HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2002
3. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 3 StR 62/02 - Beschluss vom 11. Juni 2002 (LG Düsseldorf)

Mord; besondere Schwere der Schuld; keine Zuständigkeit des Tatgerichts für Aussagen zur Mindestverbüßdauer.

§ 211 StGB; § 57a StGB

Das Schwurgericht hat das Vorliegen einer besonderen Schuldschwere im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB festzustellen, die dafür erheblichen Tatsachen darzustellen und zu gewichten sowie für das Vollstreckungsverfahren klare Vorgaben zu liefern (vgl. BVerfGE 86, 288, 315 ff.; BGHSt 40, 360, 366, 367). Es hat sich jedoch Festlegungen zur Mindestverbüßungsdauer zu enthalten; denn nach der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen Schwur- und Vollstreckungsgericht ist für die nach den §§ 57 a, 57 b StGB zu treffenden Entscheidungen gemäß §§ 462 a, 454 StPO ausschließlich die Strafvollstreckungskammer zuständig, die dann zu entscheiden haben wird, ob unter Berücksichtigung der rechtskräftig festgestellten besonderen Schwere der Schuld die weitere Vollstreckung geboten ist.


Entscheidung

BGH 4 StR 162/02 - Beschluss vom 27. Juni 2002 (LG Neubrandenburg)

Sicherungsverwahrung (Hang); Verwertungsverbot nach Tilgung von Vorstrafen (Geltung auch bei Maßregeln; Zulässigkeit der Verwertung getilgter früherer Verurteilungen, auf die sich der Angeklagte zu seiner Entlastung beruft).

§ 66 Abs. 2 StGB; § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Die indizielle Verwertung der Feststellungen bereits im Register getilgten früheren Verurteilungen verstößt gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, das auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung gilt (vgl. BGHSt 25, 100 ff., BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 7) und der Verwertung der getilgten Verurteilungen zum Nachteil des Angeklagten entgegensteht.


Entscheidung

BGH 2 StR 255/02 - Beschluss vom 19. Juli 2002 (LG Gera)

Minder schwerer Fall des schweren Raubes (erforderliche Gesamtbetrachtung; bestimmende Strafzumessungsumstände).

§ 250 Abs. 3 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

1. Zwar müssen die Urteilsgründe nur die bestimmenden Strafzumessungsumstände mitteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; BGH StV 1993, 72). Wenn vom Tatrichter nicht jeder zu Gunsten oder zu Lasten eines Angeklagten sprechende Umstand ausdrücklich angesprochen wird, so lässt das noch nicht ohne weiteres annehmen, er habe ihn übersehen. Ein Rechtsfehler liegt erst vor, wenn ein wesentlicher, die Tat prägender, Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (vgl. BGH StV 1994, 17). Das ist dann zu besorgen, wenn eine Strafkammer nur die Tatumstände, nicht aber wesentliche Umstände, die die Täterpersönlichkeit betreffen, in die Abwägung einbezogen hat.

2. Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Dabei sind alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der außerordentliche Strafrahmen anzuwenden ist (st. Rspr. vgl. BGHSt 26, 97, 98; BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Prüfungspflicht 1; BGH NStZ 2000, 254).


Entscheidung

BGH 1 StR 195/02 - Beschluss vom 2. Juli 2002 (LG Augsburg)

Unzulässige Strafschärfung bei Spurenbeseitigung (Vorbehalt neuen Unrechts; weitergehende Ziele, die ein ungünstiges Licht auf den Täter werfen); verminderte Schuldfähigkeit (Btm-Auswirkungen); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang).

§ 46 StGB; § 21 StGB; § 64 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allein der Versuch, sich selbst durch Beseitigung von Tatspuren der Strafverfolgung zu entziehen, kein zulässiger Strafschärfungsgrund. Dies gilt selbst dann, wenn die Spurenbeseitigung umsichtig oder kaltblütig vorgenommen wird (vgl. dazu nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 - Nachtatverhalten 13, 17, 18). Anders kann es sich allenfalls dann verhalten, wenn der Täter dadurch neues Unrecht schafft oder mit seinem Verhalten weitergehende Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein zwar noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB). Derartige Folgen sind bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwerster Persönlichkeitsveränderung geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen; ferner unter Umständen dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt. Zu bedenken ist aber auch der Sonderfall, dass die Angst des Täters vor nahe bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen, die er schon als "grausamst" erlitten hat, die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ermöglicht (vgl. BGH NStZ 2001, 83; 1989, 430; BGHR StGB § 21 - BtM-Auswirkungen 11, 12).

3. Ein Hang im Sinne des § 64 StGB ist nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit; es genügt vielmehr eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Diese Neigung muss noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben (vgl. BGHR StGB § 64 - Hang 4, 5).


Entscheidung

BGH 1 StR 194/02 - Beschluss vom 2. Juli 2002 (LG Regensburg)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose; Verhältnismäßigkeit; Gesamtwürdigung; beschränkte Einbeziehung von Taten gegen das Pflegepersonal während der Anstaltsunterbringung).

§ 63 StGB; § 62 StGB; Art. 1 Abs. 1 BayUnterbrG; Art. 7 Abs. 3 BayUnterbrG

Zustandsbedingte Taten, die im Rahmen einer Unterbringung gegen das Pflegepersonal und unter Umständen gegen Mitpatienten begangen werden, können nur eingeschränkt Anlass für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB sein. Es bedarf dann der Erörterung, ob und inwieweit solche Taten oder Verhaltensweisen ihre Ursache auch in der durch die Unterbringung für den Betreffenden gegebenen Situation haben können (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26 = NStZ 1999, 611).