HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2005
6. Jahrgang
PDF-Download

Schrifttum

Alejandro Aponte: Überlegungen zum "effizienten" Feindstrafrecht anhand der Situation in Kolumbien. 378 S., Nomos, Baden-Baden, 2004, ISBN 3-8329-0612-6, § 69,-- €.

Auf der kommenden Strafrechtslehrertagung in Frankfurt an der Oder wird am letzten Veranstaltungstag eine Diskussion über das Thema "Krieg gegen den Terror - Konsequenzen für ein rechtsstaatliches Strafrecht" stattfinden. Die von Günther Jakobs und Peter Alexis Albrecht vorgesehenen einleitenden Referate garantieren die Repräsentanz einerseits des bellizistischen und andererseits des pazifistischen Lagers in der Diskussion um das so genannte "Feindstrafrecht", das eine der möglichen Konsequenzen des "Kriegs gegen den Terror" darstellen könnte.

Alejandro Apontes , von Alessandro Baratta betreute Saarbrücker Dissertation "Krieg und Feindstrafrecht" aus dem Jahr 2002 behandelt daher sicher ein aktuelles Thema von grundsätzlicher Bedeutung und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Forschungsgegenstand einer Dissertation würdig ist. Allerdings war eine schwierige Gratwanderung zu bewältigen. Wie kaum bei einem anderen Thema im gegenwärtigen strafrechtswissenschaftlichen Diskurs sind bei der Diskussion über Jakobs "Feindstrafrecht" Politik und Wissenschaft ineinander verwoben. Das Schlagwort "Feindstrafrecht" hat sich längst in der Medienwelt verbreitet und fordert, genährt durch tagespolitische Ereignisse, angefangen bei den Verbrechen des 11. September (man denke etwa an die Hamburger Prozesse gegen die mutmaßlichen Attentatshelfer Motassadeq und Mzoudi) bis zum "Folterfall" Daschner, in erster Linie eine politische Stellungnahme und eher sekundär die in einer Doktorarbeit zu leistende vorurteilsfreie wissenschaftliche Aufarbeitung des Stoffes. Alejandro Aponte war also dazu aufgefordert, das Thema "Feindstrafrecht" einerseits mit der erforderlichen wissenschaftlichen Unvoreingenommenheit zu bearbeiten und sich andererseits dennoch einer wertenden aber nüchternen Stellungnahme nicht zu enthalten.

Der Autor hat diese Aufgabe in geradezu vorbildlicher Weise bewältigt. Während der Begriff "Feindstrafrecht" noch bei seinem Schöpfer Jakobs in erster Linie ein inhaltlich diffuser Topos für eine neue, von ihren rechtsstaatlichen Fesseln befreite Verteidigung des Staates gegen "Unpersonen", die sich "dauerhaft vom Recht abgewandt haben", darstellt, zeigt die Arbeit von Aponte ein konkretes Gesicht des "Feindstrafrechts" auf. Anhand der Schilderung der Situation der Strafrechtspflege in Kolumbien lernt der Leser eine "Strafrechtsordnung im permanenten Ausnahmezustand" (Aponte, S. 62 ff, die nachfolgenden Seitenangaben ohne nähere Kennzeichnung beziehen sich auf die hier zu rezensierende Monographie) kennen, die das von Jakobs offensichtlich befürwortete "Feindstrafrecht" in seiner gesamten Tragweite verdeutlicht.

Wie Aponte einleitend berichtet (S. 19 f., 66 ff.), wurde in Kolumbien im Jahr 1990 infolge der Ermordung von über 100 Beamten der Justizverwaltung durch so genannte "Drogenterroristen" eine Art Notstandsstrafrecht in Kraft gesetzt, das nach der Interpretation des Autors in geradezu idealtypisch zugespitzter Weise die Züge eines "politisch effizienten Feindstrafrechts" trägt. Unter dem Titel "Statut zur Verteidigung der Justiz" entstand so parallel zu dem bestehenden Strafrecht in Kolumbien eine zweite Spur der Strafrechtspflege, die in zentralen Punkten auf der Ebene des Strafprozessrechts und des materiellen Strafrechts von dem "normalen" kolumbianischen "Bürger" - Strafrecht abweicht.

Die wohl bemerkenswertesten Modifikationen erfährt das Strafrecht dabei auf der prozessualen bzw. gerichtsverfassungsrechtlichen Ebene. Das Notstandsstrafrecht verzichtet nicht nur auf eine öffentliche Hauptverhandlung, sondern der Prozess ist insgesamt "geheim". Dies bedeutet, dass weder die Richter noch die Beamten der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Angeklagten in Erscheinung treten (Richter und Staatsanwälte "ohne Gesicht", S. 66 ff.), die Identität der Zeugen geheim bleibt und dem Angeklagten und seinen Verteidigern aus Gründen der Sicherheit sogar bestimmte Beweismittel und Beweisergebnisse vorenthalten werden können. Außerdem ist das "Sonderstrafrecht" durch den Abbau maßgeblicher, für das "Bürgerstrafrecht" geltender Schutzvorschriften zugunsten des Angeschuldigten gekennzeichnet. So sind z. B. wichtige Bestimmungen, die eine überlange Untersuchungshaft vermeiden sollen, außer Kraft gesetzt, oder sie gelten mit gewichtigen Modifikationen (S. 199 ff). Da diese Regelungen parallel zu den Normen des "Bürgerstrafrechts" existieren und durch zahlreiche Spezialvorschriften ergänzt werden, gilt für die der "Justiz ohne Gesicht" unterworfenen Angeklagten eine unübersichtliche Rechtslage (S. 202), die nach Apontes empirischen, anhand von Einzelfällen veranschaulichten Feststellungen dazu führt, dass die vorläufige Festnahme nur der Beginn einer jahrelangen Freiheitsentziehung ohne juristische Kontrolle darstellen kann. In diesen Fällen, die fast die Hälfte der in Kolumbien inhaftierten Personen betreffen, ist daher die Untersuchungshaft die eigentliche Strafe und die vor dem Urteil erlittene Freiheitsentziehung dauert unter Umständen länger als die zu erwartende Freiheitsstrafe (S. 203 ff). Außerdem wurden zur Verfolgung der in den Anwendungsbereich der "Justiz ohne Gesicht" fallenden Delikte die ermittlungsbehördlichen Zuständigkeiten modifiziert und ergänzt. Die Verfolgung dieser Straftaten obliegt nicht mehr alleine der Staatsanwaltschaft und Polizei, sondern seit einer Verordnung aus dem Jahr 1992 (S. 265) auch einer besonderen Einheit der kolumbianischen Streitkräfte, die in den ländlichen Gebieten Kolumbiens Aufgaben der Kriminalpolizei wahrnehmen. Die dabei vorgesehene Leitung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft ist nach Aponte eher formaler Natur, da der Staat in den von den Guerilla beherrschten Gebieten Kolumbiens, abgesehen von Einheiten des Militärs, nicht präsent ist (S. 266). Daher verleiht die formale Unterstellung der Strafverfolgungstätigkeit des Militärs unter die Aufsicht der Staatsanwaltschaft den Ermittlungsmaßnahmen der Streitkräfte eine Scheinlegitimität, die mit den realen Verhältnissen vor Ort nicht zu vereinbaren ist.

