HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2005
6. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen


Die Nichtöffentlichkeit verfahrensbeendender Absprachen als absoluter Revisionsgrund i. S. der §§ 338 Nr. 6 StPO, 169 GVG

Zugleich Anmerkung zum Urteil des BGH vom 19. August 2004 - 3 StR 380/03 = HRRS 2004 Nr. 816. [1]

Von Rechtsanwalt Markus Rübenstahl Mag. iur. und Rechtsanwältin H. Milena Piel, Karlsruhe

In der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung ist es grundsätzlich unstrittig, dass verfahrensbeendende Absprachen, die im Stadium der Hauptverhandlung stattfinden und nicht - zumindest - in diese eingeführt werden, unter dem Gesichtspunkt der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 169 GVG) rechtlich bedenklich sind. Auch der BGH hat sich bereits mehrfach in diesem Sinne geäußert; keine dieser Entscheidungen enthielt indes tragende Erwägungen zum Öffentlichkeitsgrundsatz. Insofern wurde bisher nicht verbindlich festgestellt, dass, soweit in der Nichteinführung der Absprache in die Hauptverhandlung ein Verstoß gegen § 169 GVG gesehen werden muß, dies auch zur Konsequenz des § 338 Nr. 6 StPO führen würde. Das Urteil des 3. Strafsenats vom 19. August 2004 - welches jedenfalls einen absoluten Revisionsgrund verneint - bietet Anlass, das gesamte Problemfeld unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH zu erörtern.

I. Grundsätzliches zum Öffentlichkeitsgrundsatz

1. Gewährleistung der Öffentlichkeit des Strafverfahrens

Die Öffentlichkeit des Strafverfahrens wird nicht ausdrücklich im Grundgesetz gewährleistet; dennoch ist der im Gerichtsverfassungsrecht enthaltene Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG ohne Weiteres als vom Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleistet anzusehen[2]. Neben dem rechtsstaatlichen Aspekt des Öffentlichkeitsgebots ist auch der Aspekt der Garantie kontrollierender demokratischer Teilhabe von verfassungsrechtlicher Bedeutung. Beide Aspekte werden unter dem Grundgesetz vom Rechtsstaatsprinzip erfaßt und sind wesentlich für die Demokratie[3]. Die reduktionistische frühere Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen kein Verfassungssatz, sondern lediglich eine Prozessmaxime für bestimmte Verfahrensarten sei, der sich auch die strafprozessuale Literatur ganz überwiegend angeschlossen hatte[4], kann indes nach der aktuellen und eindeutigen Stellungnahme des BVerfG keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Der BGH selbst hat dies bisher nicht rezipiert: es handele sich um eine grundlegende Einrichtung des Rechtsstaates und eine zentrale Prozessmaxime für alle Hauptverhandlungen in Strafsachen[5]. Den verfassungsrechtlichen Rang des Öffentlichkeitsgrundsatzes hat der BGH nie eindeutig anerkannt. Die Verfassungsgrundsätze des Rechtsstaats und der Demokratie bedürfen näherer Ausformung durch Gesetz. Der Gesetzgeber muss bei der Ausgestaltung unterschiedliche, auch entgegenstehende Interessen berücksichtigen. Daher gilt der Verfassungsgrundsatz der Verfahrensöffentlichkeit nicht unbegrenzt oder ausnahmslos; sein Anwendungsbereich wird vielmehr - gesetzlich - durch andere Interessen von Verfassungsrang begrenzt[6].

Auf einfachgesetzlicher Ebene schreibt § 169 Satz 1 GVG für die gesamte ordentliche Gerichtsbarkeit vor, dass die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, einschließlich der Verkündung von Urteilen und Beschlüssen, öffentlich sein muß. § 338 Nr. 6 StPO schreibt im Anschluss daran für das Strafverfahren vor, dass ein Urteil, das aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt wurden, stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist. Damit erhalten - bestimmte - Verstöße gegen die Öffentlichkeitsmaxime einfachrechtlich den Charakter eines absoluten Revisionsgrundes. Auch Art. 6 Abs. 1 Europäische

Menschenrechtskonvention (EMRK) normiert den Grundsatz, dass vor einem Gericht öffentlich verhandelt und das Urteil öffentlich verkündet werden muß.[7]

2. Entstehung und Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime

Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Gerichtsverhandlungen basiert in Deutschland auf einer langen Tradition, die ihre Wurzeln in der Zeit der Aufklärung hat[8]. Die Forderung nach öffentlichen Gerichtsverfahren war damals eine Reaktion auf die allgemein übliche Geheim- und Kabinettsjustiz der absolutistischen Fürsten[9]. Die Öffentlichkeitsmaxime wurde in Deutschland besonders durch Anselm von Feuerbach geprägt und propagiert[10]. Er sah die historische Legitimation darin, dass die unmittelbare Beobachtung der Verfahrensabläufe durch eine grundsätzlich uneingeschränkte, allgemeine Öffentlichkeit geeignet sei, die Justiz zu kontrollieren und sowohl gerichtliche Willkür wie eine unzulässige Einwirkung der Exekutive auf das Gericht zu verhindern. Die Transparenz der gerichtlichen Vorgänge, welche durch die Öffentlichkeit erreicht werde, schrecke vor Mißbräuchen ab[11], im Ergebnis würden daher materiell unrichtige Entscheidungen und ein rechtsstaatswidriges Verfahren unmöglich. Diese Begründung hat heute nach Ansicht von Teilen der Literatur an Bedeutung verloren[12]. Schon zu Zeiten Feuerbachs wurde es als Recht des Volkes empfunden, von den Geschehnissen im Verlauf einer Gerichtsverhandlung Kenntnis zu nehmen und die durch die Gerichte handelnde Staatsgewalt einer Kontrolle in Gestalt des Einblicks der Öffentlichkeit zu unterziehen[13]. Heute steht faktisch unstrittig die indirekte Information der Öffentlichkeit durch die (Massen-)Medien über das Wirken der Strafjustiz im Vordergrund; das Informationsinteresse beinhaltet danach mittelbar auch, dass die Rechtsprechung in die Rechtsgemeinschaft hinein wirken kann und das Recht - im Sinne der positiven generale Prävention bzw. Integrationsprävention - lebendig erhält[14].

Das BVerfG[15] hat demgegenüber zu Recht erst kürzlich erneut die rechtlich bedeutsamere rechtsstaatliche Komponente der Gerichtsöffentlichkeit betont: Sie ziele darauf, die Einhaltung des formellen und materiellen Rechts zu gewährleisten und zu diesem Zwecke Einblick in die Funktionsweise der Rechtsordnung zu ermöglichen. Es solle insbesondere darauf hingewirkt werden, dass die Handelnden nicht in dem Gefühl, "unter sich zu sein", Verfahrensgarantien unbeachtet lassen, oder wesentliche tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte zum Zwecke der Beschleunigung des Verfahrens übergehen. Ob das Verhalten der Verfahrensbeteiligten angemessen sei, insbesondere welche Wortwahl oder Lautstärke, welche Geduld oder Straffung, welche Nachsicht oder Formstrenge des Richters der jeweiligen Verfahrenssituation gerecht werde, lasse sich auch - möglicherweise sogar am besten - durch anwesende Dritte beurteilen[16]. Die Gerichtsöffentlichkeit soll in Gestalt einer Verfahrensgarantie dem Schutz der an der Verhandlung Beteiligten, insbesondere der Angeklagten im Strafverfahren, gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz dienen. Die Information über das Verfahrensgeschehen sei dem Grunde nach Voraussetzung, um Verfahrensgerechtigkeit gewährleisten zu können[17].

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) interpretiert den Zweck der von der Konvention gewährleisteten Öffentlichkeit dahin, dass dadurch nicht nur vor einer geheimen, jeder öffentlichen Kontrolle entzogene Justiz geschützt, sondern außerdem die Transparenz der Rechtsprechung, das Vertrauen in die Gerichte und die Verfahrensfairness sichergestellt werden soll; daneben diene der Öffentlichkeitsgrundsatz auch dem Informationsanspruch des Bürgers[18]. Es ist darin kein wesentlicher Unterschied zur Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts zu erkennen.

Auch nach Auffassung des BGH schließlich soll der Öffentlichkeitsgrundsatz unmittelbar bewirken, dass sich die Rechtsprechung in aller Öffentlichkeit und nicht hinter verschlossenen Türen abspielt[19]. Der BGH erkennt an, dass die Verfahrensöffentlichkeit grundsätzlich im Dienst der Wahrheitserforschung steht und die öffentliche Hauptverhandlung geeignet ist, zu verhindern, dass sachfremde, das Licht der Öffentlichkeit scheuende Umstände auf das Gericht und damit auf das Urteil Einfluss gewinnen[20]. Darüber hinaus komme dem Grundsatz ein eigener, von dem Grundsatz der Wahrheitsfindung unabhängiger Wert zu. Der BGH betont gelegentlich die integrative Funktion der Verfahrensöffentlichkeit. Diese solle das Vertrauen der Allgemeinheit und des einzelnen in die Objektivität der Rechtspflege stärken[21].

