HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2009
10. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Wo beginnt die Strafbarkeit desjenigen, der irrtümlich eine "irrtümliche" Selbstgefährdung ermöglicht?

Anmerkung zu BGH 1 StR 518/08 v. 29. April 2009 (HRRS 2009 Nr. 482); zugleich zur Reichweite von BGHSt 32, 262 und zur Einschränkung bei der Überlassung von Drogen.

Von Prof. Dr. Susanne Walther LL.M., Köln

I. Sachverhalt

Der 1. Strafsenat des BGH hat in der vorliegenden Entscheidung, die zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen ist, die Revision des Angeklagten, der vom LG Ellwangen u.a. wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) durch Überlassen von Drogen verurteilt worden war, verworfen. Interessanterweise hatte nicht nur die Verteidigung, sondern auch der Generalbundesanwalt beantragt, insoweit die Strafbarkeit entfallen zu lassen.

Der Entscheidung liegt nach den Feststellungen ein einfacher Sachverhalt zugrunde: Der später Verstorbene wollte mit einem Bekannten gemeinsam Kokain konsumieren. Er wandte sich deshalb an den Angeklagten, von dem er wußte, dass man von ihm Kokain erhalten konnte. Der Angeklagte holte aus seinem Vorrat Rauschgift und händigte es den beiden Kunden aus. Ihm war jedoch in diesem Moment nicht bekannt, dass es sich nicht – wie er annahm – um Kokain (oder eine Kokainmischung) handelte, sondern um sehr viel gefährlicheres[1]) reines Heroin. Die Ursache für die Fehlannahme des Angeklagten konnte beim Lieferanten des Rauschgifts gelegen haben, oder auf einer Verwechslung bei Herausnahme aus seinem Vorrat beruhen.

II. Die Entscheidung des 1. Strafsenats

Die Entscheidung des Senats trägt den amtlichen Leitsatz: "Zu der die Art und Zusammensetzung eines Betäubungsmittels betreffenden Sorgfaltspflicht desjenigen, der diese einem anderen unerlaubt zum unmittelbaren Verbrauch überlässt". Ein Leitsatz zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche bei Ermöglichung einer Selbstgefährdung fehlt indessen, obwohl der Senat Grund dafür gehabt hätte; dies schon deshalb, weil der Generalbundesanwalt ins Feld geführt hatte, der Angeklagte habe lediglich an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung des Opfers teilgenommen und sich daher nicht nach § 222 StGB strafbar gemacht. Dass die Entscheidung das sogenannte "Prinzip der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung" betreffen konnte, ergab sich – wie der Generalbundesanwalt vorbrachte – daraus, dass derjenige, der Rauschgift konsumiert, regelmäßig ein Risiko eingeht – nämlich dasjenige einer "zu hohen Dosierung" sowie des Zusichnehmens zusätzlicher unbekannter gesundheitsgefährdender Stoffe.

Dementsprechend geht der 1. Strafsenat auch – allerdings nur kursorisch – auf seine im Jahre 1984 in BGHSt 32, 262 begründete Rechtsprechung ein (jener Fall ist als "Heroinspritzen-Fall" in die Annalen eingegangen). Damals wurde unter Verweis auf die "gesetzgeberische Wertentscheidung" postuliert, dass weder die Selbsttötung noch die Selbstverletzung "tatbestandsmäßig" sind; weshalb weder Anstiftung noch Beihilfe möglich seien ("Teilnahmeargument"). Die Argumentation ging dann weiter dahin, dass aufgrund der "Tatbestandslosigkeit" auch der Selbstgefährdung– aus Gründen der "Widerspruchsfreiheit des Rechts" und aufgrund der Wahrung des in §§ 15, 18 StGB zum Ausdruck kommenden "Stufenverhältnisses der Schuldformen" – deren fahrlässige Mitverursachung in Gestalt von "Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung" nicht strafbar sein könne, sofern die Selbstgefährdung "eigenverantwortlich" erfolgt ("Wertungsargument").[2] Während das erstgenannte Argument auch der herrschenden Lehre entspricht,[3]

