es auf europäischer Ebene notwendig erscheint, mit den Mitteln des Strafrechts steuernd einzugreifen, wo diese Eingriffe eher im Wege einer Mindestharmonisierung und wo im Wege einer verbesserten Koordination der nationalen Rechte erfolgen soll[16], wurden im Vertrag von Lissabon erfreulich klar beantwortet:

1. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Kristallisationspunkt der inhaltlichen Programmatik des europäischen Strafrechts

Die Ausgestaltung des europäischen Strafrechts nach Lissabon orientiert sich in Art. 67 AEUV in erster Linie an dem Anspruch der Union, den Bürgern der Union einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu bieten.[17] Im neuen EUV wird der einheitliche Rechts- und Freiheitsraum - anders als bisher in Art. 29 S. 1 4. Spiegelstrich EUV a. F. - weniger deutlich als Ziel, sondern stärker faktisch formuliert. Der einheitliche Rechts- und Freiheitsraum wird nun in Art. 3 Abs. 2 EUV noch vor dem Europäischen Binnenmarkt in Art. 3 Abs. 3 EUV genannt. Die Union hat sich damit von einem einheitlichen Wirtschaftsraum zu einem supranationalen Lebensraum entwickelt.

Für die europäische Strafrechtsintegration ist das Ziel des einheitlichen Freiheits- und Sicherheitsraumes von zentraler Bedeutung: Die Politik der inneren Sicherheit ist zwar seit je her Kern staatlicher Souveränität. Bereits im Vertrag von Maastricht wurde aber im Jahr 1992 die Notwendigkeit staatenübergreifenden Handelns anerkannt; sie blieb freilich stark intergouvernemental geprägt und wurde in Art. 29  ff. EUV geregelt. Der Lissabon-Vertrag schließt die Entwicklung insoweit ab, als er diesen Bereich nunmehr in Teil 3 Titel V AEUV verankert und gem. Art. 67, 82 ff. AEUV zu einer von vierundzwanzig internen Politiken der Union erklärt. Eine Pauschalermächtigung zu einer globalen Strafrechtsharmonisierung ist damit freilich nicht verbunden.[18]

Näher konkretisiert wird die Politik der inneren Sicherheit durch die in Art. 67 Abs. 3 AEUV niedergelegte Programmatik. Die Union wirkt danach darauf hin,

  • durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität,
  • durch Maßnahmen zur Koordinierung und Zusammenarbeit von Organen der Strafrechtspflege,
  • durch die Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen und
  • erforderlichenfalls durch die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften
  • ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten.

Im Einzelnen werden die strategischen Leitlinien der europäischen Kriminalpolitik gem. Art. 68 AEUV durch den Europäischen Rat festgelegt.

2. Mit der neuen Rechtslage verbundene Fortschritte

Im Vergleich zum kriminalpolitischen Programm im früheren Art. 29 EUV a. F. ist Art. 67 Abs. 3 AEUV ungleich klarer[19]: Die Kriminalitätsprävention und -bekämpfung gefolgt von Maßnahmen zur Koordination der Strafrechtspflege stehen weiterhin an erster Stelle. Im Unterschied zu Art. 29 EUV a. F. bilden "die Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität" einen eigenständigen Programmpunkt. In der Sache deutet dies darauf hin, dass von Seiten der Union in Zukunft eine stärkere eigenständige Kriminalpolitik erwartet werden muss.[20] Dazu gehört wie bisher eine Kriminalpolitik der Koordination und der Förderung der mitgliedstaatlichen Kooperation. Denkbar ist aber auch, dass in Zukunft darüber hinaus für zwar nicht transnational wirkende, aber europaweit auftretende Phänomene informal etwa in Form von Stellungnahmen oder unverbindlichen Mustergesetzen europaweit einheitliche Leitlinien vorgeschlagen werden.[21] Weiter normiert Art. 67 AEUV einen so bislang nicht formulierten Vorrang der Integration durch die gegenseitige Anerkennung vor einer Harmonisierung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften ("erforderlichenfalls").[22] Unabhängig davon, ob und in welcher Form man den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung als taugliches Mittel der Strafrechtsintegration ansieht[23], impliziert dies inhaltlich doch einen wesentlichen Punkt: Die künftige Strafrechtsintegration ist ganz entscheidend von einem wechselseitigen Vertrauen auf die Strafjustiz der einzelnen Mitgliedstaaten und einem Arbeitsauftrag an die nationalen Strafrechte, die Europäisierung des Strafrechts auch national angemessen zu verarbeiten, geprägt. Dieses Vertrauen und der Gedanke der Subsidiarität beugen einer breit angelegten Angleichung der nationalen Rechte vor. Möglicherweise kann diese - ganz im Sinne der Achtung der Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten[24] - in weiten Teilen sogar vollständig obsolet werden.

3. Das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit im Spiegel des Subsidiaritätsprinzips

Kritik an dem kriminalpolitischen Programm von Art. 67 AEUV könnte aus der als zu einseitig verstandenen Betonung der Sicherheit gegenüber dem Aspekt der Freiheit resultieren.[25] Das kriminalpolitische Programm könnte sich damit in moderne Tendenzen einer einseitig verbrechensbekämpfenden Kriminalpolitik einreihen, wie sie auch in den Mitgliedstaaten der Union mehr und mehr sichtbar werden.[26] Eine solche Interpretation ist indessen alles andere als zwingend: Im europarechtlichen Schrifttum wird das Unionsziel eines "hohen Maßes an Sicherheit für die Bürger" lediglich als Endresultat eines einheitlichen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begriffen.[27] Notwendig ist damit eine ganzheitliche Betrachtung, in die auch die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten einzubeziehen sind und in denen letztlich ein angemessener Ausgleich zwischen Sicherheit und Freiheit gefunden werden muss.[28]

Das Strafrecht droht von der Unionsseite zwar faktisch von den Erscheinungsformen transnationaler Kriminalität her typisiert und ausgestaltet zu werden, die gemeinhin eher dem "Feindstrafecht" zugeordnet werden.[29] Dafür zeugen die in Art. 75 AEUV explizit aufgeführte Terrorismusbekämpfung oder die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV genannten Referenzbereichen Menschenhandel, illegaler Drogen- oder Waffenhandel oder organisierte Kriminalität.[30] Dies bedeutet aber nicht

zwingend, dass diese Entwicklung das gesamte europäisierte Strafrecht erfassen muss. Tatsache ist vielmehr, dass sich das Strafrecht zunehmenden funktional ausdifferenziert. Diese Ausdifferenzierung birgt zwar neue Herausforderungen an das Strafrecht insgesamt, denen an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden kann; mit europarechtlichen Besonderheiten hat diese Entwicklung aber nur wenig zu tun.

4. Die unmittelbare Verpflichtung der Union auf Grund- und Menschenrechte

Der neue EUV verpflichtet die Union weit über das bisherige Maß hinaus auf die Einhaltung von Grundrechten.[31] Die EU tritt mit dem Vertrag von Lissabon nicht nur gem. Art. 6 Abs. 2 EUV der Europäischen Menschenrechtskonvention bei, sondern erkennt in Art. 6 Abs. 1 EUV auch die Grundrechtscharta der EU vom 12. Dezember 1997 an.

Gesteht man den damit für die EU unmittelbar geltenden Grund- und Menschenrechten neben ihrer klassischen Abwehrfunktion auch eine - für die Grundrechte nach dem deutschen Grundgesetz längt anerkannte - Schutzfunktion zu, könnte dies auf die Fortentwicklung des Europäischen Strafrechts erhebliche Auswirkungen haben. Gerade in Bezug auf die Tatbestände des Kernstrafrechts könnte in Erfüllung des den Grundrechten immanenten Schutzauftrages theoretisch ein europäischer strafrechtlicher Mindestschutz entwickelt werden. Art. 51 Abs. 2 Grundrechtscharta schränkt die beschriebene Sprengkraft der Grundrechte allerdings stark ein, da die Charta die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert.

Trotz dieses Vorbehalts sollte die Bedeutung der Grundrechte nicht unterschätzt werden: Jede Rechtssetzung auf Unionsebene muss sich künftig an den Grundrechtsgewährleistungen der Charta messen lassen.[32] Da das Unionsrecht grundrechtskonform ausgelegt werden muss, gelten die Grundrechte überdies auch für diejenigen Staaten die - wie etwa Großbritannien, Polen oder Tschechien[33] - die Bindungswirkung der Grundrechtscharta für ihr Land ausgeschlossen haben. Institutionell wird die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte insbesondere durch den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK gestärkt. Auch wenn der EuGH bislang die Bedeutung von Grundrechten nur zögerlich anerkennen wollte[34], wird zumindest der EGMR eine hinreichende rechtspraktische Wirkung der Grundrechte sicherstellen. In der Literatur werden diese Änderungen zum Teil zwar als lediglich "symbolisch" eingestuft;[35] tatsächlich wird aber abzuwarten sein, ob der EGMR nicht möglicherweise ein eigenes Prüfungssystem entwickelt, um gerade supranationale Maßnahmen einer ihnen angemessenen Kontrolle zu unterwerfen. Die Entwicklungsgeschichte des EGMR lehrt, dass das Straßburger Gericht es sehr gut zu verstehen gewusst hat, ihm formal eingeräumte Kompetenzen rechtspraktisch wirksam durchzusetzen. Ein künftiger Dualismus zwischen EuGH und EGMR ist keineswegs ausgeschlossen - die Entwicklung ist offen.

