HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2003
4. Jahrgang
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Strafrechtliche/strafverfahrensrechtliche
Entscheidungen des BVerfG/EGMR


Entscheidung

EGMR Nr. 48539/99 - Urteil v. 5.11.2002 (Allan v. Großbritannien)

Selbstbelastungsfreiheit (Umgehungsschutz; Schweigerecht; materieller / funktionaler Vernehmungsbegriff; List; Täuschung; nemo tenetur-Grundsatz; Hörfalle; V-Leute; verdeckte Ermittler; Informant; Zurechnung; Untersuchungshaft; Gesamtbetrachtung); Recht auf Achtung des Privatlebens (Abhöreinrichtungen; Verwertung von Beweismitteln, die durch Einschleusung eines Polizeispitzels erlangt worden sind; Videoüberwachung; Gesetz im Sinne der EMRK).

Art. 6 EMRK; Art. 8 EMRK; Art. 1 GG; § 136a StPO; § 136 StPO; § 163a StPO; § 112 StPO; § 110a StPO

1. Das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, bzw. das Recht zu schweigen stellen international allgemein anerkannte Standards dar, die zum Kernbereich des fairen Verfahrens zählen. Das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, soll in erster Linie den Willen des Angeklagten schützen, zu schweigen und setzt voraus, dass die Anklagebehörde die Fakten ohne Rückgriff auf Beweise, die in Missachtung des Willens des Angeklagten durch Zwang oder Druck erlangt wurden, zu beweisen versucht.

2. Der Anwendungsbereich des Schweigerechts und des Schutzes vor Selbstbelastung ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Beschuldigte Zwang widerstehen musste oder in denen der Wille des Beschuldigten in irgendeiner Weise direkt überwunden wurde. Das Recht, das zum Kernbereich des fairen Verfahrens gehört, dient prinzipiell der Freiheit einer verdächtigten Person, zu entscheiden, ob sie in Polizeibefragungen aussagen oder schweigen will. Diese Freiheit wird ausgehöhlt, wenn die Behörde in Fällen, in denen der Verdächtigte sich entschieden hat, während der Vernehmung zu schweigen, eine Täuschung anwendet, um ein Geständnis oder belastende Aussagen von ihm zu erlangen, die sie während der Befragung nicht erlangen konnte und wenn die dadurch erlangten Beweismittel im Strafverfahren verwendet werden.

3. Ob das Schweigerecht des Art. 6 EMRK verletzt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Schweigerecht ist grundsätzlich verletzt, wenn ein Informant als Agent des Staates handelte, als der Beschuldigte das Eingeständnis gemacht hat und der Informant den Beschuldigten zur Äußerung veranlasst hat. Wann ein Informant als dem Staat zuzurechnender Agent anzusehen ist, hängt davon ab, ob der Wortwechsel zwischen dem Angeklagten und dem Informanten in der gleichen Art und Weise auch erfolgt wäre, wenn die Behörden nicht eingegriffen hätten. Ob die fraglichen Beweise als vom Informanten entlockt zu betrachten sind, hängt von der Art der Beziehung zwischen dem Informanten und dem Beschuldigten und davon ab, ob sich das Gespräch des Informanten mit dem Beschuldigten als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung darstellt.


Entscheidung

BVerfG 2 BvR 1439/02 - Beschluss vom 23. Dezember 2002 (2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts)

Rechtliches Gehör (Überraschungsentscheidung; Hinweispflicht; Begründungspflicht: wesentlicher Kern des Tatsachenvortrags einer Partei); Wiederaufnahme (faires Verfahren; Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes / der Wahrheitsmaxime / Offizialmaxime im Probationsverfahren; materielles Schuldprinzip).

Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 369 StPO; § 33a StPO;

1. Aus dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren folgt, dass auch für die außerhalb des prozessualen Hauptverfahrens zu treffende Entscheidungen die Ermittlung des wahren Sachverhalts von zentraler Bedeutung bleibt (vgl. BVerfGE 57, 250, 257; 86, 288, 317). Dies gilt auch im Probationsverfahren, in dem angetretene Beweise auszuschöpfen sind.

2. Das Gebot rechtlichen Gehörs soll unter anderem gewährleisten, dass der Einzelne nicht bloßes Objekt des Verfahrens ist, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommt, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 7, 275, 279; 57, 250, 275). Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten in einem gerichtlichen Verfahren die Gelegenheit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern (vgl. BVerfGE 1, 418, 429; stRspr).

3. An einer solchen Gelegenheit fehlt es nicht erst dann, wenn ein Beteiligter gar nicht zu Wort gekommen ist oder wenn das Gericht seiner Entscheidung Tatsachen zugrunde legt, zu denen die Beteiligten nicht Stellung nehmen konnten (vgl. BVerfGE 10, 177, 182 f.; stRspr). Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt auch voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt zwar grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; ihm ist auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (vgl. BVerfGE 66, 116, 147). Es kommt jedoch im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 84, 188, 190).

4. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen sich dabei jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinander zu setzen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f.; stRspr). Geht das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133, 146).


Entscheidung

BVerfG 2 BvR 327/02 - Beschluss vom 5. Februar 2003 (3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts)

Freiheit der Person; Grundrechte (Verkennung der Tragweite; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Prinzip verhältnismäßigen Strafens; öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung; Jugendstrafe; erzieherische Gesichtspunkte; Gewicht des Tatunrechts); Rechtsstaatsprinzip (Recht auf ein faires Verfahren; Beschleunigungsgrundsatz; überlange Verfahrensdauer; effektive Maßnahmen zur Verfahrensförderung; Verfahrenseinstellung/Verfahrenshindernis).

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 EMRK; § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 1 JGG; § 105 JGG

1. Das Rechtsstaatsgebot fordert die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 63, 45, 69; BVerfG NJW 1984, 967). Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwingt die Strafverfolgungsbehörden dazu, dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu berücksichtigen.

2. Ob eine mit dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes nicht im Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, bestimmt sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls. (vgl. BVerfGE 55, 349, 369) Für die Feststellung einer solchen Verfahrensverzögerung sind im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwiegende Faktoren: der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Keine Berücksichtigung finden hingegen Verfahrensverzögerungen, die der Beschuldigte selbst verursacht hat (BVerfG NJW 1984, 967; NJW 1993, 3254).

3. Mit Blick auf die Bedeutung der vom Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes geforderten Verfahrensbeschleunigung ist es regelmäßig angezeigt, dass Art und Umfang der Verletzung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich festgestellt und das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Umstands näher bestimmt werden (vgl. BVerfG NJW 1984, 967; BVerfG NStZ 1997, S. 591; EGMR, EuGRZ 1983, 371, 381 f.). Ausnahmsweise bedarf es einer exakten Bestimmung der Strafmilderung wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes nicht, wenn sich das Maß der Berücksichtigung aus dem Vergleich der in den verschiedenen Instanzen verhängten Strafen ergibt (vgl. BVerfG NJW 1984, 967).

4. Reichen die gesetzlich bestehenden Möglichkeiten in Fällen, in denen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und zu besonderen Belastungen des Betroffenen geführt hat, nicht aus, kommt die Einstellung wegen eines von Verfassungs wegen anzunehmenden Verfahrenshindernisses in Betracht (vgl. auch BVerfGE 92, 277, 326 ff.; BVerfG NJW 1993, 3254, 3255 und auch folgend BGHSt 46, 159, 169 ff.).

5. Selbst wenn mit Blick auf das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vorrangig Haftsachen verhandelt werden müssen, darf dies nicht zur Untätigkeit in zögerlich geführten Strafverfahren führen.

6. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hält dazu an, in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel der Strafverfolgung und der Bestrafung unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zum dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen (vgl. BVerfGE 92, 277, 326; BVerfGE 46, 17, 29; BVerfG NJW 1993, 3254, 3255).


Entscheidung

BVerfG 1 BvR 330/96 - Urteil vom 12. März 2003 (1. Senat des Bundesverfassungsgerichts)

Fernmeldegeheimnis (Zielwahlsuche; Zugriff auf Verbindungsdaten; Straftat von erheblicher Bedeutung); Rechtsschutzgarantie (fachgerichtliche Kontrolle von prozessual überholten Strafermittlungsmaßnahmen; Erledigung; tiefgreifender Grundrechtseingriff: einfachrechtlicher Richtervorbehalt und heimlicher Eingriff; eigenverantwortliche Überprüfung des Ermittlungsrichters); Pressefreiheit (Zeugnisverweigerungsrecht des Journalisten; Schutz der Vertraulichkeit der Informationsbeschaffung und der Redaktionsarbeit); Rundfunkfreiheit (öffentlichrechtliche Rundfunkanstalt).

Art. 10 GG; Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 19 Abs. 3 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; § 12 FAG (§ 100 g StPO und § 100 h StPO) ; § 100 a StPO; § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO; § 97 Abs. 2 StPO; § 304 StPO.

1. Die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten können sich zum Schutz der Vertraulichkeit der Informationsbeschaffung und der Redaktionsarbeit auf das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG und insoweit auch auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG berufen. (BVerfG)

2. Richterliche Anordnungen gegenüber Telekommunikationsunternehmen, im Rahmen der Strafverfolgung Auskunft über die für Abrechnungszwecke bereits vorhandenen oder in Durchführung einer Zielwahlsuche zu ermittelnden Verbindungsdaten zu erteilen, greifen in das Fernmeldegeheimnis des von der Auskunft Betroffenen ein. (BVerfG)

3. Derartige Eingriffe sind nur gerechtfertigt, wenn sie zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich sind, hinsichtlich der ein konkreter Tatverdacht besteht und wenn eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme vorliegt, dass der durch die Anordnung Betroffene mit dem Beschuldigten über Telekommunikationsanlagen in Verbindung steht. (BVerfG)

