HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

August 2002
3. Jahrgang
PDF-Download

II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 1 StR 145/02 - Beschluss vom 26. Juni 2002 (LG Traunstein)

Strafrahmenmilderung; erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit (Beweiswürdigung; Erörterungspflicht in Abhängigkeit von der festgestellten BAK; Lückenhaftigkeit; psychodiagnostische Kriterien).

§ 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung infolge übermäßigen Alkoholkonsums regelmäßig bei einem Blutalkoholwert von 2,0 Promille aufwärts der Erörterung im Urteil bedarf. Bei schwerwiegenden Gewalttaten, die sich gegen Leib oder Leben des Opfers richten, ist dies mit Blick auf die Überschreitung einer höheren Hemmschwelle ab einem Blutalkoholwert von 2,2 Promille zur Tatzeit anzunehmen. Das gilt auch für die gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (siehe nur BGHSt 43, 66, 69). Die bloße Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens vermag eine nachvollziehbare Erörterung durch den Tatrichter nicht zu ersetzen.


Entscheidung

BGH 4 StR 203/02 - Beschluss vom 25. Juni 2002 (LG Münster)

Gesamtstrafenbildung (zu starke Leitung durch die Summe der Einzelstrafen; Berücksichtigung des erheblichen Tatzeitraumes; sinkende Hemmschwelle bei gleichartigen Taten).

§ 54 StGB

Die wiederholte Verwirklichung gleichartiger Taten kann - namentlich wenn sie sich über einen langen Zeitraum erstrecken - auch Ausdruck einer von Tat zu Tat geringer werdenden Hemmschwelle sein kann (vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 2, 4, 8).


Entscheidung

BGH 2 StR 73/02 - Urteil vom 31. Mai 2002 (LG Köln)

Vergewaltigung; Schuldunfähigkeit (BAK-Berechnung; Reduktionsfaktor; psychodiagnostische Kriterien; Alkoholgewöhnung; Leistungsverhalten); verminderte Schuldfähigkeit; gefährliche Körperverletzung (das Leben gefährdende Behandlung; Würgen); Täter-Opfer-Ausgleich (Strafzumessung; vertypter besonderer und allgemeiner Milderungsgrund).

§ 177 Abs. 2 StGB; § 20 StGB; § 21 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 46 a Nr. 1 StGB; § 46 StGB

1. Festes Würgen am Hals kann geeignet sein, eine Lebensgefährdung herbeizuführen (vgl. BGH GA 1961, 241). Zwar reicht insoweit nicht jeder Griff aus, der zu Würgemalen führt, ebensowenig bloße Atemnot (vgl. BGH StV 1993, 26); andererseits kann Würgen bis zur Bewusstlosigkeit oder bis zum Eintritt von Sehstörungen beim Opfer dessen Leben gefährden (vgl. BGH JZ 1986, 963). Von maßgeblicher Bedeutung sind demnach Dauer und Stärke der Einwirkung, die abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt nicht voraus, dass das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr geraten ist.

2. Die Vorschrift des § 46 a Nr. 1 StGB setzt nach ständiger Rechtsprechung und nach der gesetzgeberischen Intention einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muß (vgl. BGHR StGB § 46 a Wiedergutmachung 1). Dafür ist weder zwingend die Vermittlung durch einen neutralen Dritten erforderlich, noch ein persönlicher Kontakt zwischen Täter und Opfer (vgl. BGH StV 1999, 89, 2001, 448). Unverzichtbar ist jedoch nach dem Grundgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung. Das Tatgericht ist durch die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung der Vereinbarung als "Täter-Opfer-Ausgleich" in keiner Weise gebunden.

3. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46 a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Allerdings kann die fehlende Einwilligung des Opfers im Rahmen des § 46 a Nr. 1 StGB dann unerheblich sein, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Wiedergutmachung der Tat ernsthaft erstrebt hat. Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll demnach nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen.