II. Die Kompetenzen zur Strafrechts-setzung und anderen strafrechtlichen Maßnahmen

In dem Bemühen, ungewollten Zentralisierungstendenzen entgegen zu wirken, unterscheidet der neue EU-Vertrag zwischen ausschließlichen (Art. 3 AEUV), geteilten (Art. 4 AEUV) und sich ergänzenden (Art. 6 AEUV) Zuständigkeiten[36]. Für das Strafrecht besteht grundsätzlich eine geteilte Zuständigkeit (dazu unten 1.). Die Rechtssetzungskompetenz der Union ist dabei im Ansatz auf eine Anweisungskompetenz gegenüber den Mitgliedstaaten (dazu unten 2. bis 4.) beschränkt; eine echte Rechtssetzungskompetenz bleibt die Ausnahme (dazu unten 5.). Neu ist eine Maßnahmenkompetenz im Bereich der Kriminalprävention (dazu unten 6.) Für die Ausübung jeder Kompetenz gelten außerdem das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dazu unten 7.).

1. Grundsatz: Geteilte Zuständigkeit gem. Art. 4 Abs. 2 lit. j AEUV

Eine umfassende ausschließliche Kompetenz der Europäischen Union zur Strafrechtssetzung sieht der Vertrag von Lissabon nicht vor. Das Straf- und Strafverfahrensrecht bleiben im Kern weiter im nationalen Recht verankert. Die Europäische Union kann straf- und strafverfahrensrechtliche Regelungen entsprechend dem Grundprinzip der begrenzten Einzelermächtigung nur im Rahmen einer geteilten Zuständigkeit zur Bildung eines einheitlichen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gem. Art. 4 Abs. 2 lit. j AEUV erlassen[37]. Die Kompetenzen der Union zur Ordnung dieses Freiheitsraumes wurden gegenüber der Rechtslage nach Art. 29 EUV a. F. freilich substantiell erweitert und sachlich neu geordnet: Art. 82 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV ermächtigt

die Union zu Maßnahmen zur Erleichterung der zwischenstaatlichen Kooperation (näher unten 2.). Art. 82 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV enthält eine grundsätzliche Kompetenznorm zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den in Art. 82 Abs. 2 genannten Bereichen des Verfahrensrechts und auf den in Art. 83 AEUV genannten Gebieten des materiellen Strafrechts (näher unten 3. u. 4.). Art. 325 AEUV enthält darüber hinaus eine sachlich begrenzte, eigene Rechtssetzungskompetenzen der Union zum Schutz ihrer finanziellen Interessen (näher unten 5.).

2. Zuständigkeit für Maßnahmen zur Förderung der transnationalen Kooperation der mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden gem. Art. 82 Abs. 1 UA. 2 AEUV

Art. 82 Abs. 1 UA. 2 AEUV ermächtigt die Union zu Maßnahmen im Bereich der transnationalen Kooperation. Dazu gehören

  • Regeln und Verfahren zur Sicherstellung der Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen (UA. 2a),
  • Maßnahmen zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten (UA. 2b) und
  • zur Erleichterung der Zusammenarbeit in den Bereichen Strafverfolgung, -vollstreckung und -vollzug (UA. 2d).
  • Die Union betont daneben aber auch die Bedeutung der Weiterbildung der nationalen Richter, Staatsanwälte und Justizbediensteten (UA. 2c).

Während Art. 31 EUV a. F. lediglich das gemeinsame Vorgehen bei der justiziellen Zusammenarbeit festgelegt hat, ist Art. 82 Abs. 1 AEUV seinem Wesen nach neuartig und beschreibt einen Kern von Maßnahmen, für die eine supranationale Institution wie die Europäische Union geradezu prädestiniert ist. Mit der allgemeinen Ermächtigung zu "Maßnahmen" verfügt die Union insoweit über das gesamte Handlungsinstrumentarium des Art. 288 AEUV.[38] Sie kann im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung also nicht nur Rechtsvorschriften erlassen, sondern auch administrativ tätig werden sowie durch Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen konkreten Einfluss bis hinein in einzelne Verfahren ausüben.

3. Kompetenz zur Festlegung von Mindestvorschriften für das Strafverfahren zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen gem. Art. 82 Abs. 2 AEUV

Art. 82 Abs. 2 AEUV ermächtigt die Union erstmals[39] zum Erlass von Richtlinien, in denen

  • Mindestvorschriften zur Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten,
  • die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren,
  • die Rechte der Opfer der Straftaten und
  • sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens festgelegt werden,
  • soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung und zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit erforderlich ist.

Insbesondere in Anbetracht der Ermächtigung zum Erlass von Mindestvorschriften für "sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens" gem. Art. 82 Abs. 2 UA. 2 lit. d AEUV kann die Union damit ein Mindestschutzniveau für europäische Strafverfahren einführen. Der Begriff der "sonstigen spezifischen Aspekte des Strafverfahrens" ist zwar reichlich unbestimmt[40], selbst wenn man die Ermächtigung in Art. 82 Abs. 2 UA. 2 AEUV extensiv interpretiert, sind die daraus resultierenden Eingriffe für die Mitgliedstaaten im Ergebnis überschaubar. Da die Ermächtigung auf die Etablierung eines Mindestschutzniveaus beschränkt ist, sind strukturelle Eingriffe in die nationalen Strafverfahren praktisch ausgeschlossen. So wird etwa die in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Gewichtung des Ermittlungsverfahrens, der Hauptverhandlung und der Rechtsmittelmöglichkeiten im Ergebnis nicht berührt. Ähnliches gilt für die Ausgestaltung des Strafverfahrens nach den Grundsätzen der Legalität oder Opportunität, der Unmittelbarkeit, der Mündlichkeit, der Gewichtung des Akkusationsprinzips oder der Ausgestaltung der richterlichen Instruktionsmaxime.

Die Auswirkungen dieser Ermächtigung werden sich daher im Wesentlichen darauf beschränken,

  • einzelne Verfahrensarten (etwa bestimmte Strafverfahren in Abwesenheit[41]) für grundsätzlich unzulässig zu erklären,
  • bestimmte elementare Verfahrensrechte (etwa die Rechte aus Art. 6 EMRK) zu konkretisieren oder
  • spezifische Regeln für Ermittlungsverfahren mit transnationalem Charakter zu entwickeln und zu implementieren[42].

4. Strafrechtsanweisungskompetenz für das materielle Strafrecht gem. Art. 83 AEUV

Art. 83 AEUV enthält eine Strafrechtsanweisungskompetenz für das materielle Strafrecht. Dabei ist zwischen einer allgemeinen Ermächtigung für bestimmte explizit

aufgezählte Referenzbereiche (unten a), einer dynamischen Blankettermächtigung (unten b) und einer Annexzuständigkeit zur Angleichung in bereits harmonisierten Politikbereichen (unten c) zu unterscheiden.

a) Allgemeine Ermächtigung für Bereiche besonderes schwerer grenzüberschreitender Kriminalität nach Art. 83 Abs. 1 AEUV

Art. 83 Abs. 1 AEUV ermächtigt die Union in Bereichen besonderes schwerer Kriminalität durch Richtlinien Mindestvorschriften für Straftaten und Strafen festzulegen, wenn diese Kriminalität transnationalen Charakter aufweist. Die grenzüberschreitende Dimension soll entweder aus der Art oder den Auswirkungen der Taten folgen oder aus der Notwendigkeit, die Taten auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen. Schünemann versteht diesen "Typus des grenzüberschreitenden Delikts" zwar als "geborenes Europadelikt".[43] Art. 83 Abs. 1 UA. 2 AEUV beschränkt diese Delikte gleichwohl in einem grundsätzlich abschließend[44] zu verstehenden Katalog auf folgende Kriminalitätsbereiche:

  • Terrorismus,
  • Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern,
  • illegaler Drogenhandel,
  • illegaler Waffenhandel,
  • Geldwäsche,
  • Korruption,
  • Fälschung von Zahlungsmitteln,
  • Computerkriminalität und
  • organisierte Kriminalität.[45]

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 83 AEUV insgesamt eng auszulegen, da die daraus folgende Übertragung von Hoheitsrechten einer "besonderen Rechtfertigung"[46] bedürfe. Straftaten hätten daher nicht schon dann einen transnationalen Charakter, wenn die Organe einen politischen Willen zur grenzüberschreitenden Bekämpfung bestimmter Straftaten gebildet hätten. Dies sei erst der Fall, wenn sich aus der Art und den Auswirkungen bestimmter Straftaten die besondere Notwendigkeit ihrer Bekämpfung auf gemeinsamer Grundlage ergeben würde[47]. Außerdem müssten die insoweit erlassenen Richtlinien den Mitgliedstaaten "substanzielle Ausgestaltungsspielräume" belassen.[48]

