HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2003
4. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 1 StR 405/02 - Urteil vom 19. Dezember 2002 (LG Konstanz)

Täter-Opfer-Ausgleich (sexuelle Selbstbestimmung; Gewaltdelikte; Strafmilderung; Geständnis; Genugtuungsfunktion; Opferrolle; Täterrolle: Übernahme der Verantwortung; kommunikativer Prozess; nemo-tenetur-Prinzip; Selbstbelastungsfreiheit; Unterbrechung des Verfahrens).

§ 46a StGB; § 155a Satz 1 und 2 StGB

1. Bei Gewaltdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich mit der zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Folge der Strafmilderung nach § 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB regelmäßig ein Geständnis zu verlangen. (BGHSt)

2. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB) die Absicht, die Belange des Opfers von Straftaten stärker in den Mittelpunkt zu rücken und den Täter besser zur Unrechtseinsicht und zur Übernahme von Verantwortung für die Tatfolgen zu veranlassen. Die Norm will einen Anreiz schaffen, dem Opfer durch persönliches Einstehen des Täters für die Tatfolgen in Form materieller oder immaterieller Leistungen Genugtuung zu verschaffen. Allerdings will die Norm auch in dem aus generalpräventiver Sicht erforderlichen Umfang sicherstellen, dass nicht jede Form des Schadensausgleichs dem Täter zugute kommt; die Vorschrift soll daher kein Instrument zur einseitigen Privilegierung reuiger Täter sein. (Bearbeiter)

3. Der Gesetzgeber hat sich in § 46a Nr. 1 StGB wegen der Vielfalt der nach Landesrecht geregelten Verfahren des Täter-Opfer-Ausgleichs auf kein formalisiertes Verfahren festgelegt, insbesondere verlangt er vom Täter kein konkret definiertes Verhalten innerhalb des Aus- gleichs. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber zumindest ein "kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer" erforderlich, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Tat verursachten Folgen gerichtet sein muss. Da es zudem beim Täter-Opfer-Ausgleich um eine strafrechtliche Konfliktkontrolle geht, muss der Beschuldigte wenigstens prinzipiell akzeptieren, dass er für das am Opfer begangene Unrecht einzustehen hat. Dazu gehört auch, dass er die Opferrolle - und damit seine Täterrolle - respektiert, da ansonsten ausgeschlossen erscheint, dass er seinem Opfer Genugtuung verschafft. (Bearbeiter)

4. Für den verlangten kommunikativen Prozess ist es unabdingbar, dass der Verletzte in den Dialog mit dem Täter über die zur Wiedergutmachung erforderlichen Leistungen einbezogen wird. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich setzt daher voraus, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Lässt sich das Tatopfer - etwa weil das Delikt oder Art und Umfang der Schädigungen ihm einen Ausgleich unmöglich machen - auf einen kommunikativen Prozess nicht ein, so ist das Verfahren für die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht geeignet. (Bearbeiter)

5. Dies gilt auch für die "Bemühungen" des Täters (§ 46a Nr. 1 StGB), die im Einzelfall bereits ausreichen können, um zu einem erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich zu gelangen: Verweigert der Verletzte auch insoweit seine Zustimmung, so hat dies der Täter trotz der hier herabgesetzten Anforderungen an einen erfolgreichen Ausgleich hinzunehmen, denn ohne Zustimmung des Opfers fehlt bereits die Basis für sein Bemühen. (Bearbeiter)

6. Aus der Verfahrensvorschrift des § 155a StPO folgt kein Anspruch des Angeklagten auf Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 4 StR 490/02 - Beschluss vom 7. Januar 2003 (LG Essen)

Strafzumessung bei Vergewaltigung und Mord im alkoholisierten Zustand (Prüfung der Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB; besondere Anforderungen an die Versagung einer Strafrahmenverschiebung bei lebenslanger Freiheitsstrafe).

§ 46 StGB; § 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt werden, wenn der Täter schon früher unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist und deshalb wusste oder sich dessen hätte bewusst sein können, dass er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3, 6, 9 und 14 m.w.N.). Allerdings dürfen dem vermindert schuldfähigen Täter solche Taten nicht schulderhöhend angerechnet werden, mit deren Begehung er aufgrund des Ausmaßes und der Intensität seiner bisher unter Alkoholeinwirkung begangenen Straftaten nicht rechnen konnte (BGHSt 35, 143, 145; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 6 und 14).