Auf der materiell-rechtlichen Ebene kommt das Sonderstrafrecht in Sonderstrafrahmen und Strafschärfungsvorschriften zu den bestehenden Normen des "Bürgerstrafrechts" zum Ausdruck. So wird z. B. die Körperverletzung dann unter eine höhere Strafe gestellt, und dem Anwendungsbereich der "Justiz ohne Gesicht" zugeordnet, wenn die Tathandlung "terroristische Ziele" verfolgt oder der Täter einer "gesetzlich nicht autorisierten bewaffneten Gruppe" angehört (S. 116 ff.). Aponte zeigt dabei auf, dass die Regelungstechnik des Gesetzgebers gezielt auf unbestimmten Rechtsbegriffen aufgebaut ist, die von den "Richtern ohne Gesicht" im Sinne einer einzelfallbezogenen Abwägungsdogmatik ausgelegt werden können. Im Ergebnis bleibt es daher weitgehend dem Zufall überlassen, ob eine Tathandlung als eine dem "Bürgerstrafrecht" unterworfene "normale" Körperverletzung oder als ein terroristischer Akt eingeordnet wird.

Die hier nur skizzenhaft, von Aponte jedoch in allen Einzelheiten geschilderte Ausnahmegesetzgebung wird von dem Autor im Folgenden unter den Gesichtspunkten der Evolution und Mechanik der Feindstrafrechtsgesetzgebung und -anwendung analysiert (S. 189 ff., 221 ff.). Die gewonnenen Erkenntnisse reichen dabei deutlich über die bloße Lagebeurteilung des "Feindstrafrechts" in Kolumbien hinaus und zeigen allgemein die Bedingungen auf, unter denen das "Feindstrafrecht" selbst in modernen Demokratien errichtet und legitimiert werden kann.

Aponte kann am Beispiel der Gesetzgebung in Kolumbien eine Art Komplementärstrategie der Apologeten des "Feindstrafrechts" nachweisen, die von einer Dramatisierung der bestehenden Problemlagen (das heißt der Bedrohung durch Terrorismus, Drogenhandel, Organisierte Kriminalität usw.) ausgeht. Diese Dramatisierung dient erstens dazu, die Zuständigkeit des Strafrechts als ein adäquates Mittel zur Lösung sozialer Konflikte zu behaupten und zweitens hiermit die Forderung zu verbinden, das derzeitige Strafrecht zum Zwecke der Effizienzsteigerung zu verschärfen und zu erweitern. Die von Aponte vorgelegten Befunde zeigen allerdings, dass mit dem "Feindstrafrecht" nur eine Scheineffizienz erreicht wurde und dem Abbau der prozessualen Garantien keine Erfolge in der beabsichtigten Bekämpfung der Problemlagen des Landes gegenübergestellt werden können. Die "Justiz ohne Gesicht" dekuvriert sich nach den Analysen des Autors nämlich als eine Art Inhaftierungs- und Verurteilungsmaschinerie, die, obwohl nur mit 7 % der innerhalb eines Untersuchungszeitraums in Kolumbien bekannt gewordenen Straftaten befasst, für 43, 8 % der Inhaftierungen verantwortlich war (S. 332). Bei den Inhaftierten handelt es sich allerdings nicht um die Spitzen des organisierten Drogenhandels, sondern überwiegend um sozial benachteiligte Personen, denen - wie sich aus der von Aponte herangezogenen Auswertung der entsprechenden Verfahrensakten ergibt - letztlich weder eine Beteiligung an der Organisierten Kriminalität noch

an politischen Aktionen der Guerilla nachgewiesen werden konnte (S. 329).

Apontes Darstellung und Kritik des "effizienten Feindstrafrechts" in Kolumbien mündet schließlich in ein Plädoyer für ein liberales "minimales" Strafrecht, dessen Aufgabe allein der Schutz von Rechtsgütern darstellt, die für das "Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft unerlässlich sind" (S. 352):

"Ein minimales Strafrecht als bürgerliches Strafrecht, wie es das verfassungskonforme Strafrecht ist, ist ein großer Beitrag zum Frieden, den die meisten Menschen in Kolumbien sich wünschen. Eine 'effiziente’ Befriedung durch massiven Einsatz repressiver Politik führt zu falschen Erwartungen in der Gesellschaft im Hinblick auf die Lösung von Konflikten, und der Preis dafür ist eine um sich greifende Gewalt. Wie bei allen wichtigen Dingen steht hier enorm viel auf dem Spiel. … Die effiziente Befriedung auf der Basis von autoritären Strafrechtssystemen und totalitären Modellen der Kriminalpolitik wurde schon genügend ausprobiert, und ebenso haben wir genügend Beweise für ihren Misserfolg erhalten." (S. 352, Hervorhebung im Original)

Vor dem Hintergrund der eingangs angedeuteten aktuellen Diskussion um das "Feindstrafrecht" in Deutschland verdient die Dissertation von Alejandro Aponte nicht nur zitiert, sondern auch gelesen zu werden. Die kriminalpolitischen Schlussfolgerungen des Autors mögen heute vielleicht nicht überall auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Seine Schilderung der Situation in Kolumbien zeigt aber in aller Deutlichkeit, welchen Weg die Strafrechtspflege einschlägt, wenn mit der Errichtung des "Feindstrafrechts" tatsächlich ernst gemacht wird. Sie ermöglicht dem Leser daher eine Stellungnahme im beginnenden Streit zwischen den Vertretern des "Bürger-" und denen des "Feindstrafrechts" und schärft seinen Blick für die Rhetorik, mit der uns das "Feindstrafrecht" als einzig denkbare Strategie der Bewältigung der gegenwärtigen Bedrohungen durch Terrorismus, Organisierte Kriminalität oder andere "Feinde" der Gesellschaft empfohlen wird.