Das Bundesverfassungsgericht überschreitet mit dieser Interpretation die Wortlautgrenze des Vertrages: Während nach der ausdrücklichen Fassung des Vertrages die grenzüberschreitende Dimension von Straftaten alternativ mit dem Charakter der Straftat und mit Strafverfolgungsbedürfnissen begründet werden kann, verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass beide Kriterien kumulativ vorliegen. Das bringt die Sorge des Gerichts zum Ausdruck, die Tatbestandesvoraussetzungen von Art. 83 AEUV könnten durch die politische Willensbildungsprozesse zunehmend abgeschliffen werden. Solche Schleifungsprozesse werden freilich auch durch die gut gemeinten Worte der deutschen Verfassungsrichter nicht verhindert werden. Der Katalog besteht nicht umsonst aus kriminologisch geprägten unscharfen Begrifflichkeiten (Organisierte Kriminalität, Terrorismus, Korruption). Für Grundlagenverträge sind solche Termini geradezu typisch. Der Katalog ist damit nur Ausdruck des Zustandes des politischen Willensbildungsprozesses[49] und das spezifische Erfordernis transnationalen Charakters der Kriminalität nicht mehr als eine tatbestandsspezifische Reformulierung des allgemeinen Subsidiaritätsprinzips.[50]

b) Dynamische Blankettermächtigung nach Art. 83 Abs. 1 UA. 3 AEUV

Sollte sich der Katalog typisch transnationaler Kriminalitätsbereiche in Art. 83 Abs. 1 UA. 2 AEUV im weiteren Verlauf der europäischen Einigung als zu eng erweisen und das Bedürfnis bestehen, diesen Katalog zu erweitern, so geht dies auch ohne Vertragsänderung auf Grundlage einer in Art. 83 Abs. 1 UA. 3 AEUV fixierten dynamischen Blankettermächtigung. Auch neu aufgenommenen Kriminalitätsfeldern muss indessen eine transnationale Dimension anhaften. Die bloße Kundgabe eines gemeinsam politischen Willens zu einer harmonisierten Bekämpfung konkreter Kriminalitätsfelder genügt insoweit nicht.[51] Beispiele solcher Kriminalitätsfelder sind etwa grenzüberschreitende Wirtschafts- und Steuerstraftaten, denen mit einer harmonisierten Kriminalpolitik begegnet werden muss. Freilich können diese im Prinzip bereits auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 2 AEUV harmonisiert werden.[52]

Insgesamt ist das Potential der Blankettermächtigung somit trotz des zweifellos vorhandenen Spielraums[53] begrenzt und in seinem Wesen überschaubar. Dies gilt insbesondere, wenn man den Wortlaut "je nach Entwicklung der Kriminalität" dahin versteht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in jüngerer Zeit in einem spezifi-

schen Sektor nachteilig verändert haben müssen.[54] Das Bundesverfassungsgericht unterstellt die Ausdehnung der Unionskompetenzen über die Blankettermächtigung gleichwohl Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG[55], sodass die Bundesregierung einem Gebrauch der Blankettermächtigung nur nach einer vorherigen Billigung durch das Parlament zustimmen darf.[56]

c) Annexzuständigkeit zur Angleichung des Strafrechts in bereits harmonisierten Politikbereichen gem. Art. 83 Abs. 2 AEUV

In der Praxis weitaus bedeutsamer als die Ermächtigung zur Harmonisierung des Strafrechts auf der Grundlage von Art. 83 Abs. 1 AEUV wird die Annexkompetenz zur Angleichung des Strafrechts in bereits harmonisierten Politikbereichen gem. Art. 83 Abs. 2 AEUV.[57] Mit der ausdrücklichen Aufnahme einer strafrechtlichen Annexkompetenz ist das in der Rechtssache C-176/03 vom EuGH entwickelte Richterrecht nunmehr im Primärrecht kodifiziert. Dort hatte der EuGH - im Wesentlichen aufgrund von Effektivitätsüberlegungen - einen Rahmenbeschluss zum Schutz der Umwelt durch das Strafrecht[58] für nichtig erklärt, weil die entsprechenden Regelungen vorrangig im Rahmen einer Richtlinie auf der Grundlage von Art. 175 EGV getroffen werden mussten.[59] In der nachfolgenden Entscheidung in der Rechtssache C-440/05 wurde diese Linie im Grunde bestätigt, aber dahin eingeschränkt, dass die Entscheidung über die Art und das Maß der strafrechtlichen Sanktion im Prinzip den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben muss.[60] Auch diese Einschränkung ist allerdings mit der insoweit eindeutigen Regelung in Art. 83 Abs. 2 AEUV hinfällig[61], sodass nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine "uferlose" Kompetenz zur Strafrechtssetzung "droht".[62]

Für die Reichweite dieser Kompetenz entscheidend ist freilich, unter welchen Voraussetzungen der Gebrauch der Annexkompetenz gestattet ist. Art. 83 Abs. 2 AEUV setzt insoweit ein "unerlässliches" Bedürfnis nach einer Angleichung der strafrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf dem entsprechenden Sachgebiet voraus. Auf der Grundlage von Art. 29 EUV a. F. konnten die Strafrechte dagegen bereits dann harmonisiert werden, wenn dies "erforderlich" erschien. Die Möglichkeiten einer Harmonisierung auf der Grundlage der Annexkompetenz wurden damit im Ansatz eingeschränkt.[63] Die genaue Bedeutung des Kriteriums der Unerlässlichkeit ist freilich bis dato kaum geklärt und die ersten Einschätzungen in der Literatur und Rechtsprechung gehen entsprechend weit auseinander: Zimmermann prognostiziert auf der Basis einer Analyse der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr als eine Wiederkehr des für das Gemeinschaftsrecht entwickelten Gedankens des "effet-utile".[64] Heger misst dem Kriterium der Unerlässlichkeit eine ungleich größere Begrenzungsfunktion zu und ist der Auffassung, dass eine Strafrechtsharmonisierung auf der Grundlage der Annexkompetenz "regelmäßig zu unterbleiben hat".[65] Walter leitet aus der entsprechenden Formulierung in der gescheiterten EU-Verfassung das Erfordernis einer "empirisch untermauerten Prognose ab, dass ein harmonisiertes Strafrecht conditio sine qua non" zur Zielerreichung ist.[66] Das Bundesverfassungsgericht legt das Kriterium der Unerlässlichkeit in einer grundsätzlich justiziablen Weise aus und verlangt - im Ansatz ähnlich wie Walter -, dass vor dem Gebrauch der Annexkompetenz nachweisbar feststeht, dass ein gravierendes Vollzugsdefizit tatsächlich besteht und nur durch eine Strafandrohung beseitigt werden kann.[67]

Auch an dieser Stelle ist das Bundesverfassungsgericht zu restriktiv. Gerade angesichts der ungewissen Wirkungen der Strafdrohung, könnte mit dem Erfordernis einer nachweislichen Beseitigung eines Vollzugsdefizits im Gemeinschaftsrecht durch eine Strafdrohung der Strafrechtsharmonisierung leicht ein Ende bereitet werden. Zustimmung verdient zwar der Umstand, dass das Kriterium der "Unerlässlichkeit" als justiziable Tatbestandsvoraussetzung verstanden wird. Systematisch wird dieses Kriterium dagegen unionsspezifisch auszulegen sein, sodass eine Unerlässlichkeit dann anzunehmen sein wird, wenn erhebliche Strafbarkeitsdivergenzen in den einzelnen Mitgliedstaaten die Gefahr von Strafbarkeitsinseln mit sich führen. Freilich sollte auch der EuGH seine Rechtsprechung dem Wortlaut des Primärrechts annähern und Annexkompetenzen nicht allein mit dem effet-utile begründen.[68]

5. Strafrechtssetzungskompetenz gem. Art. 79, 325 AEUV

Art. 79 Abs. 2 AEUV ermächtigt die Union zu Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, insbesondere des Handels mit Frauen und Kindern, und Art. 325 AEUV ermächtigt die Union zu Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen

die finanziellen Interessen der Union richten. Damit wird der Union zwar nicht explizit eine eigene Kompetenz zur Setzung strafrechtlicher Normen eingeräumt; es ist indessen nicht ausgeschlossen, die Vorschriften in diesem Sinn zu verstehen.[69]

a) Strafrechtssetzungskompetenz gem. Art. 325 AEUV

Im Fall von Art. 325 AEUV spricht neben dem offenen Wortlaut insbesondere die Entstehungsgeschichte - genauer: die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Vorgängerregelungen im Europäischen Verfassungsvertrag - für die Annahme einer Strafrechtssetzungskompetenz[70]: Art. 325 AEUV entspricht Art. III-415 VVE und ist die Nachfolgeregelung des Art. 280 EGV. Bereits zu Art. 280 EGV hatte sich eine intensive Diskussion entfacht, ob die Vorschrift die Europäische Gemeinschaft zur Setzung von kriminalstrafrechtlichen Normen ermächtigt:[71] Für eine entsprechende Kompetenz wurde im Wesentlichen der Wortlaut von Art. 280 Abs. 4 S. 1 EGV ins Feld geführt, der die Gemeinschaft zu den "erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten" ermächtigte. Gegen eine daraus folgende Kompetenz zum Erlass von Strafvorschriften wurde insbesondere der nachfolgende Satz 2 von Art. 280 Abs. 4 EGV angeführt, wonach die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten von den Maßnahmen nach S. 1 "unberührt" bleiben sollte. In Art. 325 EAUV ist genau dieses Hindernis weggefallen. Der Normtext steht strafrechtlichen Maßnahmen nunmehr offen gegenüber.[72] Zugleich sieht Art. 86 Abs. 1 AEUV die Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vor, sodass beide Vorschriften in einem komplementären Sinn den Nukleus eines europäischen Strafrechts bilden.

b) Strafrechtssetzungskompetenz gem. Art. 79 AEUV

Weitaus weniger klar als der Wortlaut des Art. 325 AEUV ist dagegen Art. 79 Abs. 2 AEUV. Zwar wird die Union auch hier zu Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, insbesondere des Handels mit Frauen und Kindern ermächtigt, womit ebenfalls strafrechtliche Maßnahmen gemeint sein könnten;[73] zwingend ist ein solches Verständnis freilich nicht. Dagegen spricht vor allem, dass die illegale Einwanderung in die Europäische Union im Gegensatz zur Bekämpfung von Betrügereien zu Lasten der EU keine originären Interessen der Union betrifft.[74] Die illegale Einwanderung berührt primär Territorialitätsinteressen der Mitgliedstaaten, die Unionsinteressen sind dagegen erst in einer zweiten, durch die Interessen der Mitgliedstaaten mediatisierten Ebene betroffen. Aus diesem Grund belasten Versäumnisse in der Einwanderungspolitik in erster Linie den jeweiligen Mitgliedstaat selbst. Eine staatenübergreifende Dimension erhält diese Problematik nur in Einzelbezügen, etwa in Fällen in denen Mitgliedstaaten der Union als reine Transitstaaten zu Lasten anderer Staaten handeln. Mit supranationalen Strafgesetzen wird hier wenig zu erreichen sein. Insoweit genügt die in Art. 83 Abs. 1 AEUV vorgesehene Mindestharmonisierung.

