HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2007
8. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

"Big brother is watching you" - Der Kontenabruf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Rezension der Entscheidung BVerfG 1 BvR 1550/03, 2357/04, 603/05 vom 13. Juni 2007 = BVerfG HRRS 2007 Nr. 648

von Rechtsanwalt Dr. Christian-Alexander Neuling, München und Hamburg[*]

I. Einführung

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes hat in seiner mit Spannung erwarteten Hauptsacheentscheidung[1] zum automatisierten Abruf von Kontoinformationen festgestellt, § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Kreditwesen (nachfolgend: KWG)[2] - automatisierter Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke - und § 93 Absatz 7 der Abgabenordnung (nachfolgend: AO)[3] - Kontenabruf für Besteuerungszwecke - seien mit dem Grundgesetz vereinbar.

Demgegenüber verstoße § 93 Absatz 8 AO[4] - Kontenabruf für andere [5] Zwecke - gegen das Gebot der Normenklarheit, weil die Vorschrift den Kreis der Behörden, die ein Ersuchen zum automatisierten Kontenabruf stellen können, und die Aufgaben, denen derartige Ersuchen dienen sollen, nicht hinreichend bestimmt festlege.

Gleichwohl führe die Verfassungswidrigkeit von § 93 Absatz 8 AO nicht zu dessen Nichtigkeit; die Norm bleibe vielmehr bis zur verfassungsgemäßen Neuregelung mit der Maßgabe anwendbar, dass automatisierte Kontenabrufe nur zu dem Zweck zulässig seien, die Berechtigung für Sozialleistungen zu prüfen, die in Nummer 3.2 Satz 1 Buchstabe a) bis g) des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 93 in seiner am 10. März 2005 geänderten Fassung abschließend aufgezählt seien. Für eine Neuregelung hat das Gericht dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Mai 2008 bestimmt.

Die vorliegende Rezension dieses Beschlusses gliedert sich folgendermaßen: Zunächst werden die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften vorgestellt, welche die Kontenabruf-Verfahren regeln ( II. ); diesen Verfahren liegen sehr umfangreiche, unübersichtliche Regelungsmechanismen zugrunde, deren feinen Unterschiede von großer Bedeutung sind. Sodann werden die wesentlichen Beschlussgründe dargestellt und kritisch gewürdigt ( III. ). Schließlich erfolgt eine Schlussbetrachtung ( IV. ).

II. Die Kontenabruf-Verfahren: ein legislatorisches Labyrinth

Der automatisierte Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke wird in § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 KWG geregelt ( 1. ). Die §§ 93 Absatz 7 in Verbindung mit § 93b Absatz 1 AO (in Verbindung mit § 24c Absatz 1 KWG) stellen die einschlägigen Vorschriften für Kontenabrufe für Besteuerungszwecke dar ( 2. ). Die §§ 93 Absatz 8 in Verbindung mit § 93b Absatz 1 AO (in Verbindung mit § 24c Absatz 1 KWG) bilden schließlich die - verfassungswidrige - Rechtsgrundlage für Abrufe für andere Zwecke ( 3. ).

1. Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke

§ 24c KWG wurde durch Artikel 6 Nummer 23 des sog. "Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes" [6] in das KWG eingefügt; die Vorschrift ist am 1. April 2003 in Kraft getreten[7]. Die Vorschrift soll u.A. - sicherlich angesichts der katastrophalen Ereignisse am 11. September 2001 - dazu dienen, die finanziellen Strukturen des internationalen Terrorismus aufzuspüren.[8]

§ 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG normiert die Voraussetzungen, unter denen der automatisierte Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke erfolgen darf ( a ). § 24c Absatz 1 KWG regelt hingegen die Schaffung und Bereitstellung einer Datei, dessen Daten abgerufen werden ( b ).

a) Voraussetzungen

Der automatisierte Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke unterliegt den folgenden Voraussetzungen:

  • Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (nachfolgend: BaFin) erteilt
  • auf Ersuchen
  • Auskunft aus der Datei gemäß § 24c Absatz 1 Satz 1 KWG
  • den für die Leistung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sowie im übrigen für die Verfolgung und Ahndung von Straftaten zuständigen Behörden oder Gerichten erteilen,
  • soweit dies für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist (§ 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG).

Die Strafverfolgungsbehörden bzw. Strafgerichte rufen die Kontoinformationen also nicht selbst ab, sondern ersuchen die BaFin, den Kontenabruf ihrerseits durchzuführen und die Daten ihnen (sc. der ersuchenden Behörde bzw. dem ersuchenden Gericht) zu übermitteln.

Wichtig ist außerdem: Die BaFin prüft die Zulässigkeit dieser Übermittlung nur, wenn und soweit dazu ein "besonderer Anlass" besteht (§ 24c Absatz 3 Satz 3 KWG).

b) Die sog. "Kontenevidenzzentrale"

Hinter dieser Datei gemäß § 24c Absatz 1 Satz 1 KWG, auf die § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG sich bezieht, verbirgt sich die sog. "Kontenevidenzzentrale": Jedes Kreditinstitut in der Bundesrepublik Deutschland hat eine Datei zu schaffen und bereitzustellen (§ 24c Absatz 1 Satz 1 KWG), in welcher die folgenden Daten zusammengeführt und gespeichert werden müssen:

  • die Nummer eines Kontos, welches der Verpflichtung zur Legitimationsprüfung gemäß § 154 Absatz 1 Satz 1 AO unterliegt oder eines Depots sowie den Tag der Errichtung und der Auflösung24c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 KWG);
  • den Namen sowie - bei natürlichen Personen - den Tag der Geburt des Inhabers und eines Verfügungsberechtigten sowie den Namen und die Anschrift eines abweichend wirtschaftlich Berechtigten gemäß § 8 Absatz 1 Geldwäschegesetz[9]24c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 KWG).

Diese Datei kann also personenbezogene Daten über verschiedene Personen (Kontoinhaber, Verfügungsberechtigter, wirtschaftlicher Berechtigter) mitsamt ihrer rechtlichen Stellung (Inhaber, Vertreter, Treugeber) enthalten.

Anlässlich jeder Änderung der vorbezeichneten Angaben ist unverzüglich ein neuer Datensatz anzulegen (§ 24c Absatz 1 Satz 2 KWG). Jedes Kreditinstitut hat im übri-

gen zu gewährleisten, dass die BaFin jederzeit Daten aus der vorstehend definierten Datei in einem von ihr (sc. der BaFin) bestimmten Verfahren automatisiert abrufen kann (§ 24c Absatz 1 Satz 5 KWG). Jedes Kreditinstitut hat weiterhin durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm (sc. dem Kreditinstitut) Abrufe nicht bekannt werden (§ 24c Absatz 1 Satz 6 KWG).

Diese Regelungen verdeutlichen: die Kreditinstitute - sc. nicht die BaFin - führen diese Dateien.

2. Kontenabruf für Besteuerungszwecke und andere Zwecke

Durch Artikel 2 Nummer 1 bis 3 des "Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit" wurde dem § 93 AO die Absätze 7 und 8 an- und § 93b AO eingefügt[10]; diese Vorschriften sind am 1. April 2005 in Kraft getreten[11].

