Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2004
5. Jahrgang
PDF-Download
1. Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier "dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung") und der Erheblichkeit der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat (Fortführung von BGHSt 37, 397). (BGHSt)
2. Gelangt der Sachverständige zur Diagnose einer "dissozialen oder antisoziale Persönlichkeitsstörung" und einer "schizoiden Persönlichkeitsstörung", so ist diese psychiatrische Diagnose nicht mit der "schweren anderen seelischen Abartigkeit" in § 20 StGB gleichzusetzen. Für die forensische Praxis ist mit der bloßen Feststellung, bei dem Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, nichts gewonnen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit. (Bearbeiter)
3. Für die schwere andere seelische Abartigkeit sind die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit durch die festgestellten pathologischen Verhaltensmuster im Vergleich mit jenen krankhaft seelischer Störungen zu untersuchen. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der "schweren anderen seelischen Abartigkeit" angesehen werden. (Bearbeiter)
4. Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (vgl. für den "berauschten Täter" BGHSt 43, 66, 77). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist. (Bearbeiter)
5. Stellt der Tatrichter in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen fest, dass das Störungsbild die Merkmale eines oder mehrerer Muster oder einer Mischform die Klassifikationen in ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, besagt dies rechtlich noch nichts über das Ausmaß psychischer Störungen. Eine solche Zuordnung hat eine Indizwirkung dafür, dass eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung vorliegt. Der Tatrichter wird in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.). (Bearbeiter)
1. Eine Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass eine Handlung die Herbeiführung des Taterfolgs des Haupttäters objektiv fördert. Für den Erfolg selbst muss sie jedoch nicht ursächlich sein (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 46, 107, 109 m.w.N.). Zudem setzt § 27 StGB setzt nicht einmal voraus, dass der Täter von der Hilfeleistung Kenntnis erlangt hat (BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 8).
2. Eine Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB ist auch die psychische Unterstützung in Form der so genannten Kettenbeihilfe.
3. Ausgehend von dem Grundsatz, dass für einen Tatbeteiligten eine Mitteilungspflicht nach § 138 StGB nicht besteht, kommt eine Strafbarkeit nach § 138 StGB nicht in Betracht, wenn der Verdacht einer Tatbeteiligung am Ende der Beweisaufnahme noch fortbesteht. Nach dieser Rechtsprechung ist, wenn sich der Verdacht der Tatbeteiligung nicht ausräumen lässt, der Angeklagte vielmehr in (doppelter) Anwendung des Zweifelssatzes freizusprechen (BGHSt 39, 164, 167; 36, 167, 174). An dieser Rechtsprechung beabsichtigt der Senat, gegebenenfalls unter Aufgabe entgegenstehender eigener Rechtsprechung, nicht länger festzuhalten. Vielmehr neigt er der in der Literatur mit beachtlichen Argumenten vertretenen Auffassung zu, dass in den Fällen, in denen nicht geklärt werden kann, ob der Nichtanzeigende auch an der Vortat beteiligt war, jedenfalls eine Bestrafung aus § 138 StGB zu erfolgen hat.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt, doch ist dieser nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können. Dies ist insbesondere bei einer
Alkoholintoxikation der Fall, die eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB bewirkt: Wenn ein Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, bedarf es besonderer Begründung, wenn der Tatrichter das Wissenselement des bedingten Vorsatzes aus der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung herleiten will.
1. Der Tatbestand des § 316 a StGB setzt eine zeitliche Verknüpfung zwischen tauglichem Tatopfer und tatbestandsmäßiger Angriffshandlung dergestalt voraus, dass im Tatzeitpunkt, das heißt bei Verüben des Angriffs, das Tatopfer (noch) Führer oder Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs ist.
2. Führer eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 316 a StGB ist nur, wer das Kraftfahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Das ist regelmäßig nicht mehr der Fall, wenn das Fahrzeug aus anderen als verkehrsbedingten Gründen anhält und der Fahrer den Motor ausstellt.