6. Kompetenz zum Erlass von Maßnahmen zur Förderung der Mitgliedstaaten bei der Kriminalprävention gem. Art. 84 AEUV

Art. 84 AEUV ermächtigt die Union zu Maßnahmen, mit denen die Mitgliedstaaten bei der Kriminalprävention gefördert und unterstützt werden können. Eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten soll allerdings ausgeschlossen sein. Art. 84 AEU ist damit seiner Art nach neu und ohne Vorgängerregelung im bisherigen Primärrecht.

Die Union erweitert damit ihren kriminalpolitischen Handlungsspielraum. Statt reaktiv auf begangene Kriminalität zu reagieren, kann die Union nun Mitgliedstaaten aktiv unterstützen, Kriminalität bereits im Vorfeld ihrer Entstehung zu verhüten, und eine ressortübergreifende Kriminalpolitik betreiben.[75] Die Union folgt damit einerseits der modernen Entwicklung in der Kriminalpolitik, die Organe der Strafrechtspflege zunehmend in die Bemühungen zur Verhinderung von Straftaten einzubeziehen.[76] Konkret kann die Union auf den verschiedensten Feldern (etwa bei der Verbesserung sozialstruktureller Mängellagen, im Bereich der Aufklärung der Bevölkerung oder auf dem gesamten Feld der kriminalitätsbezogenen Datenverarbeitung) tätig werden, soweit diese Maßnahmen die Mitgliedstaaten unterstützen. Angesichts der Fortentwicklung der Union zu einem einheitlichen sozialen Lebensraum sind diese Kompetenzen konsequent und folgerichtig.

Da die Kompetenz der Union auf einer Förderung der Mitgliedstaaten beschränkt ist, werden zugleich die Kompetenzen der Mitgliedstaaten gewahrt und ein schrittweiser Übergriff der Union auf nationale Zuständigkeiten verhindert.[77]

7. Strafrechtlicher Schonungsgrundsatz aus Artt. 5, 4 Abs. 2 EUV, 67 Abs. 1 AEUV?

Soweit eine grundsätzliche Kompetenz zum Erlass strafrechtlicher Maßnahmen besteht, muss die einzelne Maßnahme im konkreten Fall "erforderlich" sein. Das Kriterium der Erforderlichkeit der Einzelmaßnahme ergibt sich im Wesentlichen aus der Verpflichtung der Union in Art. 5 EUV auf die Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Mit diesen grundlegenden Prinzipien zur Ausübung von Zuständigkeiten der Europäischen Union soll verhindert werden, dass die Maßnahmen der Gemeinschaft das für die Erreichung der Ziele des Vertrags erforderliche Maß überschreiten.[78] Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist justiziabel und kann gem. Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll dem EuGH zur Überprüfung vorgelegt werden. Klagebefugt sind in Deutschland gem. Art. 23 Abs. 1a n. F. GG der Bundestag und der Bundesrat.[79]

Darüber hinaus verpflichtet sich die Union in Artt. 4 Abs. 2 EUV, 67 Abs. 1 AEUV, die nationale Identität der Mitgliedstaaten bzw. die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten zu achten. Zum Teil wird aus diesen Bestimmungen ein "strafrechtlicher Schonungsgrundsatz" herausgelesen, wonach nur mit großer Zurückhaltung in die nationalen Strafrechtssysteme eingegriffen werden darf.[80] Dies bedeutet allerdings nicht, dass damit jeder Akt supranationaler Strafrechtssetzung zusätzlich einer besonders restriktiven Prüfung unterzogen werden müsste. Art. 67 Abs. 1 AEUV beschreibt in erster Linie das Programm der Kriminalpolitik und kann so als kriminalpolitische Konkretisierung des allgemeinen Subsidiaritätsprinzips verstanden werden. Indem der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Zentrum der Strafrechtsintegration wird, wird einer europaweiten echten Strafrechtsharmonisierung eine prinzipielle Absage erteilt. Damit sind wesentliche Postulate des Art. 5 EUV bereits primärrechtlich eingelöst, sodass es prinzipiell ausreicht, wenn die Auslegung der einzelnen Kompetenztitel den allgemein in Art. 5 EUV gestellten Kriterien - und insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit - genügt.[81]

Auf den Punkt gebracht bedeutet der strafrechtliche Schonungsgrundsatz: Je massiver einzelne Harmonisierungsmaßnahmen in die nationalen Strafrechtssysteme eingreifen, desto bedeutsamer müssen sie für die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union sein. Eingriffe in den identitätsbildenden Kern[82] des Strafrechts eines Mitgliedstaates sind nur zulässig, wenn dies aus der Sicht der Union unumgänglich ist. Damit ist den Mitgliedstaaten kein dauerhafter Kern nationalen Strafrechts gewährleistet, die fortschreitende soziale Integration erfasst auch das Strafrecht, das dem eigenen Bürger ebenso wie dem Unionsbürger eine hinreichend sichere Parallelbewertung seines Verhaltens in der Laiensphäre ermöglichen muss.[83] Soweit die europäische Strafrechtsharmonisierung in erster Linie über den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vorangetrieben wird, werden diejenigen Ideengehalte, mit denen sich die Nation eines Mitgliedstaates identifiziert und die sozio-kulturellen bzw. geschichtlich-politischen Unterschiede zwischen den Nationen Europas regelmäßig aber gerade nicht angetastet.[84]

III. Das Verfahren zur Europäischen Strafrechtssetzung

Zwei wesentliche Neuerungen gegenüber dem bisherigen Primärrecht bringt der Vertrag von Lissabon beim Verfahren der europäischen Rechtssetzung: Erstens wird die Rolle der nationalen Parlamente wesentlich gestärkt und zweitens wird ein "Notbremseverfahren" eingeführt, das es einem Staat erlaubt, einzelne Rechtsakte für sein Recht gänzlich außer Kraft zu setzen. Insgesamt wird die demokratische Legitimation des europäischen Strafrechts damit wesentlich gestärkt.[85]

1. Die stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente bei der europäischen Rechtssetzung

Ein zentrales Grundanliegen des Lissabon-Vertrages ist die stärkere demokratische Legitimation der Rechtsakte der Europäischen Union.[86] Zu diesem Zweck werden das Europäische und in Art. 12 EUV die nationalen Parlamente stärker in die Entscheidungsprozesse der Union eingebunden und in eine Mitverantwortung für die europäische Politik genommen. Der Lissabon-Vertrag statuiert insoweit Informationspflichten gegenüber den nationalen Parlamenten und macht diese zu Hütern des Subsidiaritätsgrundsatzes.[87] Für den Bereich der PJZS wird

diese Aufgabe der Parlamente nochmals in Art. 69 AEUV wiederholt. Die nationalen Parlamente können nun gem. Art. 6 EuSubsidProt binnen acht Wochen nach der Übermittlung eines Entwurfs eines Gesetzgebungsakts in einer begründeten Stellungnahme darlegen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Erreicht die Anzahl der Beanstandungen eines Entwurfs mindestens ein Viertel der gem. Art. 7 EU SubsidProt festgelegten Stimmen der nationalen Parlamente, so muss der Entwurf überprüft werden.

2. Die Vetorechte gem. Art.  82 Abs. 3 und 83 Abs. 3 EUV

Eine zweite wesentliche Neuerung verfahrenstechnischer Art sind die in Art. 83 Abs. 3 AEUV eingeführten Vetorechte, die sog. "strafrechtlichen Notbremsen".[88]

a) Wesen und Anwendungsbereich der Vetorechte

Artt. 82 Abs. 3 u. 83 Abs. 3 AEUV räumen den Mitgliedstaaten, die durch den Entwurf einer Harmonisierungslinie "grundlegende Aspekte ihrer Rechtsordnung" bedroht sehen, ein hartes Vetorecht ein[89]: Danach kann der Mitgliedstaat verlangen, dass das konkrete Gesetzgebungsverfahren ausgesetzt und der Europäische Rat mit der Sache befasst wird. Die Aussetzung des ordentlichen Verfahrens kann nur einvernehmlich beendet werden. Wird ein solches Einvernehmen nicht erreicht, so kann eine Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten - was im Verfassungsentwurf (VVE) so noch nicht vorgesehen war[90] - eine Verstärkte Zusammenarbeit auf der Grundlage des Richtlinienentwurfs begründen.[91]