§ 93 Absatz 7 AO regelt den automatisierten Kontenabruf für Besteuerungszwecke ( a ), und § 93 Absatz 8 AO normiert den Abruf für andere Zwecke ( b ), wobei in beiden Fällen wiederum auf die Kontenevidenzzentrale zugegriffen wird (§ 93b Absatz 1 AO in Verbindung mit § 24c Absatz 1 KWG).

a) Kontenabruf für Besteuerungszwecke

Der automatisierte Kontenabruf für Besteuerungszwecke gemäß § 93 Absatz 7 AO unterliegt folgenden materiellen Voraussetzungen:

  • Die Finanzbehörde kann bei den Kreditinstituten
  • über das Bundeszentralamt für Steuern (nachfolgend: BfSt)
  • einzelne Daten aus den nach § 93b Absatz 1 AO zu führenden Dateien abrufen,
  • wenn dies zur Festsetzung oder Erhebung von Steuern erforderlich ist
  • und ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziel geführt hat
  • oder keinen Erfolg verspricht.

Die verfahrensrechtlichen Bedingungen werden hingegen in § 93b AO geregelt, der § 93 Absatz 7 AO ausdrücklich in Bezug nimmt: § 93b Absatz 1 AO bestimmt zunächst, die Kreditinstitute hätten die Datei gemäß § 24c Absatz 1 Satz 1 KWG auch für Abrufe für Besteuerungszwecke zu führen. § 93b Absatz 2 AO regelt sodann, das BfSt dürfe - auf Ersuchen der für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde - bei den Kreditinstituten einzelne Daten aus diesen Dateien im automatisierten Verfahren abrufen; das BfSt dürfe die erlangten Daten anschließend an die ersuchende Finanzbehörde übermitteln. § 93b Absatz 3 AO weist die Verantwortung für die Zulässigkeit des Datenabrufes und der -übermittlung schließlich der ersuchenden Finanzbehörde zu.

Die Finanzbehörde - sc. regelmäßig das zuständige Finanzamt - richtet ihr Ersuchen also zunächst an das BfSt, welches daraufhin - ohne die Zulässigkeit des Ersuchens im Einzelfall prüfen zu müssen - den Datenabruf vornimmt und die Daten schließlich der ersuchenden Finanzbehörde übermittelt.

b) Kontenabruf für andere Zwecke

Der automatisierte Kontenabruf für andere Zwecke gemäß § 93 Absatz 8 AO unterliegt schließlich folgenden materiellen Voraussetzungen:

  • Knüpft ein anderes Gesetz an Begriffe des Einkommensteuergesetzes an
  • soll die Finanzbehörde
  • auf Ersuchen der für die Anwendung des anderen Gesetzes zuständigen Behörde oder eines Gerichtes
  • über das BfSt bei den Kreditinstituten
  • einzelne Daten aus den nach § 93b Absatz 1 AO zu führenden Daten
  • abrufen und der ersuchenden Behörde oder dem ersuchenden Gericht übermitteln,
  • wenn in dem Ersuchen versichert wurde, dass eigene Ermittlungen nicht zum Ziel geführt haben oder keinen Erfolg versprechen.

Die verfahrensrechtlichen Bedingungen werden ebenfalls in § 93b AO geregelt, der auch § 93 Absatz 8 AO ausdrücklich in Bezug nimmt.

Eine Behörde, die - generell (!) - für die Anwendung eines Gesetzes zuständig ist, welches an einkommensteuergesetzliche Begriffe anknüpft, oder "ein" - sc. irgendein (!) - Gericht ersuchen also die Finanzbehörde, ihrerseits das BfSt um einen automatisierten Kontenabruf zu ersuchen. Daraufhin nimmt das BfSt - wiederum ohne die Zulässigkeit des Ersuchens im Einzelfall prüfen zu müssen - den Datenabruf vor und übermittelt die erlangten Daten sodann der Finanzbehörde, welche diese Daten ihrerseits schließlich an die ersuchende Behörde oder das ersuchende Gericht weiterreicht.

III. Kritische Würdigung der wesentlichen Beschlussgründe

Vorab sei bemerkt, dass die nachfolgende Würdigung der Beschlussgründe sich mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung befasst, weil das Bundesverfassungsgericht diesen Gesichtspunkt in das Zentrum seiner Entscheidung stellt; es existieren vorliegend jedoch inhaltliche Berührungspunkte mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, weshalb dieser Aspekt ebenfalls kurz thematisiert wird; die Berufsfreiheit soll indes - obwohl sie spannende Fragen aufwirft - vorliegend außer Betracht bleiben, weil das Gericht diesen Aspekt nur relativ knapp behandelt[12].

In der Sache ist dem Bundesverfassungsgericht zunächst zuzustimmen, soweit es die Eröffnung des Schutzbereiches des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung annimmt ( 1. ). Dem Gericht ist - jedenfalls im Ergebnis - auch beizupflichten, soweit es einen Eingriff in diesen eröffneten Schutzbereich bejaht ( 2. ). Demgegenüber ist schließlich der verfassungsrechtliche Befund des Gerichtes schweren Bedenken ausgesetzt, der Eingriff in Gestalt des automatisierten Kontenabrufes für Strafverfolgungs- ( 3. a ) und Besteuerungszwecke ( 3. b ) sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt; der weitere Befund des Gerichtes, der Kontenabruf zu anderen Zwecken bzw. dessen gesetzliche Regelung (§ 93 Absatz 8 AO) sei verfassungswidrig, ist hingegen zu begrüßen ( 3. c ).

1. Schutzbereich

Das Bundesverfassungsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass der Schutzbereich des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz eröffnet ist. Es knüpft insoweit insbesondere an sein grundlegendes sog. "Volkszählungs-Urteil"[13] an, wonach der Einzelne grundsätzlich selbst entscheiden darf, ob und - bejahendenfalls - wieweit persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Dies gilt in besonderem Maße unter den heutigen Bedingungen unserer automatisierten Datenverarbeitung, durch welche personenbezogene Daten - sc. persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (z.B. § 3 Abs. 1 BDSG) - zeitlich unbegrenzt gespeichert und jederzeit abgerufen werden können; überdies können mittels einer gezielten, für den Betroffenen weder überschau- noch beherrschbaren Nutzung und Verknüpfung dieser personenbezogenen Daten weitere Erkenntnisse ermittelt und so ein nahezu vollständiges Persönlichkeitsbild erstellt werden. Deshalb darf der Einzelne prinzipiell selbst sowohl über die Preisgabe als auch über die Verwendung dieser personenbezogenen Daten bestimmen.[14] Vor diesem Hintergrund gibt es heutzutage kein schlechthin - sc. ungeachtet seines Verwendungskontextes - belangloses personenbezogenes Datum mehr.[15]

2. Eingriff

Das Bundesverfassungsgericht nimmt sodann - jedenfalls im Ergebnis - wiederum zutreffend an, die Normen des automatisierten Kontenabruf für Strafverfolgungs- und Besteuerungszwecke sowie andere Zwecke greifen in diesen Schutzbereich ein.[16]

Hierbei rückt das Gericht[17] das gesetzgeberische Ziel in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, den Strafverfolgungs-, Finanz- und Sozialbehörden "Kenntnis" über die Kontostammdaten "zu verschaffen". Das Gericht stellt weiterhin entscheidend auf die Möglichkeit anschließender Ermittlungen ab[18]: Erführen die ersuchenden Behörden, dass der Betroffene über bisher unbekannte Konten oder Depots verfügt, könnten sie - aufgrund weiterer Ermächtigungen - zusätzliche Informationen über deren Inhalt zusammentragen. Dies ermögliche einen Einblick in die Vermögensverhältnisse und sozialen Kontakte des Betroffenen, welche ohne den Abruf unmöglich wären und die Belange des Betroffenen erheblich tangieren könnten. Es drohten grundrechtsrelevante Folgeeingriffe von großem Gewicht.

