HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2000
1. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 1 StR 263/00 - Urteil v. 27. Juli 2000 (LG Freiburg)

Absehen von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung wegen Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Prognosesicherheit; Konkrete Aussicht eines Therapieerfolges; Gewerbsmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; Hang zu erheblichen Straftaten; Selbstgefährdung; Volksgesundheit; Absehen vom Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung § 66 Abs. 1 Nr. 3, § 64, § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 29a BtMG; § 72 Abs. 3 Satz 2 StGB i.V.m. § 67c Abs. 2

Satz 4 und 5 StGB

1. Die Erwartung des Tatgerichts, der Angeklagte werde Rauschgift portionsweise nur an erwachsene und schon betäubungsmittelabhängige Abnehmer veräußern, steht der Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht entgegen. (BGH - Nachschlagewerk)

2. Das Absehen von der Anordnung von Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfordert ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit. Die hinreichend konkrete Aussicht eines Therapieerfolgs reicht hierfür nicht ohne weiteres aus. (BGH - Nachschlagewerk)

3. Mag auch der Schutz der Volksgesundheit vorrangig sein, so sollen die einschlägigen Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes jedenfalls auch Leben und Gesundheit individuell Betroffener schützen (vgl. BVerfGE 90, 145, 174; BGHSt 37, 179, 182).

4. Daß gerade durch die konkreten (zu erwartenden) Taten schwere Folgen im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB eintreten, ist nicht erforderlich.

5. Die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung im Vollstreckungsverfahren könnte auch im Falle der Erfolglosigkeit der Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht nachgeholt werden, da § 67a Abs. 2 StGB für diesen Fall weder nach seinem Wortlaut noch analog anwendbar ist.

6. Es verbleibt bei dem Grundsatz, daß Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel zur kumulativen Anordnung von Maßregeln führen (vgl. BGH GA 1965, 342).


Entscheidung

BGH 1 StR 123/00 - Beschluß v. 29. Juni 2000 (LG Ulm)

Unterbliebene Unterrichtung der Jugendgerichtshilfe vom Hauptverhandlungstermin; Strafzumessung bei knapp über zwei Jahren Freiheitsstrafe; Gerichtshilfe; Aufklärungspflicht

§§ 107, 38, 109 Abs. 1, 50 Abs. 3 JGG; § 46 Abs. 1 StGB; § 244 Abs. 2 StPO

1. Der Vertreter der Jugendgerichtshilfe ist darüber hinaus dazu berufen, u.a. bei der Aufklärung im persönlichen Umfeld des Angeklagten gewonnene Tatsachen vorzutragen, die auch bei der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht für die Strafzumessung von Bedeutung sind. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß bei Beteiligung der Jugendgerichtshilfe Gesichtspunkte zutage getreten wären, die sich bei der Bemessung der Strafe zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt hätten (vgl. BGHSt 27, 250, 251; BGH StV 1982, 336, 337; BGHR JGG § 50 Abs. 3 Heranziehung 1).

2. Die Strafzumessungserwägungen müssen um so umfassender sein, wenn die Freiheitsstrafe lediglich knapp über zwei Jahre beträgt und daher eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr in Betracht kommt (BGH StV 1992, 462, 463).

3. Die (versehentlich) erfolgte Benachrichtigung der Gerichtshilfe führt zu keiner anderen Beurteilung, da sie eine andere Aufgabe hat als die Jugendgerichtshilfe. Die Gerichtshilfe unterscheidet sich von der den Jugendämtern übertragenen Jugendgerichtshilfe dadurch, daß sie primär Rechtshilfe und erst sekundär Sozialhilfe ist.


Entscheidung

BGH 4 StR 230/00 - Beschluß v. 13. Juli 2000 (LG Halle)

Minder schwerer Fall des schweren Raubes; Strafschärfungsgründe; Strafzumessung; Planmäßige Verminderung des Überführungsrisikos; Wertungsfehler; Vermutungen

§ 250 Abs. 3 StGB; § 46 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. Es ist rechtlich zulässig, die planmäßige Verminderung seines Überführungsrisikos als Ausdruck erheblicher krimineller Energie des Täters anzusehen und strafschärfend zu werten (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 17 m.N.). Dies setzt aber voraus, daß der Täter besondere Vorkehrungen trifft, um das Überführungsrisiko zu mindern. Als eine solche, über die bloße Tatbestandserfüllung hinausgehende, die Tat nach der "Art der Ausführung" (§ 46 Abs. 2 StGB) prägende, Verschleierungshandlung kann jedoch das bloße Ausnutzen des ihm von der Natur vorgegebenen und ihm deshalb nicht vorwerfbaren äußeren Erscheinungsbildes nicht gewertet werden. Die strafschärfenden Berücksichtigung eines solchen in der Person des Täters liegenden Umstandes ist rechtlich unzulässig, wenn dem Täter damit - wie hier - lediglich (nochmals) angelastet wird, daß er die Tat überhaupt begangen hat, anstatt davon Abstand zu nehmen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 14).

2. Einzelfall einer unzulässigen Vermutung als Grundlage der Strafzumessung.