Inhaltich sind die Vetorechte im Verfahrensrecht auf Richtlinienentwürfe zur Verkehrsfähigkeit von Beweisen, Beschuldigten- und Opferrechten sowie sonstige vom Rat bestimmte Bereiche des Strafverfahrens und im materiellen Strafrecht im Wesentlichen auf Richtlinienentwürfe gegen schwere grenzüberschreitende Kriminalität und Harmonisierungsmaßnahmen im Rahmen der strafrechtlichen Annexkompetenz beschränkt. Bei Maßnahmen zur Durchsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung greift die Notbremse dagegen nicht.[92] In der Literatur wird vor allem aus systematischen Erwägungen vorgeschlagen, die Vetorechte auch auf eine originäre Strafrechtssetzung gem. Art. 325 AEUV auszudehnen.[93] Dies vermag allerdings nicht zu überzeugen, da sonst ein in der Sache nicht zu rechtfertigender unterschiedlicher Schutz originärer Unionsinteressen droht.

b) Erfordernis der Berührung "grundlegender Aspekte der nationalen Rechtsordnung"

Auch darf ein Veto nur eingelegt werden, wenn der Entwurf einer Richtlinie die grundlegenden Aspekte der eigenen, nationalen Rechtsordnung berührt. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der Richtlinienentwurf mit einzelnen nationalen Eigenheiten in Konflikt gerät, sondern erst, wenn die tiefliegenden und konstanten Eigenschaften einer Rechtsordnung betroffen sind.[94]

Dazu genügt es erstens, dass die Umsetzung eines konkreten Richtlinienentwurfs ein Rechtssystem - etwa wegen der besonderen Bedeutung der Laienbeteiligung - strukturell überfordert. Die Notbremse darf zweitens betätigt werden, wenn eine Richtlinie im Widerspruch zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz (principe général, core of a legal system) eines nationalen Rechts steht.[95] Solche allgemeinen Rechtsgrundsätze sind dagegen oft dadurch gekennzeichnet, dass sie in einer Mehrzahl von Rechtsordnungen gelten[96], sodass insoweit mit einer breiten Skepsis gegenüber einer Richtlinie zu rechnen ist. Im Einzelfall wird es hier vor allem darum gehen, die Art und den Inhalt sowie die Trag- und Wirkungsbreite des betroffenen Rechtsgrundsatzes herauszuarbeiten. Im Sinne der Gewährleistung der Grund- und Menschenrechte könnte der Begriff des "grundlegenden Aspekts einer Rechtsordnung" aber drittens auch im Sinne des Vorrangs einer besseren Lösung verstanden werden. Auf diese Weise würde das Recht der Union nicht nur einem Mindeststandard verhaftet bleiben, sondern fortschrittliche Lösungen könnten allmählich den Rang allgemeiner Rechtsgrundsätze gewinnen.[97] Die Richtlinien wären dann zum einen insgesamt in ein übernationales System von Sachnormen einzubetten, zum anderen wäre die Orientierung am nationalen Recht kein Selbstzweck, sondern ein Motor übernationaler Rechtsentwicklung und ein wichtiger Anstoß zur Sachdiskussion.

c) Kompetenz zur Ausübung der Vetorechte

Für Deutschland hat das Verfassungsgericht entschieden, dass das notwendige Maß an demokratischer Legitimation aus dem Blickwinkel des Grundgesetzes nur dadurch gewährleistet wird, dass der deutsche Vertreter im Rat die Notbremse in Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. 3 AEUV nur nach Weisung des Bundestags bzw. des Bundesrats ausübt.[98] Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben im sog. Integrationsverantwortungsgesetz umgesetzt.[99] Im Grunde wird das deutsche Vetorecht damit zu einem Parlamentsvorbehalt.

IV. Die Entwicklung von Eurojust und Europäischer Staatsanwaltschaft

Organisatorisch bestärkt der Vertrag von Lissabon zum einen die Rolle von Eurojust als zentraler europäischer Koordinationsbehörde, zum anderen ermächtigt der Vertrag die Union zur Einführung einer echten Europäischen Staatsanwaltschaft als eigenständiger und von Eurojust getrennter Behörde. Insbesondere der letzte Schritt, der in der Literatur (übertrieben) als "revolutionäre Umwälzung der bisherigen Gestaltung des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts in Europa" eingestuft wurde[100], scheint nach dem neuen Recht nur noch eine Frage der Zeit - oder eines entsprechend gravierenden Anlasses.[101]

1. Stärkung von Eurojust gem. Art. 85 EUV

Wie bisher bleibt es die zentrale Aufgabe von Eurojust, die Ermittlung und Verfolgung grenzüberschreitender schwerer Straftaten zu unterstützen und zu koordinieren. Der Aufbau und die genauen Tätigkeitsbereiche von Eurojust sollen in Verordnungen festgelegt werden. Dazu gehören insbesondere Koordinationsmaßnahmen und neuerdings auch die Einleitung von Ermittlungsverfahren.

Die Kompetenzen von Eurojust sind jedoch deutlicher allgemeiner gehalten als im bisherigen Primärrecht, sodass der Gesetzgeber bei der genauen Definition der Zuständigkeiten von Eurojust und Europol einen größeren Spielraum besitzt.[102] Förmliche Prozesshandlungen sollen aber weiterhin nur von nationalen Behörden vorgenommen werden können.[103]

2. Europäische Staatsanwaltschaft gem. Art. 86 EUV

Art. 86 AEUV enthält erstmals eine primärrechtliche Grundlage für die Errichtung einer von Eurojust ausgehenden Europäischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union. Die Kompetenz der Staatsanwaltschaft ist zunächst auf die Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union beschränkt, kann aber auf Bereiche der grenzüberschreitenden Schwerkriminalität ausgeweitet werden.[104]

Welche Gestalt die europäische Staatsanwaltschaft - zumindest nach dem Willen der EU-Kommission - im Einzelnen annehmen soll, kann in groben Zügen dem bereits im Jahr 2001 vorgelegten Grünbuch zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft entnommen werden:[105] Die Europäische Staatsanwaltschaft soll danach als dezentral organisierte Behörde aus dem Europäischen Staatsanwalt und abgeordneten Europäischen Staatsanwälten aus den einzelnen Rechtsordnungen, die im Einzelfall auch die Anklage vertreten, bestehen. Auf ein unionseigenes Strafverfahrensrecht wird weitgehend verzichtet. Ermittlungsmaßnahmen ohne Zwangsgewalt soll der Europäische Staatsanwalt nach eigenem Ermessen durchführen. Die grundrechtsintensiven Ermittlungsmaßnahmen erfolgen auf der Grundlage der jeweils einschlägigen nationalen Rechtsordnungen und sollen (soweit notwendig) transnational verwendet werden. Es liegt nahe, sich mit künftigen Richtlinien an dem Weg zu orientieren, der mit dem Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung eingeschlagen wurde.[106] Kerngedanke dieses Instruments ist die Idee, dass die Beweisanordnung des Anordnungsstaates im Vollstreckungsstaat unmittelbar vollstreckt werden muss und die Versagungsgründe für eine Vollstreckung eng begrenzt sind.[107] Im Vollstreckungsstaat muss primär für die Einhaltung des Gebots des nemo tentur se ipsum accusare gesorgt werden; im Übrigen müssen die Staaten die Mindestanforderungen der EMRK an die Erhebung und Verwertung strafprozessualer Beweise beachten und ein insgesamt faires Verfahren bieten.[108]

Für die Akzeptanz der Europäischen Staatsanwaltschaft ist es unumgänglich, ein Patchwork-Verfahrensrecht zu Lasten des Beschuldigten zu vermeiden.[109] Das Konzept europaweit verkehrsfähiger Ermittlungsergebnisse ist daher nur dann akzeptabel, wenn es mit verfahrensrechtlichen Sicherungen versehen wird, die im Sinne eines

"fair trial" die Balance zwischen Strafverfolgungs- und Beschuldigteninteressen wahren und eine einseitige Belastung des Beschuldigten vermeiden.[110] Die konkreten Gefahrenpunkte sind inzwischen hinreichend bekannt:[111] Im Kern geht es darum,

  • eine verdeckte Ausdehnung von Ermittlungskompetenzen zu verhindern,
  • die Kompatibilität von Beweiserhebung und -verwertung zu sichern,
  • rechtliches Gehör, Partizipations- und Verteidigungsrechte des Beschuldigten sowie einen effektiven Individualrechtsschutz sowohl in Bezug auf die Anordnung als auch auf die Vollstreckung von Ermittlungsmaßnahmen zu wahren,
  • eine unabhängige und wirksame richterliche Kontrolle der Ermittlungsorgane zu gewährleisten und
  • die Kompetenzordnung in den nationalen Strafverfahrensordnungen mit ihrer im Einzelnen höchst unterschiedlichen Ausgestaltung von Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung (insbesondere hinsichtlich der Prinzipien der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit) zu achten.