Entscheidung

BGH 3 StR 185/02 - Beschluss vom 26. Juni 2002 (LG Stuttgart)

Doppelverwertungsverbot; schwere räuberische Erpressung (gefährliches Werkzeug; sonstiges Werkzeug); Strafzumessung; Beruhen.

§ 46 Abs. 3 StGB; § 337 StPO

Es ist im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB rechtlich bedenklich, wenn das Landgericht dem Angeklagten bei der Bemessung der Einzelstrafe für die Verabredung zum Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung (§ 30 Abs, 2, §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB) strafschärfend anlastet, er habe mit der Gasschreckschusspistole bei dem geplanten Banküberfall ein Nötigungsmittel einsetzen wollen, das "in besonderer Weise geeignet war, Furcht und Schrecken zu verbreiten, weil es einer echten Schußwaffe täuschend ähnlich sah".


Entscheidung

BGH 3 StR 132/02 - Beschluss vom 14. Juni 2002 (LG Aurich)

Strafzumessung (Milderung); verminderte Schuldfähigkeit (BtM-Auswirkungen; Einzelstrafe; Auswirkung bei der Bildung der Gesamtstrafe); Abfassung der Urteilsgründe.

§ 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB; § 54 Abs. 1 und 2 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln begründet für sich allein noch keine erhebliche Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit. Derartige Folgen sind bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder wenn der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn das Delikt im Zustand eines akuten Rausches verübt wird (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12 m. w. N.; BGH NStZ 2002, 31).

2. Die Milderungsmöglichkeit nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB führt lediglich dazu, dass der Strafrahmen für die betreffende Einzelstrafe ermäßigt wird. Dagegen bleibt der Rahmen des § 54 Abs. 1 und 2 StGB für die Bildung der Gesamtstrafe unverändert. Lediglich bei der zusammenfassenden Bewertung des gesamten Schuldumfanges aller Taten im Rahmen der Gesamtstrafenbildung (vgl. BGHSt 24, 268, 270) wird auch der Umstand einer verminderten Schuldfähigkeit Bedeutung erlangen.


Entscheidung

BGH 1 StR 142/02 - Beschluss vom 11. Juni 2002 (LG Nürnberg-Fürth)

Gesamtstrafenbildung beim Zusammentreffen von Einzelfreiheitsstrafen und Einzelgeldstrafen (Ermessen; Bildung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe).

§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB

Treffen Einzelfreiheitsstrafen und Einzelgeldstrafen zusammen, so ist in der Regel eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden (siehe BGH NJW 1989, 2900; wistra 1994, 61). Dem Tatrichter ist jedoch in § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB ein Ermessen dahingehend eingeräumt, dass er aus den Einzelfreiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe und daneben aus den Einzelgeldstrafen eine gesonderte Gesamtgeldstrafe bilden kann. Dieses Ermessen hat er nach Strafzumessungsgesichtspunkten auszuüben.


Entscheidung

BGH 5 StR 250/02 - Beschluss vom 9. Juli 2002 (LG Berlin)

Verhältnis der Anrechnung von Untersuchungshaft und der Aussetzung zur Bewährung.

§ 56 StGB; § 51 StGB

Eine Strafaussetzung scheidet bereits begrifflich aus, wenn die verhängte Freiheitsstrafe infolge der Anrechnung der Auslieferungs- und der Untersuchungshaft vollständig verbüßt ist (vgl. BGHSt 31, 25, 27 ff.).


Entscheidung

BGH 3 StR 113/02 - Urteil vom 6. Juni 2002 (LG Mönchengladbach)

Sicherungsverwahrung; Beschränkung der Revision; Hang zu erheblichen Straftaten (Straftaten unterschiedlichen Charakters; Indizwert; Symptomtaten); Gefährlichkeit für die Allgemeinheit.

§ 66 StGB

1. Begeht ein Täter zwar mehrmals hintereinander Straftaten von erheblicher Bedeutung, sind diese Straftaten jedoch von ganz unterschiedlichem Charakter und betreffen sie unterschiedliche Rechtsgüter, so bedarf die Frage ihres Indizwertes für einen Hang iSd § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB besonders eingehender Prüfung.

2. Ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht nur bei einem Täter zu bejahen ist, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, sondern auch bei demjenigen, der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung - gleich welcher Genese - immer wieder straffällig wird, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet.


Entscheidung

BGH 4 StR 160/02 - Beschluss vom 4. Juni 2002 (LG Stralsund I)

Rechtsfehlerhafte Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (Hang; konkrete Erfolgsaussicht für die voraussichtliche Dauer der Inhaftierung).

§ 64 Abs. 1 StGB

Sinn der Maßregelanordnung nach § 64 StGB ist es, möglichst umgehend mit der Behandlung zu beginnen, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Deshalb ist die Erfolgsaussicht einer Entziehungsbehandlung schon für die voraussichtliche Dauer der Inhaftierung zu prüfen, zumal es auch darum geht, den Betroffenen durch die Behandlung in die Lage zu versetzen, an der Verwirklichung des Vollzugsziels mitzuarbeiten (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7). Auch wenn vieles dafür sprechen mag, dass die Rückkehr eines (ehemals) abhängigen Straftäters in sein "Milieu" nach Entlassung aus der Haft trotz Entziehungsbehandlung die Gefahr des Rückfalls in frühere Verhaltensweisen begründet, kann dies deshalb für sich kein Grund sein, die Anordnung der Maßregel abzulehnen. Zwar mag ein solcher Umstand einen dauerhaften Erfolg der Entziehungsbehandlung in Frage stellen. Doch verlangt § 64 Abs. 1 StGB nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 91, 1 f. (= NStZ, 1994, 578) nicht unbedingt die Aussicht auf eine vollständige Heilung von der Sucht; vielmehr genügt danach die konkrete Aussicht, "den Süchtigen über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren".


Entscheidung

BGH 4 StR 183/02 - Beschluss vom 11. Juni 2002 (LG Frankenthal)

Strafzumessung; Nachtatverhalten (Gefühlskälte; Verbrennen der Leiche, um sich der Strafverfolgung zu entziehen; Spurenbeseitigung).

§ 46 StGB

Diente das Verbrennen einer Leiche nach der Begehung eines Tötungsdelikts dazu, sich der Strafverfolgung zu entziehen, darf nach der Rechtsprechung einem Täter ein solches Verwischen von Tatspuren nicht strafschärfend angelastet werden, selbst wenn es mit "Gefühlskälte" geschieht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 17, 18). Anders ist der Fall zu beurteilen, in dem eine darüber hinausgehende bewusste schimpfliche Behandlung der Leiche erfolgt, die einen eigenen Unrechtsgehalt darstellen kann.


Entscheidung

BGH 3 StR 12/02 - Urteil vom 21. März 2002 (LG Düsseldorf)

Sicherungsverwahrung (Anordnung nach Abs. 2 nur auf Grund einer Ermessensentscheidung des Tatgerichts; Vorverurteilungen).

§ 66 Abs. 1, Abs. 2 StGB

1. Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2, 4, 5). Daher müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass und in welcher Weise der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat. Hat das Tatgericht die Unterbringung des Angeklagten nach der subsidiären Vorschrift des § 66 Abs. 2 StGB nicht geprüft, kann das Revisionsgericht die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen.

2. Der Verurteilung des Täters können auch mehr als drei Taten zugrunde liegen, sofern zumindest wegen dreier dieser Taten jeweils eine Einzelstrafe von mindestens einem Jahr ausgesprochen wird (BGHR StGB § 66 II Vorverurteilungen 2). In derartigen Fällen ist auch nicht erforderlich, dass bereits aus drei der verwirkten Einzelstrafen von mindestens einem Jahr eine hypothetische Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren zu bilden wäre. Ebensowenig ist erforderlich, dass die einzubeziehenden Einzelstrafen von mindestens einem Jahr in ein und demselben Verfahren ausgesprochen werden.