kann man dies für das "Wertungsargument" nur noch eingeschränkt behaupten; es wird zunehmend in Frage gestellt. [4] Dem ist hier aber nicht weiter nachzugehen. Festzuhalten ist vielmehr, dass aus BGHSt 32, 262 und den Nachfolgeentscheidungen[5] drei bedeutsame Konsequenzen folgten: Zum ersten wurde die Figur einer "Nichtanwendbarkeit" von § 222 StGB kreiert, weil in Fällen der "eigenverantwortlichen Selbstgefährdung" schon gar keine Tat vorliege.[6] Daraus ergab sich – zwanglos – die zweite Konsequenz, dass die "Anwendbarkeit" des "Prinzips der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung" von den Gerichten abweichend vom üblichen Prüfungsschema bei Fahrlässigkeitsdelikten vorgängig zu prüfen und auf Sorgfaltspflichtverletzungen gar nicht einzugehen war. Zum dritten folgte schließlich, dass die Strafbarkeit des Mitwirkenden erst dort beginnen konnte, wo er "kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende."[7]

III. Analyse

Inwieweit der 1. Strafsenat hier noch an diesen Konsequenzen festhält, muß in Frage gestellt werden. Nicht nur, dass schon die Abfassung des Leitsatzes Zweifel erweckt: Die Grundsätze aus BGHSt 32, 262 werden dort in keiner Weise aufgegriffen. Wer anhand von amtlichen Leitsätzen nach einer BGH-Entscheidung zur Eigenverantwortlichkeit sucht, wird die Vorliegende nicht finden. Hinzukommt, dass in den Entscheidungsgründen jene Passage aus BGHSt 32, 262, 265, in der es um den Maßstab des "Beginnens" der Strafbarkeit des Beteiligten geht – "überlegenes Sachwissen" – nicht bekräftigt, sondern schlicht ausgelassen wird. Vielmehr wird nun ein Sorgfaltsmaßstab angelegt. Der Weg dorthin ist freilich alles andere als transparent. Offenbar wollte der 1. Strafsenat die Frage nach der Zukunft von BGHSt 32, 262 irgendwie umschiffen.

Der Senat beginnt mit der Aussage, die Straflosigkeit eines Beteiligten setze voraus, dass der andere sich "frei und eigenverantwortlich gewollt" gefährdet;[8] und die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses begrenze die Strafbarkeit<.[9] Dass es an einem solchen Selbstgefährdungsentschluss fehlt in Fällen einer Intoxikationspsychose oder einem die "Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum" [10], ist sicherlich richtig. Diesbezüglich hätte der 1. Strafsenat indessen eine Gelegenheit gehabt klarzustellen, dass auf solche Sachverhalte die Grundsätze aus BGHSt 32, 262 gar nicht anwendbar sind. Denn jener Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Rechtsgutsträger eine eigenverantwortliche (richtig wohl: freiverantwortliche) Selbstgefährdung "gewollt und bewirkt" hat[11]; er hat "nur" das tatsächliche Ausmaß des Risikos verkannt. Von hier aus wäre zu fragen gewesen, ob der vorliegende Sachverhalt der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen war. Im Falle einer fehlenden Freiverantwortlichkeit des Entschlusses konnte BGHSt 32, 262 unberührt bleiben. Ist der Fall hingegen als "bloße" Verkennung eines (frei verantwortlich eingegangenen) Risikos zu deuten, so wäre vorliegend eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung im Schwange; denn auf der Grundlage "überlegenen Sachwissens" hätte der Angeklagte ja nicht verurteilt werden können. Für die Einordnung als "Verkennung des Risikos" könnte sprechen, dass der Drogenkonsument regelmäßig um ein Grundrisiko weiß. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass der Senat den vorliegenden Sachverhalt – unter dem Begriff des "rechtserheblichen Irrtums"[12] – der Kategorie der Unfreiheit des Selbstgefährdungsentschlusses zugeschlagen hat. Das erscheint richtig. Der tiefere Grund liegt darin, dass die Art des Risikos (reines Heroin) in seiner Gefährlichkeit eine völlig andere war als diejenige, auf die sich der Selbstgefährdungsentschluss des Opfers nur beziehen konnte (Kokain).