Einzelheiten zu diesen Verfahren enthält Art. 86 AEUV nicht. Stattdessen wird der Rat ermächtigt, im Wege der Verordnung die Einzelheiten für die Erfüllung der Aufgaben der Europäischen Staatsanwaltschaft, die für ihre Tätigkeit notwendigen Verfahrensvorschriften sowie die Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln und für die gerichtliche Kontrolle der von der Europäischen Staatsanwaltschaft vorgenommenen Prozesshandlungen zu festzulegen. Die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle der Europäischen Staatsanwaltschaft auf europastaatsanwaltliche "Prozesshandlungen" verdeutlicht die grundsätzlich unabhängige Stellung der Europäischen Staatsanwaltschaft. Der Begriff der Prozesshandlungen ist freilich insoweit unglücklich, als damit Assoziationen an einen gerichtsfreien Raum im Vorfeld einer öffentlichen Anklageerhebung erweckt werden können.[112] Kein Zufall - sondern angesichts der eben angestellten Erwägungen nur konsequent - ist dagegen das Fehlen einer Ermächtigung zur Schaffung eines unionsrechtlichen Strafverfahrensrechts. Der Verzicht auf ein "Supra"verfahrensrecht spiegelt das Konzept des Grünbuchs zur Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft wider, in dem ein solches Verfahrensrecht ebenfalls verworfen wurde.[113] Der Schutz der Beschuldigtenrechte wird in Art. 86 AEUV nicht nochmals explizit aufgeführt, sodass insoweit bereits bei Harmonisierungsmaßnahmen nach Art. 82 Abs. 2 AEUV das potentielle Tätigwerden einer Europäischen Staatsanwaltschaft mit bedacht werden muss. Dem Modell der Europäischen Staatsanwaltschaft ist aber auch implizit, die Aufgabe einer insgesamt fairen Behandlung des Angeklagten in wesentlichen Teilen den einzelnen nationalen Verfahrensordnungen zu überantworten.[114] An die Stelle großer europäischer Lösungen[115] mit nur geringem Mehrwert[116] treten hier also - durchaus im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes - einzelne nationale Lösungen.[117]

V. Die Entwicklung des Europäischen Strafverfahrensrechts

Die Ausführungen zur Europäischen Staatsanwaltschaft lassen die weitere Entwicklung des Europäischen Strafverfahrensrechts bereits erahnen: Im Zentrum des künftigen Europäischen Strafverfahrensrechts steht nach dem Vertrag von Lissabon endgültig der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen.[118] Diese ursprünglich aus dem öffentlichen Recht entlehnte und an die Anforderungen des Strafrechts angepasste Rechtsfigur wird zur Kernidee, um die herum das transnationale Strafverfahrensrecht als ein Recht der Koordination verschiedener Rechtsordnungen aufgebaut wird.[119] Daneben obliegt es den einzelnen Nationalstaaten, die durch das europäische Recht gestellten Aufgaben insbesondere im Bereich des Beschuldigtenschutzes ernst zu nehmen und auf Unionsebene - ohne massive Eingriffe in die nationalen Rechtsordnungen - nicht zu beseitigende Unausgewogenheiten auszugleichen.[120] Für das deutsche Recht heißt dies, dass sich auch die Rechtsprechung ihrer Integrationsverantwortung bewusst werden muss. So wird es für sie in Zukunft darum gehen,

die Gruppe der aus einer rechtsstaatswidrigen Beweiserhebung folgenden Beweisverwertungsverbote maßvoll - aber nicht zu engherzig - zu erweitern und bei der Beweiswürdigung ein hinreichend kritisches Bewusstsein zu zeigen.[121]

Die Union selbst beschränkt sich dagegen darauf, schrittweise einheitliche Mindeststandards für Beschuldigtenrechte in Strafverfahren festzuschreiben. Auf einen Fahrplan zur Erreichung dieses Ziels haben sich die Justizminister der Europäischen Union bereits am 23.10.2009 geeinigt.[122] Nach Angaben des Bundesjustizministeriums haben sich die Minister zudem auf einen Rahmenbeschluss verständigt, der das Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung in Strafverfahren garantiert.[123]

Das Primärrecht selbst normiert in Kapitel VI der Grundrechtscharta nur die zentralen Grundsätze des europäischen Verfahrensrechts:[124] Kapitel VI der Grundrechtscharta vereint in den Art. 47 ff. unter der Kapitelüberschrift "Justizielle Rechte" (in der englischen Textfassung: "Justice") höchst unterschiedliche Einzelverbürgungen: Konkret das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, auf ein unparteiisches Gericht und auf Prozesskostenhilfe (Art. 47), die Garantie der Unschuldsvermutung und von Verteidigungsrechten (Art. 48), die Grundsätze "nullum crimen, nulla poena sine lege" und der Verhältnismäßigkeit von Strafen (Art. 49) sowie das Verbot mehrfacher Strafverfolgung (Art. 50). Einzelfragen zu diesen Grundsätzen wie etwa der Rechtsschutz gegen behördliche Akte der Europäischen Union[125] oder Umfang und Voraussetzungen des Verbotes mehrfacher Strafverfolgung[126] müssen an dieser Stelle offen bleiben.

VI. Zusammenfassung: Konzept einer Europäisierung des Strafrechts unter nationalstaatlicher Mitverantwortung

Mit dem Vertrag von Lissabon erreicht die Europäische Strafrechtsintegration eine neue Stufe. Das Primärrecht enthält nun ein erfreulich klares, rechtstheoretisch zustimmungsfähiges[127] und für die Zukunft belastbares kriminalpolitisches Programm, wie die weitere Strafrechtsintegration verlaufen soll: Der Vertrag von Lissabon etabliert das kriminalpolitische Konzept einer Europäisierung des Strafrechts unter nationalstaatlicher Mitverantwortung. Im Vordergrund steht der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der durch verschiedene Kompetenzen zur Harmonisierung der nationalen Straf- und Strafverfahrensrechte ergänzt wird. Die eigenen Tätigkeiten der Union beschränken sich auf vornehmlich administrative und koordinierende Aktivitäten sowie einen kleinen Kern supranationaler Strafgewalt in Form einer Europäischen Staatsanwaltschaft und eines europäischen (Wirtschafts)Strafrechts zum Schutz der finanziellen Interessen der Union. Die Beschuldigtenrechte sind - im Sinne des unionsrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatzes - in erster Linie auf der Ebene der nationalen Verfahrensrechte zu gewährleisten; folgerichtig werden insoweit auch erst auf nationaler Ebene Freiheit und Sicherheit angemessen ausbalanciert werden müssen. Ein echtes und umfassendes "Europäisches Strafgesetzbuch"[128] gibt es in nächster Zukunft nicht.


[1] Zum Vertrag von Lissabon im Ganzen mit deutlicher Orientierung am Entstehungsprozess des Vertrags Lieb/Maurer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, Kurzkommentar, 3. Aufl., Berlin (2009); Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, Baden-Baden, 2009.

[2] Die offizielle Bezeichnung des Lissabon-Vertrages lautet "Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft" (ABl. EU 2007 Nr. C 306/1). Einen Vergleich des Lissabon-Vertrages mit dem gescheiterten Verfassungsentwurf gibt Richter EuZW 2007, 631, allgemein zum Vertragswerk Hatje/Kindt NJW 2008, 1761; zu den strafrechtsspezifischen Änderungen Heger ZIS 2009, 406.

[3] Maurer, in: Lieb/ders. (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon (Fn. 1), S. 10 ff.

[4] Die Rechtsakte, die im Bereich der PJZS vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon auf der Grundlage der alten Art. 29 ff EUV angenommen wurden, behalten gem. Art. 9 Protokoll über die Übergangsbestimmungen vom 13. Dezember 2007 (ABl. EU 2007 Nr. C 306/157) so lange Rechtswirkung, bis sie nach dem neuen Recht aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden.

[5] Damit einher geht eine - im Unterschied zu Art. 35 EUV a. F. - grundsätzlich umfassende Rechtsprechungsgewalt des EuGH.

[6] Heger ZIS 2009, 406, 408.

[7] BVerfG NJW 2009, 2267, 2287, Rn. 352 m. Anm. Terhechte EuZW 2009, 724; Schorkopf EuZW 2009, 718; speziell zu den strafrechtsbezogenen Aussagen des Urteils Ambos/Rackow ZIS 2009, 397; Folz ZIS 2009, 427; Schünemann ZIS 2009, 393

[8] BVerfG NJW 2009, 2267, 2274, Rn. 249, 252, 253; 2287, Rn. 352 ff.

[9] BVerfG NJW 2009, 2267, 2274, Rn. 253.

[10] BVerfG NJW 2009, 2267, 2287, Rn. 355.

[11] BVerfG NJW 2009, 2267, 2287, Rn. 355.

[12] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 358.

[13] Terhechte EuZW 2009, 724, 725 bescheinigt dem BVerfG, den Konflikt zwischen Karlsruhe und Luxemburg "dramatisch zugespitzt" zu haben.

[14] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 358.

[15] Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. Berlin, 2007, § 1 Rn. 10 m. w. N.

[16] Zu diesen zentralen Fragen der europäischen Kriminalpolitik stellvertretend Jescheck, FS f. Eser (2005), S. 991, 996 ff. Ansätze zu einer Theorie für eine Europäische Kriminalpolitik lassen sich auch aus den Überlegungen von Frisch GA 2007, 250 (263 ff.) entwickeln.

[17] Hailbronner, in: Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 362 (362).

[18] Näher insoweit Frisch GA 2007, 250, 271 f.

[19] Ebenso Hailbronner, in: Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 362, 362; auch wenn in verschiedenen Stellungnahmen zum Lissabon-Vertrag (etwa in BVerfG NJW 2009, 2267, 2287 ff., Heger ZIS 2009, 406, 409 f.) diesem Programm und den daraus folgenden Leitlinien freilich insgesamt wenig Bedeutung beigemessen wird.

[20] Zur Konkretisierung dieser kriminalpolitischen Vorgaben siehe den Entwurf eines Mehrjahresprogramms für einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger (Stockholmer Programm), Ratsdok. 14449/09.

[21] Konkret reichen mögliche Themenfelder etwa von Fragen der Strafbarkeit im Internet angebotener Glückspiele bis hin zu solchen des Umgangs mit Sportbetrug oder Fragen des Einsatzes von Strafrecht im Bereich der modernen Medizin oder der Gentechnik. Weiter Felder benennt etwa Fuchs ZStW 116 (2004), 368, 368 f.

