HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2000
1. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 538/99 - Urteil v. 7. Dezember 1999 (LG Dessau)

Fahrlässige Tötung; Totschlag; Vorsatzbegriff; Sachgedankliches Mitbewußtsein; Beweiswürdigung; Überzeugungsbildung; Zweifel; Beweisanzeichen

§ 222 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 261 StPO

1. Zu Begriff und Prüfung des Vorsatzes (Tötung eines Kleinkindes durch den Vater).

2. Für die Feststellung von (inneren) Tatsachen genügt, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, an dem Zweifel nicht aufkommen können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die keinen realen Anknüpfungspunkt haben, sondern sich auf die Annahme einer bloß abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 1999, 332, 333 m.w.N.).

3. Beweisanzeichen, die auf einen feststehenden Kern gestützt sind, können nicht als Ergebnis einer isolierten Würdigung vorab nach dem Zweifelssatz ausgeschieden werden können. Beweisanzeichen können auch angesichts ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung in einer Gesamtschau die Überzeugung von der Richtigkeit des Anklagevorwurfs begründen (BGH NStZ-RR 1997, 269).

4. Vorsatz enthält neben einem "Wissens-" auch ein "Wollenselement". Eine Feststellung, daß der Angeklagte um die (tödlichen) Folgen wußte, die durch sein Verhalten eintreten konnten, würde noch nicht ohne weiteres zwingend ergeben, daß er sie auch wollte oder billigend in Kauf nahm (vgl. BGH StV 1988, 328 m.w.N.).



2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 4 StR 342/99 - Urteil v. 20. Januar 2000 (LG Halle)

Bestechlichkeit; Unterlassen einer Diensthandlung; Amtsträger; Tatidentität; Unrechtsvereinbarung; Nämlichkeit; Nachtragsanklage; Untreue; Geschädigter iSd § 266 StGB; Vor-GmbH; Natürliche Handlungseinheit

§ 322 StGB; § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) StGB a.F.; § 266 StGB; § 264 StPO; § 265 StPO

1. Wenn es hinsichtlich des für die Beurteilung der Korruptionstatbestände maßgebenden Beziehungsgeflechts an der Identität sämtlicher dafür prägenden Umstände fehlt, und zwar an der Identität sowohl der an der Unrechtsvereinbarung beteiligten Personen als auch des Inhalts der Unrechtsvereinbarung selbst und des ihr zugrundeliegenden Austauschverhältnisses, ist die Nämlichkeit der Tat im Sinne des § 264 StPO nicht mehr gewahrt. Allein der Umstand, daß beide Sachverhalte ursächlich miteinander verknüpft sind, begründet noch keine Tatidentität (BGHSt 43, 96, 98).

2. Geschädigter im Sinne von § 266 StGB kann nur ein mit dem Täter nicht identischer Träger fremden Vermögens sein, sei es eine natürliche, sei es eine juristische Person (BGH wistra 1984, 71). Die Schädigung des Gesamthands- oder Sondervermögens der sog. Vor-GmbH ist für § 266 StGB nur insoweit bedeutsam, als dadurch gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter bzw. des Alleingesellschafters berührt wird (vgl. BGH wistra 1989, 264, 266; BGHR StGB § 266 Abs, 1 Nachteil 27).


Entscheidung

BGH 4 StR 365/99 - Beschluß v. 20. Januar 2000 (LG Schwerin)

Unglücksfall; Erforderlichkeit des Hilfeleistens; Unabwendbarkeit des Todeseintritts; Sozialprognose; Konkurrenzen; Subsidiarität

§ 323c StGB; § 224 StGB; § 56 Abs. 2 StGB

1. Einem Verunglückten muß selbst dann Hilfe geleistet werden, wenn sich aus der Rückschau - die befürchtete Folge des Unglücks als von Anfang an unabwendbar erweist. Nur von vorneherein offensichtlich nutzlose Hilfe braucht nicht geleistet werden; dies ist der Fall, wenn der Tod des Opfers bereits eingetreten ist (ständ. Rechtspr.; vgl. BGHSt 14, 213, 216; 16, 200, 203; 32, 367, 381).

2. Der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung tritt regelmäßig gegenüber der Beteiligung an der den Unglücksfall herbeiführenden Begehungstat als subsidiär zurücktritt (vgl. BGHSt 3, 65, 68; 39, 164, 166). Dies gilt jedoch nicht, wenn dem Verletzten ein über den gewollten Verletzungserfolg hinausgehender, vom Vorsatz des Täters nicht umfaßter weiterer Schaden, nämlich die Gefahr des Todes, erwächst (BGHSt 14, 282, 285/286; 16, 200, 203).


Entscheidung

BGH 4 StR 598/99 - Beschl. v. 13. Januar 2000 (LG Cottbus)

Konkrete Gefährdung einer anderen Person oder fremder Sachen von bedeutendem Wert

§ 315c StGB; § 265 StPO

Die konkrete Gefährdung einer anderen Person oder fremder Sachen von bedeutendem Wert iSd § 315c StGB liegt nicht schon in der Gefährdung des dem Angeklagten nicht gehörenden Fahrzeugs (vgl. BGHSt 27, 40; BGH NStZ 1992, 233).


Entscheidung

BGH 1 StR 603/99 - Beschluß v. 12. Januar 2000 (LG Ulm (Donau))

Gewerbsmäßige Bandenhehlerei; Begriff der Bande; Mittäterschaft; Beweis der Tat; Beweiswürdigung; Überzeugungsbildung

§ 260 Abs. 1 Nr. 2, § 260a Abs. 1 StGB; § 261 StGB

1. Für die Annahme einer Bande im Sinne von § 260 Abs. 1 Nr. 2, § 260a Abs. 1 StGB reicht es aus, wenn sich unter Einschluß des Hehlers zumindest zwei Personen zu fortgesetzter Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung verbunden haben. Weder ist eine gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder zur Begehung von Delikten der in § 260 Abs. 1 Nr. 2, § 260a Abs. 1 StGB aufgeführten Art noch die Bildung einer festgefügten Organisation rechtlich erforderlich; es genügt vielmehr die allgemeine Verbrechensabrede zwischen den Beteiligten, in Zukunft selbständige, im einzelnen noch unbestimmte Diebstähle oder Hehlereihandlungen zu begehen. Bei der Bandenhehlerei kommt es auch - anders als beim Bandendiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) - nicht auf die Mitwirkung mehrerer Bandenmitglieder am Tatort an (BGH NStZ 1995, 85). Die Kenntnis mehrerer oder gar sämtlicher Mitglieder einer bandenmäßig organisierten Gruppe von der Bandenabrede ist nicht erforderlich, wenn der Täter diese nur mit einem anderen getroffen hat (vgl. BGH NStZ 1995, 85; BGH NStZ 1996, 495 = BGHR StGB § 260a Bande 1; BGH NStZ-RR 1999, 208 f.; Ruß in LK 11. Aufl. 260 Rdn. 3).

2. Ob die Voraussetzungen bandenmäßigen Handelns erfüllt sind, ist aufgrund aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei kommt vor allem der Eigenart der jeweiligen Tätergruppe Indizwert zu. Je stärker die Gefährlichkeit einer Tätergruppe durch die Zahl ihrer Mitglieder, durch deren Präsenz bei der Tatausführung oder durch organisatorische Stabilität hervortritt, desto geringer sind die Beweisanforderungen hinsichtlich des Bandenzwecks und der Bandenabrede (BGH NJW 1998, 2913 f.; BGH NStZ-RR 1999, 208 f.).

3. Zu den Anforderungen an den Beweis der Eingliederung in eine Bande.