Diese Argumentation vermittelt den Eindruck, das Bundesverfassungsgericht nehme an, der Eingriff liege erst im Abruf bzw. in der anschließenden Übermittlung der Kontoinformationen. Diese Beurteilung steht in - vermeintlichem - Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, nach deren Wortlaut die einschränkenden Voraussetzungen an den Abruf (§ 93 Absatz 7 und 8 AO) bzw. die Übermittlung der Daten (§ 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG) anknüpfen.

Richtigerweise erfolgt der Eingriff jedoch bereits durch § 24c Absatz 1 KWG, wonach der Gesetzgeber den Kreditinstituten - wie eingangs dargetan - die Pflicht auferlegt, eine Datei mit Kontostammdaten einzurichten und dergestalt zu führen, dass die BaFin jederzeit auf diese Datei zugreifen kann. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung liegt grundsätzlich schon vor, wenn personenbezogene Daten erhoben werden.[19] Die Zusammenstellung der - zweifellos personenbezogenen - Daten gemäß § 24c Absatz 1 Satz 1 KWG (in Verbindung mit § 93b Absatz 1 AO) durch die Kreditinstitute zwecks Errichtung einer speziellen Datei für Strafverfolgungs- und Besteuerungszwecke sowie andere Zwecke stellt eine solche Datenerhebung dar. Auf den Abruf der Kontoinformationen oder deren anschließende Übermittlung kommt es nicht entscheidend an, weil diese Schritte bereits der Datenverarbeitung dienen. Dies gilt insbesondere auch schon für den vermeintlichen "Abruf" der Kontoinformationen, der in Wahrheit nichts anderes ist, als eine Verwertung erhobener Daten: Die Kreditinstitute müssen gewährleisten, dass die BaFin bzw. das BfSt jederzeit einen automatisierten Datenabruf durchführen können (§§ 24c Absatz 1 Satz 5 KWG, 93b Absatz 1 und 2 AO); die Kreditinstitute müssen überdies durch technische und organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass sie von den Abrufen keinerlei Kenntnis erlangen (§§ 24c Absatz 1 Satz 6 KWG, 93b Absatz 1 und 2 AO). Demzufolge stellen die Dateien Erkenntnisquellen dar, welche sich ab dem Zeitpunkt ihrer Errichtung total in der Herrschaftssphäre der BaFin bzw. des BfSt selbst befinden. Die Dateien sind bloß ausgelagert; durch diese Konstruktion sollte vielleicht der Organisations- und Kostenaufwand der Schaffung der Kontenevidenzzentrale auf die Kreditinstitute überwälzt - und möglicherweise deren Grundrechtsrelevanz verdunkelt werden.[20]

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Das Bundesverfassungsgericht ist schließlich der - bedenklichen - Ansicht, der automatisierte Kontenabruf für Strafverfolgungs- ( a ) und Besteuerungszwecke ( b ) bzw. die einschlägigen Regelungen seien verfassungsrechtlich gerechtfertigt; den Kontenabruf für andere Zwecken ( c ) bzw. die entsprechende Regelung erachtet das Gericht indes zutreffend für verfassungswidrig.

a) Automatisierter Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke

Das Bundesverfassungsgericht hält § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG für materiell verfassungsgemäß, weil diese Regelung sowohl dem Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit ( aa ) genüge als auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit wahre ( bb ); diese Beurteilung begegnet schweren Bedenken.

aa) Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit

Die Argumente des Bundesverfassungsgerichtes, mit welchen es seine Beurteilung begründet, § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG genüge dem Gebot der Normenklarheit und -bestimmt, überzeugen allesamt nicht.

Das Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit dient der Begrenzung exekutiven Handelns und der Gewährleistung judikativer Kontrolle; der Bürger soll sich außerdem auf belastende hoheitliche Maßnahmen einstellen können.[21] Speziell hinsichtlich solcher Rechtsgrundlagen, welche einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung legitimieren, ist es demzufolge unerlässlich, dass die gesetzliche Regelung den Zweck der Datenerhebung und -verwendung bereichsspezifisch und präzise umgrenzt sowie diesen Eingriff auf das Erforderliche beschränkt.[22]

Demnach spricht vieles dafür, dass § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG dem Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit nicht genügt; die hierfür sprechenden Gründe wurden im Verfassungsbeschwerde-Verfahren vorgetragen[23]:

Es überrascht erstens, dass der Gesetzgeber die Regelung des automatisierten Kontenabrufes für Strafverfolgungszwecke, bei der es sich um nichts anderes als eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme handelt, nicht - transparent - in die StPO, sondern vielmehr in das vergleichsweise entlegene KWG eingefügt hat; es drängt sich insoweit etwas der Eindruck auf, der Gesetzgeber habe die Einfügung unbemerkt bzw. wenigstens unauffällig vollziehen wollen.

Das Bundesverfassungsgericht setzt sich über diesen Einwand mit dem angesichts der dargestellten ratio des Gebotes der Normenklarheit und -bestimmtheit wenig überzeugenden und im übrigen nicht begründeten Argument hinweg, der Gesetzgeber sei "nicht gehalten, informationsbezogene Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden und der Strafgerichte ausschließlich in der Strafprozessordnung zu regeln" [24] .

Es ist zweitens bedenklich, dass die Vorschrift den Abruf bzw. die Übermittlung von Kontoinformationen für verschiedene Behörden ermöglicht, die ihrerseits völlig unterschiedliche Aufgabe haben (§ 24c Absatz 2 und 3 Nummer 1 bis 3 KWG). Und dem nicht genug: es werden zusätzliche, erhebliche Orientierungsschwierigkeiten dadurch verursacht, dass die originär abrufbefugte BaFin einen automatisierten Kontenabruf für eigene Zwecke nur unter wesentlich engeren Voraussetzungen durchführen darf, als sie abgerufene Kontoinformationen den Strafverfolgungsbehörden übermitteln darf: Die BaFin selbst darf bemerkenswerterweise bloß "einzelne Daten" abrufen, soweit dies erforderlich und "besondere Eilbedürftigkeit im Einzelfall" gegeben ist (§ 24c Absatz 2 KWG). Demgegenüber erteilt die BaFin den Strafverfolgungsbehörden, wie eingangs dargestellt, "Auskunft aus der Datei" - und von Eilbedürftigkeit ist überhaupt keine Rede mehr (§ 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG).

Es drängt sich also der Eindruck auf, der Gesetzgeber habe weitreichende strafrechtliche Ermittlungsbefugnisse nicht nur an einem entlegenen Regelungsstandort, sondern dort vielmehr auch hinter vergleichsweise engen Befugnissen der BaFin verbergen wollen. Das Bundesverfassungsgericht[25] meint insoweit, es handele sich um ein Problem der "rechtspolitischen Stimmigkeit" der Maßnahmen gemäß § 24c Absatz 2 und 3 KWG, das "nicht Gegenstand der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht" sei. Eine angemessene Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit strafrechtlicher Maßnahmen der Legislative sieht anders aus.