PD Dr. Hendrik Schneider, Univ. Leipzig

***

Frank Meyer: Willensmängel beim Rechtsmittelverzicht des Angeklagten im Strafverfahren. (Strafrechtliche Abhandlungen, Neue Folge Band 153); Berlin, Duncker & Humblot, 408 Seiten, 2003, € 94.

1. Die zu besprechende Abhandlung von Meyer wurde von Fezer betreut und befasst sich mit der Dogmatik des Rechtsmittelverzichts des Angeklagten. Hätte es der Große Senat für Strafsachen (vgl. in diesem Heft BGH HRRS 2005 Nr. 310; krit. zur Lösung über eine qualifizierte Belehrung bereits BGH StV 2004, 196 ff.: Alibifunktion; m.w.N. Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 351 f.) bei seiner Entscheidung über die Unwirksamkeit des absprachebedingten Rechtsmittelverzichts nicht für überflüssig erachtet, eine rechtswissenschaftliche Fundierung seines im Wege der Rechtsfortbildung gefundenen Abwägungsergebnisses zu demonstrieren, hätte er zur rechten Zeit insbesondere mit der Abhandlung Meyers beste Bedingungen für eine angemessene Auseinandersetzung vorgefunden: Die Abhandlung setzt an dem treffenden und durch die jüngste Entscheidung bestätigten Befund an, dass die Praxis zum Rechtsmittelverzicht bislang einerseits durch ein "Dogma der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts", andererseits durch kasuistische bzw. sektorale Einzelfallausnahmen der Rechtsprechung zugunsten der materiellen Gerechtigkeit gekennzeichnet ist (S. 18 ff.). Meyer setzt es sich zum Ziel, eine Dogmatik der Willensmängel beim Rechtsmittelverzicht zu erarbeiten, die mehr als eine Kasuistik darstellt und insbesondere auch geeignet ist, die dringlichen Fragen der möglichen Unwirksamkeit des absprachebedingten Rechtsmittelverzichts zu bewältigen. Hierbei legt Meyer gleich zu Anfang seiner Abhandlung seinen Untersuchungsansatz präzise nieder: Die Lösung soll durch die Abschichtung von Verantwortungsbereichen der Prozessbeteiligten hinsichtlich des Vorliegens von Willensmängeln erfolgen, wobei Meyer von der Prämisse ausgeht, dass Willensmängel einen Rechtsmittelverzicht nicht stets unwirksam werden lassen (S. 25 f.).

2. Meyer legt im ersten Teil seiner Abhandlung jene Prämisse und seinen Untersuchungsansatz näher dar. Er zeigt auf, dass bei einer isolierten Analyse der StPO heute vom Grundsatz der prinzipiellen Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auszugehen ist (S. 32 ff.). Sodann stellt Meyer prägnant dar, welche Fallgruppen bereits durch die an jede Prozesshandlung zu stellenden Mindestvoraussetzungen gelöst werden (S. 46 ff.). Im zentralen zweiten Teil des Werks legt Meyer seine Auffassung von der sowohl Teilhaberechte als auch prozessuale Verantwortung begründenden Prozesssubjektivität des Angeklagten nieder, welche für die Frage der Zurechnung von Willensmängeln zum Angeklagten bzw. ihrer Zuweisung zum Staat maßgeblich ist (S. 68 ff.). Bei der weiteren Analyse unterscheidet Meyer zwei Hauptgruppen einer möglichen Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts: Willensmängel infolge objektiver Irreleitung und Drohung (S. 87 ff.) sowie Verletzungen der prozessualen Fürsorgepflicht (S. 214 ff.).

Eine Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts infolge objektiver Irreleitung und Drohung kommt für Meyer insbesondere bei einem entsprechenden Handeln der Strafverfolgungsorgane in Betracht (S. 87 ff.). Meyer zeigt überzeugend, dass diese Unwirksamkeit im Grundsatz des fairen Verfahrens zu verankern ist (S. 96 ff.). Er sieht hierbei das faire Verfahren im Ansatz an Literaturstimmen als Optimierungsprinzip und weist Einwände einer fehlenden Konkretisierbarkeit des fairen Verfahrens im Ergebnis treffend zurück (S. 97 ff.). Meyer will dabei aber auch hinsichtlich der mit betroffenen bzw. mit begründenden Grundrechte allein einen Schutz des Kernbereichs verfassungsrechtlich anerkennen (S. 130 ff.). Bei seiner Erarbeitung der Fallgruppe objektiver Irreleitung-

en leistet Meyer eine äußerst gelungene Aufarbeitung und Adaption der verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes für das Strafverfahren (S. 104 ff.). Hinsichtlich der Fallgruppe der Drohung legt Meyer einen Ansatz dar, der dem Angeklagten vergleichsweise streng die Nutzung existenter prozessualer Rechtsmittel auch gegen rechtswidrige Ansinnen der Strafverfolgungsorgane auferlegt (S. 130 ff.): Auch ein unsachgemäßer Haftbefehlsantrag soll danach für sich genommen noch keine zur Unwirksamkeit führende Drohung sein (vgl. S. 140 ff.).