3. Gewährleistungsumfang

Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist - für das Strafverfahren - nach h. M. in § 169 GVG als Öffentlichkeit im Raum der Gerichtsverhandlung während der Hauptverhandlung (6. Abschnitt, §§ 226-275 StPO) vom Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1 Satz 1 StPO) bis zum Abschluss

der Urteilsverkündung (§ 260 Abs. 1 StPO) vorgesehen[22]: So hieß es schon in dem 1874 vorgelegten Entwurf eines Gerichtsverfassungsgesetzes, dass jedermann aus dem Publikum Zutritt zu den Gerichtssälen haben soll, in denen die Gerichte Recht sprechen[23]. Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung im Sinne des § 169 GVG besteht nach ganz herrschender Meinung darin, dass jedermann ohne Rücksicht auf seine Gesinnung oder sein Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe sich ohne besondere Schwierigkeit Kenntnis von Ort und Zeit einer Verhandlung verschaffen kann,[24] und dass ihm der Zutritt zum Ort der Verhandlung eröffnet wird[25], nicht aber, dass er alle Vorgänge im Sitzungssaal - optisch und/oder akustisch - wahrnehmen können muss[26]. Unstrittig dienen § 169 GVG, § 338 Nr. 6 StPO primär dem Interesse der Allgemeinheit an der Öffentlichkeit des Verfahrens und stehen deshalb nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten[27]. Von jeher hat sich die Rechtsprechung mehr mit spezifischen Einschränkungsmöglichkeiten als mit einer abstrakten Definition des Gewährleistungsumfangs beschäftigt. An dieser Stelle sind die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen und Gründe für den (zeitweiligen) Ausschluss der Öffentlichkeit nicht im Detail erörterungsbedürftig[28]. Jedoch ist in diesem Zusammenhang interessant, dass der BGH in einer Reihe von Entscheidungen nicht jede während des Ausschlusses der Öffentlichkeit entfaltete Aktivität der Verfahrensbeteiligten, die nicht von dem im Gerichtsbeschluss genannten Ausschließungsgrund gemäß der §§ 171a - 172 GVG umfasst war, für eine Verletzung des § 169 Satz 1 GVG gehalten hat. Aus dem Wortlaut der Normen lässt sich indessen keine Einschränkung ablesen. Laut BGH ist jedoch vor dem Hintergrund des Normzwecks (Kontrolle des Verfahrensganges und der staatlichen Rechtspflege ) zu beachten, dass etwa Verhandlungen über Ablehnungsanträge, Fragen der Untersuchungshaft und über den Ausschluss des Verteidigers nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen nicht öffentlich erfolgen müssen; deswegen können derartige Vorgänge, soweit sie anfallen, auch während des Ausschlusses der Öffentlichkeit erledigt werden[29]. Die Rechtsprechung hat es weiter - ohne Kritik hervorzurufen - unter Berücksichtigung des Gedankens der faktischen Unmöglichkeit im Hinblick auf § 169 GVG für unproblematisch gehalten, dass dem Zutritt von Zuschauern zu der Hauptverhandlung durch die Kapazität des Sitzungssaals oder sonstige tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten Grenzen gesetzt wird[30]. Schließlich hat der BGH zur Verhinderung von Störungen und zur Gewährleistung der Sicherheit im Gerichtsgebäude gewisse Beschränkungen der Öffentlichkeit durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen des Vorsitzenden oder solche des Gerichtspräsidenten aufgrund seines Hausrechts grundsätzlich zugelassen[31].

Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO liegt vor, wenn die Verhandlung entgegen § 169 Satz 1 GVG nicht öffentlich geführt worden ist, obwohl das Gesetz einen Ausschluß nicht erlaubt (§§ 171a - 173, 175, 177 GVG, §§ 48, 109 JGG) und die Revision nicht gemäß § 171b GVG, 336 Satz 2 StPO ausgeschlossen ist. Dabei soll es nach der Rechtsprechung genügen, dass einzelnen Personen - sofern sie als Repräsentanten der Öffentlichkeit anzusehen sind - in einer dem Gesetz nicht entsprechenden Weise der Zutritt versagt wurde[32]. Weiterhin wurde die Verhandlung nach herrschender Meinung dann nicht öffentlich geführt, wenn das Gericht (unnötigerweise) an einem Ort verhandelt hat, der fremdem Hausrecht unterstand, so dass nicht jeder zu der Verhandlung Zugang hatte; oder wenn das interessierte Publikum nicht ohne weiteres erkennen konnte, ob oder wo eine öffentliche Verhandlung stattgefunden hat[33].

§ 338 Nr. 6 StPO erhebt die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens jedoch nach ständiger Rspr. nur dann zum absoluten Revisionsgrund, wenn der Vorsitzende oder das Gericht den Verstoß zu vertreten haben, das heißt, diese bei Anwendung einer angemessenen Sorgfalt und Umsicht den Verstoß hätten bemerken und Abhilfe schaffen können, weil nur dann die Beschränkung der Öffentlichkeit eine Gefahr für die Objektivität der Rechtsprechung indiziere[34]. Auch eine

klare Verletzung der Vorschriften über die Verfahrensöffentlichkeit stellt nach jüngerer Rechtsprechung des BGH nur dann einen absoluten Revisionsgrund dar, wenn nicht bereits denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht[35].Überdies liegt nach herrschender Meinung nur einen relativen Revisionsgrund vor, wenn öffentlich verhandelt wurde, obwohl die Öffentlichkeit kraft Gesetzes ausgeschlossen war; allein die unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit führt zu einem absoluten Revisionsgrund, nicht aber deren unzulässige Erweiterung[36].

II. Öffentlichkeitsgrundsatz und Absprachen in der bisherigen Rspr.

Bisher hat kein Senat des Bundesgerichtshofs seine Entscheidung darauf gestützt, dass bereits die fehlende Öffentlichkeit bei Vorgesprächen für eine verfahrensbeendende Absprache oder - entgegen den Vorgaben von BGHSt 43, 195 ff - die unterbliebene Einführung und Protokollierung in der Hauptverhandlung einen Verstoß gegen § 169 GVG darstelle und entsprechend gemäß § 338 Nr. 6 StPO - oder zumindest § 337 StPO - revisibel sei. In der Rechtsprechung aller Senate des Bundesgerichtshofs gibt es hingegen obiter dicta zu dieser Frage (siehe dazu unten II.2.-4.).

1. Formale Betrachtungsweise (Kammer des 1. Senats des BVerfG, 5. Strafsenat)

In einer früheren Kammerentscheidung[37], bei der allerdings nicht klar ist, ob spezifisch die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gerügt wurde, hat das BVerfG in einer außerhalb der Hauptverhandlung getroffenen Absprache keine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips gesehen. Prüfungsmaßstab war hier das Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz). Die Entscheidung betont maßgeblich die Notwendigkeit der Ermittlung des wahren Sachverhalts in der Hauptverhandlung, sowie die Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips. Keine Rolle für die Entscheidung spielten hingegen das Recht der Allgemeinheit auf Teilnahme am Verfahren und der Gedanke der Kontrolle der Gerichte durch die Allgemeinheit. Lediglich am Rande fand Art. 3 Abs. 1 GG in Form des allgemeinen Willkürverbots als weiterer Prüfungsmaßstab Erwähnung. Diese ersichtlich fallbezogene und nicht grundsätzlich angelegte Rechtsprechung dürfte jedoch nach dem Urteil des BVerfG[38] zur Fernsehübertragung von Hauptverhandlungen überholt sein, weil danach gerade auch das Öffentlichkeitsprinzip zum Kontrollmaßstab des Art. 20 Abs. 3 GG gehört (s.o.).

Der 5. Strafsenat hat in einer Entscheidung[39], die zeitlich vor BGHSt 43, 195 ff liegt, ausgeführt, dass in einem Gespräch, welches der Vorsitzende mit den Verteidigern außerhalb der Hauptverhandlung geführt hatte, ohne die Staatsanwaltschaft zu beteiligen, kein Verstoß gegen § 169 GVG zu sehen sei. In dem konkreten Gespräch hatte der Vorsitzende erläutert, dass für den Fall, dass die Angeklagten ein kurzes Geständnis abgeben würden, eine bestimmte von ihm genannte Strafen verhängt würde. Dem 5. Strafsenat zufolge ist darin kein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz zu sehen, weil sich dieser nur auf die Vorgänge in der Hauptverhandlung im Sinne der §§ 226 - 275 StPO beziehe[40]. Überdies bewertete der Senat die Erklärung des Vorsitzenden als reine Wissenserklärung und ging deshalb nicht von einer bindenden Absprache aus. Eine solche hätte er nur angenommen, wenn durch die Mitteilung des Ergebnisses einer Zwischenberatung des Gerichts ein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre. Inwieweit diese kategorische Aussage noch Geltung beansprucht ist unsicher[41].

2. Substantielle Betrachtungsweise (4. Strafsenat)

Der 4. Strafsenat hat in seiner Entscheidung in BGHSt 43, 195 ff. - in nicht tragenden[42] Ausführungen - Verfahrensgrundsätze für Absprachen aufgestellt. Er formulierte eindeutig, dass verbindliche Absprachen, die außerhalb der Hauptverhandlung getroffen und nicht in dieser - hinsichtlich des Inhalts der Gespräche und des Ergebnisses - offen gelegt werden, gegen § 169 GVG verstoßen[43]. Zur Begründung verweist der 4. Strafsenat auf den -

allgemein anerkannten (s. o.) - Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes: Dieser wolle das Informationsinteresse der Allgemeinheit und die Kontrolle der Justiz gewährleisten und dadurch das Vertrauen in die Rechtsprechung fördern. Werde eine Absprache aus der öffentlichen Hauptverhandlung hinaus verlagert, so werde die Hauptverhandlung zur bloßen Fassade, die jeden Einblick der Öffentlichkeit in die Grundlagen des Urteils verhindere. Weiter gewährleiste die Öffentlichkeit auch die notwendige Einbeziehung aller Verfahrensbeteiligten. Der Senat äußert sich hingegen nicht explizit dazu, ob die Nichteinführung einer Urteilsabsprache auch zu einem absoluten Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 6 StPO führen kann.