Es begegnet schließlich drittens erheblichen Bedenken, dass § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG nur voraussetzt, der automatisierte Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke müsse - wie eingangs dargestellt - "erforderlich" sein. Dies verwundert deshalb, weil der Kontenabruf nichts anderes als eine Ermittlungsmaßnahme darstellt, wie sie zahlreich in der StPO geregelt sind. Die Rechtmäßigkeit dieser StPO-Maßnahmen setzt aber durchweg zunächst voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die sich zu einem Verdacht verdichten müssen. So wird den Ermittlungsbehörden abverlangt, eine - objektiv überprüfbare - Tatsachengrundlage darzutun, um in die Grundrechte des Bürgers eingreifen zu dürfen (z.B. die Rasterfahndung gemäß §§ 98a Absatz 1 Satz 1 und 98b StPO oder der Abruf von Telekommunikationsverbindungsdaten gemäß §§ 100g Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 3, 100h StPO). Demgegenüber stellt das alleinige Anknüpfen an die Erforderlichkeit geradezu ein Einfallstor für kaum vorhersehbare und ebenso wenig kontrollierbare, oftmals effektivitätsorientierte - subjektive - Erwägungen der Ermittler dar; anschauliche Beispiele hierfür sind staatsanwaltschaftliche Anträge - aber regelmäßig auch ermittlungsrichterliche Beschlüsse - in denen sich die schlichte, mit keinem Wort begründete

Behauptung findet, die Erforschung des Sachverhaltes wäre auf andere Weise (sc. ohne die durch Durchführung der Ermittlungsmaßnahme) "weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert".

Dennoch meint das Bundesverfassungsgericht[26], "(d)urch das weitere Erfordernis, dass der Abruf für die Erfüllung der (anderweitig geregelten) gesetzlichen Aufgaben der Behörde erforderlich sein muss, werden auch der Abrufanlass und der Abrufgegenstand umschrieben.". § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG verweise insoweit auf das einschlägige (Straf-)Verfahrensrecht, weshalb ein Kontenabruf nur anlässlich eines "konkreten, die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllenden Ermittlungs- oder Rechtshilfeverfahrens" in Betracht komme.[27] Das Gericht[28] zitiert zur Begründung zuerst Gesetzesmaterialien[29], wonach ein Kontenabruf erst bei Vorliegen eines Anfangsverdachtes (§§ 152 Absatz 2, 160 StPO) erfolgen dürfe. Diese Herleitung einer objektiven Eingriffsschwelle überzeugt nicht: Der Wortlaut einer Rechtsgrundlage für strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen ist gewiss nicht hinreichend klar und bestimmt formuliert, wenn die Bedeutung ihrer einzigen Eingriffsvoraussetzung für den Bürger, den Ermittler - und das Bundesverfassungsgericht - sich überhaupt erst nach Lektüre der einschlägigen Gesetzesmaterialien erschließt.

Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Argumente des Bundesverfassungsgerichtes, mit welchen es seine Beurteilung begründet, § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG genüge dem Gebot der Normenklarheit und -bestimmt, allesamt nicht überzeugen.

bb) Gebot der Verhältnismäßigkeit

Noch weniger überzeugen die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichtes, aufgrund welcher es feststellt, § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG wahre das Gebot der Verhältnismäßigkeit.[30]

Zweifellos stellen die Unterstützung der Strafverfolgung und der Rechtshilfe in Strafsachen legitime Zwecke einer gesetzgeberischen Maßnahme dar.[31] Der automatisierte Kontenabruf mag auch dazu geeignet sein, diesen legitimen Zweck zu erreichen, weil er die Möglichkeit schafft, strafrechtlich relevante Vermögensverhältnisse oder finanzielle Transaktionen zu ermitteln; die Entdeckung bislang unbekannte Konten kann zweifelsohne neue Ermittlungsansätze produzieren.[32]

Jedoch ist schon fraglich, ob ein automatisierter Kontenabruf auch erforderlich ist, um diesen legitimen Zweck zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht führt insoweit aus, es bestünde kein ebenso effektives, milderes Mittel, weil manuelle Einzelabfragen "schon wegen der großen Anzahl der Kreditinstitute in der Bundesrepublik und wegen der möglicherweise hohen Zahl der Abfragen kein praktikables alternatives Mittel" [33] darstellten.

Diese Feststellung ist wegen ihres absoluten Charakters schon dem Grunde nach zu bestreiten: Das Gericht setzt voraus, dass Strafverfolgungsbehörden nie - auch nicht aufgrund anderer Ermittlungen - Erkenntnisse über etwaige Konten und Depots z.B. des Beschuldigten erlangten und deshalb immer eine unübersehbare Vielzahl von Kreditinstituten einzeln kontaktieren müssten.

Überdies zieht das Gericht mit keinem Wort das folgende Abrufkonzept[34] in Erwägung: Die Kreditinstitute könnten - statt einer Erhebung personenbezogener Daten vieler Millionen Bürger - dazu verpflichtet werden, der BaFin ihre Anschriften zu übermitteln. Die Strafverfolgungsbehörden könnten dann über die BaFin bei allen Kreditinstituten anfragen, ob sie z.B. zum Beschuldigten eine Kontobeziehung unterhalten; in diesem Fall würden nur die Kontostammdaten des Beschuldigten erhoben, abgefragt und übermittelt werden, anstatt auf einen bereits geschaffenen Datenvorrat vieler Millionen Kontostammdaten vieler Millionen unbeteiligter Bürgern zuzugreifen. Der Einwand, die Kreditinstitute erführen so von den strafrechtlichen Ermittlungen, was Konsequenzen verursache, welche den Beschuldigten zusätzlich erheblich belasteten[35], überzeugt nicht: In strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, in welchen ein kriminalistisches Interesse an den Kontostammdaten des Beschuldigten besteht, werden die Strafverfolgungsbehörden anschließend regelmäßig auch detaillierte Kontoinformationen (z.B. Gutschriften, Barabhebungen, Überweisungen) ermittelt (müssen); eine andere Betrachtung wäre gekünstelt. Dies wird jedoch - lässt man die Möglichkeit einer sog. "verdeckten Online-Durchsuchung" einmal außer Betracht - nicht zu bewerkstelligen sein, ohne dass das betroffene Kreditinstitut - z.B. anlässlich einer (offenen) Durchsuchung (§§ 103 Absatz 1 Satz 1 Fall 3, 105 Absatz 1 Satz 1 StPO) - ohnehin von den Ermittlungen gegen ihren beschuldigten Klienten erfährt; spätestens, wenn sodann z.B. ein dinglicher Arrest in das Vermögen des Beschuldigten angeordnet und sämtlichen bestehenden sowie zukünftigen Forderungen des Beschuldigten gegen das Kreditinstitut gepfändet werden (§§ 111b Absatz 2 bzw. 5, 111d Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 StPO in Verbindung mit §§ 928, 930 Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit §§ 803 f. und 828 f. ZPO), erlangt das Kreditinstitut Kenntnis von den Ermittlungen und beendet vielleicht sogar seine Geschäftsbeziehung mit dem beschuldigten Klienten.

Schließlich ist höchst zweifelhaft, ob der automatisierte Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke bzw. seine gesetzliche Regelung verhältnismäßig im engeren Sinn ist.

Das Bundesverfassungsgericht[36] stellt seinen Ausführungen zunächst die Definition als Ausgangspunkt voran, wonach das Ausmaß des durch die gesetzliche Vorschrift

(hier: § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG) prinzipiell legitimierten Eingriffes in den Schutzbereich eines Grundrechtes (hier: des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung) in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck (hier: Strafverfolgung, Rechtshilfe in Strafsachen) stehen muss; die Eingriffsnorm (die "Schranke" der Grundrechtsausübung) unterliegt ihrerseits Grenzen (den sog. "Schranken-Schranken"). Diese Frage, ob ein solches angemessenes Verhältnis vorliegt, ist mittels einer Abwägung des verfolgten Allgemein- mit dem betroffenen Individualinteresse zu beantworten.