Meyer untersucht auch die mögliche objektive Irreleitung und Drohung durch den Verteidiger (S. 148 ff.). Wieder leistet Meyer Pionierarbeit, wobei er infolge einer angenommenen prinzipiellen Befugnis des Verteidigers, die Geschicke des Angeklagten zu bestimmen, selbst bei vorsätzlichen Täuschungen des Verteidigers noch immer eine Verantwortungszurechnung zum Angeklagten bejahen will (S. 169 ff.), dessen Autonomie von einer vorsätzlichen aber gut gemeinten Täuschung unberührt bleiben soll. Eine die Unwirksamkeit auslösende objektive Irreführung des Verteidigers kommt für Meyer praktisch allein in Betracht, wenn der Verteidiger tatsächlich dysfunktional handelt oder § 297 StPO verletzt ist (S. 169 ff., S. 176 ff.). Eine Drohung des Verteidigers soll prinzipiell nur dann relevant sein, wenn der Verteidiger mit nicht verteidigungsspezifischen Übeln droht, nicht hingegen dann, wenn er mit Übeln droht, welche der Angeklagte durch die Vertragskündigung oder die Anregung einer Entpflichtung verhindern kann (S. 179 ff.). Meyer prüft schließlich auch, inwiefern das außerprozessuale Handeln Dritter zur Unwirksamkeit führen kann, was er ausnahmsweise unter Rückgriff auf § 34 StGB und ein Solidaritätsprinzip bejaht (S. 186 ff.).

Im Rahmen der zweiten Hauptgruppe stellt Meyer zunächst überzeugend die prinzipielle Geltung der gerichtlichen Fürsorgepflicht und ihre Beschränkung auf Fälle tatsächlicher Hilfsbedürftigkeit des Angeklagten dar (S. 214 ff.). Im Einzelnen begründet er unter anderem die mögliche Unwirksamkeit des "herausgefragten Rechtsmittelverzichts" (S. 230 ff.) und diejenige bei der versäumten Bestellung eines notwendigen Verteidigers (S. 245 ff.). Er analysiert zum Beispiel auch die Fallgruppe des "unfähigen Verteidigers" (S. 267 ff.), in der er abermals zu einem restriktiven Ergebnis gelangt, da selbstverständlich der nicht zu durchbrechende Grundsatz gelte, dass unzureichende Verteidigung dem Angeklagten anzulasten sei. Für die Fallgruppe der Fürsorgepflichtverletzungen zeigt Meyer abschließend, dass dem Angeklagten zum Nachweis eines entsprechenden Unwirksamkeitsgrundes lediglich die Darlegung der entsprechenden Pflichtverletzung abzuverlangen ist (S. 278 ff.).

Die Arbeit fährt damit fort, die erarbeiteten dogmatischen Grundsätze auf die Fälle der unzulässigen Absprachen folgerichtig anzuwenden (S. 281 ff.). Meyer zeigt auf, dass es von seinem Standpunkt aus einer Sonderlösung für die Verfahrenabsprachen nicht bedarf. Inhaltlich besonders bemerkenswert und uneingeschränkt zustimmungswürdig sind dabei die Analysen Meyers zur Bedeutung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes für rechtswidrige Zusagen bei Verfahrensabsprachen. Meyer legt dar, dass weder die etwa wegen der Überschreitung von Kompetenzen vorliegende Rechtswidrigkeit einer Zusage allein, noch der Hinweis auf die Abweichung von einer Zusage den Vertrauenstatbestand entfallen lassen, soweit die Rechtswidrigkeit der Zusage für den Angeklagten als Laien nicht offensichtlich war (S. 120 ff., 291 ff.). Zutreffend stellt Meyer insoweit die grundverschiedene Geltungsgrundlage einer Bindung auf Grund von BGHSt 43, 195 ff. und derjenigen auf Grund verfassungsrechtlicher Grundsätze heraus. Vor allem hier zeigt sich, wie ertragreich die dogmatische Grundlagenarbeit Meyers gewesen ist. Auch zur jüngst vom Großen Senat entschiedenen Frage der Unwirksamkeit des absprachebedingten Rechtsmittelverzichts überzeugen Meyers Darlegungen weit mehr als die Postulate des Großen Senats: Die vom Großen Senat als Ausweg erachtete qualifizierte Belehrung (BGH HRRS 2005 Nr. 310) wird zwar von Meyer dann akzeptiert, wenn der Angeklagte bereits die in der Absprache versprochenen Vorteile in der Verzichtssituation erlangt hat. Meyer legt jedoch in einer präzisen Analyse dar, weshalb dem gleichsam heilend gedachten Einsatz der qualifizierten Belehrung im Rahmen des § 302 StPO praktisch die Eignung zum Ausgleich der fortwirkenden Beeinträchtigung der Willensfreiheit abzusprechen ist, selbst wenn die qualifizierte Belehrung als solche nicht zusätzlich marginalisiert wird (S. 338 ff.). Soweit dem Angeklagten erst nach dem Rechtsmittelverzicht zu erbringende Leistungen versprochen worden sind, lehnt auch Meyer die qualifizierte Belehrung als Weg zur Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts ab (zum Standpunkt des Rezensenten Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 351 f.).

Im dritten Teil legt Meyer sodann dar, dass und in welcher Form eine Umsetzung der von ihm anerkannten Fälle der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts des Angeklagten über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgen muss und kann (S. 354 ff.). Im abschließenden vierten Teil formuliert Meyer zunächst ein Gesamtergebnis (S. 381 f.), um zu guter letzt die Ende 2002 diskutierten rechtspolitischen Vorschläge zur Regelung des Rechtsmittelverzichts zu behandeln. Nach einer die überwiegende Nachteiligkeit für den Angeklagten aufzeigenden Analyse kommt Meyer zum Schluss, dass im Kontext der Absprachen die Streichung des § 302 StPO die effizienteste und empfehlenswerte Lösung sei (S. 383 ff., S. 389).