3. Unklare bisherige Position der übrigen Strafsenate

Die übrigen Senate des Bundesgerichtshofs haben nicht explizit Stellung bezogen. Jedenfalls wurde anerkannt, dass heimliche bzw. vertrauliche Absprachen, gar unter Ausschluss eines Teils der Prozessbeteiligten, eine Umgehung des Öffentlichkeitsgrundsatzes darstellen[44] und von daher bedenklich sind. Eine Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten über die außerhalb der Verhandlung geführten Gespräche sei deshalb grundsätzlich erforderlich[45], jedenfalls wenn die Absprache bindenden Charakter bekommen solle[46], da nach der Rechtsprechung aller Strafsenate - im Anschluß an BGHSt 43, 195 ff - deren Protokollierung notwendig ist.

4. Das Urteil des 3. Strafsenats vom 19. August 2004

Der 3. Strafsenat hat sich nunmehr - wohl tragend - dahin geäußert, dass die Nichteinführung von Urteilsabsprachen, die außerhalb der Hauptverhandlung getroffen und entgegen den Vorgaben von BGHSt 43, 195 nicht in die Verhandlung eingeführt wurden, jedenfalls nicht "den Öffentlichkeitsgrundsatz im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO" [47] verletzt, weil die Öffentlichkeit im Sinne der vom 5. Strafsenat zutreffend gegebenen, am Wortlaut des Gesetzes (§§ 226 bis 275 StPO) orientierten, engen Definition nicht verletzt ist, wenn die beanstandete Absprache gerade außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden hat. Das könne zwar zur Unwirksamkeit der Absprache führen oder von der an den Vorgesprächen nicht beteiligten Seite zum Gegenstand von Ablehnungsgesuchen gemacht werden. Ein solcher Verstoß rechtfertige jedoch selbst unter dem Gesichtspunkt des Einflusses, den eine Verständigung auf das weitere Verfahren "haben darf" (!) nicht die Subsumtion unter § 338 Nr. 6 StPO; denn das Gericht bleibe stets verpflichtet, die Richtigkeit des Geständnisses zu überprüfen, eine zutreffende rechtliche Würdigung vorzunehmen und ungeachtet einer Höchststrafenvereinbarung später ein materiell-rechtlich zutreffendes und unter Berücksichtigung aller Umstände vertretbares Urteil zu fällen. Vergleichbare Vorgänge - etwa die Erteilung eines richterlichen Hinweises außerhalb der Hauptverhandlung entgegen § 265 StPO oder die Beweisaufnahme entgegen § 261 StPO - begründeten ebenfalls nur die spezifischen Gesetzesverstöße, ohne dass der absolute Revisionsgrund der Verletzung der Öffentlichkeit eingreife[48].

5. Weitergehende Position der Literatur

Stimmen in der Literatur[49] haben von jeher den Anwendungsbereich des § 169 Satz 1 GVG nicht von der richterlichen Zuordnung eines Vorgangs zu den Verfahrensabschnitten, sondern allein von der Sache selbst abhängig gemacht; für das Strafverfahren sei daher der Inbegriff der Verhandlung im Sinne des § 261 StPO maßgeblich. Was wegen des Unmittelbarkeitsprinzips in der Hauptverhandlung stattfinden muss, müsse gleichfalls der Kontrolle der Öffentlichkeit unterworfen werden, so dass es zu einem Gleichlaufen der Anwendungsbereiche der §§ 261 StPO und 169 GVG komme[50]. Im Unterschied zur Ansicht des 4. Strafsenats wird hier eine nachträgliche Offenlegung der Absprache, insbesondere bloß des Ergebnisses, als nicht ausreichend angesehen. Der Aushandlungsvorgang selbst sei ebenso wichtig wie dessen Ergebnis, auch ersterer müsse deshalb der Kontrolle der Öffentlichkeit unterliegen. Das Gebot der Überprüfbarkeit aller für das Urteil wesentlichen Verfahrensabschnitte schließe es aus, nur deren Ergebnis einzuführen. Ohne Kenntnis der Hintergründe bleibe den Zuhörern verborgen, was die Beteiligten zu diesem Schritt bewogen habe[51]. Allein durch Beobachten der Absprachekommunikation, welche bei Absprachen regelmäßig die Beweisaufnahme substituiere, könne geklärt werden, ob nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Weg dorthin angemessen angelaufen sei[52]. Die Informationsbasis der Öffentlichkeit müsse dieselbe sein, wie die des Gerichts bei der Entscheidungsfindung[53]. Nicht zuletzt deshalb, weil

der Beweiswert eines Geständnisses und dessen Gewicht für die Strafzumessung von der Art des Zustandekommens abhänge, müsse der Vorgang, wenn er vom Gericht gesteuert werde, als Teil der Hauptverhandlung unter der Kontrolle der Öffentlichkeit ablaufen[54].

6. Stellungnahme

Nach der hier vertretenen Auffassung ist der in BGHSt 43, 195 ff unvollständig zum Ausdruck gekommene Grundsatz, dass Urteile auf der Basis von Urteilsabsprachen, die nicht zumindest mit vollständigem Inhalt und mit Angaben zu ihrem Zustandekommen in die Hauptverhandlung eingeführt (und protokolliert) werden, gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 GVG) verstoßen, dahingehend zu ergänzen und zu präzisieren, dass aus einem derartigen Verstoß regelmäßig der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO folgt.

a) Mangelnde Praktikabilität und fehlendes rechtliches Erfordernis einer weitergehenden Öffentlichkeit bzw. Offenlegung der Absprache

Der weitergehenden Auffassung in der Literatur, nach der der gesamte Absprachevorgang in der Hauptverhandlung stattfinden soll[55] bzw. dort zu wiederholen - gewissermaßen nachzuspielen - sei, kann nicht zugestimmt werden. Das direkt in der Hauptverhandlung stattfindende Verständigungsgespräch, welches in eine protokollierte Absprache über eine Höchststrafe mündet, würde zwar in optimaler Weise dem Informations- und Kontrollbedürfnis der Öffentlichkeit Rechnung tragen. Andererseits kann sich diese Rechtsauffassung, nur auf eine erweiternde, den Wortlaut des § 169 GVG transzendierende teleologische Auslegung im Zusammenhang mit den gesetzlich nicht geregelten Urteilsabsprachen stützen (s. u.). Soweit es vor dem Hintergrund des extralegalen Charakters der grundsätzlich außerhalb der Hauptverhandlung ausgehandelten Urteilsabsprachen zur Sicherung des Normzwecks des § 169 GVG unbedingt erforderlich ist, kann die Öffentlichkeit der Absprachen verlangt werden. Deren komplette Durchführung in der Hauptverhandlung oder die nachträgliche Einführung sämtlicher Verständigungsgespräche ist indes - verglichen mit dem Informationsstand in einer streitigen Hauptverhandlung - weder zur Information der Saalöffentlichkeit noch zur Gewährleistung der medial vermittelten Kontrolle der Justiz notwendig. Auch unabhängig von Absprachesachverhalten erfährt die Öffentlichkeit von einem beträchtlichen Teil der maßgeblichen Vorgänge für die Entscheidungsfindung nichts. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Entscheidungsgrundlage des Gerichts der Saalöffentlichkeit in vollem Umfang bekannt sein müsse[56].

BGHSt 43, 195 ff widerspricht zu Recht - im Hinblick auf das Rechtsgespräch[57] und die Fühlungsname zwischen den Verfahrensbeteiligten[58] - dem Postulat, in der Hauptverhandlung müsse alles offen gelegt werden bzw. die Verständigungsgespräche müssten komplett dort stattfinden. Das ist schon deshalb nicht zwingend, weil vor der Hauptverhandlung zulässige Verständigungsgespräche auch zur Sachentscheidung - man denke etwa an solche, die von § 153a StPO vorausgesetzt werden - selbstverständlich ohne Öffentlichkeit stattfinden dürfen (und müssen). Absprachegespräche auch nach Beginn und außerhalb der Hauptverhandlung sind deshalb - und weil es schlicht keine Vorschrift gibt, die sie verböte - grundsätzlich zulässig[59], ohne dass die tatsächlich[60] nicht zu einer bindend vereinbarten Urteilsabsprache führenden Gespräche als solche eingeführt werden müssten. Zulässige Themen für solche Gespräche sind unstrittig alle denkbaren Fragen des Verfahrensablaufs, einschließlich der (teilweisen) Verfahrensbeendigung nach den §§ 153 II, 153a II, 154, 154a StPO, sowie eine Einigung über sachgerechte weitere Antragsstellung und Beweisaufnahme[61]. Sogar die Einleitung von Verständigungsgesprächen "über eine zügige Erledigung der... Verfahren" außerhalb der Hauptverhandlung scheint nicht einmal nach Auffassung des 3. Strafsenats grundsätzlich ausgeschlossen[62]. Wenn aber all dies unstrittig zulässig ist, wird man auch unverbindliche Verhandlungen über die konkret zu erwartende strafmildernde Wirkung eines (Teil-) Geständnisses des Angeklagten zulassen müssen, zumal Verfahrensbeschränkungen nach den §§ 154, 154a StPO - die unstrittig Absprachegegenstand sein können - in der Praxis nicht selten einer Strafmilderung gleichkommen oder jedenfalls in einem untrennbaren Verhältnis zur Gesamtstraferwartung stehen[63]. Auch Gespräche

über eine Einstellung gegen Auflagen (§ 153a II StPO) kommen inhaltlich der Urteilsabsprache nahe. Zudem haben nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen, Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung nicht einmal die begrenzte, in BGHSt 43, 195 ff postulierte, rechtliche Bindungswirkung, solange das Gericht nicht in einer Zwischenberatung den Abspracheinhalt gebilligt hat und dieser in der Hauptverhandlung eröffnet und protokolliert wurde[64]. Solange die Gespräche aber für sich betrachtet unverbindlich und ohne rechtliche Konsequenzen sind[65], besteht kein essentielles Informationsbedürfnis der Saalöffentlichkeit, welches die ausweitende Auslegung der §§ 169 GVG, 338 Nr. 6 StPO rechtfertigen könnte. Praktische Gründe werden überdies stets - außer in ganz einfach gelagerten Fällen - verhindern, dass der vollständige Verlauf von außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen nachträglich in die Hauptverhandlung eingeführt werden können.