Ob die vorliegende Entscheidung folglich nur eine Ausklammerung, keine Abkehr von BGHSt 32, 262 bedeutet erscheint gleichwohl fraglich. Denn der Senat folgt in der

weiteren Argumentation jenen Literaturstimmen, die mehr oder weniger deutlich eine Abstandnahme von BGHSt 32, 262 befürworten. Namentlich wird auf Jähnke[13] und Hardtung Bezug genommen:[14] Jähnke hält zwar im Ausgangspunkt am "überlegenen Sachwissen" fest, lässt aber dafür schon (was unschlüssig erscheint) das "Erkennen-Können" (der "Mangelhaftigkeit" des Entschlusses) ausreichen;[15] und Hardtung vertritt, dass die Formel des "überlegenen Sachwissens" von vornherein nur für die Vorsatzstrafbarkeit stimme, für die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit aber, "eben weil es nur um einen Fahrlässigkeitsvorwurf geht", genügen müsse, dass der Mitwirkende "das Risiko bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt besser erfassen kann. [16] Übrigens ist auch bei Horn zu lesen, ob der Standpunkt der Rechtsprechung "nicht der Erweiterung in dem Sinne bedürfe, dass der an dem todbringenden Geschehen Beteiligte, der das Risiko tatsächlich nicht besser als der andere erkannt hat, gleichwohl wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen ist, wenn (und weil) er das Risiko besser als der andere hätte erfassen müssen und können". [17] Es bleibt also möglich, dass der 1. Strafsenat hier – durch den Leitsatz verdeckt – doch etwas gesät hat, was möglicherweise später aufgehen soll. Eines steht jedenfalls fest: Dem 1. Strafsenat ist es ersichtlich nicht um dogmatische Stringenz und feinsäuberliche Abgrenzungen gegangen (leider), sondern darum, in einem illegalen, besonders gefährlichen Verkehrskreis wie beim Umgang mit Betäubungsmitteln[18] (und speziell mit Heroin) Sorgfaltspflichten zu begründen, was das "handling" solcher Mittel angeht. Das ist natürlich bemerkenswert.

IV. Lösungsweg auf der Basis des Verantwortungsprinzips – kann BGHSt 32, 262 stehen bleiben?

War dies nun in der Sache richtig? Das ist zu bejahen; doch hätte ein so bedeutsamer Schritt eben doch einer tiefergreifenden Fundierung bedurft. In diesem Rahmen hätten dann auch die soeben genannten Zweifel, ob und inwieweit der 1. Strafsenat BGHSt 32, 262 künftig stehen lassen will oder nicht, ausgeräumt werden können. Eine solche tiefergreifende Fundierung – und bereichsorientierte Lösung – wäre, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, auf der Grundlage des Verantwortungsprinzips zu finden gewesen.

Dabei geht es um eine vernünftige Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen.[19] Diese vollzieht sich letztlich durch normative Zuweisung. Beim Eingehen von Risiken gilt, dass der Rechtsträger grundsätzlich die Verantwortlichkeit für die Folgen eigenen Handelns trägt. Mag man auch die Herleitungen, die der 1. Strafsenat seinerzeit in BGHSt 32, 262 zugrunde gelegt hat, mit den oben genannten Stimmen kritisieren: Richtig erscheint doch, dass es beim Prinzip der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung[20] – als einer Emanation des Verantwortungsprinzips – um den Aspekt der "Übernahme" des Risikos der Realisierung der Gefahr durch den sich selbst Gefährdenden geht. Dieses Risiko übernimmt er, soweit er das gefährliche Verhalten in seiner "möglichen Tragweite überblickt" (BGHSt 32, 262, 265). Diesem Gedanken der "Übernahme" ist indessen – weil es nicht um etwas vom Rechtsgutsträger tatsächlich (explizit oder konkludent) Erklärtes, sondern um ein normatives Konstrukt geht – immanent, dass er auf der begründeten Erwartung einer Übernahme beruht. Wer sich bewußt und gewollt einem in seiner "möglichen Tragweite überblickten" Risiko aussetzt, von dem kann mit Fug und Recht erwartet werden, dass er das Risiko der Realisierung der Gefahr selbst trägt. Insofern werden dann dem Rechtsgutsträger regelmäßig auch Selbstschutzaufgaben zugeschrieben. Eine solche wird man zunächst in dem Sinne annehmen dürfen, dass er möglichen (gesundheitsschädigenden oder tödlich verlaufenden) Weiterungen der eingegangenen Gefahr vorzu beugen hat. Zur "möglichen Tragweite" des Selbstgefährdungsentschlusses wird man aber auch rechnen müssen, dass der Rechtsgutsinhaber einer Fehleinschätzung des tatsächlichen Risikos unterliegt. Auch hiergegen muss er sich schützen. Freilich kann die dem Rechtsgutsträger zuzuschreibende Verantwortung immer nur soweit reichen, wie er nach den konkreten Umständen mit solchen Möglichkeiten zu rechnen hat. Letzteres wird man insoweit annehmen können, als es um die jeweils typischen Gefahren geht. Doch worin bestehen diese beim Drogenkonsum? Gewiss erstrecken sie sich darauf, dass – wie auch der Senat festhält – eine Droge "im Rahmen des Üblichen" einen höheren Wirkstoffgehalt aufweisen oder mit unbekannten beigemeng-