3. Für die vom Tatbestand des § 316 a StGB vorausgesetzte Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs genügt allein der Umstand, dass eine Person wegen der beengten Verhältnisse im Pkw in ihrer Verteidigungsfähigkeit stark eingeschränkt war, nicht. Gleiches gilt auch für die Abgelegenheit des Überfallortes.
1. In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss der Tatrichter im Urteil deutlich machen, dass er alle für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit relevanten Umstände und Indiztatsachen erkannt und berücksichtigt hat. Dazu ist regelmäßig eine umfassende Mitteilung der sich widersprechenden Aussagen erforderlich.
2. Menschenhandel in der Tatbestandsalternative der Einwirkung (§ 180 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) setzt nicht voraus, dass die Person, auf die eingewirkt wird, den aktuellen Willen hat, die Prostitutionsausübung zu beenden. Es reicht vielmehr, dass der Täter auf die Person einwirkt, weil er davon ausgeht, dass sie möglicherweise die Prostitution beenden will (vgl. BGHSt 45, 158, 161 = BGH 3 StR 206/99 - Urteil vom 28. Juli 1999).
3. Menschenhandel in der Tatbestandsalternative der Einwirkung ist ein Unternehmensdelikt; die Tat ist daher bereits vollendet, wenn der Täter auf das Tatopfer eingewirkt hat, um es zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen.
4. Menschenhandel in der Tatbestandsalternative "Bringen zur Fortsetzung der Prostitution" liegt bei einer Person, die bereits der Prostitution nachgeht, nur dann vor, wenn sie die Prostitution aufgeben oder einschränken will und vom Täter dazu gebracht wird, den bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten, oder bei Veranlassen einer umfangreicheren Tätigkeit.
5. "Hilflosigkeit" im Sinne von §§ 180 b, 181 StGB liegt vor, wenn das Opfer in der konkreten Lage und nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, sich dem Ansinnen der Prostitutionsausübung aus eigener Kraft zu entziehen. Die Hilflosigkeit beruht auf dem Aufenthalt des Opfers in einem fremden Land ("auslandsspezifische Hilflosigkeit"), wenn das Opfer der deutschen Sprache nicht mächtig ist, über keine Barmittel verfügt und bezüglich Unterkunft und Verpflegung auf den Täter angewiesen ist, wobei die Hilflosigkeit durch die Wegnahme des Passes noch verstärkt wird.
6. Die Strafnorm der Zuhälterei ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Um den Schadensersatzanspruch des Opfers gegen den Täter nicht zu gefährden, scheidet ein Verfall (des Wertersatzes) nach §§ 73, 73 a StGB daher aus.
Wer sich am Verkehr mit Falschgeld beteiligt, ist regelmäßig mit jeder Möglichkeit einverstanden, die hinsichtlich Anzahl und Nennwert der Scheine und der Fälschungsqualität nach den Umständen des Falles in Betracht kommt. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, ist derjenige, der sich am Umsatz von Rauschgift beteiligt, hinsichtlich der Menge und des Wirkstoffgehalts des Rauschgifts regelmäßig mit jeder nach den Umständen des Falles in Betracht kommenden Möglichkeit einverstanden. Beim Umgang mit Falschgeld können keine anderen Grundsätze gelten.
Wendet der Täter zunächst Gewalt gegen sein Opfer an, ohne bereits den Vorsatz gefasst zu haben, dadurch eine Wegnahme zu erreichen, und entschließt er sich später zu einer Wegnahme, so kommt eine Verurteilung wegen Raubes nur dann in Betracht, wenn er die in der Furcht des Opfers vor weiterer Gewaltanwendung fortbestehende Zwangslage im Sinne einer konkludenten Drohung bewusst zur Wegnahme ausnutzt (st. Rechtsprechung, vgl. zuletzt BGH 2 StR 283/03 - Urteil vom 15. Oktober 2003 [für BGHSt vorgesehen] sowie BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3).