Gegen die Führung der kompletten Verständigungsgespräche in der Hauptverhandlung spricht die im Regelfall gleich zu Beginn erwartete - zumindest konkludent geäußerte - grundsätzliche Erklärung der Verteidigung, dass der Angeklagte zumindest zu Teilen des Anklagevorwurfs eine geständige Einlassung machen werde, wenn die Strafe einen bestimmten Umfang nicht überschreite. Dass eine solche Bereitschaft der Verteidigung u. U. bestehen könnte - was einer effektiven Freispruchsverteidigung praktisch bereits den Boden entzieht - geht für die Prozessbeteiligten in der Regel bereits daraus hervor, dass der Verteidiger sich solche Vorschläge anhört. Wenn solche Gespräche in öffentlicher Verhandlung stattfinden müssten, würde sich der Angeklagte - auch wenn die Gespräche durch den Verteidiger geführt werden - einer Vorverurteilung durch die Saalöffentlichkeit aussetzen, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine wie auch immer geartete Sicherheit bestünde, dass es zu einer Absprache kommt und diese umgesetzt wird. Gesprächsbeiträge des Angeklagten, gegebenenfalls auch Äußerungen, die der Verteidiger in seinem Einverständnis abgibt, würden überdies im Falle des Scheiterns der Verständigungsbemühungen, der Beweiswürdigung des Gerichts (§ 261 StPO) unterliegen, da sie als Äußerungen der Prozeßbeteiligten zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehören. Naturgemäß würden sie Indizien zur Verurteilung liefern. Da der BGH bisher nicht einmal im Falle eines Geständnisses, welches auf einer fehlgeschlagenen Absprache beruht, ein Beweisverwertungsverbot anerkennt, dürfte er dies in Bezug auf Äußerungen, denen noch keine Absprache zugrunde liegt, erst recht nicht tun[66]. Unabhängig davon, ob das Gericht formal - etwa auch im Rahmen der Urteilsgründe - auf die im Rahmen von gescheiterten Verständigungsgesprächen öffentlich angedeutete Geständnisbereitschaft zurückgreift, mag hier jedenfalls die öffentliche Begründung eines mangels Beweisen freisprechenden Urteils (§ 173 Abs. 1 GVG) besonders schwer fallen[67]. Überdies kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die - über unverbindliche Sondierungsgespräche normalerweise zunächst nicht unterrichteten - Schöffen derartige Verteidigeräußerungen mit zur Grundlage ihrer Sachentscheidung in der Schuldfrage machen, selbst wenn ihnen seitens der Berufsrichter signalisiert worden ist, das sei rechtlich nicht akzeptabel. Durch die Berichterstattung über das Verfahren in den Medien, insbesondere in Rundfunk und Fernsehen würde die Gefahr einer Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit potenziert[68]. Je eingehender die öffentliche Erörterung von Umständen aus der persönlichen Sphäre im Rahmen der Absprache erfolgt - die in der Hauptverhandlung unter Umständen auch unter dem Gesichtspunkt der §§ 244 Abs. 2, 261 StPO[69] nicht in derselben Breite erforderlich ist - desto größer ist auch die Gefährdung der Resozialisierung des Angeklagten[70].

Eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann schon begrifflich nicht vorliegen, wenn noch unverbindliche Gespräche bzw. Verhandlungen, die auf eine konsensuale Erledigung des Verfahrens abzielen, gar nicht in der Hauptverhandlung hätten stattfinden können, weil diese, unmittelbar nach dem Eröffnungsbeschluß, noch nicht begonnen hat. Gerade in umfangreichen Verfahren ist die Anbahnung einer in der Hauptverhandlung zu schließenden Vereinbarung im Rahmen der Terminierungsgespräche nicht ganz selten[71]. In diesem Zusam-

menhang besteht wegen der häufig starken Belastung und der notwendigen effektiven Zeitplanung der Spruchkörper durchaus ein sachliches Bedürfnis, schon zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die ungefähren vorläufigen Standpunkte von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht auszuloten. Gerade in Wirtschaftsstrafverfahren, bei denen bereits im Ermittlungsverfahren intensiv verteidigt wird, findet die Hauptverhandlung zumeist nicht in luftleerem Raum statt, sondern schließt sich an Rechtsgespräche, dem Austausch der beiderseitigen Vorstellungen bzgl. des Verfahrensergebnisses und möglicherweise auch an einen vorläufigen (Teil-)Konsens an. In solche Gespräche muss man das erkennende Gericht - im Hinblick auf denkbare Verfahrensbeschränkungen, Verfahrensabtrennungen, Terminierungen etc. - einbeziehen können, ohne dass dies zu einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes führt.

b) Nichtöffentlichkeit von Absprachen als absoluter Revisionsgrund?

Vor dem Hintergrund des Urteils des 4. Strafsenats, dessen Grundsätze bisher von allen Strafsenaten akzeptiert wurden, erscheint ein absoluter Revisionsgrund bei Nichteinführung einer bindenden Urteilsabsprache nahezu zwingend, jedenfalls wenn man gedanklich den Entstehungszusammenhang und die Einbettung der dort getroffenen Ausführungen zum Öffentlichkeitsgrundsatz berücksichtigt: Es handelt sich bei BGHSt 43, 195 ff um das erste höchstrichterliche Judikat, das ausdrücklich und grundsätzlich anerkennt, dass Urteilsabsprachen - nach dem Muster Geständnis gegen milde Strafe - mit dem geltenden Verfahrensrecht vereinbar sind[72]. Diese "Konzession an die Verfahrenswirklichkeit [73] " verband der 4. Strafsenat jedoch mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass das deutsche Strafverfahrensrecht grundsätzlich vergleichsfeindlich ausgestaltet sei[74] und nutzte das Urteil, um - großteils im Wege des obiter dictum - Kriterien für Absprachen aufzustellen, deren Beachtung zur Rechtmäßigkeit führen kann[75]. Dieser Sichtweise haben sich alle anderen Strafsenate angeschlossen[76]. Es handelt sich um Mindestbedingungen. Über diesen Rahmen hinausgehende Formen der Verständigung sind deshalb in aller Regel nicht mit geltendem Recht vereinbar[77].

Der BGH hatte bereits vor BGHSt 43, 195 ff mehrfach festgestellt, dass nicht bindende, eine Verständigung lediglich anbahnende Gespräche bzw. Rechtsgespräche, die reine Wissenserklärungen des Gerichts über die zu erwartende Strafe beinhalten, auch außerhalb der Hauptverhandlung zwischen (einzelnen) Richtern und (einzelnen) Verfahrensbeteiligten grundsätzlich nicht zu beanstanden seien[78]; hieran war der 4. Strafsenat zumindest faktisch gebunden.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Vorgaben des 4. Strafsenats zur Offenlegung der Absprache als erreichbares und zugleich absolutes Minimum an Verfahrensöffentlichkeit. Der 4. Strafsenat war sich bei seinem Urteil sicherlich bewusst, dass Geschehnisse, die formal außerhalb der Hauptverhandlung stattfinden, nach unstreitiger Auffassung nicht zum Regelungsgegenstand der §§ 169, 338 Nr. 6 StPO gehören. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Senat den Sachverhalt präzise umschreibt - Hinausverlagerung der Absprache aus der öffentlichen Hauptverhandlung, nicht etwa Entfernung der Zuschauer - und im Übrigen seine Rechtsauffassung mit substanziellen Erwägungen zum Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsprinzips unterlegt[79]. Damit steht u. E. fest, dass sich der Senat für Absprachensachverhalte bewusst von einer rein formalen Betrachtungsweise entfernt (oder sich höchst missverständlich geäußert) hat.

Der 3. Strafsenat ignoriert in seiner neuen Entscheidung, dass eine Urteilsabsprache, die sieben Jahre nach der unmissverständlichen (und insoweit unstrittigen) Grundsatzentscheidung BGHSt 43, 195 nicht zur Gänze in die Hauptverhandlung eingeführt wird, im Regelfall nicht bloß aus Unsicherheit, Saumseligkeit oder Gleichgültigkeit der Verfahrensbeteiligten, der Kenntnis der Verfahrensöffentlichkeit entzogen wird: Es ist unter Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern bekannt, dass eine Verständigung nach dem Muster Geständnis gegen milde Strafe gerade dann völlig unbedenklich ist,

wenn sie in der Hauptverhandlung zumindest offen gelegt wird. Die meisten Verteidiger wissen, dass sie sich auf die Vereinbarung nur berufen können, wenn diese in der Hauptverhandlung protokolliert wurde; Richter und Staatsanwälte wissen, dass die Protokollierung sie - auch in der Revision - vor der Unterstellung schützt, sie hätten eine materiell rechtswidrige Absprache getroffen[80].