Zutreffend hebt das Bundesverfassungsgericht[37] hervor, der Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke diene "Gemeinwohlbelangen von erheblicher Bedeutung", sc. der "wirksamen Strafverfolgung und Rechtshilfe in Strafsachen". Indes begegnet die Feststellung, § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG legitimiere Eingriffe, die "nicht" [38] außer Verhältnis zu den verfolgten Gemeinwohlbelangen stünden, schweren Bedenken:

Das Gericht lässt hier, in Gestalt des Kontenabrufes, einen Regelungsmechanismus passieren, mit welchem der Gesetzgeber an dem Fundament unserer rechtsstaatlichen Strafverfolgungs-Ordnung rüttelt, nach welcher Strafverfolgung nicht "um jeden Preis" durchgeführt werden darf; er öffnet gewissermaßen die "Büchse der Pandora" - und dies, obwohl die Grundrechtsrelevanz des automatisierten Kontenabrufes schon im Gesetzgebungsverfahren[39] thematisiert wurde. Der Sicherung unserer rechtsstaatlichen Strafverfolgungs-Ordnung dient das Prinzip des Richtervorbehaltes, welches seinerseits im Rechtsstaatsprinzip gemäß Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz wurzelt: Der Richter übt im Ermittlungsverfahren eine Wächterfunktion aus; er wacht als objektive Instanz darüber, dass die Anstrengungen der Ermittler, Straftaten aufzuklären, nicht außer Kontrolle geraten und die Rechte des Beschuldigten dadurch übermäßig beeinträchtigt werden - so jedenfalls die Theorie; dieses Fundamentalprinzip durchzieht unsere Strafprozessordnung wie ein roter Faden (z.B. §§ 98b Absatz 1 Satz 1, 100 Absatz 1, 100b Absatz 1 Satz 1, 100d Absatz 1 Satz 1, 105 Absatz 1 Satz 1, 111e Absatz 1 Satz 1, 114 Absatz 1 StPO). Der automatisierte Kontenabruf sieht keinen Richtervorbehalt vor; die BaFin - wohlgemerkt: eine Gewerbeaufsichtsbehörde - nimmt eine rein technische Vermittlerfunktion wahr und besitzt nur ein äußerst eingeschränktes rechtliches Prüfungsrecht (§ 24c Absatz 3 Satz 3 KWG). Überdies kommt ein Abruf bei jeder mutmaßlichen Straftat in Betracht; es existieren - anders als bei vielen Ermittlungsbefugnissen (z.B. §§ 98a Absatz 1 Satz 1, 100a Absatz 1 Satz 1, 100c Absatz 1, 100g Absatz 1 Satz 1 StPO) - keine Katalogtaten. Wie weit die Abrufbefugnis nach alledem reicht, veranschaulicht folgendes

Beispiel: Geflügelzüchter A erstattet Anzeige gegen seinen Nachbarn, den konkurrierenden Geflügelzüchter B: seine Lieblings-Legehenne sei vergangene Nacht gestohlen worden; dies habe er heute morgen festgestellt. Er sei jedoch schon nachts aufgewacht, weil er Geräusche in seinem Stall gehört habe, woraufhin er aus seinem Schlafzimmerfenster geschaut habe; er habe eine Person mit etwas unter dem Arm aus seinem Stall flüchten sehen. Er meint, seinen Nachbarn erkannt zu haben, als der Hühnerdieb unter seiner Hoflaterne hindurchgehuscht sei. Der ermittelnde Polizeibeamte verdächtigt nun den Nachbarn, der Hühnerdieb zu sein, und spekuliert ferner, dieser werde die Legehenne veräußern, weil er sie ja nicht auf seinem Hof - in direkter Nachbarschaft zu A - einsetzen könne. In diesem Fall dürfte der Polizeibeamte aufgrund § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG eigenmächtig den Abruf der Stammdaten der Privat- und Geschäftskonten des Nachbarn veranlassen, um anschließend einzelne Kontobewegungen ermitteln zu können.

Bis zu diesem grotesken Ergebnis wurde noch nicht berücksichtigt, dass der Kontenabruf sowohl gegenüber Kreditinstituten (§ 24c Absatz 1 Satz 6 KWG) als auch gegenüber dem Betroffenen, dessen Benachrichtigung nicht vorgesehen ist, heimlich erfolgt. Die fundamentalen Bedenken, die gegenüber derartigen geheimen Ermittlungsmethoden der Strafverfolgungsbehörden bestehen und die aktuell in der Diskussion über die sog. "verdeckten Online-Durchsuchung"[40] geäußert werden, sollen hier nicht detailliert nachgezeichnet werden. Jedenfalls überzeugen die Ausführungen des Bundesverfassungsgericht zur Heimlichkeit des automatisierten Kontenabrufes nicht - im Gegenteil: Wenn das Gericht argumentiert, die Geheimhaltung gegenüber dem Kreditinstitut erfolge "im Interesse des Persönlichkeitsschutzes des Betroffenen" [41] (!), so argumentiert das Gericht schon fast zynisch: Wie gerade dargestellt, erfährt das Kreditinstitut regelmäßig ohnehin von den Ermittlungen gegen ihren beschuldigten Klienten mit der möglichen Konsequenz, dass das Kreditinstitut seine Geschäftsbeziehung mit ihm beendet. Wenn das Gericht weiterhin - auch mit Bezug auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz)[42] - ausführt, die Protokollierungspflicht (§ 24c Absatz 4 KWG) reiche zur "effektiven Datenschutzkontrolle"[43] aus und das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers (§ 147 StPO) bzw. das Äußerungsrecht des Beschuldigten (§ 163a Absatz 1 Satz 1 StPO) trügen dem Rechtsschutzbedürfnis des heimlich abgefragten Beschuldigten ausreichend Rechnung, so verkennt das Gericht folgendes: Nach gegenwärtig herrschender Auffassung ist für eine Versagung der Akteneinsicht gemäß § 147 Absatz 2 StPO nicht erforderlich, dass eine konkrete Gefährdung des Untersuchungszweckes vorliegt[44]; dies führt nicht selten dazu, dass die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht formel- und dauerhaft versagt. Berücksichtigt man zudem, dass eine Vernehmung des Beschuldigten lediglich "spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen" zu erfolgen hat, so wird deutlich, dass die Strafverfolgungsbehörden den Beschuldigten ohne nennenswerten Aufwand von dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewissermaßen informatorisch ausschließen können.[45] Selbst wenn der Beschuldigte irgendwann Kenntnis von dem Kontenabruf erlangt, wird dieser vielfach eine derart heftige Ermittlungstätig-

keit ausgelöst und schwere außerstrafrechtliche Konsequenzen (Stichwort: Beendigung der Kontobeziehung durch das Kreditinstitut) verursacht haben, dass die Verteidigungsanstrengungen des Beschuldigten sich regelmäßig nicht (mehr) gegen den ursprünglichen Kontenabruf richten (können) werden; der Kontenabruf wird somit oftmals unkontrolliert bleiben, weshalb die Protokollierungspflicht (§ 24c Absatz 4 KWG) in diesen Fällen praktisch leerlaufen wird.

