HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2003
4. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 2 StR 529/02 - Beschluss vom 29. Januar 2003 (LG Köln)

Rechtfertigung durch Notwehr (erforderliche Gesamtbetrachtung bei einem Geschehen mit wechselnden Rollen/Angriffen; Grundsätze des BGH zur Einschränkung des Notwehrrechts bei vorangegangener Herbeiführung der Notwehrlage durch schuldhaftes Verhalten; Irrtum bei eingeschränkten geistigen Fähigkeiten; Erforderlichkeit).

§ 32 StGB; § 16 StGB; § 17 StGB

Allein aus dem Umstand, dass der Beschuldigte seine Lage (mit)verschuldet hat, lässt sich noch keine allgemeine Aussage ableiten, in welchem Maße er sich im Vergleich zu einem schuldlos in eine Notwehrsituation Geratenen bei der Abwehr des Angriffs zurückhalten musste. Dies hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Je schwerer einerseits die rechtswidrige und vorwerfbare Verursachung der Notwehrlage durch den Angegriffenen wiegt, umso mehr Zurückhaltung ist ihm bei der Abwehr zuzumuten. Andererseits sind die Beschränkungen des Notwehrrechts umso geringer, je schwerer das durch den Angriff drohende Übel einzustufen ist (vgl. BGHSt 42, 97, 101; 39, 374, 379; BGH NStZ 2002, 425, 426 m.w.N.). Die Notwehreinschränkung hängt ferner davon ab, ob der Beschuldigte dem Angriff ausweichen konnte oder ob er über ein Ausweichen zum Einsatz eines weniger gefährlichen Verteidigungsmittels gelangen konnte. War das nicht möglich, so war selbst bei verschuldeter Angriffsprovokation die Ausübung des Notwehrrechts in dem auch sonst üblichen Rahmen grundsätzlich gestattet (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 11 m.w.N.), d. h. soweit sie zur Verteidigung des Beschuldigten erforderlich war (§ 32 Abs. 2 StGB).


Entscheidung

BGH 2 StR 457/02 - Beschluss vom 18. Dezember 2002 (LG Gera)

Mittäterschaftlicher Betäubungsmittelhandel (Einfuhr; Betäubungsmittelimitate; untauglicher Versuch; Zurechnung bei Täuschung durch die vermeintlichen Mittäter).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 29a BtMG; § 29 Abs. 6 BtMG; § 22 StGB

1. Handelten auch die Lieferanten der Betäubungsmittelimitate in der irrigen Annahme, Betäubungsmittel in nicht geringer Menge einzuführen, so lag für alle Mittäter ein (untauglicher) Versuch vor. Handelten sie dagegen in Kenntnis der Imitat-Eigenschaft, so hätten sie selbst weder eine vollendete noch eine versuchte Einfuhr begangen, denn § 29 Abs. 6 BtMG gilt für den Tatbestand der Einfuhr nicht.

2. Ein nicht eingeweihter Angeklagte ist in diesem Fall nur dann wegen (untauglichen) Versuchs strafbar, wenn ihm das Handeln der vermeintlichen Mittäter aufgrund seiner irrtümlichen Annahme, es handele sich hierbei um die Ausführung eines gemeinsamen Tatplans, als eigenes Ansetzen zur Tat zuzurechnen wäre. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche "vermeintliche Mittäterschaft" von der Versuchsstrafbarkeit erfasst wird, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten und noch nicht abschließend geklärt (vgl. BGHSt 39, 236; 40, 299; BGH NJW 1952, 430).

3. Im Hinblick auf den der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden weiten Begriff des Handeltreibens steht der Verurteilung wegen des vollendeten Verbrechens nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG der Umstand nicht entgegen, dass es sich bei der vom Angeklagten als Mittäter zum Zweck gewinnbringenden Weiterverkaufs erworbenen Substanz tatsächlich nicht um Betäubungsmittel handelte.


Entscheidung

BGH 4 StR 422/02 - Urteil vom 16. Januar 2003 (LG Halle)

Bedingter Tötungsvorsatz (Beweiswürdigung; gefährliche Handlungen); Raub (finale Gewaltanwendung zur Ermöglichung der Wegnahme; fortwirkende Gewalt).