Ein vernünftiger Grund für die Nichtoffenlegung zumindest des vollständigen Ergebnisses einer Absprache kann daher heute allein darin gesehen werden, dass die Absprache zumindest aus der Sicht der Beteiligten den gesetzlichen - durch den BGH konkretisierten - Vorgaben nicht entspricht. Es liegt schon deshalb nahe, daß in der überwiegenden Zahl der Fälle, in denen tatsächlich dem Öffentlichkeitsgebot zuwider verfahren wurde, gerade solche inhaltlich rechtswidrigen Absprachen betroffen sind. Aus Sicht von Verteidigern und Angeklagten werden häufig Regelungen angestrebt, die nach der Rechtsprechung des BGH nicht zum Gegenstand einer Verständigung der Prozessbeteiligten gemacht werden dürfen[81]:

(1) So hat der BGH - weil die Entscheidung auf Tatsachen basieren und sich an den erzieherischen Bedürfnissen orientieren soll - schon lange die Vereinbarung der Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende gem. § 105 Abs. 1 JGG ausgeschlossen. Natürlich wird ein engagierter Verteidiger, dem die Systematik des JGG häufig weniger wichtig sein dürfte als eine schnelle Tataufklärung[82], wenn er auf Seiten des Gerichts eine Verständigungsbereitschaft erkennt, eine entsprechende Absprache[83] treffen, um dem Mandanten die tiefgreifenden und vielfachen Vorteile[84] der - sachlich unberechtigten - Anwendung von Jugendstrafrecht zu sichern.

(2) Ähnliches gilt für die abgesprochene Nichtverhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere der Sicherungsverwahrung[85].

(3) Von besonderer Bedeutung für den Angeklagten, nicht aber für das erkennende Gericht, ist die Gestaltung von Strafvollstreckung und Strafvollzug, insbesondere der Zeitpunkt der Strafrestaussetzung, Ort und Umfeld des Vollzugs, die Vollzugsformen (offener oder geschlossene Vollzug) und die Verfügbarkeit von Vollzugslockerungen (insbesondere Freigang) sowie die allgemeine Gestaltung des Vollzugs. All dies darf nach der Rechtsprechung des BGH nicht zum Objekt einer Urteilsabsprache werden.

(4) Selbstverständlich ist auch die Vereinbarung des anzuwendenden - möglichst milden - Strafgesetzes unzulässig[86]; es ist jedoch zumindest verblüffend, dass gelegentlich offen zu Tage liegende Qualifikationstatbestände etwa im Rahmen der §§ 177, 250 StGB übersehen werden. Häufiger wird dasselbe Ziel wohl über §§ 154, 154a StPO oder über ein "hermetisches" Geständnis und den Verzicht auf jede weitere Beweisaufnahme erreicht.

Mithin besteht ein beträchtliches Kontrollbedürfnis. Zu Recht hat deshalb der 4. Strafsenat die Zulässigkeit der Urteilsabsprache - bewusst oder unbewusst - in den Zusammenhang einer erweiternden Auslegung der §§ 169 GVG, 338 Nr. 6 StPO bzw. der analogen Anwendung des § 169 GVG gestellt. Eine analoge Anwendung von Verfahrensvorschriften ist im Zusammenhang mit der gesetzesfremden Absprachenpraxis nicht fernliegend. Die dagegen zu erhebenden methodisch-dogmatischen Bedenken sind letztlich nicht gerechtfertigt. Dies zeigt auch die vom 4. Strafsenat gleichzeitig postulierte und inhaltlich damit zusammenhängende Pflicht, das Ergebnis der Absprache in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen[87]. Es lässt sich nur schwer behaupten, dass die Protokollierungspflicht bezüglich einer zunächst außerhalb der Hauptverhandlung getroffenen Absprache bereits aus der herkömmlichen Auslegung der §§ 272, 273 StPO folge; vielmehr hat der 4. Strafsenat die Absprache durch den Zwang ihrer Einführung erst zum Bestandteil der Hauptverhandlung und somit zur wesentlichen Förmlichkeit gemacht; ein überzeugenden Akt richterlicher Rechtsfortbildung. Darüber hinaus bedarf nach der neueren Rechtsprechung auch eine Abweichung von dem protokollierten Inhalt der Absprache aufgrund einer Änderung der Tatsachengrundlage oder der rechtlichen Würdigung des Gerichts eines nur durch Protokoll nachweisbaren Hinweises im Sinne des § 265 Abs. 1, 2 StPO. Auch insofern ist der BGH rechtsfortbildend tätig geworden. Zur Vermeidung einer planwidrigen Regelungslücke[88] und zur Gewährleistung der rechtsstaatlich erfor-

derlichen Transparenz und Kontrolle bei Urteilsabsprachen ist der Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 GVG) entsprechend auf deren bindende Vereinbarung durch die Verfahrensbeteiligten während des Hauptverfahrens anzuwenden, egal in welchem Rahmen und in welcher Form die Vereinbarung erfolgt.

Die nur an Wortlaut und Systematik des überlieferten Strafprozessrechts orientierte Auslegung des § 169 GVG wird letztlich rechtsstaatlichen Erfordernissen nicht gerecht, denn sonst hätten es die Verfahrensbeteiligten selbst in der Hand, zu bestimmen, was Teil der Hauptverhandlung ist und was nicht. Der Anwendungsbereich des § 169 GVG darf jedoch nicht - abgesehen von den gesetzlich vorgesehenen Beschränkungsmöglichkeiten - von der richterlichen Deklaration eines Vorgangs als Teil der Hauptverhandlung abhängen[89]. Ansonsten läge es in der Macht des Vorsitzenden, all diejenigen Bestandteile der Hauptverhandlung, die nicht schon aufgrund von § 261 StPO dem Urteil im Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch zugrunde zu legen sind, somit alles, was nicht Beweisaufnahme im engeren Sinne ist, aus der öffentlichen Hauptverhandlung und dem Sitzungssaal auszulagern und in seinem Dienstzimmer stattfinden zu lassen. Für die Öffentlichkeit verbliebe ein unverständlicher Torso von Verfahrensabläufen, dessen Unvollständigkeit jede Kontrolle durch die Öffentlichkeit vereiteln würde.

Der Senat begründet seine Entscheidung indessen damit, dass auch andere Urteile, denen Vorgänge mit urteilstragender Bedeutung außerhalb der Hauptverhandlung zu Grunde liegen (etwa ein privater Augenschein des Richters oder ein erforderlicher richterlicher Hinweis zu Rechtslage per Telefon), lediglich unter dem Gesichtspunkt des § 261 StPO rechtsfehlerhaft sind, auch wenn die Saalöffentlichkeit gleichermaßen nicht teilnehmen konnte. Mit einem Ausschluss der Öffentlichkeit sei dies nicht gleichzusetzen. Darüber hinaus sei die Bedeutung der Absprache für den weiteren Verlauf des Verfahrens und die Sachentscheidung nicht derart überragend, dass diesbezüglich ein qualitativer Unterschied zu anderen prozessual erheblichen Vorgängen gemacht werden könne: Gerade nach den in der Rechtsprechung allgemein anerkannten Vorgaben von BGHSt 43, 195 ändere sich durch die Absprache am weiteren Verlauf der Hauptverhandlung - insbesondere an der zum Tatnachweis erforderliche Beweisaufnahme - nichts. Vielmehr müsse die weitere Hauptverhandlung entsprechend den Prozessgrundsätzen und sonstigen Verfahrensvorschriften durchgeführt werden. Direkt auf der Absprache könne und dürfe das Urteil mithin gerade nicht beruhen, ein qualitativer Unterschied zu einzelnen Beweiserhebungen außerhalb der mündlichen Hauptverhandlung könne (bzw. dürfe) nicht bestehen.

Die vom 3. Senat vorgebrachten Argumente gegen das Vorliegen einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes überzeugen nicht. So steht der richterliche Hinweis auf die Veränderung der Rechtslage, den der Richter nicht in der Hauptverhandlung sondern lediglich telefonisch gibt, in keinerlei Zusammenhang mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz. Die Hinweispflicht beruht auf der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Angeklagten und dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs[90]. Bei Verletzung dieser Pflicht ist das Verfahrensrecht verletzt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist nicht tangiert, es besteht kein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit daran, welche weiteren Strafnormen der Richter zur Beurteilung des verhandelten Sachverhalts heranzuziehen gedenkt.

Das weitere Argument, auch wenn der Richter einen privaten Augenschein durchführe und diesen nicht in die Hauptverhandlung einführe, gleichwohl jedoch das Urteil auf diesen gründe, sei der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht verletzt (wohl aber das Verfahrensrecht gem. § 261 StPO) lässt ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Behandlung verfahrensbeendender Absprachen zu. Für den privaten Augenschein des Richters mag das vom 3. Strafsenat in Bezug auf verfahrensbeendende Absprachen vorgetragene Argument Geltung erlangen: Der (private) Augenschein ist nur in Ausnahmefällen für das Urteil so erheblich, dass die Öffentlichkeit durch dessen Vorenthaltung beeinträchtigt wäre; das Beispiel wirkt konstruiert. Ohnehin kann die Saalöffentlichkeit nicht alle Beweisstücke in gleichem Umfang wie das Gericht in Augenschein nehmen. Der BGH geht überdies in ständiger Rspr. davon aus, dass die Öffentlichkeit gerade bei (auswärtigen) Augenscheinsterminen nicht zwingend Zutritt erhalten muss, etwa, wenn der Inhaber des Hausrechts trotz der Bitte des Vorsitzenden den Zutritt nur den Prozessbeteiligten gestattet (s.o.). Absprachen im Richterzimmer o. ä. unter Beteiligung aller Prozessbeteiligten stehen demgegenüber viel eher der Fallgruppe des gezielten und vom Gericht gewollten Verlegens der Verhandlung an einen Ort außerhalb des für die Öffentlichkeit betretbaren Bereichs nahe, gerade wenn eine Verhandlungsunterbrechung nur zur Durchführung der Absprache außerhalb der Hauptverhandlung veranlasst wird. In den Verlagerungsfällen ging der BGH jedoch wiederholt von einem Verstoß gegen § 338 Nr. 6 StPO aus[91].