Nach alledem darf festgestellt werden, dass der Gesetzgeber - in Zeiten knapper Kassen - einen Wunsch erfüllen darf, den wahrscheinlich jeder Ermittler hegt: ein Ermittlungsinstrument zu erhalten, dessen Einsatz - einerseits - an minimale Voraussetzungen anknüpft, dessen Anordnung jeder Ermittler jederzeit eigenmächtig vornehmen darf, dessen Einsatz heimlich erfolgt sowie schließlich einen minimalen Aufwand erfordert und - andererseits - maximale Effektivität besitzt; anders gewendet: der Gesetzgeber schafft strafrechtliche Ermittlungsbefugnisse, welcher einer effektiven Strafverfolgung "zum Nulltarif" Vorschub leisten - dies stellt einen Tabubruch dar.

Das Bundesverfassungsgericht verhindert diesen Tabubruch nicht; vielmehr bejaht das Gericht die Verhältnismäßigkeit des automatisierten Kontenabrufes für Strafverfolgungszwecke aufgrund einer formalen - fast schon künstlichen - Betrachtung: Das Gericht [46] meint, die bloßen Kontostammdaten hätten "bei isolierter Betrachtung keine besondere Persönlichkeitsrelevanz"; es bedürfe zur Aufklärung vielmehr weiterer Ermittlungen, die ihrerseits Ermächtigungsgrundlagen unterlägen, welche "jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Verfassungsbeschwerde" seien; weitere Erhebungen stellten "selbständig zu wertende Grundrechtseingriffe" dar, die einer selbständigen, "hier nicht angegriffenen Ermächtigungsgrundlage" bedürften. Hierin liegt nicht nur ein Widerspruch zu den - zutreffenden - Ausführungen des Gerichtes zu den Möglichkeiten bzw. Gefahren der Verarbeitung und Verknüpfung personenbezogener Daten mittels unserer modernen Datenverarbeitung: die Tatsache, dass weitere Daten (z.B. Konto-, Depotbewegungen) nur aufgrund weiterer selbständiger Ermittlungshandlungen erlangt werden können, ändern nichts daran, dass der Abruf von Kontostammdaten des Beschuldigten die Errichtung einer umfangreicheren Finanz-Datei zu Ermittlungszwecken anstoßen kann, welche die Lebensführung des Beschuldigten nahezu vollständig abbildet. Es ist eine Illusion zu glauben, die Ermittlungsbehörden gäben sich mit den Kontostammdaten zufrieden, weshalb diese Konsequenzen gerade nicht ausgeblendet werden.

Nach alledem wirkt die abschließende Mahnung des Bundesverfassungsgerichtes, der automatisierte Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke gemäß § 24c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 KWG ermächtige nicht zu "anlasslosen Routineabrufen" [47] , wie der wenig überzeugende Versuch, der faktischen Konsequenz des tolerierten rechtlichen Tabubruches vorsorglich Einhalt gebieten zu wollen. Angesichts der dargestellten Verlockungen, welche dem automatisierten Kontenabruf für Strafverfolgungszwecke innewohnen, erscheint es aber höchst zweifelhaft, ob dieser Versuch gelingen wird.

b) automatisierter Kontenabruf für Besteuerungszwecke

Das Bundesverfassungsgericht hält § 93 Absatz 7 in Verbindung mit § 93 b AO ebenfalls für materiell verfassungsgemäß, weil diese Regelung wiederum sowohl dem Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit genüge als auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit wahre; diese Beurteilung begegnet ebenfalls erheblichen Bedenken.

Das Bundesverfassungsgericht [48] ist hinsichtlich des Gebotes der Normenklarheit und -bestimmtheit der Auffassung, die in § 93 Absatz 7 AO angelegte "Verweisungskette" verursache keinen Bestimmtheitsmangel; die Verweisung von § 93b Absatz 7 AO auf § 93b Absatz 1 AO und die Weiterverweisung auf § 24c KWG seien "leicht nachzuvollziehen".

Diese Auffassung ist zweifelhaft, denn das Bundesverfassungsgericht stellt wiederum eine isolierte Betrachtung an, mit deren Hilfe es erneut einen wesentlichen Gesichtspunkt ausblendet: Zweifelsohne gelangt derjenige, der § 93 Absatz 7 AO liest, zu § 93b Absatz 1 AO und sodann zu § 24c Absatz 1 KWG, auf den § 93b Absatz 1 AO ausdrücklich verweist. Das Gericht geht anlässlich dieser formalen Darstellung jedoch mit keinem Wort darauf ein, dass in § 93 AO sich nach sechs langen Absätzen in Absatz 7 eine Regelung befindet, die ihrerseits einen Regelungsmechanismus in Gang setzt, welcher den in § 30a Absatz 1 AO proklamierten Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den Kreditinstituten und ihren Klienten sabotiert[49] - insoweit entsteht der Eindruck, der steuerpflichtige Bürger solle "an der Nase herum geführt werden":

§ 30a Absatz 2 bis 4 AO bestimmt, dass anlasslose Datenerhebungen, welche das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und ihren Klienten betreffen, grundsätzlich rechtswidrig sind: Die Finanzbehörde dürfen von den Kreditinstituten zur allgemeinen Überwachung keine periodischen Mitteilungen von Konten bestimmter Art und Höhe verlangen (Absatz 2); Konten der Klienten dürfen während Außenprüfungen bei Kreditinstituten nicht abgeschrieben werden, und Kontrollmitteilungen dürfen nicht verwertet werden (Absatz 3); in Vordrucken für Steuererklärungen soll die Angabe von Konten des Steuerpflichtigen nicht verlangt werden, soweit nicht steuermindernde Ausgaben oder Vergünstigungen geltend gemacht werden oder die Abwicklung des Zahlungsverkehres mit dem Finanzamt dies erfordert (Absatz 4). Eine Übermittlung von Kontodaten erfolgt mithin nicht, wenn und solange kein Besteuerungsverfahren durchgeführt wird.

Anlässlich eines Besteuerungsverfahrens gilt für die nunmehr anlassbezogene Datenerhebung § 93 AO (§ 30a Absatz 5 Satz 1 AO). § 93 AO informiert allerdings zu-

nächst einmal ganz allgemein, unter welchen Bedingungen die Finanzbehörde Auskünfte einholen darf (§ 93 Absatz 1 AO); anschließend finden sich Regelungen, welche die Form und den Inhalt des Auskunftsersuchens (§ 93 Absatz 2 AO) sowie der Auskunftserteilung (§ 93 Absatz 3 bis 6 AO) betreffen. Erst dann stößt der steuerpflichtige Bürger auf § 93 Absatz 7 AO, der mittels der Verweisung auf § 93b Absatz 1 AO und die Weiterverweisung auf § 24c Absatz 1 KWG den automatisierten Kontenabruf für Besteuerungszwecke legitimiert; mittels der scheinbar verschlüsselten Verweisung in § 93b Absatz 4 AO auf § 24c Absatz 1 Satz 2 bis 6, Absatz 4 bis 8 KWG entsprechend wird den Finanzbehörden (über das BfSt) ein ebenso ungehinderter Zugang zur Kontenevidenzzentrale verschafft, wie die BaFin selbst und die Strafverfolgungsbehörden (über das BaFin) ihn besitzen. Mithin ist jedenfalls auf der Ebene des BfSt ein - automatisierter - Zugriff auf die Kontoinformationen der Steuerpflichtigen längst möglich, und wird an dieser Stelle offenbar, dass § 30a Absatz 2 und 4 AO leerlaufen.

Es ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, warum der Gesetzgeber den automatisierten Kontenabruf für Besteuerungszwecke bzw. zumindest seine Konsequenzen nicht unmittelbar in § 30a AO kenntlich gemacht hat - außer vielleicht, die Erosion bzw. Abschaffung des sog. "Bankgeheimnisses" nicht "an die große Glocke" hängen zu müssen.

