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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1099

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 630/19, Urteil v. 02.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1099


BGH 5 StR 630/19 - Urteil vom 2. September 2020 (LG Berlin)

Regelmäßig keine Besorgnis der Befangenheit bei Festhalten an einer Einschätzung zum Strafrahmen nach gescheiterter Verständigung (transparente und kommunikative Verhandlungsführung; kein „Handel mit Gerechtigkeit“); keine Bindungswirkung bei gescheiterter Verständigung; kein Rechtsfehler bei Entsprechung von Urteil und gescheitertem Verständigungsvorschlag; Befangenheitsgesuch (Verspätung; Anfordern einer dienstlichen Erklärung).

§ 257c StPO; § 24 StPO; § 25 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Verständigungsvorschlag des Gerichts bedeutet vor in aller Regel lediglich eine transparente vorläufige Einschätzung, welchen Strafrahmen der Angeklagte im Falle eines Geständnisses - sei es mit oder ohne Verständigung - zu erwarten hat. Dafür erfolgt eine antizipierte strafzumessungsrechtliche Bewertung des Anklagevorwurfs für den Fall der Erfüllung des erwarteten Prozessverhaltens des Angeklagten. Eine solche offene und kommunikative Verhandlungsführung, die keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, sondern der Verfahrensförderung dient, kann eine Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen.

2. Ebenso wenig kann es die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn ein Gericht nach dem Scheitern einer Verständigung an seinem Vorschlag festhält und dies - unabhängig vom Zeitpunkt - zum Ausdruck bringt. Vielmehr ist es nur konsequent, wenn das Gericht an seiner Einschätzung bei unveränderter Sachlage auch bei Scheitern einer Verständigung, aber Ablegung eines Geständnisses festhält. Darin äußert sich gerade, dass eine Verständigung kein „Handel mit Gerechtigkeit“, sondern nur ein transparentes Verfahren sein darf, den strafzumessungsrechtlichen Wert des Geständnisses aus Sicht des Gerichts offen zu legen und dem Angeklagten bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten die Sicherheit zu geben, dass sein Geständnis nur verwertet wird, wenn die Rechtsfolge im zugesagten Rahmen bleibt.

3. Kommt es mangels Zustimmung der Staatsanwaltschaft nicht zu einer Verständigung im Sinne von § 257c StPO, besteht keine Bindung des Gerichts an die vorgeschlagenen Strafober- und -untergrenzen. Eine gescheiterte Verständigung kann von vornherein weder eine Bindungswirkung noch Vertrauensschutz begründen.

4. Dass ein Urteil einem Verständigungsvorschlag des Gerichts entspricht, dem die Staatsanwaltschaft nicht zugestimmt hat, begründet für sich gesehen keinen Rechtsfehler. Allein der Umstand, dass sich die vom Gericht verhängte Strafe im Rahmen eines gescheiterten Verständigungsvorschlags hält, lässt auch nicht den Schluss zu, dass das Gericht nach Durchführung der Hauptverhandlung keine schuldangemessenen Strafen verhängt, sondern lediglich eine vorher gemachte Zusage eingehalten hat.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. Juli 2019 werden verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen, der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Der auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützten und vom Generalbundesanwalt bezüglich der Sachrüge vertretenen Revision der Staatsanwaltschaft bleibt der Erfolg ebenso versagt wie der mit der Verletzung sachlichen Rechts begründeten Revision des Angeklagten.

I.

