HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2000
1. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 4 StR 320/00 - Beschluß v. 19. September 2000 (LG Mosbach)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung; Im früheren Urteil angeordnete Sperrfrist zur Erteilung der Fahrerlaubnis; Entfallen der Verurteilung wegen der Anlaßtat im Rechtsmittelzug; Aufrechterhaltung der früher erkannten Maßnahme; Gegenstandslosigkeit; Begriff der relativen rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit; Verschlechterungsverbot

§ 55 Abs. 2 StGB; § 69a StGB; § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO

1. Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter, wenn in der früheren Entscheidung eine Sperre gemäß § 69a StGB bestimmt war und der Angeklagte erneut wegen einer Straftat verurteilt wird, die seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erneut belegt, eine neue einheitliche Sperre festzusetzen, die dann die alte Sperre gegenstandslos werden läßt. (Bearbeiter)

2. Ist bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung die in dem früheren Urteil angeordnete Sperrfrist zur Erteilung der Fahrerlaubnis durch die Festsetzung einer einheitlichen neuen Sperrfrist "gegenstandslos" geworden, so ist, wenn im Rechtsmittelzug die Verurteilung wegen der Anlaßtat entfällt und der Maßregelausspruch deshalb aufgehoben wird, auszusprechen, daß die früher erkannte Maßnahme aufrechterhalten bleibt. (BGHR) Dieser Ausspruch obliegt, weil zwingend, im Revisionsverfahren entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dem Revisionsgericht selbst (Bearbeiter).

3. Fehlen Feststellungen zu Auffälligkeiten des Angeklagten bei der Fahrt selbst oder in unmittelbarem Zusammenhang damit nach Abstellen des Krades, genügt die allgemeine Beschreibung der Auswirkungen der Einnahme benzodiazepinhaltiger Medikamente allein nicht zur Annahme der relativen rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 4 StR 294/00 - Beschluß v. 14. September 2000 (LG Bochum)

Strafschärfende Berücksichtigung verjährter Taten; Sexueller Mißbrauch einer Schutzbefohlenen; Strafzumessung; Verfolgungsverjährung; Vorleben

§ 46 Abs. 2 StGB; § 78 StGB; § 174 StGB

Verjährte Taten dürfen, wenn auch nicht mit demselben Gewicht wie nicht verjährte Taten, bei der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt werden (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 24).


Entscheidung

BGH 5 StR 404/00 - Beschluß v. 19. September 2000 (LG Berlin)

Strafzumessung; Gerechter Schuldausgleich; Vergewaltigung bei Bereitschaft zu sexuellem Kontakt (gegen Entgelt)

§ 46 Abs. 1 StGB; § 177 Abs. 2 StGB

Im kriminologischen Gesamtspektrum der - auch qualifizierten - Vergewaltigungstaten besteht eine Polarität und ist dementsprechend bei der Strafzumessung eine Differenzierung geboten zwischen Taten gegen Frauen, die sich dem Täter zu - gegebenenfalls entgeltlichen - sexuellen Handlungen anbieten, und Taten gegen Opfer, die dem Täter keinerlei Anlaß zu der Annahme geben, sie wären zu sexuellem Kontakt bereit (m.w.N. zur uneinheitlichen Rechtsprechung des BGH).


Entscheidung

BGH 1 StR 392/00 - Beschluß v. 19. September 2000 (LG Karlsruhe)

Gewerbsmäßige Hehlerei; Doppelverwertungsverbot; Strafzumessung bei Nähe zu einem bewährungsfähigen Strafmaß; Strafaussetzung zur Bewährung

§ 260 StGB; § 46 Abs. 1 StGB; § 46 Abs. 3 StGB; § 56 StGB

1. Die Erwägung, die Begehung der gewerbsmäßigen Hehlerei erhöhe den Anreiz Dritter zu weiteren Diebstählen, verstößt gegen das Verbot der Doppelverwertung (vgl. auch BGH NJW 1967, 2416).

2. Strafzumessungserwägungen haben um so eingehender zu sein, je knapper die verhängte Strafe eine an sich noch bewährungsfähige Strafe übersteigt (BGH StV 1992, 462, 463).


Entscheidung

BGH 1 StR 310/00 - Urteil v. 19. September 2000 (LG Nürnberg-Fürth)

Unzutreffende Bejahung der verminderten Schuldfähigkeit bei langjährigem Drogenkonsum; Steuerungsfähigkeit; Bedeutung der Klassifikation nach ICD-10; Amphetamin; Heroin

§ 21 StGB

1. Betäubungsmittelkonsum, aber auch die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln können nur ausnahmsweise erheblich verminderte Schuld begründen, wenn langjähriger Betäubungsmittelmißbrauch namentlich unter Verwendung "harter" Drogen zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter durch starke Entzugserscheinungen oder bei Heroinabhängigen aus Angst davor dazu getrieben wird, sich durch eine Straftat Drogen zu verschaffen oder wenn er die Tat im Zustand eines aktuellen Drogenrausches begeht (BGH StV 1997, 517 m.w.Nachw.). Ob eine hierauf beruhende Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit erheblich ist, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (BGHSt 8, 113, 124; BGH NStZ 1997, 485).

2. Zwar besagt das Vorliegen eines bestimmten Zustandsbildes nach der Klassifikation ICD-10 noch nichts über das Ausmaß drogeninduzierter psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Gleichwohl weist eine solche Zuordnung in der Regel auf eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung hin, dem der Tatrichter mit Hilfe des Sachverständigen nachgehen muß (BGH NStZ 1999, 630; StV 1999, 342).

3. Die Anwendbarkeit des § 21 StGB bei Beschaffungsdelikten Heroinabhängiger setzt nicht in jedem Fall "akute körperliche" Entzugserscheinungen des Täters zur Tatzeit voraus (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 2). Es ist rechtlich nicht ausgeschlossen, daß die Angst des Heroinabhängigen vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt, seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen kann.

4. Ob bei Abhängigkeit oder nach Konsum von Amphetamin vergleichbare Entzugserscheinungen auftreten oder Angst vor Entzugserscheinungen hervorrufen können und ob gegebenenfalls deshalb eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht kommt, ist eine Frage, die der Tatrichter nach dem oben dargelegten Maßstab zu entscheiden hat. Bei Amphetamin sind die Suchtfolgen ohnehin nicht so schwer wie bei Heroin (BGHSt 33, 169, 171; BGH StV 1997, 227).