[22] Zum Ursprung der Idee der Strafrechtsintegration durch die gegenseitige Anerkennung in der Forderung des europäischen Rates auf seiner Sondertagung in Tampere 1999 vgl. Mitteilung der Kommission K OM/2000/0495 endg .

[23] Zur Diskussion stellvertretend Fuchs ZStW 116 (2004), 368, 368 f.; Gleß ZStW 116 (2004), 353, 356; Meyer GA 2007, 15, 24 ff.

[24] Walter ZStW 117 (2005), 912, 916 weist mit Recht darauf hin, dass die "Unterschiede" in den Traditionen gewahrt bleiben sollen.

[25] Ähnlich zur abgelehnten EU-Verfassung Weigend ZStW 116 (2004), 275, 277: "einseitige Zielbeschreibung"; aufgrund einer Analyse des bisherigen Gesetzgebungsprogramms kritisch auch Schünemann GA 2004, 193 (197).

[26] Zu entsprechenden Tendenzen in den Nationalstaaten siehe die transnationale Untersuchung von Frisch GA 2009, 385, 390 ff.

[27] So etwa Wilms, in: Hailbronner/ders., Recht der Europäischen Union - Kommentar, 2. Aufl. (2009), Art. 29 Rn. 5.

[28] Vgl. Wilms, in: Hailbronner/ders., Recht der Europäischen Union - Kommentar, Art. 29 Rn. 6.

[29] Begriffsprägend Jakobs ZStW 97 (1985), 751, 757 ff. und ZStW 117 (2005), 839, 845 ff.; siehe mit umfassenden Hinweisen zu der mit diesen Begriffen verbundenen Diskussion Heinrich ZStW 121 (2009), 94, insbes. 101 ff.

[30] Zu dem unscharfen Begriff der organisierten Kriminalität Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, Berlin (2004), S. 50 ff., 57 ff., wonach die in Europa weithin akzeptierte Definition organisierte Kriminalität als "die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken," beschreibt. Kritisch zu diesem Begriff in diesem Zusammenhang auch Schünemann GA 2004, 193, 195.

[31] Siehe auch Heger ZIS 2009, 406, 408.

[32] Heger ZIS 2009, 406, 408.

[33] Näher zur Einschränkung der Anwendung der Grundrechtscharta auf Polen und das Vereinigte Königreich das Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich vom 31. Dezember 2007 (ABl EU Nr. C 306/154).

[34] Siehe etwa die neuere Rechtsprechung des EuGH in den Urteilen Eugen Schmidberger Rs. C-112/00 vom 12. Juni 2003 = EuZW 2003, 592, Rn. 78 ff. mit Anm. Koch 598, wonach der EuGH in diesem Fall " erstmals eine umfängliche Konkordanzprüfung" von Grundrechten (konkret: Demonstrationsfreiheit) und Grundfreiheiten durchgeführt habe" sowie die sog. Laserdrome-Entscheidung Rs. C-36/02 vom 14. Oktober 2004 m. w. N. aus der Rechtsprechung in Ziff. 33. = EuZW 2004, 753, insb. 755 mit Anm. Bröhmer 757 ff., der betont, dass der vom EuGH zugestandenen "Generalvorrang des mitgliedstaatlichen Menschenwürdeverständnisses beträchtliche Auswirkungen haben kann" 756.

[35] So etwa Heger ZIS 2009, 406, 409.

[36] Hatje/Kindt NJW 2008, 1761, 1762.

[37] Heger ZIS 2009, 406, 409.

[38] Diem, in: FS f. Paulus, Würzburg (2009), S. 35, 47.

[39] Hailbronner, in: Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 362, 370; Heger ZIS 2009, 406, 411.

[40] Heger ZIS 2009, 406, 411 hält diese Vorschrift für "vollständig unbestimmt".

[41] Zu Abwesenheitsverurteilungen aus der Sicht verschiedener Jurisdiktionen Ahlbrecht, in: DAV AG Strafrecht (Hrsg.), Strafverteidigung im Rechtsstaat, Baden-Baden (2009), S.1055, 1059 ff.

[42] Nach Auffassung von BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 365 soll sich die konkretisierende Ausfüllung der Ermächtigungen nach Art. 82 Abs. 2 UA. 2d AEUV in der Bedeutung einer Vertragsänderung annähern. Damit wird das Potential dieser Vorschrift allerdings deutlich überschätzt.

[43] Schünemann GA 2004, 193, 199, daneben nennt er als weitere Gruppe "geborener Europadelikte" die Straftaten gegen Rechtsgüter der Europäischen Union; ähnlich Frisch GA 2007, 250, 268 f.

[44] Ebenso für die entsprechende Vorschrift in der gescheiterten EU-Verfassung Walter ZStW 117 (2005), 912, 926 f.; Diem, in: FS f. Paulus, (Fn. 38), S. 35, 45; für einen angesichts von UA. 3 nur exemplarischen Charakter der Aufzählung dagegen Meyer, in: FS f. Eser, München (2005), S. 797, 801.

[45] Kritisch in Bezug auf die einzelnen Kriminalitätsfelder für die entsprechende Vorschrift der gescheiterten EU-Verfassung Weigend ZStW 116 (2004), 276, 285 f.

[46] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 359.

[47] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 359.

[48] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 363.

[49] Bacigalupo ZStW 116 (2004), 326, 328, dessen Verweis auf von Liszts Ideen zu einem einheitlichen mitteleuropäischen Strafrecht (ZStW 38 [1917], 1, 7, 14 ff.) insgesamt zu pauschal, aber immerhin insoweit interessant sein dürfte, als dort auch das gesamte Wirtschaftsstrafrecht Gegenstand einer europäischen Harmonisierung sein sollte.

[50] Ebenso Diem, in: FS f. Paulus, (Fn.38), S. 35, 46.

[51] Heger ZIS 2009, 406, 412.

[52] Hecker JA 2002, 723, 724 nennt etwa grenzüberschreitende Kfz-Verschiebungen, Verstöße gegen das Lebensmittel- und Arzneimittelrecht und illegalen Mülltourismus.

[53] Auf einen solchen Spielraum weist mit Recht Schünemann GA 2004, 193, 199 hin.

[54] So für die entsprechende Vorschrift in der gescheiterten Verfassung Walter ZStW 117 (2005), 912, 926.

[55] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 363.

[56] Heger ZIS 2009, 406, 412.

[57] In diesem Sinne auch die Einschätzung von Schünemann GA 2004, 193, 195 zur entsprechenden Regelung im VVE

[58] Näher zu diesem Rahmenbeschluss Mansdörfer Jura 2004, 297, 297 ff.

[59] EuGH EuZW 2005, 632, kritisch dazu Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 3. Aufl., Baden.-Baden (2009), § 8 Rn. 41 ff.; Hefendehl ZIS 2006, 161 ff.; Kaifa-Gbandi ZIS 2006, 523 ff; Pohl ZIS 2006, 213. Braum wistra 2006, 121 ff.; zu entsprechenden Vorstößen seitens der Kommission im Vorfeld der EuGH-Entscheidung Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, Berlin, 2002, S.190 ff.; ausführlich zu der nach dieser Entscheidung ergangen Richtlinie zum Schutz der Umwelt (ABl. EU 2008 Nr. L 328/28 vom 6. Dezember 2008) durch das Strafrecht Zimmermann ZRP 2009, 74.

[60] EuGH NStZ 2008, 703 m. Anm. Zimmermann NStZ 2008, 662.

[61] Ebenso Zimmermann NStZ 2008, 662, 665; Heger ZIS 2009, 406, 413.

[62] BVerfG NJW 2009,2267, 2288, Rn. 361.

[63] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 361.

[64] Zimmermann NStZ 2008, 662, 665.

[65] Heger ZIS 2009, 406, 409.

[66] Walter ZStW 117 (2005), 912, 928.

[67] BVerfG NJW 2009, 2267, 2288, Rn. 362.

[68] Ablehnend gegenüber dieser Neigung des EuGH bereits Mansdörfer StV 2003, 313, 315.

[69] So zu den entsprechenden Regelungen im VVE Weigend ZStW 116 (2004), 275, 288; Walter ZStW 117 (2005), 912, 918; zu Art. 325 AEUV trotz aus Art. 82 Abs. 3, 83 Abs. 3 AEUV abgeleiteter systematischer Bedenken auch Heger ZIS 2009, 409, 416.

[70] Dazu ausführlich Walter ZStW 117 (2005), 912, 916 ff.; Weigend ZStW 116 (2004), 275, 288.

[71] Stellvertretend zu dieser Diskussion Satzger, Europäisierung des Strafrechts, München, (2001), S. 138 ff. m. w. N.

[72] Ebenso Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 8 Rn. 64; ders. KritV 2008, 17, 25; Diem, in: FS f. Paulus, (Fn. 38), S. 35, 50.

[73] Walter ZStW 117 (2005), 912, 918 f.

[74] In diesem Sinn auch Heger ZIS 2009, 406, 416 "nicht einmal ein originäres EU-Rechtsgut betroffen".

[75] Zu den verschiedenen Dimensionen moderner Kriminalprävention Göppinger, Kriminologie, 6. Aufl., München (2008), § 30 Rn. 17 ff.

[76] Göppinger, Kriminologie (Fn. 75), § 30 Rn. 17.

[77] Hailbronner, in: Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 362 (371).