ten Stoffen versehen sein kann[21] und der Konsument insofern ein Risiko unterschätzt.

Nun ist es allerdings, wie der vorliegende Fall zeigt, auch "möglich", dass dem Überlassenden bei der Herausnahme aus seinem Vorrat eine Verwechslung unterläuft oder dass der Lieferant diesem statt Kokain reines Heroin geschickt hat. Muss der Konsument illegaler Drogen, weil er sich bewusst einem gefährlichen Milieu aussetzt, auch noch mit solchen extremen Risiken rechnen? Das hätte nach dem oben Gesagten die Konsequenz, dass man ihm zumutete, sich auch gegen solche Gefahren selbst zu schützen. Einmal abgesehen von der Frage, ob sich jedenfalls eine so weit gehende Verantwortungszuweisung zu den Wertungen des Betäubungsmittelgesetzes in unauflöslichen Widerspruch setzte:[22] Man kann vom Rechtsgutsinhaber nicht mehr erwarten, als er üblicherweise zu leisten im Stande ist (nemo ultra posse tenetur). Wie sollte ein Selbstschutz gegen Verwechslung praktisch aussehen? Der Konsument müsste die ausgehändigte Substanz eingehend prüfen, oder zunächst sehr vorsichtig ausprobieren. Das kann ihm aber – gerade bei den harten Drogen – schon aufgrund der typischen situativen und konstitutionellen Handlungsbedingungen nicht zugemutet werden. Die Schwierigkeiten ergeben sich schon daraus, dass es sich bei Kokain wie bei reinem Heroin um weisses Pulver handelt.[23] Der Erstkonsument wird diese Stoffe nicht unterscheiden können, weil er völlig unerfahren ist. Der Kokainsüchtige nicht, weil er nach dem Stoff verlangt und ihn sich ohne längeres Hinschauen zuführen wird. Diesbezüglich ist auch ein der Eigeninitiative überlassenes vorsichtiges Ausprobieren unrealistisch. Daraus folgt: Der Konsument darf sich zwar nicht darauf verlassen, dass in der ihm überlassenen Droge keinerlei gesundheitsgefährliche Beimischungen enthalten sind oder dass diese keinerlei erhöhten Wirkungsgrad aufweist als erwartet; er darf sich aber darauf verlassen, das seiner Art nach Verlangte und vom Überlassenden – ausdrücklich oder konkludent – auch Zugesagte zu erhalten. Insoweit gilt hier, mag es sich auch um einen illegalen Verkehrskreis handeln, ein Vertrauensgrundsatz. Eben darauf laufen die Gründe des Senats hinaus.[24] Entsprechendes wird man indessen – womit sich der Senat nicht zu befassen brauchte – auch dort sagen müssen, wo es – durch einen atypisch erhöhten Wirkungsgehalt oder durch besonders gefährliche Beimischungen – um ein ungewöhnlich erhöhtes Gesundheits- oder Lebensrisiko eines von den Parteien artgerecht eingestuften Betäubungsmittels geht (im Folgenden: fehlerhaftes Produkt). Auch hier erscheint es nicht adäquat, die aus solchen Stoffen resultierenden Gefahren in den Zuständigkeitsbereich des Konsumenten zu verweisen.

Eine Verwechslungsgefahr, wie auch die Gefahr, dass dem Konsumenten ein im hier definierten Sinne fehlerhaftes Drogenprodukt ausgehändigt wird, kann nach alledem nur in den Verantwortungsbereich desjenigen fallen, der die Droge überlässt. Aus dieser Zuständigkeitszuweisung folgen dann – mag es auch um einen illegalen Verkehrskreis gehen – ohne weiteres Verkehrspflichten, d.h. Sorgfaltspflichten beim "handling". Es ist daher richtig wenn der Senat dekretiert, dass eine Abwendung des Risikos, im Falle eines tödlichen Verlaufs nach § 222 StGB belangt zu werden, nur unter der Voraussetzung möglich ist, dass der Überlassende Prüfungspflichten wahrgenommen hat.