3. Meyer löst sein Ziel ein, eine praktizierbare Dogmatik des Rechtsmittelverzichts des Angeklagten zu erarbeiten. Das Studium der Abhandlung war für den Rezensenten von großem, über die Dogmatik des § 302 StPO hinausgehendem Gewinn. Zum Beispiel die Ausführungen zum Vertrauensschutz und der eine in verschiedensten Kontexten sinnvolle objektive Zurechnung des Prozessrechts (vgl. insoweit z.B. Beckemper, Durchsetzbarkeit des Verteidigerkonsultationsrechts und die Eigenverantwortlichkeit des Beschuldigten, 2002; Gaede StV 2004, 46, 51 f.) vertretende Untersuchungsansatz überhaupt sind über die im Einzelnen in der Arbeit behandelten Fragen

hinaus beispielgebend. Bedauerlich ist aus der freilich durch eigene Forschungsschwerpunkte insoweit geschärften Sicht des Rezensenten lediglich, dass Meyer seine wesentlich auf den Fairnessgrundsatz abhebende Maßstabbildung auf StPO und Grundgesetz beschränkt und einschlägige Ansätze des EGMR bzw. den in Deutschland geltenden Art. 6 EMRK selbst nicht erörtert. Dass eine solche Einbeziehung in großem Umfang oder zwingend andere Ergebnisse bzw. dogmatische Grundsätze nach sich ziehen müsste, soll damit nicht behauptet sein. Der EGMR hat jedoch bereits positive Voraussetzungen für die Annahme eines wirksamen Verzichts auf Konventionsrechte gefordert und geht insofern nicht ohne Weiteres von einem "Wirksamkeitsdogma" aus (vgl. näher Gaede/Rübenstahl HRRS 2004, 342, 349 ff. m.w.N.). Überdies genügt eine bloße theoretische Eröffnung von Rechten Art. 6 EMRK nicht (vgl. beispielsweise zur unzureichenden formellen Verteidigung Czekalla v. Portugal, Rep. 2002VIII, §§ 59 ff., 60, m.w.N. zu früherer Rechtsprechung; siehe aber Meyer, S. 241; 169 f.). Es ließe sich in diesem Kontext eine andere, Grundsätze der Rechtssicherheit weniger weitgehend bevorzugende Bestimmung, der von Meyer als entscheidend herausgearbeiteten Verantwortungsabschichtung andenken.

Noch nicht erschlossen hat sich für den Rezensenten, dass im Rahmen eines als Optimierungsprinzip verstandenen fairen Verfahrens selbst bei Bezugnahmen auf explizit anerkannte Grundrechte sogleich eine Zurücknahme grundrechtlicher Ansprüche auf Kernbereiche erfolgt. Ein selbstevidentes Durchsetzen von Erwägungen der Rechtssicherheit gegenüber einem dem Schutzbereich nach eröffneten und zu optimierenden Recht erstaunt, zumal selbst im Kernbereich letztlich der Einzelfall über das "Unverfügbare im Strafprozess" entscheiden soll (S. 135, S. 145). Jedenfalls die Auffassung, dass ein Angeklagter noch immer als autonomes Prozesssubjekt gelten können soll, wenn er durch eine vorsätzliche Täuschung seines geradezu als Herr und Meister zu betrachtenden Verteidigers zu einem Rechtsmittelverzicht bestimmt worden ist (S. 169 f.), weckt Zweifel an der überzeugenden Bestimmung des für die Abhandlung entscheidenden Grundmaßstabes der autonomen Prozesssubjektivität. Meyer verteidigt die Prozesssubjektivität zum einen vehement gegen Aufdrängungen nach Fürsorgegrundsätzen (S. 222 ff., 225; auch Meyer StV 2004, 41, 44), sieht aber zum anderen den Verteidiger pauschal als "prozessualen Vorgesetzten" des Angeklagten und auch den Gesetzgeber offenbar für befugt an, diese zugunsten einer objektiv für erforderlich empfundenen Fürsorge frei zu beschränken (S. 252: zwingende notwendige Verteidigung, S. 389). Jedenfalls dann, wenn man die für die Abgrenzung maßgebliche autonome Prozesssubjektivität als Ausdruck des auch den Gesetzgeber nach Art. 6 EMRK und Art. 2 I, 20 III, 103 I GG bindenden fairen Verfahrens sieht, kann sie sich jedenfalls nicht nur als Zusammenfassung des einfachen Rechts bzw. der Gesetzgebung darstellen. Auch insoweit ist denkbar, dass auf der Grundlage des von Meyer beispielgebend entwickelten Untersuchungsansatzes einzelne Neujustierungen etwa bei der Beurteilung von Willensmängeln vorzunehmen sind, die durch den Verteidiger hervorgerufen worden sind.

Gleichwohl bleibt allein ein Fazit angemessen: Meyer hat in souveräner Diktion ein grundlegendes und in seinem Untersuchungsansatz vorbildliches Werk verfasst, dem eine breite Aufnahme über Fragen des Rechtsmittelverzichts hinaus nur zu wünschen ist. Die Arbeit bespricht detailreich zahlreiche Fallgruppen und Entscheidungen, so dass sie für viele Fallgestaltungen konkrete Hilfestellungen bietet. Die Abhandlung eröffnet eine Fülle neuer Erkenntnisse, und sie untergründet im Ergebnis weitgehend bestätigend die vorherrschende Gerichtspraxis zum Rechtsmittelverzicht mit einer überzeugenden Dogmatik. Angesichts einer deutlich spürbaren Wertschätzung für die Erfordernisse der Rechtssicherheit ist die Arbeit geradezu dafür prädestiniert, der Rechtsprechung praktikable Ansätze zu einer eben die Rechtssicherheit fördernden! dogmatisch überzeugenden Bewältigung anstehender Fallgruppen zu bietet. Es erstaunt und enttäuscht, dass der Große Senat im Ringen um einen Kompromiss vermeint hat, auf die sichtbare Einbeziehung und Auseinandersetzung mit einer solch grundlegenden Abhandlung verzichten zu können.

Wiss. Ass. Karsten Gaede (Hamburg/Zürich)

***

Marios Nikolidakis, Grundfragen der Anstiftung, Duncker & Humblot, Berlin, 2004, 196 Seiten, ISBN 3-428-11246-6, 64 Euro

Strafrechtsordnungen, die unterschiedliche Beteiligungsformen an einer Straftat kennen, bürden sich die Last von Grundfragen auf, die Einheitstätersysteme nicht schultern müssen: Soll die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme nicht nur auf einer historischen Tradition gründen, sondern dogmatisch gerechtfertigt sein, fragt sich, auf welchem besonderen Strafgrund die Teilnahme ruht. Nikolidakis hat sich in seiner von Küper betreuten Heidelberger Dissertation diese Grundfrage sowie zwei Einzelfragen - die Strafbarkeit des agent provocateur und die Folgen der Objektsverwechslung durch den Täter - vorgelegt.