Das Argument des 3. Strafsenats, die Verständigung außerhalb der Strafverhandlung sei nicht so erheblich, "dass von einer weiteren Hauptverhandlung praktisch nicht mehr gesprochen werden kann und der Verfahrensabschluß in der Absprachen zu sehen ist", daher sei der

Einfluss einer Absprache auf das Verfahren nicht groß genug, um einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz zu begründen, vermag mit Bezug auf verfahrensbeendende Absprachen nicht zu überzeugen. Der BGH schließt aus den in BGHSt 43, 195 ff. aufgestellten Grundsätzen (nach denen das Gericht auch nach einer Absprache verpflichtet bleibt, die Richtigkeit des Geständnisses zu überprüfen, die zutreffende rechtliche Würdigung vorzunehmen und ein vertretbares und materiell-rechtlich zutreffendes Urteil zu treffen) darauf, dass die Absprache tatsächlich keinen erheblichen Einfluss auf das Prozessgeschehen habe. Mit dieser Argumentation wird jedoch das Urteil des 4. Strafsenates ad absurdum geführt. Dieser hatte die vorgenannten Grundsätze gerade deswegen aufgestellt, weil zu befürchten war, das vom Angeklagten im Rahmen einer Absprache abgegebene Geständnis werde "ohne weiteres dem Schuldspruch zugrunde gelegt, ohne dass sich das Gericht von dessen Richtigkeit überzeugt [92] ". Gerade wenn entgegen der klaren Vorgabe von BGHSt 43, 195 ff die Absprache auch im Ergebnis der Saalöffentlichkeit verheimlicht wird, liegt der Schluss nahe, dass sich Gericht und Prozessbeteiligte die Absprache auch im Übrigen - nicht nur formal, sondern auch substanziell - nicht gesetzeskonform gestaltet haben. Der schon für sich genommen methodisch fragwürdige Schluss vom Normativen (Regeln von BGHSt 43, 195 ff) auf das Faktische (dementsprechende Gestaltung der Absprache im Übrigen) wirkt hier geradezu naiv.

Die Befürchtung, es habe kein "faires, rechtsstaatliches Verfahren" stattgefunden, wenn ein Urteil auf einer Absprache basiert, ohne dass diese in die Hauptverhandlung einbezogen und der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wurde, hat durch den Zeitablauf und die weitgehende Durchsetzung der "Grundregeln" für Absprachen seit dem Urteil der 4. Strafkammer keineswegs an Bedeutung verloren. Vielmehr ist eine Kontrolle der Justiz durch die Öffentlichkeit und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung der Gerichte nur dann gewährleistet, wenn die wesentlichen Verfahrensabläufe in der Gerichtsverhandlung selbst stattfinden.

Wird hingegen eine Absprache, auf die das Gericht letztlich - und somit entgegen der für Absprachen festgesetzten Grundsätze des 4. Senats - sein Urteil stützt, aus der Hauptverhandlung hinausverlagert und in dieser nicht offengelegt, dann "wird die Hauptverhandlung zur bloßen Fassade, die jeglichen Einblick der Öffentlichkeit in die dem Urteil zugrunde liegenden Umstände verschleiert [93] ". Die Annahme, der Einfluß einer Absprache sei nicht erheblich, weil das Gericht weiter dem Gebot der Wahrheitsfindung verpflichtet bleibe und nicht sich aufdrängende Beweiswürdigungen unterlassen dürfe, ist in den Fällen gerechtfertigt, in denen das Gericht die Grundsätze aus BGHSt 43, 195 ff. vollumfänglich beachtet hat. Ist dies jedoch nicht der Fall, und hat das Gericht das Urteil auf ein absprachegemäßes Geständnis bzw. eine Absprache gestützt, die im Verfahren nicht öffentlich gemacht wurde, dann beruht das Urteil zumindest teilweise auf Tatsachen, die sich "hinter verschlossenen Türen" abgespielt haben. Ein solches Urteil ist in ganz erheblicher Weise geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung zu beeinträchtigen. Es wird schon aufgrund der geheimgehaltenen Absprache, die ohne weiteres durch Einbeziehung in die Hauptverhandlung zu einer rechtmäßigen hätte werden können, den Eindruck der "Mauschelei" in der Öffentlichkeit erwecken.

Insofern liegt besonders in nichtöffentlichen Absprachen eine große Gefahr für das Rechtsstaatsprinzip und das Informationsinteresse der Allgemeinheit im Rahmen des Strafprozesses. Dieser Gefahr kann nur dadurch begegnet werden, dass der erheblichen Bedeutung von Absprachen auch im Rahmen der Revision Rechnung getragen wird. Nichtöffentliche Absprachen stellen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit im Strafverfahren dar, § 169 GVG entsprechend. Eine Ausnahme von § 338 Nr. 6 StPO, nach dem ein absoluter Revisionsgrund ohne weiteres dann vorliegt, wenn die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind, kann und darf gerade im Zusammenhang mit einer nichtöffentlichen Absprache nicht gemacht werden.

Voraussetzung für einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz nach § 169 GVG und entsprechend für das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes gem. § 338 Nr. 6 StPO ist natürlich, dass überhaupt eine verbindliche Absprache getroffen wurde. Ist dies nicht der Fall, und haben jeweils nur Vorgespräche stattgefunden, die nicht in der Zusicherung einer bestimmten Höchststrafe, sondern lediglich in einer Wissenserklärung des Gerichts mündeten, dann kann der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht verletzt sein. Dass sich in der Praxis die Abgrenzung zwischen Wissenserklärung und Zusicherung schwierig gestalten mag, liegt in der Natur der Sache. Es liegt jedoch hier in den Händen des engagierten Strafverteidigers, sich über die Verbindlichkeit der richterlichen Aussage zu versichern und sodann auf die Einbeziehung der Absprache in die Hauptverhandlung und deren Protokollierung hinzuwirken, bevor der Angeklagte das in der Absprache angekündigte Geständnis ablegt.


[1] Vorgesehen für BGHSt. = BGH StV 2004, 639

[2] BVerfG, Urt. vom 24.1.2001 - 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99, Rdnr. 69 = BVerfG NJW 2001, 1633, 1635

[3] BVerfG a.a.O. Rdnr. 70.

[4] LR/Wickern GVG vor § 169 Rdnr. 6; Meyer-Goßner GVG § 169 Rdn r. 1; Pfeiffer GVG § 169 Rdnr. 1; KK/Diemer GVG § 169 Rdnr. 1; GVG Katholnigg § 169 Rdnr. 1; GVG Kissel § 169 Rdnr. 4.

[5] BGHSt 22, 297, 301; BGH MDR 1980, 273; Meurer JR 1990, 391

[6] Vgl. BVerfGE 4, 74, 94; 70, 324, 358; BVerfG NJW 2001, 1633, 1635: Zu den entgegenstehenden Belangen gehören das Persönlichkeitsrecht der am Verfahren Beteiligten (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG), u. U. der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG; zu ihm vgl. BVerfGE 57, 250, 274 f.; 89, 120 129) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung (dazu vgl. BVerfGE 33, 367, 382 f.; 77, 65, 76). Das Gerichtsverfassungsrecht berücksichtige diese gegenläufige Belange durch Ausnahmen von dem Grundsatz der Öffentlichkeit, die allgemein bestehen oder im Einzelfall vorgesehen werden können (vgl. § 169 Satz 2, §§ 170 ff. GVG, § 48 JGG; BVerfGE 15, 303, 307 = NJW 1963,757; vgl. auch BVerfG NStZ 1987, 419 f.).

[7] Vgl. im Einzelnen Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 707-719; EMRK Komm./Peukert, 2. Auflage (1996), Art. 6 Rdnrn. 117 ff; Int. Komm. zur EMRK/Miehsler/Vogler Art. 6 Rdnrn. 331 ff.

[8] Rohde, Die Öffentlichkeit im Strafprozess, 1972, S. 50 ff; Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre im Strafverfahren, 1992, S. 5 ff.

[9] KK/Diemer GVG § 169 Rdnr. 1

[10] vgl. von Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, 1821, Neudruck 1969, Bd. 1

[11] Schilken S. 155.

[12] Meyer-Goßner GVG § 169 Rdnr. 1 mwN

[13] von Feuerbach, a.a.O., S. 180

[14] Scherer ZaöRV 39, 81; Meyer-Goßner a. a. O.

[15] BVerfG, Urteil vom 24.1.2001 - 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99 = BVerfG NJW 2001, 1633 ff

[16] BVerfG a.a.O. Rdnr. 74 = BVerfG NJW 2001, 1633, 1635

[17] BVerfG a.a.O. Rdnr. 71

[18] Zusammenfassend Esser, a.a.O. S. 707 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EGMR.

[19] BGHSt 9, 280, 281; BGHSt 21, 73.

[20] BGHSt 9, 280, 282.

[21] BGHSt 21, 74.

[22] Meyer-Goßner unterscheidet innerhalb der Hauptverhandlung zusätzlich das Verhandeln bzw. die Verhandlung im engeren Sinn, die erst nach den in § 243 Abs. 1 bis 3 StPO bezeichneten förmlichen Vorgängen beginnt und vor der Urteilsbegründung endet (vgl. Meyer-Goßner § 226 Rdnr. 2); diese Unterscheidung erlangt aber für die Geltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes offensichtlich keine Bedeutung (vgl. § 169 Satz 2 GVG).