[78] Vgl. Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (SubsidProt, ABl. C 2007 306/148); Becker, in: Lieb/Maurer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, S. 12 (12).

[79] Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon vom 21.8.2009 (BT-Drs. 16/13924).

[80] Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, (Fn. 71), S. 166 ff.; BVerfGE 113, 273 (299); Heger ZIS 2009, 406 (410).

[81] In diesem Sinn bereits zur früheren Rechtslage Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, (Fn. 71), S. 170.

[82] Ein - im Einzelnen freilich diskussionsbedürftiger - Versuch zur Beschreibung dieses Kerns findet sich bei Heger ZIS 2009, 406, 414, der für das deutsche Recht das Rechtsguts- und das Schuldprinzip, das Rückwirkungsverbot, das Bestimmtheitsgebot, die Wortlautschranke, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder das Fehlen einer Kriminalstrafbarkeit juristischer Personen nennt und im Übrigen etwa Mindeststrafen, die lebenslange Freiheitsstrafe, das Verhältnis von Kriminal- und Administrativstrafrecht anführt.

[83] Zur Bedeutung der Vertrautheit und Akzeptanz von Normen als Voraussetzungen der Wirksamkeit von Recht speziell im Zusammenhang mit der Europäisierung des Strafrechts stellvertretend Frisch GA 2007, 250, 263 ff.

[84] In diesem Sinn auch BVerfGE 113, 273, 299.

[85] Ebenso Schünemann KritV 2008, 6, 12 "wesentlich verbessert".

[86] Pernice EuZW 2008, 65.

[87] Näheres ist für das deutsche Recht in den beiden Gesetzen zur Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung (EUZBBG, BT-Drs.16/13925) und zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern (EUZBLG, BT-DRs. 16/13926) vom 21.8.2009 gereget.

[88] Siehe etwa die Begriffsverwendung bei Kietz/Parkes, in: Lieb/Maurer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 79, 82; Heger ZIS 2009, 406, 413 ff.

[89] Heger ZIS 2009, 406, 413.

[90] Diem, in: FS f. Paulus, (Fn. 38), S. 35, 44. 

[91] Einzelheiten der Verstärkten Zusammenarbeit regeln die Artt. 20 EUV, 326 ff. AEUV.

[92] Heger ZIS 2009, 406, 411.

[93] Heger ZIS 2009, 406, 411, 417.

[94] Vgl. dazu Sacco, Einführung in die Rechtsvergleichung, Baden-Baden, 2001, Kap. 6 § 1 Rn. 3; abzulehnen ist demgegenüber die Auffassung von Satzger KritV 2008, 17, 27, das Notbremseverfahren dürfe auch zur Ausübungen politischen Drucks gebraucht werden, wenn die Grundsätze deutscher "Kriminalpolitik" betroffen würden.

[95] Vgl. Ebert, Rechtsvergleichung, Bern, 1978, § 59.

[96] Siehe dazu auch Schünemann KritV 2008, 6, 8.

[97] So für den Bereich der allgemeinen Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Zivilrechts, 3. Aufl., Tübingen, 1996, S. 8.

[98] BVerfG NJW 2009, 2267, 2289, Rn. 365.

[99] BT-Drs. 16/13923.

[100] So etwa Radtke GA 2004, 1, 1.

[101] Heger ZIS 2009, 406, 416 bezweifelt, dass schon bald die für die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft erforderliche Einstimmigkeit im Rat erreicht werden kann. Jedoch kann Art. 86 Abs. 3 AEUV eine Gruppe von neuen Mitgliedstaaten die Europäische Staatsanwaltschaft im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit einführen. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 21 sieht die Realisierung dieses Projekts dagegen "nicht in weiter Ferne" liegen.

[102] Kietz/Parkes , in: Lieb/Maurer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 79, 85.

[103] Hailbronner, in: Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 362, 371.

[104] Unter anderem wegen der Gefahr positiver Kompetenzkonflikte mit nationalen Staatsanwaltschaften strikt gegen eine entsprechende Ausweitung der Kompetenzen der Europäischen Staatsanwaltschaft Heine, H., Die Rechtsstellung des Beschuldigten im Rahmen der Europäisierung des Strafverfahrens, Frankfurt (2009), S. 218.

[105] Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (KOM[2001]715 endg.), dazu ausführlich die Studie von Biehler/Gleß/Parra/Zeitler, Analyse der Grünbuchs zum Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, Freiburg (2002).

[106] Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen vom 18. Dezember 2008, ABl. EU 2008 Nr. L 350/72; zu Differenzen in der Konzeption des Rahmenbeschlusses und derjenigen des Grünbuchs zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, (Fn. 59),§ 9 Rn. 22 f. u. 36 f.

[107] Näher dazu Hecker, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines Europäischen Beweisrechts, Tübingen (2007), S. 27, 32 f.

[108] Zu diesen Mindestanforderungen Esser, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines Europäischen Beweisrechts, (Fn. 107), S. 39, 41 ff.

[109] Vor diesen Gefahren warnen etwa Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 9 Rn. 36; Biehler/Gleß/Parra/Zeitler, Analyse der Grünbuchs zum Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, (Fn. 105), S. 31 f.

[110] Zur übergeordneten Bedeutung des "fair trial"-Grundsatzes in diesem Zusammenhang Gleß, Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung, Baden-Baden, 2006, S. 198 ff.; zu den mit der Anwendung der EMRK verbundenen Kontrollmöglichkeiten Gaede ZStW 115 (2003), 845, 863 ff. und umfassend Haase, Die Anforderungen an ein faires Gerichtsverfahren auf europäischer Ebene, Taunusstein (2006), D (S. 277-452) .

[111] Einführend aus dem neueren deutschen Schrifttum nur Gleß, Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung, Baden-Baden (2006); Heine, H., Die Rechtsstellung des Beschuldigten im Rahmen der Europäisierung des Strafverfahrens, Frankfurt (2009); Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines Europäischen Beweisrechts, Tübingen (2007).

[112] Siehe etwa Diem, in: FS f. Paulus (Fn. 38), S. 35, 48.

[113] Kritisch dazu Radtke GA 2004, 1, 6, 16 ff., der dieses Modell - zu Unrecht - für "nicht tragfähig" (S. 16) hält. Perron ZStW 112 (2000), 202, 222 ff. plädiert dafür, dieses Modell einer Europäischen Staatsanwaltschaft nur als einen Schritt zu einem "gesamten europäischen Strafverfahren" zu begreifen.

[114] In diese Richtung auch EuGH Rs. C-303/05 vom 13.07.2007 Rz. 59 (Europäischer Haftbefehl) m. Anm. Tinkl ZIS 2007, 419 ff.

[115] Zu den drei bisher vorgeschlagenen - hier aber abgelehnten - großen Lösungsmodellen Hecker, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines Europäischen Beweisrechts, S. 27, 35 ff.

[116] Insoweit wenig überzeugend Vogel/Matt StV 2007, 206, 211 f.; Wehnert, DAV AG Strafrecht (Hrsg.), Strafverteidigung im Rechtsstaat, S. 1090, 1094.

[117] Einen Einblick in die Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen geben Radtke GA 2004, 1, 18; Hecker, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines Europäischen Beweisrechts, (Fn. 107), S. 27, 34 f.; Perron ZStW 112 (2000), 202, 219 f.; für ein Primat nationaler Lösungsmodelle im Grundsatz und unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR auch Esser, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines Europäischen Beweisrechts, (Fn. 108), S. 39, 43 ff.

[118] Gleß ZStW 116 (2004), 353 (353: "Schlüsselstellung").

[119] Stellvertretend für die Kritik am Prinzip der gegenseitigen Anerkennung Schünemann GA 2004, 193, 202 ff.

[120] In diesem Sinn auch Esser, in: Marauhn (Hrsg.), Bausteine eines Europäischen Beweisrechts, (Fn. 108), S. 39, 43 ff.

[121] Eine nähere Systematik spezieller Beweisverwertungsverbote in transnationalen Strafverfahren kann an dieser Stelle nicht entwickelt werden, sodass hier weiterführend nur auf die Begründung von Beweisverwertungsverboten im Sinne der allgemeinen Abwägungslehre verwiesen werden kann. Siehe dazu stellvertretend BGHSt 51, 285, 290; 44, 243, 249; OLG Bamberg NJW 2009, 2146, 2148; OLG Hamburg NJW 2008, 2597, 2599; LG Berlin DAR 2008, 534.

[122] Näher dazu Beck-online, Beck aktuell "becklink 291789"

[123] Näher zum Recht auf einen Dolmetscher in Strafverfahren in der EU als einem einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Unterschied zu einem Recht auf einen Dolmetscher als einem "Fremdenrecht" Mansdörfer, in: Aranguena Fanego (Hrsg.), Procedural Safeguards in Criminal Proceedings throughout the European Union, Valladolid (2007), S. 231 ff.

[124] Dazu und zum Folgenden ausführlich die Kommentierung von Eser, in; Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl., Baden-Baden, 2006.

[125] Hailbronner, in: Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, (Fn. 1), S. 362, 371. Beispielhaft für entsprechende Defizite ist etwa der unzureichende Rechtsschutz gegen ungerechtfertigte Eintragungen in grenzüberschreitende Informationssysteme (vgl. Artt. 96, 109 SDÜ).

[126] Dazu stellvertretend Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im Europäischen Strafrecht, Berlin, 2004.

[127] Dazu eingehend Frisch GA 2007, 250, 261 ff.

[128] So etwa die Vision von Sieber, in: GS f. Schlüchter, Köln (2002), S. 107 (111 ff., 114).