HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

August 2000
1. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 5 StR 142/00 - Beschluß v. 23. Mai 2000 (LG Braunschweig)

Rückschlüsse bei Zeugnisverweigerung; Beweiswürdigung der belastender Aussage der Ehefrau des Angeklagten im Ermittlungsverfahren; Falsche Selbstbezichtigung und falsche Bezichtigung; Darstellungsmängel

§ 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO; § 261 StPO

1. Zur Beweiswürdigung der belastenden Aussage der Ehefrau des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, wenn eine falsche Verdächtigung und eine falsche Selbstbezichtigung möglich sind.

2. Ein Gericht kann die Möglichkeit einer Falschbezichtigung aus Verärgerung, Rache oder Haß nicht mit der Erwägung ausschließen, in diesem Falle hätte es angesichts der inzwischen wieder bestehenden Lebensgemeinschaft für die Ehefrau nahegelegen, ihre falschen Angaben in der Hauptverhandlung richtigzustellen, anstatt die Aussage zu verweigern. Diese Argumentation ließe außer Acht, daß die Ehefrau hätte einräumen müssen, sich selbst wegen einer falschen Verdächtigung strafbar gemacht zu haben.

3. Es verstößt gegen § 52 StPO, aus der Zeugnisverweigerung eines Angehörigen Rückschlüsse auf die hierfür maßgeblichen Motive zu ziehen, weil der Angehörige andernfalls von den ihm zustehenden prozessualen Rechten nicht mehr frei und unbefangen Gebrauch machen könnte (st. Rspr. - vgl. nur BGHSt 22, 113, 114).


Entscheidung

BGH 1 StR 103/00 - Beschluß v. 30. Mai 2000 (LG München II)

Revisionsbegründungsfrist; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Organisationsverschulden des Anwalts; Verschulden von Büroangestellten

§ 346 Abs. 2 StPO; § 46 Abs. 1 und 2 StPO; § 45 Abs. 2 StPO

Der Rechtsanwalt darf in einfach gelagerten Fällen die Feststellung des Fristbeginns und die Berechnung der Frist gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büroangestellten überlassen.


Entscheidung

BGH 1 StR 212/00 - Beschluß v. 6. Juni 2000 (LG Hechingen)

Vernehmung des Angeklagten; Grundsatz des fairen Verfahrens; Unzulässige Verfahrensrüge; Zwingender Widerspruch nach § 238 Abs. 2 StPO (Rügepräklusion, "Widerspruchslösung")

§ 243 Abs. 4 StPO i.V.m. § 244 Abs. 1 StPO; § 238 Abs. 2 StPO

1. Der Angeklagte soll gemäß § 243 Abs. 4 StPO i.V.m. § 244 Abs. 1 StPO möglichst Gelegenheit haben soll, sich im Zusammenhang zu äußern (vgl. hierzu BGHSt 13, 358, 360; BGHR StPO § 243 Abs. 4 Äußerung 1 m.w.N.). Freilich können je nach den Umständen des Einzelfalls Abweichungen hiervon angezeigt sein, so etwa, wenn es um einen besonders verwickelten oder umfangreichen Anklagevorwurf geht. Gleiches gilt, wenn der Angeklagte zu einer auch nur einigermaßen geordneten Sachdarstellung nicht bereit oder in der Lage ist. Hiervon abgesehen soll der Vorsitzende in diesem Stadium der Hauptverhandlung nur eingreifen, um im Interesse der Verständlichkeit Zusammenhänge herzustellen oder erkennbar bedeutungslose Weitschweifigkeiten zu unterbinden.

2. Die Gestaltung der Vernehmung des Angeklagten durch den Vorsitzenden kann nur dann Grundlage einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein, wenn in der Hauptverhandlung gemäß § 238 Abs. 2 StPO eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt worden ist (vgl. BGH NStZ 1997, 198).


Entscheidung

BGH 3 StR 161/00 - Beschluß v. 17. Mai 2000 (LG Hannover)

Beweiswert der Widerlegung einer bewußt wahrheitswidrigen Einlassung des Angeklagten

§ 261 StPO

1. Der Widerlegung einer bewußt wahrheitswidrigen Einlassung kommt allein nur ein begrenzter Beweiswert zu, weil auch ein Unschuldiger vor Gericht Zuflucht zur Lüge nehmen kann.

2. Soll die nachgewiesene Lüge als Belastungsindiz dienen, setzt dies voraus, daß mit rechtsfehlerfreier Begründung dargetan wird, warum eine andere Erklärung nicht in Betracht kommt oder den Umständen nach so fern liegt, daß sie ausscheidet.


Entscheidung

BGH 3 StR 559/99 - Beschluß v. 07. Juni 2000 (LG Düsseldorf)

Verbot der Vereidigung bei Vernehmung im Ausland im Wege der Rechtshilfe

§ 60 Abs. 2 StPO

1. Bei Vernehmungen im Ausland bedarf es auch hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit im deutschen Strafprozeß in der Regel nur der Einhaltung der im Ausland geltenden Verfahrensvorschriften, weil nicht erwartet werden kann, daß bei der Erledigung von Rechtshilfeersuchen deutsches Prozeßrecht angewendet wird.

2. Das Gericht darf eine nach ausländischen Prozeßrecht eidliche Aussage nicht als solche verwerten, d.h. ihr wegen des Eides eine besondere Glaubhaftigkeit beimessen, wenn eine Vereidigung nach deutschem Recht nicht zulässig ist.


Entscheidung

BGH 1 StR 110/00 - Beschluß v. 24. Mai 2000 (LG München I)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts bei angeblicher verbindlicher Zusage einer Anwendung des § 456a StPO; Dienstliche Äußerung

§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 456a StPO

Ein Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar. Ausnahmsweise kann jedoch der Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten wegen unzulässiger Willensbeeinflussung unwirksam sein. Das wird z.B. angenommen, wenn der Vorsitzende unzuständigerweise eine Zusage abgegeben hat, die nicht eingehalten worden ist (BGH NJW 1995, 2568), oder wenn auf Grund einer unzulässigerweise vor Erlaß des Urteils im Rahmen einer verfahrensbeendenden Absprache getroffenen Vereinbarung ein Rechtsmittelverzicht erklärt wird (BGH NStZ 2000, 96).