Der Verfasser lenkt den Blick zunächst auf die bekannten Theorien zum Strafgrund der Teilnahme und unterzieht diese einer kritischen Würdigung. Insbesondere gegen den Schuldteilnahmeansatz bringt Nikolidakis eine beachtliche Zahl von Einwänden vor, die freilich weit überwiegend nicht stichhaltig sind. Ein gutes Beispiel für die Ambivalenz mancher Argumente stellt der Verweis auf die versuchte Anstiftung dar. Nikolidakis schließt sich der Meinung an, nach welcher die begrenzte Strafbarkeit nicht mit dem Schuldteilnahmeansatz zu vereinbaren sei, wolle doch auch der Anstifter zu einem Vergehen den Täter in Schuld verstricken (S. 22). Die Schuldteilnahmelehre sieht demgegenüber in § 30 I StGB die Bestätigung dafür, dass bei einer derartigen Vorverlegung der Strafbarkeit der Angriff auf das von der Haupt-

tat geschützte Rechtsgut keine tragfähige Erklärung für die Pönalisierung der (versuchten) Anstiftung liefern könne. Ausgehend von ihrem jeweiligen Vorverständnis können sich mithin Vertreter wie Kritiker der Schuldteilnahmelehre auf § 30 I StGB berufen. Ein anderes gegen die Schuldteilnahmelehre vorgebrachtes Argument behauptet, das Abstellen auf die Korruption des Haupttäters erhöbe die "gesetzestreue Gesinnung" zu einem eigenständigen Rechtsgut (S. 24 f). Doch werden damit die Ambitionen der Schuldteilnahmelehre überbewertet: Die Schuldverstrickung des Haupttäters durch den Anstifter dient lediglich als Brücke, die den Bogen vom deliktischen Verhalten des Täters zur Verantwortlichkeit des Anstifters schlagen soll. Der Schuldteilnahmeansatz betont dabei die besondere Vorgehensweise des Anstifters: Er bedient sich nämlich nicht der schlichten Kausalität von Naturgewalten, sondern motiviert eine andere Person zur Vornahme der Tathandlung. Diese Besonderheit der Anstiftung kann ein Teilnahmeverständnis, welches das von der Haupttat verletzte Rechtsgut in den Vordergrund rückt und schlicht den Kausalverlauf zur "Bestimmung" zurückverfolgt, nicht angemessen würdigen. Anders als es die antiquiert klingende Bezeichnung vermuten lässt, ist der Schuldteilnahmeansatz mithin weit differenzierter als das modern anmutende Rechtsgutdenken. Angesichts dieser dogmatischen Vorzüge wirkt der, freilich zutreffende, Hinweis auf die limitierte Akzessorietät recht schlicht, mit welchem die Schuldteilnahmelehre in das Reich von "de lege ferenda"-Betrachtungen verwiesen wird (S. 21). Gegen die Lehre von der Unrechtsteilnahme bringt Nikolidakis ein anderes "legalistisches" Argument in Stellung: § 28 I StGB. Nach Auffassung des Verfassers ist die obligatorische Strafmilderung nicht mit der Prämisse vereinbar, der Anstifter werde dafür bestraft, dass er den Täter veranlasst habe, sich ins Unrecht zu setzen (S. 27). Doch leuchtet dies nicht recht ein: Mit der Strafmilderung wird nämlich dem Umstand Rechnung getragen, dass die soziale Desintegration des Anstifters mangels besonderer persönlicher Eigenschaften hinter der des Täters zurückbleibt. Insofern kann in § 28 I StGB die Bestätigung dafür gesehen werden, dass der Teilnehmer zwar wegen der Bestimmung zum fremden Unrecht bestraft wird, er aber eigenes Unrecht verwirkt. Die Eigenständigkeit des Teilnahmeunrechts darf aber nicht dazu verführen, die Begehung der Haupttat auf eine bloße Strafbarkeitsvoraussetzung zu reduzieren und Auswirkungen auf den Unrechtsgehalt der Teilnahme zu leugnen, wie dies die reinen Verursachungslehren tun. Nikolidakis verwirft dies überzeugend und besteht darauf, dass die Anstiftung nicht nur faktisch von der Haupttat abhänge: Die Haupttat sei vielmehr ein "Element des Teilnahmeunrechts" (S. 41). Bei der herrschenden "akzessorietätsorientierten Förderungstheorie" angelangt, konstatiert der Verfasser mit Recht, es sei "überraschend, dass sich nach allen Diskussionen über den Strafgrund der Teilnahme [....] die herrschende Meinung mit einer schlagwortartigen, auf den Akzessorietätsgedanken basierenden Beschreibung des Teilnahmestrafgrundes ohne nähere Begründung begnüge" (S. 44). Die von Roxin befürwortete Begrenzung der akzessorischen Teilnehmerhaftung auf Rechtsgüter, welche auch dem Anstifter gegenüber geschützt sind, stelle eine ergebnisorientierte Synthese zweier beziehungslos nebeneinander stehender Prinzipien dar (S. 48). Angesichts seiner Kritik überrascht freilich der Lösungsvorschlag des Verfassers (S. 50): "Daß der Teilnehmer sein Unrecht aus dem der Haupttat ableitet, schließt ein eigenes Unrecht des Teilnehmers nicht aus. Sein Unrecht besteht darin, dass er an einer Straftat teilnimmt und deren Erfolg mitverursacht [...]." Der Anstifter leite zwar sein Unrecht aus dem der Haupttat ab, insofern es ohne sie keine Teilnahme gebe. Er hafte aber nicht für die Handlung des Täters, sondern für seine eigene Tat, die Verursachung der Rechtsgutsverletzung (S. 51). Was bei Roxin als "akzessorischer Rechtsgutsangriff" "beziehungslos nebeneinander" stand, wird nunmehr zur "akzessorischen Verursachung des Erfolges als teilnahmespezifisches Unrecht" zusammengefasst (S. 51 f.). Liegt aber das Unrecht des Anstifters allein in der Verursachung der Rechtsgutsverletzung durch den Täter, wird die Bedeutung des Unrechts der Haupttat beinahe auf jenes Maß zurückgeschnitten, das bei den reinen Verursachungslehren kritisiert wurde. Vor allem aber vernachlässigt auch die von Nikolidakis vorgeschlagene Modifizierung des rechtsgutsorientierten Ansatzes die Besonderheiten der Anstiftung: Wenn der Strafgrund der Anstiftung die Verursachung der Rechtsgutsverletzung ist, wird allein auf die Ursächlichkeit des Anstifterbeitrags verwiesen und man bedient sich einer Kategorie, deren "Rohheit und Kindlichkeit" in diesem Zusammenhang schon Köstlin kritisierte. Auch die teilnahmespezifische Beschränkung des Verursachungsbeitrags auf das gesetzliche Erfordernis der "Bestimmung" bringt die Besonderheit des Anstifterunrechts nur ganz unvollkommen zum Ausdruck: Das Rechtsgut der Haupttat kann vom Anstifter nur angegriffen werden, weil sich ein anderer Mensch zu einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat motivieren lässt. Stärker als es die Lehren vom Rechtsgutsangriff des Anstifters mit der Wiedergabe des Wortlauts des § 26 StGB vermögen, muss eine allgemeine Strafbegründung der Anstiftung dem Umstand Rechnung tragen, dass das vorsätzliche und rechtswidrige Handeln des Täters den Zurechnungszusammenhang zum Anstifter eben nicht unterbricht, sondern diesen umgekehrt begründet. Der dogmatische Erkenntnisgewinn der Rechtsgutsangriffslehren fällt nicht nur weit hinter den der Schuld- und Unrechtsteilnahmeansätze zurück. Mehr noch: Auch der vom Verfasser gewählte Blickwinkel des Rechtsgüterschutzes führt im Ergebnis dazu, dass die Teilnahme im Hinblick auf ihren Strafgrund keine Besonderheit gegenüber der Täterschaft aufweist. Die Trennung von Täterschaft und Teilnahme muss daher als historisch bedingte Willkürlichkeit erscheinen. Wer nämlich den Schutz vor Rechtsgutsangriffen zum Strafzweck schlechthin erhebt, müsste ein Einheitstätersystem propagieren, gefährdet doch jeder Verursachungsbeitrag das Rechtsgut. Vom Standpunkt des Verfassers muss sich die Suche nach einem Strafgrund der Anstiftung in einer Wiedergabe des in § 26 StGB beschriebenen Verursachungsbeitrags erschöpfen.