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

Der Angeklagte begab sich am 30. November 2018 gegen 10 Uhr mit zwei weiteren unbekannten Tatbeteiligten vor die Geschäftsräume der Volksbank in B. Sie hatten zuvor verabredet, unter Einsatz von Reizgas und Gewalt einem Bankkunden eine Tasche zu rauben, in der sich ca. 250.000 Euro befinden sollten, wovon der Angeklagte 50.000 Euro erhalten sollte. Sie waren mit einem gemieteten PKW unterwegs, an den zuvor gestohlene Kennzeichen angebracht worden waren. Als der geschädigte Kaufmann K. den Parkplatz der Bank mit einem Rollkoffer und einer kleineren Tasche verließ, um in der Bank in bar mitgeführte Einnahmen aus Automatenspielhallen in Höhe von 233.170 Euro einzuzahlen, näherten sich ihm der Angeklagte und ein weiterer Täter. Beide waren vermummt. Der Angeklagte sprühte dem Geschädigten Reizgas ins Gesicht, sein Mittäter versuchte, Koffer und Tasche zu entreißen. Dies gelang erst, nachdem der Geschädigte zu Boden geschubst worden war. Der Mittäter stieg mit Koffer und Tasche in den PKW, der Angeklagte sprühte weiter Reizgas auf den Geschädigten. Als sich ihm der Zeuge H. näherte, der in der Nähe als Bauarbeiter tätig war, den Angriff gesehen hatte und dem Geschädigten zu Hilfe kommen wollte, besprühte der Angeklagte auch ihn mit Reizgas. Anschließend stieg er in das Fluchtfahrzeug und alle Täter fuhren weg. Sie wurden von einem Zeugen verfolgt. Nach einem Unfall verließen alle das Fahrzeug, die Tasche mit 101.921,50 Euro Bargeld blieb zurück und wurde dem Geschädigten zurückgegeben.

Der Angeklagte hat dem Geschädigten K. im ersten Hauptverhandlungstermin für den durch die Tat entstandenen wirtschaftlichen Schaden einen Ausgleich in Höhe von 131.250 Euro sowie anschließend 10.000 Euro Schmerzensgeld gezahlt. Diesen Betrag hatte der Angeklagte zum Teil selbst aufgebracht, teils hatte er sich Geld bei Familienmitgliedern geliehen. Der Angeklagte entschuldigte sich bei dem Geschädigten, dieser nahm die Entschuldigung an. Der Geschädigte H., der nur formlos über seine Wohnanschrift in der Ukraine geladen werden konnte, erschien zur Hauptverhandlung nicht.

2. Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des Zeugen K. als besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und die Tat zum Nachteil des Zeugen H. als weitere tateinheitliche gefährliche Körperverletzung gewertet. Aufgrund der Schadenswiedergutmachung zu Gunsten des Geschädigten K. hat es den Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB (nach Ablehnung eines minder schweren Falls) gemäß § 46a Nr. 1 und 2, § 49 Abs. 1 StGB verschoben.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.

1. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist sie unbeschränkt erhoben. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer Revision ausweislich ihres Antrags ausdrücklich die umfassende Aufhebung des Urteils. Insbesondere ihre Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO lässt eine Beschränkung auf den Strafausspruch nicht erkennen. Dies gilt gleichermaßen für die Beanstandung, es sei entgegen § 257c StPO zu einer unzulässigen „informellen“ Verständigung gekommen. Denn dies stellt nach dem Schutzkonzept der Verständigungsvorschriften (vgl. BVerfGE 133, 168 ff.) auch den auf einem Geständnis des Angeklagten beruhenden Schuldspruch in Frage.

2. Die Verfahrensrügen bleiben erfolglos.

a) Allerdings bestehen bereits Bedenken gegen ihre Zulässigkeit. Denn die Staatsanwaltschaft hat es trotz unterschiedlicher Verfahrensrügen unterlassen, die nach ihrer Auffassung konkret zu dem jeweils gerügten Verfahrensverstoß gehörigen Verfahrenstatsachen getrennt vorzutragen. Statt dessen hat sie - allerdings vielfach lediglich mit dem unzureichenden Hinweis, Entsprechendes sei protokolliert worden (vgl. dagegen BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 210/13, BGHSt 59, 130, 132 f. mwN) - vorab eine umfassende Schilderung des Verfahrensgeschehens vorgenommen und dieses anschließend unter verschiedenen Gesichtspunkten gerügt. Es ist aber nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem Konvolut von Unterlagen den jeweils passenden Verfahrensstoff zu den unterschiedlichen Verfahrensbeanstandungen herauszusuchen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2020 - 4 StR 533/19; vom 27. September 2016 - 4 StR 263/16, NStZ-RR 2016, 383; vom 7. April 2005 - 5 StR 532/04, NStZ 2005, 463).

b) Die Rügen sind jedenfalls unbegründet.

aa) Dies gilt zunächst für die Rüge nach § 338 Abs. 3 StPO, ein Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende sei zu Unrecht verworfen worden.