In diesem Punkt bleibt noch anzusprechen, dass der Revisionsführer sich auch nicht hätte hinter das Argument zurückziehen können, er habe seinerseits darauf vertrauen dürfen, dass er die vom Lieferanten bezogene artrichtige Droge erhalten habe (entsprechendes würde für die "fehlerfreie" Droge gelten). Einen entsprechenden Vertrauensgrundsatz desjenigen, der Drogen bei einem Lieferanten geordert hat, korrekte Produkte zu erhalten[25], kann es (wozu sich der Senat nicht ausgelassen hat) im Unterschied zum legalen Verkehr hier nicht geben. Denn natürlich existieren im Bereich des illegalen Verkehrs mit Betäubungsmitteln, anders als in legalen Industrien, keine rechtlich normierten Herstellungs-, Vertriebs- und Handelsabläufe, die ein solches Vertrauen des Belieferten rechtfertigen könnten.[26] Deshalb war es im vorliegenden Fall auch irrelevant, ob der Fehler beim Angeklagten oder beim Lieferanten lag.

Ein wesentlicher Punkt – den der Senat bedauerlicherweise gar nicht angesprochen hat – bleibt dann freilich noch ungeklärt: Wie soll die Prüfungspflicht bei der Überlassung von Betäubungsmitteln im Milieu praktisch umgesetzt werden? Das Problem des "Könnens" war ja schon auf der Konsumentenseite angesprochen worden. War das "Können" dort zu verneinen, so stellen sich die Dinge beim Überlassenden doch in einem etwas anderen Licht dar. Von ihm kann erwartet werden, dass er sich in Stande setzt, Kokain von reinem Heroin zu unterscheiden. Insofern könnte man sagen, dass er sich (soweit das Milieu es zulässt) eine Art Professionalität zulegen muss. Was dabei herauskommt, vermag ich nicht zu beurteilen. Problematisch werden die Dinge gewiss dann, wenn sichere Unterscheidungen nur anhand von Wirkungstests am eigenen Körper möglich sind. Besondere praktische Schwierigkeiten ergeben sich gewiss, wenn man – wie hier – akzeptiert, dass sich eine Prüfungspflicht auch auf die eventuelle Fehlerhaftigkeit eines artgerecht eingestuften Drogenprodukts erstreckt. Denn solche Fehler dürften im Milieu tatsächlich nur durch Ausprobieren aufzudecken sein. Kann aber die damit einhergehende Selbstgefährdung dem Überlassenden von Rechts wegen zugemutet werden? Erwägenswert wäre, die hier auftauchenden Untiefen dadurch zu mildern, dass man nicht praktikable Prüfungspflichten durch Warnpflichten abfängt.[27] Solche Warnpflichten dürften dann allerdings nicht, wie es im legalen Handelsverkehr der Fall ist, erst dann eingreifen, wenn sich eine Verwechslungsgefahr oder eine

Fehlerhaftigkeit des Produkts aufdrängt[28]; sie müssten vielmehr – angesichts der besonderen Gefahren gerade des Heroinkonsums – schon dann einsetzen, wenn derartige Umstände möglich sind. Gleichwohl bleibt die Frage der Adäquität: Sollte derjenige, der harte Drogen übergibt, auch extreme Gefahren über das Medium der Warnung auf den Konsumenten abwälzen dürfen?[29]

Die genannten Praktikabilitätsprobleme zeigen, dass die vom Senat insinuierte Analogie zur Prüfungspflicht von Apothekern und Ärzten zwar im Ansatz, in den Konsequenzen aber doch nur bedingt tragfähig ist. Zwar ist den zu vergleichenden Personengruppen gemeinsam, dass sie von einem Hersteller oder Vertreiber mit Drogen bzw. Medikamenten beliefert werden (und in aller Regel diese Mittel nicht selbst herstellen). Die Prüfungspflicht, die Apotheker und Ärzte bei der Aushändigung gelieferter Medikamente trifft ist indessen vergleichsweise leicht zu erfüllen. Apotheker prüfen, indem sie die Aufschrift des Medikaments nach Art und Stärke mit den Angaben auf dem eingereichten Rezept abgleichen; eventuell auch noch in der Weise, dass die Verpackung geöffnet und der Inhalt inspiziert wird. Ähnlich prüfen Ärzte (in einer Praxis oder Klinik), die ein Medikament an einen Patienten aushändigen, dieses applizieren oder injizieren.