In diesem Kontext ist außerdem § 24c Einkommensteuergesetz zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber die Kreditinstitute inzwischen verpflichtet hat, zusammenfassende Jahresbescheinigungen über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Finanzanlagen zu produzieren und Ihren Klienten zur Verfügung zu stellen. Wenn die Finanzbehörden diese Bescheinigung vom Steuerpflichtigen selbst anfordert oder deren Doppel sich vom Kreditinstitut vorlegen lässt (§ 97 AO), kann die Finanzbehörde sich ein nahezu vollständiges Bild von den finanziellen Verhältnissen des Steuerpflichtigen machen.[50]

Noch weniger überzeugen wiederum die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Verhältnismäßigkeit von § 93 Absatz 7 in Verbindung mit § 93b AO.[51] In Anbetracht der dargestellten, alternativen Gestaltungsmöglichkeit für das Abrufverfahren ist auch hinsichtlich des automatisierten Kontenabrufes für Besteuerungszwecke ernsthaft fraglich, ob das aktuelle Konzept des automatisierten Kontenabrufes erforderlich ist, um den legitimen Zweck - die gleichmäßige Festsetzung und Erhebung von Steuern[52] - zu erreichen.

c) Kontenabruf für andere Zwecke

Schließlich hält das Bundesverfassungsgericht den Kontenabruf für andere Zwecke für materiell verfassungswidrig, weil dessen gesetzliche Regelung (§ 93 Absatz 8 AO) gegen das Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit verstößt. Das Gericht[53] gelangt zu dem Ergebnis, die Norm ist "nicht hinreichend bestimmt"; der Kreis der abrufberechtigten Behörden, und die Aufgaben, denen solche Ersuchen dienen sollen, sind "nicht präzise genug festgelegt".

Diese Beurteilung verdient Zustimmung.

§ 93 Absatz 8 AO setzt - wie eingangs dargestellt - voraus, dass ein Gesetz an "Begriffe des Einkommensteuergesetzes" anknüpft, damit die für die Anwendung dieses Gesetzes zuständige Behörde die Finanzbehörde bzw. das BfSt um den Kontenabruf und die Mitteilung der Kontoinformationen ersuchen darf. § 93 Absatz 8 AO setzt aber nicht voraus, dass die Behörde ihr Ersuchen anlässlich der tatsächlichen Anwendung des Gesetzes und der dortigen einkommensteuergesetzlichen Begriffe stellt.[54]

Die grotesken Konsequenzen dieses gesetzgeberischen Versäumnisses veranschaulicht das folgende Beispiel: Das Gesetz über die soziale Wohnraumförderung (sog. "Wohnraumförderungsgesetz" - WoFG) sieht eine Wohnraumförderung nur zugunsten solcher Haushalte vor, deren Jahreseinkommen bestimmte gesetzlich geregelte Grenzen nicht überschreitet (§ 9 WoFG). Dieses Jahreseinkommen wird als "Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Absatz 1, 2 und 5a des Einkommensteuergesetzes jedes Haushaltsangehörigen" definiert (§ 21 WoFG). Zuständig für die Bewilligung entsprechender Fördermittel ist u.A. die Regierung von Oberbayern. Jeder dortige Sachbearbeiter kann nun jederzeit ein Abrufersuchen aufgrund von § 93 Absatz 8 AO an die Finanzbehörde bzw. das BfSt richten, um z.B. zu ermitteln, ob sein Kollege, welcher das Dienstzimmer mit ihm teilt, Konten bei einem bestimmten Kreditinstitut unterhält; er wird stets - zulässigerweise - versichern können, dass seine eigenen Ermittlungen nicht zielführend waren oder nicht erfolgversprechend sind (§ 93 Absatz 8 AO am Ende), weil diese Voraussetzung doch vor allem dann gegeben ist, wenn er für eine derartige Kontenermittlung überhaupt nicht zuständig ist.[55]

Noch weiter reicht § 93 Absatz 8 AO im Hinblick auf Abrufersuchen von Gerichten: § 93 Absatz 8 AO setzt nicht voraus, dass das ersuchende Gericht ebenfalls für die Anwendung eines Gesetzes zuständig sein muss, das an einkommensteuergesetzliche Begriffe anknüpft - § 93 Absatz 8 spricht bloß von Ersuchen "eines" Gerichtes. Demzufolge ist schlechthin jedes Gericht abrufbefugt - und zwar unabhängig davon, ob es das Gesetz, welches zumindest formale Voraussetzung für ein Ersuchen gemäß § 93 Absatz 8 AO ist, überhaupt anwendet.[56]

Vielsagend ist in diesem Kontext, dass ausgerechnet das Bundesministerium der Finanzen[57], dem üblicherweise wohl nicht nachgesagt werden kann, es würde den Hand-

lungsspielraum der Finanzbehörden einschränken, sich - anlässlich der Einführung des automatisierten Kontenabrufes für Besteuerungszwecke und andere Zwecke gemäß §§ 93 Absatz 7 und 8 in Verbindung mit § 93b AO veranlasst sah, den Kontenabruf für andere Zwecke (§ 93 Absatz 8 AO) auf bestimmte Fallkonstellationen - abschließend - zu beschränken (Nummer 3.2 Satz 1 lit. a) bis g) des AEAO zu § 93).

Mit anderen Worten: § 93 Absatz 8 AO ermöglicht einen total beliebigen, unkontrollierbaren Zugriff zahlloser Behörden und jedes Gerichtes auf Kontoinformationen jedes Bürgers und unterläuft so das ursprünglich geschützte, sog. "Bankgeheimnis" (§ 30a Absatz 1 AO); es drängt sich insoweit der Eindruck auf, dass ein in vielerlei Hinsicht nützlicher Datenvorrat unauffällig geschaffen werden sollte, ohne dass der Zweck dieser Sammelaktion auch nur annähernd bestimmbar ist - ein solches Vorhaben ist definitiv verfassungswidrig.

d) Zusammenfassung

Die Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsgericht zum automatisierten Kontenabruf begegnet überwiegend schweren Bedenken:

Das Gericht lässt - in Gestalt des Kontenabrufes für Strafverfolgungszwecke - ein gesetzgeberisches Konzept passieren, welches an dem Fundament unserer rechtsstaatlichen Strafverfolgungs-Ordnung rüttelt: die Schaffung strafrechtlicher Ermittlungsbefugnisse "zum Nulltarif". Das Bundesverfassungsgericht hatte die Gelegenheit, diesen Tabubruch zu verhindern - es hat den Gesetzgeber gewähren lassen.

Das Gericht hat zudem - in Gestalt des Kontenabrufes für Besteuerungszwecke - einen Regelungsmechanismus passieren lassen, welcher zum Niedergang des sog. "Bankgeheimnisses", sc. des in § 30a Absatz 1 AO proklamierten Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwischen den Kreditinstituten und ihren Klienten, erheblich beiträgt.

Das Gericht hat bloß die skandalöseste gesetzgeberische Fehlleistung - die Regelung des Kontenabrufes für andere Zwecke gemäß § 93 Absatz 8 AO korrigiert, wobei es dem Gesetzgeber jedoch eine Schonfrist gewährt; bemerkenswert ist hierbei, dass das Gericht dazu auf Verwaltungsvorschriften zurückgreift, welche das Bundesministerium der Finanzen gewissermaßen "in letzter Minute" schon vor der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nachgebessert hatte. Im übrigen ist eine Neuregelung ohnehin im Rahmen der Einführung der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge einschließlich privater Veräußerungsgewinne aus Kapitalanlagen anlässlich der Unternehmensteuerreform 2008 vorgesehen.