2. Weitere Voraussetzung für eine Versagung der Strafrahmenmilderung ist, dass dem Angeklagten die Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies kommt in der Regel dann nicht in Betracht, wenn der Täter alkoholkrank ist oder wenn der Alkohol den Täter zumindest weitgehend beherrscht, wenn also in der aktuellen Alkoholaufnahme kein schulderhöhender Umstand gesehen werden kann (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 19; BGH NStZ-RR 1999, 12).

4. Die Anforderungen an die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung sind bei der Wahl zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe erhöht: Es müssen besonders schwere Umstände vorliegen, um die mit den Voraussetzungen des § 21 StGB verbundene Schuldminderung so auszugleichen, dass die gesetzliche Höchststrafe verhängt werden darf (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18 m.w.N.). Hierzu hat eine Gesamtabwägung aller für und gegen den Täter sprechenden schuldrelevanten Umstände zu erfolgen (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 24).


Entscheidung

BGH 5 StR 362/02 - Beschluss vom 15. Januar 2003 (LG Bochum)

Verfall (entgegenstehende Ansprüche des Verletzten auf den Bestechungslohn; spiegelbildlicher Schaden des Verletzten; Steuerfiskus als Verletzter).

§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB

Zwar gilt grundsätzlich, dass Schutzgut der Korruptionstatbestände das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes ist (BGH NStZ 1999, 560; 2000, 589). Gleichfalls scheidet grundsätzlich auch ein Anspruch auf die Herausgabe des Bestechungslohnes als des durch die Tat Erlangten nach § 687 Abs. 2, § 681 Satz 2, § 667 BGB aus, weil der bestochene Beamte kein solches Geschäft führt, welches als solches seines Dienstherrn auch nur vorstellbar wäre (BGH NStZ 2000, 589, 590; vgl. auch BGHSt 30, 46, 49). Eine Ausnahme hat der Bundesgerichtshof allerdings dann zugelassen, wenn dem Bestechungserlös ein entsprechender Schaden aus der Verletzung der Dienstpflicht gegenübersteht und dieser Schaden durch die Verletzung der Dienstpflicht erst - gleichsam spiegelbildlich - verursacht wurde (BGHR StGB § 73 Verletzter 4).


Entscheidung

BGH 2 StR 402/02 - Urteil vom 18. Dezember 2002 (LG Bonn)

Besonders schwerer Fall des Missbrauchs von Kindern (straferschwerende Berücksichtigung der Vergewaltigung ohne Verwendung eines Kondoms).

§ 176 Abs. 3 a. F. StGB; § 177 Abs. 2 StGB

1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass bei einer Vergewaltigung der Vollzug des Geschlechtsverkehrs ohne Verwendung eines Kondoms und mit Samenerguss in die Scheide straferschwerend berücksichtigt werden kann (vgl. BGHSt 37, 153; BGHR StGB § 46 Abs. 3 Vergewaltigung 5; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 10 und 11). Erschwerend wirkt sich dabei insbesondere die Gefahr einer unerwünschten Schwangerschaft aus oder der Umstand, dass eine solche Tatausführung mit der erhöhten Gefahr einer Infektion verbunden sein kann. Bei der Ausübung des ungeschützten Analverkehrs besteht zwar nicht die Gefahr einer unerwünschten Schwangerschaft, die Gefahr einer Übertragung von sexuell übertragbaren Krankheiten besteht jedoch in erhöhtem Maße, weil es in diesem Bereich besonders leicht zu blutenden Verletzungen kommen kann.

2. Einer näheren Prüfung bedarf dies insoweit nur, wenn die Gefahrrealisierung ausgeschlossen erscheint.


Entscheidung

BGH 3 StR 421/02 - Beschluss vom 7. Januar 2003 (LG Osnabrück)

Verfall des Wertersatzes; Bruttoprinzip; Beruhen; Kronzeugenregelung (Aufklärungserfolg); Darlegung; Urteilsgründe; Verfahren der Verfallsanordnung (objektiv, subjektiv); erweiterter Verfall (Ausschluss der §§ 73, 73a StGB).

§ 31 Nr. 1 BtMG; § 267 StPO; § 73 Abs. 1 StGB; § 73d StGB; § 76a StGB

1. Ein Aufklärungserfolg im Sinne des § 31 Nr. 1 BtMG muss im Urteil wenigstens zusammenfassend dargelegt werden. Der bloß formelhafte Hinweis, dass der Angeklagte "Angaben über seine eigene Tatbeteiligung hinaus" gemacht habe, genügt dem nicht.

2. Vor der Anwendung des § 73 d StGB muss unter Ausschöpfung aller prozessual zulässigen Mittel ausgeschlossen werden, dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73 a StGB erfüllt sind.