Mit den wie hier beschriebenen Gefahren einer Verkennung des tatsächlichen Risikos (bzw. mit einem "rechtserheblichen Irrtum") hatte es der 1. Strafsenat in BGHSt 32, 262 nicht zu tun; denn damals wusste das spätere Opfer, dass es – wie erwartet – Heroin konsumierte. Dass sich in dem aufgekochten Stoff neben Heroin auch Koffein befand, änderte nichts an der Einschätzung, dass das Opfer die "mögliche" – nämlich nach Erfahrungsmaßstäben regelmäßig zu erwartende – Tragweite seines Verhaltens überblickte. Folglich bestand damals auch kein Anlass, den Maßstab des "überlegenen Sachwissens" unter dem Aspekt extremer Gefahren einzuschränken. Eine solche Einschränkung könnte jetzt bzw. künftig – aus dem Verantwortungsprinzip resultierend – (auch in einem Leitsatz) speziell auf den Betäubungsmittelbereich bezogen wie folgt formuliert werden:

"[Die Strafbarkeit kann erst dort beginnen, wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende.]Etwas anderes gilt, wenn jemand einem anderen ein Betäubungsmittel zum Konsum überlässt, das seiner Beschaffenheit nach mit einem anderen, viel gefährlicheren verwechselt werden, oder das durch Beimischung anderer Stoffe oder durch einen gesteigerten Wirkstoffgehalt ungewöhnlich gesundheits- oder lebensgefährlich sein kann. In solchen Fällen beginnt die Strafbarkeit des Beteiligten schon dann, wenn er bei Beachtung seiner Prüfungspflicht das tatsächliche Risiko besser hätte erfassen können. Dass der andere mit dem Konsum von Betäubungsmitteln, wie er weiß, regelmäßig ein Risiko eingeht, kann ihn nicht entlasten (Einschränkung des Prinzips der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung). Kann die Prüfungspflicht nicht oder nicht ausreichend erfüllt werden, so muss der das Mittel Überlassende den Konsumenten entsprechend warnen".

V. Resümee

Als Resümee darf festgehalten werden, dass die Entscheidung des 1. Strafsenats in dogmatischer wie in praktischer Hinsicht etliche Fragen aufwirft. Die Herleitung bleibt undeutlich und wenig fundiert; die Konsequenzen erscheinen wenig durchdacht. Was die Herleitung betrifft, so ist es nicht fernliegend, die Frage zu stellen, inwieweit die Rechtsprechung seit BGHSt 32, 262 künftig noch Bestand haben wird. Vermeidbar wäre eine Erschütterung, auf der Grundlage einer Abgrenzung von Verantwortungsbereichen, durch eine abgezirkelte Einschränkung des Eigenverantwortlichkeitsprinzips beim Umgang mit Betäubungsmitteln. Hinsichtlich der Konsequenzen ist ersichtlich, dass es dem 1. Strafsenat darum ging, in diesem illegalen Verkehrskreis, der eine ganze Gesellschaftsschicht bedroht, mit der Etablierung von Sorgfaltspflichten beim "handling" Neuland zu betreten. Solche Pflichten sollten sich indessen – über Verwechslungsgefahren hinaus – auch dort eingreifen, wo Fehleinschätzungen bezüglich atypischer Wirkstoffgehalte oder Beimischungen entstehen können. Hier wie dort streitet für den Konsumenten ein Vertrauensgrundsatz; für denjenigen, der Drogen überlässt, nicht. Der abschließende Befund lautet: Auch in einem illegalen Verkehrskreis kann es (sogar dringende) Reglementierungsbedürfnisse geben.


[1] Zu den spezifischen, extremen Gefahren des Heroinkonsums im Allgemeinen sowie zur gesteigerten Gefährlichkeit von "reinem" Heroin Körner, BtMG (6. Aufl. 2007), Anh. C 1 Teil 11, Rdn. 66f, Rdn. 57.