IV. Schlussbetrachtung

Die Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum automatisierten Kontenabruf überzeugt nach alledem nicht.

Im Kern billigt das Gericht das Instrument des automatisierten Kontenabrufes, ohne dies überzeugend zu begründen. Sicherlich nicht nur der Verfasser hatte gehofft, das Bundesverfassungsgericht würde dem Konzept des "gläsernen" Bürgers in gewohnter - und geschätzter - rechtstaatlicher Manier entgegentreten.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies nicht getan - und wir sind dem Orwell'schen Überwachungsstaat erneut einen Schritt näher gekommen.


[1]Der Verfasser ist in der Kanzlei Leisner Rechtsanwälte tätig.

[1] HRRS 2007, Nr. 648. Dem Beschluss ist die Ablehnung von Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorausgegangen (BVerfG, Beschl. v. 22. März 2005, Az. 1 BvR 2357/04, 1 BvQ 2/05, NJW 2005, S. 1179 ff.); vgl. dazu z.B. Göres, NJW 2005, S. 1902 ff.

[2] Ein inländisches Kreditinstitut und ein Rechtsanwalt/Notar hatten gerügt, diese Vorschrift verletze ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG[i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG]), ihre Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie ihren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG - 1 BvR 1550/03.

[3] Das Kreditinstitut und der Rechtsanwalt/Notar hatten - mit gleicher Begründung (s.o. Fn. 2) - zudem die Verfassungswidrigkeit von § 93 Abs. 7 (und 8) i.V.m. § 93b AO gerügt - 1 BvR 2357/04.

[4] Eine Wohngeld-Bezieherin und ein Sozialhilfe-Empfänger hatten gerügt, § 93 Absatz (7 und) 8 i.V.m. § 93b AO verletzte ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und ihren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG - 1 BvR 603/05; die Verfassungsbeschwerde eines Bundeswehr-Soldaten, der während seines Einsatzes in Afghanistan Leistungen zum Unterhalt erhalten hat, war hingegen erfolglos.

[5] Die Bezeichnung "andere Zwecke" ist eigentlich nicht präzise genug: § 24c Abs. 3 S. 1 Nr. 2 KWG regelt ebenfalls einen Kontenabruf für gewissermaßen "andere" Zwecke, weil die BaFin Kontoinformationen originär für eigene Zwecke abrufen darf (§ 24c Abs. 2 KWG). Die vorliegende Differenzierung wurde gleichwohl gewählt, um den Schwerpunkt der vorliegenden Rezension - die Darstellungen der Kontenabruf-Entscheidung des BVerfG für Straf- und Steuerstrafverfahren - herauszustellen.

[6] "Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland" v. 21. 6. 2002 (BGBl. 2002, Teil I, S. 2010[2045 und 2053 f.]).

[7] Vgl. § 64f Abs. 6 KWG i.d.F. des Art. 6 Nr. 42 d. Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes (s.o. Fn. 6, S. 2058).

[8] Entwurf des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes (s.o. Fn. 6) der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8017 v. 18. 1. 2002, S. 111 (122); dazu auch: Göres, NJW 2005, S. 253 (254 f.); Hamacher, DStR 2006, S. 633 (636 f.).

[9] "Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten" vom 25. Oktober 1993 (BGBl. 1993, Teil I, S. 1770 ff.).

[10] "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" vom 23. Dezember 2003 (BGBl. 2003, Teil I, S. 2928[2931]).

[11] Art. 4 Abs. 2 des "Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit" (s.o. Fn. 10).

[12] Das Kreditinstitut und der Rechtsanwalt/Notar hatten gerügt, § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 KWG verletze ihre Berufsfreiheit; das BVerfG hat diese Frage im Hinblick auf das Kreditinstitut dahinstehen lassen (BVerfG, Beschl. d. Ersten Senates v. 13. Juni 2007, Az. 1 BvR 1550/03, 2357/04, 603/05, Rn. 161) bzw. hinsichtlich des Rechtsanwalts/Notars verneint (BVerfG, a.a.O., Rn. 162).

[13] Urt. d. Ersten Senates v. 15. Dez. 1983, Az. 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 64, S. 1 ff.

[14] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 86 ff. m.w.N.; BVerfG (s.o. Fn. 13), S. 42 f.; vgl. ferner: Dreier in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. I, 2. Aufl. (2004), Art. 2 I, Rn. 78 ff. m.w.N.; Murswiek in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl. (2001), Art. 2, Rn. 72 f. m.w.N.

[15] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 88 m.w.N.; BVerfG (s.o. Fn. 13), S. 45; Dreier (s.o. Fn. 18), Rn. 80.

[16] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 89.

[17] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 90.

[18] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 90 und 92.

[19] Dazu: Dreier (s.o. Fn. 14), 83; Murswiek (s.o. Fn. 14), Rn. 88.

[20] Zum Ganzen: Samson/Langrock, Der "gläserne" Bankkunde? (2005), S. 51 f. und 53 f. im Kontext der §§ 93 Abs. 7 und 8 i.V.m. 93b AO.

[21] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 94 m.w.N.

[22] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 96 f.; BVerfG (s.o. Fn. 13), S. 46.

[23] Vgl. Samson/Langrock (s.o. Fn. 20), S. 18 ff., welche Passagen der Verfassungsbeschwerde des Kreditinstitutes und des Rechtsanwalts/Notars wörtlich wiedergeben.

[24] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 110.

[25] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 110.

[26] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 109.

[27] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 109.

[28] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 109.

[29] BT-Drs. 14/8017 (s.o. Fn. 8), S. 123.

[30] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 115.

[31] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 117.

[32] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 118 f.

[33] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 123.

[34] Zum Folgenden: Samson/Langrock (s.o. Fn. 20), S. 51 f. und 53 f. hinsichtlich §§ 93 Abs. 7 und 8 i.V.m. 93b AO.

[35] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 123.

[36] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 125 m.w.N. - st. Rspr.

[37] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 126 f.

[38] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 130.

[39] BT-Drs. 14/8017 (s.o. Fn. 8), S. 123.

[40] Dazu zuletzt: BGH, NJW 2007, S. 930 ff. m.w.N. (HRRS 2007, Nr. 197); R. Hamm, NJW 2007, 932 f. (Anm.).

[41] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 140.

[42] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 167 (175)

[43] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 145

[44] Vgl.: Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. (2007), § 147, Rn. 25 m.w.N.

[45] Dazu: Neuling, Inquisition durch Information (2005), S. 278 ff. m.w.N.

[46] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 136 und 139.

[47] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 143.

[48] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 112.

[49] Zu diesem Aspekt schon: Samson/Langrock (s.o. Fn. 20), S. 62 ff.

[50] Dazu: Hamacher (s.o. Fn. 8), S. 638; vgl. auch: Tipke in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Lfg. 111 (Stand: Okt. 2006), § 93 AO, Rn. 35 u. 41.

[51] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 115 ff.

[52] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 117.

[53] BVerfG (s.o. Fn. 12), Rn. 101 f.

[54] Darauf weisen schon Samson/Langrock (s.o. Fn. 20), S. 28 zutreffend hin.

[55] Ein anderes Beispiel bilden: Samson/Langrock (s.o. Fn. 20), S. 28.

[56] Dazu bereits: Samson/Langrock (s.o. Fn. 20), S. 28 f.

[57] Schreiben v. 10. März 2005, BMF IV A 4 - S 0062 - 1/05 (BGBl. 2005, Teil I, S. 422[423 ff.]).