[23] Vgl. Hahn, Die gesamten Materialien zu dem Gerichtsverfassungsgesetz und dem Einführungsgesetz zu demselben vom 27. Januar 1877, 1879, S. 173; Meyer-Goßner GVG § 169 Rdnr. 1; OLG Koblenz VRS 61, 270.

[24] BGH DAR 1981,195; BayObLG GA 1970, 242; OLG Köln VRS 66, 209.

[25] BVerfG NJW 2002, 814; BGHSt 21, 72, 73, ständige Rechtsprechung.

[26] Vgl. BGH NStZ 1991, 122.

[27] LR/Hanack § 338 Rdnr. 103

[28] Insbesondere §§ 1 Abs. 2, 48 Abs. 1 und 2 JGG; §§ 171a - 172 GVG.

[29] BGHR StPO § 338 Nr. 6 Öffentlichkeit 2, 3 und 4; vgl. bereits RGSt 21, 250, 251; RGSt 58, 286, 288

[30] BGHSt 5, 75; BGHSt 21, 72; BGHSt 27, 13 BGHSt 21, 72, 73; BGHSt 40, 191, 192; BGH NJW 1979, 770; BayObLG GA 1970, 242; OLG Köln NStZ-RR 1999, 335; bei Hauptverhandlungen in privaten Räumlichkeiten sind Einschränkungen aufgrund des Hausrechts hinzunehmen, vgl. BGH NStZ 1981, 311; BGH NStZ 1994, 498; BGH NStZ-RR 2000, 366).

[31] BGHSt 24, 72, 73; BGHSt 27, 13, 15; BGHSt 29, 258, 259. Welche Maßnahmen im Einzelfall zulässig sind, ist nach pflichtgemäßem Ermessen unter Abwägung des Grades und Ausmaßes der drohenden Gefahr von Störungen einerseits und der Wichtigkeit des Öffentlichkeitsgrundsatzes andererseits zu beurteilen, vgl. KK/Diemer GVG § 169 Rdnr. 10 m. w. N.; BGH NStZ 1999, 426; BGH NStZ 1989, 467; BGH NStZ 1993, 450; Dahs GA 1976, 356; Beulke Strafverfahrensrecht Rdnr. 400; Roxin, Strafverfahrensrecht § 45, Rdnr. 19; LR/Hanack § 138 Rdnr. 113/114 .

[32] OLG Karlsruhe NJW 1977, 311; ähnlich BGHSt, 3,388; BGHSt 17, 205; BGHSt 18, 180.

[33] BGH NJW 1979, 770; BGHSt 40, 191; BGH NJW 1995, 3333; OLG Celle StV 1987,288;.

[34] RGSt 43, 189; BGHSt 21, 72; BGHSt 22, 297, 300; BGH NStZ 1995, 143; BayObLG MDR 1994, 1235; Hilger NStZ 1983, 341; aA mit beachtlichen Gründen - die Rechte des potentiellen Zuhörers sind obj. und subj. verletzt, das öffentliche Vertrauen in die Justiz gefährdet - Dahs GA 1976, 353, 356 ff; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 6. Aufl. (2000), Rdnr. 198; Kohlmann JA 1981, 582; Roxin, StrafprozessR, § 4 5 C 1.

[35] Vgl. etwa BGH NJW 1996, 138, wenn während des Ausschlusses der Öffentlichkeit ein Hinweis nach § 265 StPO zu einem später nach § 154a StPO ausgeschiedenen Tatteil gegeben wird.

[36] BGHSt 10, 206; BGHSt 23, 85; BGHSt 23,178; so schon RGSt 1, 324; 652; RGSt 4, 286; Meyer-Goßner § 338 Rdnr. 47; KK/Kuckein § 138 Rdnr. 84; bzgl. § 169 Satz 2 GVG anders LR/Hanack § 338 Rdnr. 105 ff; anderer Auffassung auch Roxin JZ 1968, 805; Festschrift für Peters S. 404; NStZ 1989, 377; Eberhard Schmidt NJW 1968, 804; Beulke Strafprozessrecht Rdnr. 576. Dies soll hier - mangels Relevanz für die Absprachenproblematik - nicht vertieft werden.

[37] Beschl. vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 = NStZ 1987, 419.

[38] BVerfG a.a.O.

[39] BGHSt 42, 46 ff. = BGH NJW 1996, 1763 = BGH NStZ 1996, 448.

[40] In der Literatur in diesem Sinne Jähnke, in: Absprachen im Strafprozeß - ein Handel mit der Gerechtigkeit? (1987), S. 151; Peter Cramer, FS f Rebmann (1989), S. 149; Baumann, NStZ 1987, 157, 158.

[41] Der 5. Strafsenat hat sich zwischenzeitlich einmal in allgemeiner Form die Maßstäbe der Grundsatzentscheidung des 4. Strafsenats zueigen gemacht Danach habe eine Absprache in wesentlichen Punkten den von der Rechtsprechung aufgestellten Verfahrensgrundsätzen widersprochen, weil diese ersichtlich nicht in der Hauptverhandlung stattgefunden habe, BGHSt 45, 51 ff = BGH NJW 1999, 2449 = BGH StV 1999, 412.

[42] Die fragliche Urteilsabsprache hatte vollständig in öffentlicher Hauptverhandlung stattgefunden, vgl. BGHSt 43, 195, 196.

[43] BGHSt 43, 195, 205 f; in der Literatur zuvor bereits Schmidt-Hieber StV 1986, 355 f; Widmaier StV 1986, 357, 359; Hanack StV 1987, 500, 503; Schäfer DRiZ 1989, 294.

[44] BGHSt 37, 298, 304; die Revision der Staatsanwaltschaft hatte mit einer Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO erfolg.

[45] BGHSt 37, 99, 103.

[46] BGH StV 1999, 407; BGH NStZ 2001, 555; BGH StV 2001, 554; BGH, Beschl. vom 5. August 2003 - 3 StR 231/03 geht sogar noch weiter und verlangt die Offenlegung von Gesprächen, bzgl. derer der Vorsitzende davon ausging, man habe noch keine Einigung über Umfang des Geständnisses und das Ausmaß der Belastung des Angeklagten erzielt, um eine Klarstellung herbeizuführen; der Senat fordert insoweit ein Vorgehen des Verteidigers nach § 238 Abs. 2 StPO; dies jedoch nur deshalb, weil sich der Angeklagte auf den von ihm so verstandenen Inhalt der Absprachen berufen wollte.

[47] Der 3. Strafsenat war laut mündlicher Urteilsbegründung des Vorsitzenden nach kollegialer Konsultation der (jetzigen) Mitglieder des 4. Strafsenats der Auffassung, dieser Senat habe in BGHSt 43, 195 ff nicht den Öffentlichkeitsgrundsatzes im streng strafprozessual-rechtsdogmatischen Sinn der §§ 338 Nr. 6 StPO, 169 GVG i. V. m. §§ 226 ff StPO gemeint, sondern nicht durch die Vorschriften über die Öffentlichkeit im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO abgesicherte Leitidee der Transparenz der Hauptverhandlung, vgl. BGH StV 2004, 639.

[48] Zu alledem BGH StV 2004,639.

[49] Schünemann, Gutachten B zum 58. Deutschen Juristentag München 1990,S. B 88 ff.; Rönnau, Die Absprache im Strafprozess (1990), S. 165 ff; Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung (1993), S. 154 ff.

[50] Schünemann a. a. O. B 89; Siolek, a. a. O., S. 159.

[51] Siolek a. a. O. S. 158.

[52] Schünemann a. a. O. B 88/89.

[53] Rönnau a. a. O. S. 167.

[54] Schünemann, Gutachten B zum 58. Deutschen Juristentag München 1990, S. B 88 ff.

[55] Rönnau, Die Absprache im Strafprozess (1990), S. 169; Schünemann, a.a.O.

[56] Es ist etwa ohne weiteres möglich, zentrale Urkunden, auf deren Inhalt die Verurteilung des Angeklagten beruht, im Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) einzuführen. In diesem Fall hat die Saalöffentlichkeit keinerlei Möglichkeit, die Grundlage des Schuldspruchs vor der Urteilsverkündung zu erkennen. Sie bleibt über den Stand des Verfahrens im Dunkeln. Auch Befangenheitsgesuche gem. § 24 Abs. 2 StPO gegen erkennende Richter können während der laufenden Hauptverhandlung ohne weiteres schriftlich bei der Geschäftsstelle des Gerichts gestellt werden (§ 26 Abs. 1 Satz 1 StPO); die Saalöffentlichkeit erfährt hiervon allenfalls durch die Verkündung des Gerichtsbeschlusses gem. § 28 StPO; soweit außerhalb der Hauptverhandlung ein völlig anderer Spruchkörper entscheidet (§ 27 Abs. 2 und 3 StPO), kommt auch eine bloße Zustellung an die Prozeßbeteiligten in Betracht (§ 35 Abs. 2 StPO).

[57] Vgl. BVerfG - Kammer - NJW 1987, 2662; BGHSt 42, 47 f; BGHSt 43, 212, 215; BGH StV 2001, 556

[58] BGH, Beschl. vom 4. Mai 1977 - 3 StR 93/77; BGH NStZ 1985, 36, 37; BGH StV 1988, 417, 418 m.w.N.

[59] BGH StV 1984, 449; BGH StV 1988, 417; BGH StV 1989, 336.

[60] Anders der Sachverhalt bei BGHSt 37, 298 ff insb. 303/304: "nach außen hin unverbindlich".

[61] So auch der zu diesem Zeitpunkt die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen grundsätzlich in Frage stellende 3. Strafsenat: BGHSt 37, 298, 305.