(1) Die Staatsanwaltschaft hat die Vorsitzende Richterin am zweiten Hauptverhandlungstag wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dies im Kern mit folgendem Geschehen begründet:

Im Vorfeld der Hauptverhandlung gab es von der Verteidigung initiierte Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung. Einem daraufhin unterbreiteten Verständigungsvorschlag der Vorsitzenden (Strafrahmen zwischen drei Jahren und sechs Monaten sowie vier Jahren und sechs Monaten bei Geständnis und Schadenswiedergutmachung) trat die Staatsanwaltschaft entgegen. Dies teilte die Vorsitzende dem Verteidiger mit der Bemerkung mit, „dass die Kammer wahrscheinlich dennoch den angedachten Verständigungsvorschlag in der Hauptverhandlung machen werde.“ Am selben Tag erklärte der Verteidiger anschließend, der Angeklagte werde dem Verständigungsvorschlag zustimmen. Die Vorsitzende vermerkte all dies in den Akten.

Zu Beginn der Hauptverhandlung (25. Juni 2019) teilte sie den Inhalt der Vermerke gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit. Anschließend erklärte sie einen protokollierten Verständigungsvorschlag der mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Strafkammer, wonach dem Angeklagten im Falle eines umfassenden Geständnisses zu Beginn der Beweisaufnahme, einer vollen Schadenswiedergutmachung sowie der Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 Euro als Strafobergrenze eine Strafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten und eine Strafuntergrenze von drei Jahren und sechs Monaten, zudem Haftverschonung nach Urteilserlass gegen Zahlung einer mindestens fünfstelligen Kaution zugesichert wurde. Der Angeklagte wurde nach § 257c Abs. 4 und 5 StPO belehrt. Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass sie dem Verständigungsvorschlag nicht zustimme, der Angeklagte erklärte seine Zustimmung. Die Kammer stellte fest, dass keine Verständigung zustande gekommen war. Nach rechtlichen Hinweisen und einer 20-minütigen Unterbrechung ließ sich der Angeklagte über eine vorbereitete Verteidigererklärung umfassend geständig zur Sache ein. Sein Verteidiger erklärte, dass er auf einem Anderkonto 136.250 Euro verwalte mit der unwiderruflichen Anweisung, diesen Betrag auf ein Konto des Geschädigten zu überweisen. Er legte zunächst einen entsprechenden Einzahlungsbeleg und im weiteren Verlauf des Tages zwei Zahlungsaufträge vor. Nach der Vernehmung einiger Zeugen und der Verlesung von Urkunden verzichteten alle Verfahrensbeteiligten auf die Vernehmung aller weiteren Zeugen.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2019 forderte die Staatsanwaltschaft die Vorsitzende angesichts des bisherigen Verfahrensablaufs auf, sich dienstlich dazu zu erklären, ob es weitere Gespräche mit den Verteidigern des Angeklagten gegeben oder das von ihr dokumentierte Gespräch einen weitergehenden als den bisher mitgeteilten Inhalt gehabt habe. Dies verneinte die Vorsitzende in einem am zweiten Hauptverhandlungstag (28. Juni 2019) verlesenen Vermerk. Nach Stellungnahme der Verteidigung und mehrfacher Unterbrechung der Hauptverhandlung stellte die Staatsanwaltschaft den genannten Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende und begründete dies insbesondere damit, dass sie ungeachtet fehlender Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft am Ziel der gescheiterten Verständigung festgehalten habe. Die Besorgnis der Befangenheit ergebe sich aus dem Geschehen seit den gescheiterten Verständigungsgesprächen in Verbindung mit ihrer dienstlichen Stellungnahme.

(2) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet, denn es lag - was der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat - kein Grund vor, der die Besorgnis der Befangenheit gegen die Vorsitzende rechtfertigen könnte.