[2] BGHSt 32, 262, 264; wobei dort ungeklärt geblieben ist, wie die "Eigenverantwortlichkeit" näher zu definieren sein soll; vgl. zum Streitstand Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder, StGB (27. Auflage 2006), § 15 Rdn. 167; Eser aaO, vor § 211 Rdn. 36 m.w. Nachw., der indessen darauf verweist, dass eher von "Frei"-Verantwortlichkeit gesprochen werden müßte.

[3] S. nur Eser, in Schönke/Schröder (Fn. 2), vor § 211 Rdn. 35 m.w.Nachw. Es ist indessen nicht ohne Zweifel; vgl. z.B. die Nachweise bei Kühl, in Lackner/Kühl (26. Aufl. 2007), vor § 211 Rdn. 10. Zu den Zweifeln auch Walther, Eigenverantwortlichkeit und strafrechtliche Zurechnung (1991), S. 124 ff.

[4] Zur – noch – h. L. z.B. Kühl, Strafrecht AT (6. Aufl. 2008), 4/86 ff.; Kühl, in Lackner/Kühl (Fn. 3), vor § 211 Rdn. 12, jew. m.w.Nachw.; Eser (Fn. 2), vor § 211 Rdn. 35. Für die neuere Lehre z.B. Lenckner/Eisele (Fn. 3), im Anschluß an frühere einzelne Stimmen (u.a. Frisch, NStZ 1992, 1, 5; Walther,[Fn. 3], S. 73 ff., 123 ff.); Hardtung, in MüKo (1. Aufl. 2003), § 221, Rdn. 21 ("nur gefühliges Argument und noch kein "präzises Argument"). Instruktiv auch Puppe, in NK StGB (2. Aufl. 2005), vor § 13 Rdn. 184; sie meint, dass der Rückgriff speziell auf die Straflosigkeit der vorsätzlichen Suizidbeteiligung (schon im Ansatz) verfehlt sei, weil der Suizid einen "atypischen Fall" einer Disposition über das eigene Rechtsgut darstelle, "über deren Anerkennung die Rechtsordnung unsicher" ist; überzeugend erscheint weiter, dass die Selbstgefährdung gegenüber der Selbstverletzung kein Minus, sondern ein Majus sei, "weil die Selbstgefährdung per se noch keine Aufgabe des Interesses am Erhalt des Rechtsguts darstellt".

[5] Zu denen (was in BGHSt 32, 262 nicht zu entscheiden war) auch Fälle der Überlassung bzw. Abgabe von Drogen zählen; z.B. BGH NStZ 1985, 25 (Stechapfeltee); BGH NStZ 1985, 319 (Heroin); aus neuerer Zeit z.B. BGH NStZ 2001, 205 (Heroin) m. Anm. Hardtung.

[6] Für die "Reduktion des Anwendungsbereichs" von § 222 StGB auch Jähnke, in LK- StGB (12. Aufl. 2007), § 222 Rdn. 21.

[7] BGHSt 32, 262, 265; so auch die vom 1. Strafsenat vorliegend die in Bezug genommene Entscheidung des 3. Strafsenats in NStZ 1986, 266. Zu der Frage, ob es sich hierbei wirklich um einen Maßstab der Tatherrschaft handelt, s. Walther (Fn. 3), S. 171; aaO S. 177 habe ich, im Sinne eines Tatherrschaftsmaßstabs, gefordert dass zu dem überlegenen Risikowissen eine "determinierende Risikoförderung" hinzukommen müsse.

[8] Bezugnahme auf BGH NStZ 1985, 25, 26; BGH NStZ 1985, 319.

[9] Bezugnahme auf LK-Jähnke (Fn. 6), § 222, Rdn. 21.

[10] Der 1. Strafsenat verweist hier auf BGH NStZ 1983, 72 und BGH NStZ 1986, 266, 267.

[11] Dass die Grundlegung in BGHSt 32, 262 in Fällen, in denen es bereits an einem Entschluß zur Selbstgefährdung fehlt, in sich zusammenfallen muss, ergibt sich daraus, dass es nur dort, wo jemand eine – straflose – "(vorsätzliche) Tat gegen sich selbst" begeht, Sinn macht (oder machen kann), anhand von Akzessorietätsgrundsätzen einen "straflosen Teilnehmer" zu kreieren.

[12] LK-Jähnke (Fn. 6), § 221 Rdn. 21, auf den der Senat Bezug nimmt, nimmt einen "rechtserheblichen Irrtum" allerdings nicht nur bei andersartigen Risiken an, sondern generell bei Verkennung des Risikos.