Begibt man sich in den Abschnitt über die Strafbarkeit des agent provocateur, erinnert man sich an die Ankündigung des Verfassers, kriminalpolitische Erwägungen zugunsten der Dogmatik zurückzudrängen (S. 17 f.).

Tatsächlich hat es zahlreiche Erklärungsansätze gegeben, um die Unerbittlichkeit Bindings, der beim agent provocateur "kein Requisit verbotener Anstiftung" vermisste, auf ein Ergebnis zurückzuschneiden, welches für kriminalpolitisch wünschenswert erachtet wird. Nikolidakis orientiert seine Lösung am Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts (S. 64 ff.). Demzufolge sei die zum Anstiftervorsatz weit verbreitete Lehre, der Vorsatz müsse nicht nur "die geschriebenen Tatbestandsmerkmale", sondern auch die Rechtsgutsbeeinträchtigung umfassen, keine Besonderheit der Anstiftung: Teilnehmer wie Täter müssten gleichermaßen mit dem Vorsatz zur Rechtsgutsverletzung handeln (S. 66 f.). Der Erklärungsansatz der herrschenden Lehre, dem agent provocateur fehle eben jener Wille zur Rechtsgutsbeeinträchtigung, erscheint damit nicht mehr als - möglicherweise kriminalpolitisch motivierte - Einschränkung eines allgemeineren Vorsatzverständnisses, sondern wird auf ein allgemeines Fundament gestellt. Die Lockspitzelproblematik wird sodann unter dem Gesichtspunkt des Willens zur Rechtsgutbeeinträchtigung in unterschiedlichen Fallgruppen ausgeleuchtet. Keine Probleme bereiten die Fälle, in welchen der agent provocateur schon die Vollendung der Tat verhindern möchte (S. 67). Demgegenüber schärft sich die Frage nach dem Rechtsgutsverletzungswillens zu, wenn der Lockspitzel zwar die Vollendung, nicht aber die Beendigung in seine "Falle" einkalkuliert. Nikolidakis untersucht diese Problematik anhand verschiedener Delikte und Deliktstypen. Zunächst nimmt er dieser Problematik aber ihr wohl prominentestes Lehrbuchbeispiel: den Diebstahl. Der Verfasser schließt sich einer Mindermeinung an, welche in § 242 StGB die Typisierung einer Zueignung durch Wegnahme erkennt. Die Rechtsgutsverletzung trete folglich mit der Wegnahme ein, so dass der Wille, den Dieb nach Wegnahme und vor Zueignung zu fassen, "nicht vorstellbar" sei (S. 88). Ein Anstifter, der den Dieb in der Beendigungsphase gestellt sehen will, handele demzufolge mit Rechtsgutsverletzungsvorsatz. Sein "Wiederherstellungswillen" ändere an der Strafbarkeit nichts (S. 89). Am Beispiel der Urkundenfälschung verdeutlicht der Verfasser sodann, dass der Anstifter wie der Täter das besondere subjektive Tatbestandsmerkmal der Täuschungsabsicht aufweisen müsse, damit sein Rechtsgutsverletzungsvorsatz komplettiert wird. Demzufolge mache sich ein agent provocateur, der keine Täuschung des Rechtsverkehrs wolle, nicht der Anstiftung zur Urkundenfälschung strafbar (S. 93). Diesem Beispiel stellt Nikolidakis den Betrug gegenüber. Auch dieser Tatbestand weise zwar eine überschießende Innentendenz auf. Die Bereicherungsabsicht sei aber ein "nicht rechtsgutsbezogenes und damit unrechtsneutrales Merkmal" (S. 102). Ein agent provocateur, der es zwar zu einem Vermögensschaden kommen lassen wolle, aber nicht in Bereicherungsabsicht anstifte, weise somit einen vollständigen Rechtsgutsbeeinträchtigungswillen auf. Der Verfasser droht damit freilich der vom Blickwinkel eines "statischen Rechtsgutsdenkens" ausgehenden Gefahr zu verfallen, das Handlungsunrecht zu Gunsten des Erfolgsunrechts an den Rand zu drängen. Strafnormen, so betonte schon Welzel, schützen keine Rechtsgüter an sich, sondern wenden sich nur gegen bestimmte Angriffsarten, die sich von anderen Einwirkungen qualitativ unterscheiden. Strafbegründende Willensrichtungen sind daher nicht, wie Nikolidakis meint, "der Aufgabe des Strafrechts fremd und ungerecht" (S. 103). Sie sind Teil des im Tatbestand typisierten Unrechts, auf welches sich der Vorsatz des Anstifters beziehen muss. Bedenken begegnet auch der weitere Weg, der den Verfasser dann doch zur Straflosigkeit des zu einem Betrug anstiftenden agent provocateur führt: Nach seiner Auffassung schließt das Fehlen der Bereicherungsabsicht zwar den Rechtsgutsverletzungswillen nicht aus. Den Lockspitzel aber wegen Anstiftung zu bestrafen, hieße, ihm die Bereicherungsabsicht zuzurechnen, was wegen des "höchstpersönlichen" Charakters dieses Merkmals nicht möglich sei (S. 101). So konsequent der Verfasser bei der Verneinung des Rechtsgutsbeeinträchtigungswillens ist, so ergebnisorientiert scheint es, wenn das von seinem Ausgangspunkt zwangsläufige Ergebnis der Strafbarkeit mittels einer zusätzlichen dogmatischen Wendung umgangen wird.