[62] Vgl. BGHSt 37, 98, 103; s. a. Siolek a. a. O. S. 155/156; Böttcher/Widmaier JR 1991,353,356; Zschockelt NStZ 1991, 305, 309.

[63] Vgl. Böttcher/Widmaier a. a. O. S. 356: Die Staatsanwaltschaft hatte insofern in der Regel Vorstellungen; eine Einstellung ist für sie eigentlich nur möglich, wenn das Gericht zu erkennen gibt, wie sich voraussichtlich die Straferwartung bei einer Stoffbeschränkung im Vergleich zu der Straferwartung ohne Stoffbeschränkung verhalten wird; dabei kann auch die Frage des Geständnisses häufig nicht außen vor bleiben: Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft dürfte es für die Anwendung der §§ 154, 154a StPO auch darauf ankommen, welche Auswirkungen sie auf den Verlauf der Hauptverhandlung bzw. des Verfahrens hat; dies hängt wesentlich vom Einlassungsverhalten des Angeklagten ab.

[64] BVerfG StV 2000, 3; BGH, Urt. v. 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98; BGH NJW 1998, 3654; BGH StV 2001, 554; BGH NJW 2003, 1404; BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren Vereinbarung 14; BGH, Beschl. v. 5. August 2003 - 3 StR 231/03.

[65] Vgl. insb. BGH StV 2001, 554.

[66] Vgl. BGHSt 42, 191 ff; BGH NJW 2004, 1396; Meyer-Goßner, Einl. 119g m.w.N. Für ein Verwertungsverbot bei Verletzung von Verfahrensrechten des Angeklagten Kuckein, FS f Meyer-Goßner, S. 71; vgl. Kölbel NStZ 2003, 232.

[67] Weitergehend hält Widmaier, StV 1986, 357, 359, einen Freispruch auch nach inoffiziell nur durch den Verteidiger angedeuteter Geständnisbereitschaft praktisch für ausgeschlossen; eine derartige Haltung der Gerichte mag zwar menschlich verständlich sein, hätte jedoch rechtlich keinerlei Grundlage.

[68] vgl. LR/Wickern GVG vor § 169 Rdnr. 12, 13, 16 ff.

[69] Es werden im Rahmen der Gespräche häufig von Seiten des Angeklagten oder von Seiten der Justiz, tatsächliche Umstände benannt, Einschätzungen zur Sach- und Rechtslage geäußert, Bedingungen gestellt, Vorschläge gemacht und Handlungsalternativen aufgezeigt werden, die weil sie sich als unzutreffend bzw. nicht beweisbar herausstellen, keinen Konsens der Beteiligten finden, rechtlich oder tatsächlich nicht umsetzbar sind, keinen Eingang in die Urteilsabsprache finden. Sie bleiben gewissermaßen "moot" und gehören auch nicht in das auf die Verständigung aufbauende Urteil. Dennoch können die diesbezüglichen vertraulichen Äußerungen geeignet sein, ein - möglicherweise völlig unzutreffendes - das Ansehen des Angeklagten schmälerndes Bild hervorzurufen.

[70] LR/Wickern GVG vor § 169 Rdnr. 12.

[71] Vgl. den Sachverhalt von BGHSt 37, 298 ff; Böttcher/Widmaier JR 1991, 353; andererseits wird es sich aus Verteidigersicht unter Umständen anbieten, zunächst streitig zu verhandeln, um die eigene Verhandlungsposition nicht zu früh zu schwächen und dem Gericht zu signalisieren, daß die Überführung des Angeklagten in "streitiger" Hauptverhandlung allenfalls nach ausgedehnter Beweisaufnahme unter Beweisschwierigkeiten mit dem entsprechenden Revisionsrisiko möglich sein wird; vielfach wird das Gericht nur dann den Beitrag des Angeklagten zur Verfahrensabkürzung und -vereinfachung und zur Herstellung des Rechtsfriedens, der auch in einem "abgesprochenen" Geständnis liegt, zu würdigen wissen; vgl. Widmaier StV 1986, 357, 358.

[72] Vgl. Pfister, DRiZ 2004, 178, 180; Weigend, in: 50 Jahre BGH - Festgabe aus der Wissenschaft ( 2000), Bd. IV, S. 1011, 1022 ff.

[73] Weigend a. a. O. S. 1022; vgl. auch Jähnke ZRP 2001, 574, 575; Pfister a. a. O. S. 180.

[74] BGHSt 43, 195, 203; vgl. auch Pfister DRiZ 2004, 178, 179 .

[75] Der 4. Strafsenat betont, dass die Verständigung jeweils in ihrer konkreten Ausgestaltung an den unverzichtbaren Prinzipien des Verfahrensrechts und des materiellen Strafrechts zu messen ist und sowohl hinsichtlich ihres Zustandekommens als auch bezüglich ihres Inhalts diesen Grundsätzen genügen muss; diese Grundsätze formuliert er sodann als Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Rechts des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren in den Ausprägungen, die es in den Verfahrensgrundsätzen des Strafprozessrechts gefunden habe; BGHSt 43, 195, 203/204.

[76] BGH StV 1999, 407[1. Strafsenat]; BGH NStZ 1999, 571[5. Strafsenat ]; BGHSt 45,312, 313; BGH StV 2001,554[2. Strafsenat]; BGH StV 2003,544[3. Strafsenat]; vgl. auch Pfister a.a.O., S. 180.

[77] Pfister a.a.O. S. 180/181; Kuckein, in: Festschr. für Meyer-Goßner (2001), S. 64/65; Kuckein/Pfister, in: BGH-Festschrift ( 2000), S. 641,651 ff; vgl. auch Kintzi, JR 1998, 249, 250; Kintzi, Festschrift für Hanack (1999), S. 177 ff; dass die Verfahrenswirklichkeit vielfach (noch) anders aussehen mag (vgl. Schmitt, GA 2001,411 ff) kann in einem Rechtsstaat und insbesondere vor dem Hintergrund der richterlichen Bindung an Gesetz und Recht (Art. 97 Grundgesetz) eigentlich nicht ernsthaft als Gegenargument taugen.

[78] BGHSt 38, 102, 104; vgl. auch BGH NJW 2000, 965[ 2. Strafsenat ]; BGHSt 42, 46, 47 ff[5. Strafsenat]; beide Senate scheinen eine derartige Vorgehensweise nicht nur für unbedenklich, sondern unter Umständen sogar für tunlich zu erachten; vgl. auch - zurückhaltender - BGHSt 43, 195, 203.

[79] BGHSt 43, 195, 205.

[80] Etwa eine schuldunangemessen milde Strafe in Aussicht gestellt, Vereinbarungen über Maßregeln der Besserung und Sicherung oder die Anwendung der Jugendstrafe getroffen.

[81] Vgl. Kintzi, Festschrift für Hanack ( 1999), S. 177, 180/181; Baumann NStZ 1987, 158.

[82] In diesem Zusammenhang kann zum Beispiel gelegentlich beobachtet werden, dass von mehreren heranwachsenden Angeklagten nur derjenige die Rechtswohltat des § 105 Abs. 1 JGG erhält, der "umfassend zur Sache aussagt" das heißt die Mitangeklagten belastet.

[83] Selbstverständlich wird es sich im Nachhinein und für Dritte - insbesondere das Revisionsgericht - allenfalls um eine vorläufige, nicht bindend gemeinte Prognose des erkennenden Gerichts auf der Basis des Inbegriffs der bisher durchgeführten hat Hauptverhandlung bzw. nach Aktenlage handeln.

[84] Insbesondere ist hier an die milderen einheitlichen (§ 31 JGG) Sanktionen, insbesondere Auflagen und Weisungen (§§ 9-16 JGG), die vielfach geringere Dauer der Jugendstrafe nach Maßgabe des Erziehungsbedürfnisses (§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 2 JGG) mit der entsprechenden Höchststrafe (§ 105 Abs. 3 JGG) sowie deren einschränkende Voraussetzungen und Möglichkeit der Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe (§ 27 JGG), die einheitliche Strafe (§ 31 JGG). Hinzu kommt insbesondere die Möglichkeit der frühzeitigen Strafrestaussetzung zur Bewährung (§ 88 JGG).

[85] Eine Absprache darüber ist laut BGH sogar im Falle einer Ermessensentscheidung verboten (§ 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 StGB), Beschl. vom 8. Februar 2005 - 3 StR 452/04, S. 4 m. w. N.; BGH NStZ-RR 2005, 39.

[86] Beschl. vom 8. Februar 2005 - 3 StR 452/04, S. 4 m. w. N.

[87] BGHSt 43, 195, 205 f.

[88] Angesichts der zitierten Ausführungen von BGHSt 43, 195 und der ganz überwiegenden Literaturauffassung kann kaum zweifelhaft sein, dass es sich bei den Urteilsabsprachen um prozessuale Handlungen handelt, die in der historischen StPO keine Grundlage haben. Das Gesetz schweigt zu diesem Thema bis heute. Andererseits ist der Anwendungsbereich des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Gesetz zwar scheinbar klar geregelt; jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Sacheentscheidung aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung im formalen Sinn (§§ 225 ff StPO) fällt. Die höchstrichterliche Anerkennung einer Urteilsabsprache mit (relativer) rechtlicher und (praktisch) faktischer Bindungswirkung für das Instanzgericht führt deshalb im Hinblick auf § 169 GVG zur Entstehung einer verdeckten Regelungslücke.

[89] Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung (1993), S. 155

[90] Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 265, Rn. 2-5 m.w.N.

[91] Vgl. die Nachweise in Fn. 33.

[92] BGHSt 43, 204

[93] BGHSt 43, 205