[13] Oben. Fn. 12.

[14] MüKo-Hardtung (Fn. 4), § 222 Rdn. 22.

[15] LK-Jähnke (Fn. 6) StGB, § 222 Rdn. 21.

[16] MüKo-Hardtung (Fn. 4), § 221 Rdn. 22 (Hervorhebung Original), ders., NStZ 2001, 205 ff., 207; s. auch Herzberg JA 1985, 265, 270; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges (1988), S. 155. Dass man bei Mitwirkung an der Selbstgefährdung entweder auf Fährlässigkeitsmaßstäbe oder auf ein – über das "überlegene Sachwissen" hinausgehendes – Kriterium der Tatherrschaft abstellen kann (unter Befürwortung des letzteren) habe ich ausgeführt in Walther (Fn. 3), S. 172 ff.

[17] Horn, in SK-StGB (4. Aufl. 2009), § 212 Rdn.21a (Hervorhebung Original).

[18] Teilweise wird gefordert, auch bei § 222 StGB das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit von vorherein auszuschalten, und zwar aufgrund übergeordneter Schutzzwecke ("Volksgesundheit"), wie bei § 29 Abs. 3 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Ziff. 3 BtMG (BGHSt 37, 179, 181 f.); NK-Puppe (Fn. 4), vor § 13 Rdn. 189 f.; LK-Jähnke (Fn. 6), § 222 Rdn. 21, 11; Hardtung NStZ 2001, 206 ff., 208; zu der weiteren Kontroverse über das Für und Wider insbesondere einer einheitlichen Beurteilung Kühl (Fn. 4), 4/87 m.w.Nachw.

[19] Dazu, dass die Abgrenzung nach diesem Prinzip noch "in den Anfängen" steckt, s. Kühl (Fn. 4), 4/83 m.w.Nachw.

[20] Nach Jescheck/Weigend, Strafrecht AT (5. Aufl. 1996), ist bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung schon eine Sorgfaltspflichtverletzung ausgeschlossen; auch nach MüKo-Hardtung (Fn. 4), § 222 Rdn. 21 m.w. Nachw., ist die Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung grds. nicht pflichtwidrig ist; nach Lenckner/Eisele, in Schönke/Schröder (Fn. 2), vor § 13 Rdn. 92a liegt keine verbotene Gefahrschaffung vor. Andere ordnen das Prinzip der Kategorie der objektiven Zurechnung zu, vgl. Kühl (Fn. 4), 4/ 83 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT (37. Aufl. 2007), Rdn. 185 ff.; Zum Prinzip der Eigenverantwortung als "fundamentale rechtliche Ordnungsmaxime" Cramer/Heine, in Schönke /Schröder (Fn. 2), vor § 25 Rdn. 6 m.w.Nachw.

[21] HRRS Nr. 482 Rdn. 10.

[22] Zu der Auffassung, dass die (vollständige) Ablehnung des Eigenverantwortlichkeitsprinzips in BGHSt 37, 179 für den Bereich der §§ 29, 30 I Nr. 3 BtMG auch auf § 222 StGB durchschlagen müsse, z.B. NK-Puppe (Fn. 4), vor § 13 Rdn. 189 f.; Hardtung NStZ 2001, 208; weitere Nachweise zur Kontroverse bei Kühl (Fn. 4), 4/87 Fn. 230c.

[23] Weiß oder cremefarben; Körner (Fn. 1), Anh. C 1 Teil 34, Rdn. 170.

[24] HRRS 2009 Nr. 482, Rdn. 12.

[25] Für den legalen Verkehrskreis Cramer/Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder (Fn. 2) § 15 Rdn. 223a,

[26] Zur strafrechtlichen Produkthaftung Cramer/Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder (Fn. 2), § 15 Rdn. 223.

[27] Ob man zwar keine Prüfungspflicht, aber eine Warnpflicht bereits im Bereich des üblichen Gefahrenbereichs befürworten sollte sei hier dahingestellt.

[28] Zur Händlerhaftung Cramer/Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder (Fn. 2), § 15 Rdn. 224.

[29] Dass die bisherige Rechtsprechung eine solche Abwälzung (hinsichtlich hier sogenannter fehlerhafter Produkte) zulässt zeigt z.B. BGH NStZ 2001, 205 (Heroin).