Der dritte Abschnitt ist den Auswirkungen des Identitätsirrtums des Täters auf den Anstifter gewidmet. Der Verfasser moniert zunächst, dass die vom BGH in der "Hoferben"-Entscheidung bemühte allgemeine Lebenserfahrung alles nur Denkbare erfasse (S. 117). Allerdings vernachlässigt Nikolidakis den Umstand, dass der BGH diese Kategorie ausdrücklich nur als Mittel zur Vermeidung "unangemessener Ergebnisse" verstanden wissen will. Sodann setzt sich Nikolidakis mit den von der Lehre unterbreiteten Begründungen für die Unbeachtlichkeit einer Personenverwechslung ausführlich und in seiner Kritik weitgehend überzeugend auseinander. Besonderes Gewicht kommt freilich dem Einwand Gropps zu, der die Annahme einer aberratio ictus für verfehlt hält, weil es im Falle des Identitätsirrtums an einem Wesensmerkmal des Fehlgehens der Tat mangele: dem Zufall. Vielmehr sei beim error in persona die Verletzung eines gattungsgleichen Objekts gleichsam durch den Anstifter vorprogrammiert. Die von Nikolidakis konstruierten Beispiele, mit welchen er die Macht des Zufalls auch bei einem Identitätsirrtum nachweisen möchte, überzeugen freilich nicht (S. 135). Der Angriff auf das getroffene Objekt wird durch die Verwechslung, diese durch die Ähnlichkeit verursacht, welche wiederum auf den Individualisierungsvorgaben des Anstifters gründet. Somit ist die Verwechslung eines gattungsgleichen Objektes vorprogrammiert, während es umgekehrt dem Zufall geschuldet wäre, wenn der gedungene Mörder im Stall auf eine Puppe statt auf den Hoferben schießen würde. Überzeugend kritisiert Nikolidakis sodann das bekannte "Gemetzel"-Argument, welches Binding aufgegriffen hatte und das fortan ein wesentlicher Grund wurde, aus dem Täterirrtum eine aberratio ictus des Anstifters zu folgern (S. 139 ff.). Seinen eigenen Lösungsansatz entwickelt Nikolidakis - methodisch ähnlich wie Gropp - durch den Rückgriff auf einen vorgeblichen Wesenszug der aberratio ictus. Wie der BGH im "Hoferben"-Fall behauptet der Verfasser, von einer aberratio ictus könne nur gesprochen werden, wenn ein sinnlich wahrgenommenes Zielobjekt dem Angriff seine Richtung verliehen habe (S. 160 f.). Da der Anstifter das Opfer unmittelbar vor dem Angriff in der Regel nicht sehe, scheide eine aberratio ictus aus.

Der Anstifter individualisiere in aller Regel das Opfer allein über seine Rolle im vorgestellten Kausalverlauf, so dass für die Beurteilung des Anstiftervorsatzes ausschlaggebend sei, ob der Täter die über den vorgestellten Geschehensablauf ins Visier genommene Person getroffen habe. "Zusatzindividualisierungen", namentlich die Identität, dürften keine Rolle spielen (S. 175). Ein diesbezüglicher Irrtum bleibe ein unerheblicher Motivirrtum (S. 177 ff.). Dem ist zuzustimmen. Ob Nikolidakis aber mittels des "definitorischen" Ansatzes, die Figur der aberratio ictus verlange eine sinnliche Wahrnehmung des Opfers, ein starkes dogmatisches Fundament gelegt hat, ist zu bezweifeln. Er muss sich fragen lassen, weshalb für das Fehlgehen der Tat das Element der sinnlichen Wahrnehmung kennzeichnend, das des Zufalls aber irrelevant sein soll. Überzeugender als das Abheben auf die Charakteristika der aberratio ictus erscheint denn auch eine Erwägung des BGH in der jüngeren "Sprengfalle"-Entscheidung: Dort wird die Unbeachtlichkeit des Täterirrtums für den Anstifter daran festgemacht, dass der eingetretene Erfolg jedenfalls in der "Streubreite des gesehenen Risikos" liege.

Dem Verfasser gebührt Anerkennung, weil er die Anstiftung und ihre "Grundfragen" zurück in die Diskussion gebracht hat. Er hat eine Orientierung im Diskussionsstand auch dort ermöglicht, wo dies aufgrund des langen Streits erschwert wird. Der Versuchung kriminalpolitischer Ergebnisorientierung hat der Verfasser weitgehend widerstanden. Glücklicherweise hat die Arbeit aber den Grundfragen nicht den Reiz genommen, weiter trefflich über sie streiten zu können.

Wiss. Ass. Dr. Michael Kubiciel, Regensburg

***