4. Straftaten von erheblicher Bedeutung sind nicht nur die Katalogtaten im Sinne des § 100 a StPO. Auch Wirtschaftsstraftaten können von erheblicher Bedeutung sein. Für die Gewichtung einer Straftat sind nicht allein das betroffene Rechtsgut, sondern ebenfalls die Tatbegehung und das Ausmaß der Schäden maßgebend. (Bearbeiter)

5. Der Ermittlungsrichter hat die Pflicht, bei der Anordnung von Maßnahmen, welche in das Fernmeldegeheimnis eingreifen, sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehört eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Die richterliche Anordnung des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen sich der Eingriff halten muss. (Bearbeiter)

6. Zumindest bei Straftaten von besonderer Schwere kommt eine Zielwahlsuche auch ohne Verbindung mit Sicherungen ihrer nachträglichen Kontrolle, etwa durch Datenschutzbeauftragte oder parlamentarische Gremien, in Betracht. (Bearbeiter)

7. Staatlichen Stellen ist es grundsätzlich verwehrt, sich Einblick in die Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung von Nachrichten oder Beiträgen führen, die in der Presse gedruckt oder im Rundfunk gesendet werden (vgl. BVerfGE 66, 116, 133 ff.). Geschützt ist auch der Kontakt zu Personen, die selbst Gegenstand der Berichterstattung sind. (Bearbeiter)

8. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet es nicht, Journalisten generell von strafprozessualen Maßnahmen nach § 12 FAG und § 100 a StPO auszunehmen. Der Gesetzgeber ist weder gehalten noch steht es ihm frei, der Presse- und Rundfunkfreiheit absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Gemeinschaftsgütern einzuräumen. Er hat insbesondere auch den Erfordernissen der Rechtspflege Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 77, 65, 75 f.). (Bearbeiter)

9. Soweit das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch für die Fälle betont, in denen ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht nicht greift (BVerfGE 64, 108, 119; 77, 65, 81 f.), folgt daraus kein unmittelbar aus der Verfassung herleitbares generelles Zeugnisverweigerungsrecht. Im Rahmen der Auslegung und Anwendung der jeweils betroffenen Normen ist der Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Rechnung zu tragen. In diesem Sinne ist in den vorliegenden Fällen die gesetzgeberische Entscheidung hinzunehmen, dass Maßnahmen nach § 12 FAG, § 100 a StPO auch gegen Journalisten angewandt werden dürfen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind aber die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. (Bearbeiter)

10. Die journalistische Tätigkeit darf nicht zum Anlass genommen werden, Journalisten einem höheren Risiko auszusetzen als andere Grundrechtsträger. Insbesondere darf die Inanspruchnahme von Journalisten nicht allein auf den Erfahrungssatz gestützt werden, dass Journalisten auf Grund ihrer Recherchen häufig mehr über gesuchte Straftäter wissen als andere Bürger. Die Annahme eines Handelns als Nachrichtenmittler muss vielmehr auf konkrete Tatsachen gegründet sein, die den jeweiligen Fall betreffen. Über allgemeine Erfahrungssätze hinaus müssen bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte der Kontaktaufnahme des betreffenden Journalisten zu den gesuchten Straftätern bestehen, die auch ausreichen würden, um entsprechende Maßnahmen gegen andere Personen anzuordnen. (Bearbeiter)

11. Verfassungsrechtlich hat das Interesse von Journalisten, unbehelligt telefonischen Kontakt zu gesuchten Straftätern zu haben grundsätzlich ein geringeres Gewicht als das Interesse an der Kommunikation mit Personen, die als Informanten den Medien für die Öffentlichkeit wichtige Informationen zukommen lassen, etwa zur Aufdeckung und Aufklärung von Missständen. (Bearbeiter)

12. Die von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Wirksamkeit des Rechtsschutzes verbietet es den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel ineffektiv zu machen. Davon muss sich das Rechtsmittelgericht bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall für ein nach der Prozessordnung statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse besteht. Ein solches Rechtsschutzinteresse ist auch in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen (vgl. BVerfGE 96, 27, 39 f.; BVerfG NJW 1998, 2131 f.). (Bearbeiter)

13. Tief greifende Grundrechtseingriffe kommen nicht nur bei Anordnungen in Betracht, die bereits das Grundgesetz vorbeugend dem Richter vorbehalten hat (vgl. BVerfGE 96, 27, 40). Sie sind vielmehr auch in Fällen möglich, in denen das Gesetz den Eingriff dem Richter vorbehält. Setzt ein Grundrechtseingriff aus verfassungsrechtlich gerechtfertigten Gründen Heimlichkeit voraus, wird ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen, die etwaige Rechtswidrigkeit der Maßnahme anschließend gerichtlich feststellen zu lassen, nicht nur ausnahmsweise anzunehmen sein. (Bearbeiter)