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 249 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt der Täter bedingt vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (vgl. BGHSt 36, 1, 9; BGHR StGB § 212 Abs. 1, Vorsatz, bedingter 38, 39; BGH NStZ-RR 2000, 165 f., jeweils m.w.N.).

2. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt ein entsprechend bedingter Tötungsvorsatz nahe (BGH NJW 1999, 2533, 2534; BGH NStZ-RR 2000, 165 f.). Angesichts der hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten bedarf die Billigung des Todeserfolgs allerdings der sorgfältigen Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 38; BGH NStZ-RR 2000, 165 f.). Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes einen Umstand von erheblichem Gewicht dar (vgl. auch BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, 38, 39). Ferner sind die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in die gebotene Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände mit einzubeziehen (BGHSt 36, 1, 10; vgl. auch BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 39, 41; BGH NJW 1999, 2533, 2534 f.).

3. Der Tatbestand des Raubes erfordert, dass die Gewalt als Mittel eingesetzt wird, um die Wegnahme der Sache zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 4, 210, 211; 20, 32, 33). Folgt die Wegnahme der Gewalt nur zeitlich nach, ohne dass eine finale Verknüpfung besteht, scheidet ein Schuldspruch wegen Raubes (mit Todesfolge) aus (BGHSt 32, 88, 92; 41, 123, 124; BGH NStZ 1982, 380; BGH StV 1995, 416).


Entscheidung

BGH 1 StR 352/02 - Beschluss vom 16. Januar 2003 (LG Nürnberg)

Schuldunfähigkeit (Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit hinsichtlich bestimmter Rechtsverstöße; Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins).

§ 20 StGB

Unrechtseinsicht und Hemmungsvermögen beziehen sich immer auf den konkreten Rechtsverstoß.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 412/02 - Beschluss vom 17. Dezember 2002 (LG Ravensburg)

Betrug; Computerbetrug (Verwendung unbefugter Daten; absprachewidrige Abhebung).

§ 263 StGB; § 263a Abs. 1 StGB

Hebt jemand an einem Geldautomaten vom Konto eines anderen mit dessen Codekarte und der Geheimnummer Geld ab, so liegt ein Computerbetrug durch unbefugte Verwendung von Daten dann nicht vor, wenn ihm die Daten vom Kontoinhaber überlassen wurden und er lediglich absprachewidrig handelt.


Entscheidung

BGH 1 StR 393/02 - Urteil vom 28. Januar 2003 (LG Mosbach)

Geldwäschevorsatz (konkrete Umstände für eine Katalogtat); gewerbsmäßige Bandenhehlerei; Bestechung.

§ 261 StGB; § 15 StGB; § 260a Abs.1 StGB; § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB

Dass der Angeklagte die legale Herkunft eines Schecks ausgeschlossen hat, genügt für die Annahme des Vorsatzes der Geldwäsche nicht aus. Erforderlich ist die Feststellung konkreter Umstände, aus denen sich in groben Zügen bei rechtlich richtiger Bewertung durch die Angeklagte eine Katalogtat des Geldwäschetatbestandes als Vortat ergibt (vgl. BGHSt 43, 158, 165; BGH StV 2000, 67).


Entscheidung

BGH 5 StR 223/02 - Urteil vom 15. Januar 2003 (LG Cottbus)

Mord (Habgier; Heimtücke; niedrige Beweggründe - Bewusstsein der besonderen Verwerflichkeit, Gesamtwürdigung und Situationstat); Beweiswürdigung (verminderte Schuldfähigkeit; Drogeneinfluss).

§ 211 StGB; § 16 StGB; § 261 StPO

1. Ein Täter handelt aus Habgier, wenn sich die Tat als Folge eines noch über bloße Gewinnsucht hinaus gestei- gerten abstoßenden Gewinnstrebens darstellt (BGHSt 29, 317, 318).

2. Beweggründe sind niedrig, wenn sie als Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen (vgl. BGHSt 42, 226, 228). In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass sich der Täter bei der Tat der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen, und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann (BGHSt 28, 210, 212; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11 und 15). Ob dies der Fall ist, bedarf insbesondere bei plötzlichen Situationstaten genauerer Prüfung (vgl. BGH StV 2000, 20, 21, BGH NStZ 2001, 87).