(a) Der Senat kann deshalb offenlassen, ob - wofür gewichtige Gründe sprechen - die Ablehnung am zweiten Hauptverhandlungstag bereits verspätet (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO) und deshalb unzulässig (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO) war, weil die Staatsanwaltschaft sie im Kern mit einem bereits am ersten Hauptverhandlungstag zu Tage getretenen Verhalten der Vorsitzenden begründet hat. Dass die Vorsitzende anschließend (ohne ersichtliche Rechtsgrundlage, vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. April 2020 - 5 StR 14/20, NStZ 2020, 431) zu einer „dienstlichen Erklärung“ aufgefordert worden ist und sie darin die vermuteten Befangenheitsgründe zurückgewiesen hat, führt nicht etwa zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Verlängerung der nach einem strengen Maßstab (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 5 StR 99/14, NStZ 2015, 175; BVerfG NStZ-RR 2006, 379, 380, jeweils mwN) zu bemessenden Ablehnungsfrist. Denn der Zeitraum, der für eine „unverzügliche“ Ablehnung zur Verfügung steht, kann nicht zu dem Zweck ausgedehnt werden, zunächst Stellungnahmen von Verfahrensbeteiligten einzuholen, wenn der Ablehnende bereits Kenntnis vom Ablehnungsgrund hat; zur Glaubhaftmachung kann es genügen, auf zukünftige Stellungnahmen der Beteiligten Bezug zu nehmen (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 - 1 StR 575/92, NStZ 1993, 141).

(b) Nach § 24 Abs. 2 StPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 - 5 StR 648/18, NStZ 2019, 223, 224 mwN).

(c) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Es stellt entgegen der Auffassung der Revision regelmäßig keinen Befangenheitsgrund dar, wenn ein Gericht ungeachtet der Ablehnung eines Verfahrensbeteiligten an einem bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung geäußerten Verständigungsvorschlag festhält und ihn deshalb noch einmal in der Hauptverhandlung unterbreitet.

Nach dem Konzept der Verständigungsvorschriften im Lichte der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu deren Verfassungsgemäßheit darf eine Verständigung kein Vergleich im Gewande eines Urteils, kein „Handel mit Gerechtigkeit“ sein (BVerfGE 133, 168 ff. Rn. 105). Der Verständigungsvorschlag des Gerichts bedeutet vor diesem Hintergrund in aller Regel lediglich eine transparente vorläufige Einschätzung, welchen Strafrahmen der Angeklagte im Falle eines Geständnisses - sei es mit oder ohne Verständigung - zu erwarten hat (vgl. Mosbacher, NZWiSt 2013, 201, 203). Das Gericht hat für den Verständigungsvorschlag eine antizipierte strafzumessungsrechtliche Bewertung des Anklagevorwurfs für den Fall der Erfüllung des erwarteten Prozessverhaltens des Angeklagten vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 277 f.; Beschluss vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 210/13, insoweit in BGHSt 59, 130 nicht abgedruckt). Eine solche offene und kommunikative Verhandlungsführung, die keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, sondern der Verfahrensförderung dient (BVerfG, aaO Rn. 106), kann die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. April 2011 - 4 StR 571/10, NStZ 2011, 590 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 16/11736 S. 11). Dies gilt auch für den Fall, dass zunächst erfolglose Verständigungsgespräche vor der Hauptverhandlung nur mit den Berufsrichtern stattfinden und später das gesamte Gericht einschließlich der Schöffen nach entsprechender Beratung zu Beginn der Hauptverhandlung erneut einen entsprechenden Verständigungsvorschlag macht (BGH, aaO).

Weil sich ein Verständigungsvorschlag des Gerichts nach dem Konzept der Verständigungsvorschriften in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht in aller Regel lediglich als offene Mitteilung der vorläufigen Einschätzung des Gerichts, welcher Strafrahmen bei einem Geständnis in Frage kommt, darstellt, kann es auch nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn ein Gericht nach dem Scheitern einer Verständigung an seinem Vorschlag festhält und dies - unabhängig vom Zeitpunkt - zum Ausdruck bringt (vgl. BGH, aaO; aA Schneider NStZ 2018, 232, 234 f.). Denn stellt ein Gericht nach entsprechender Beratung eine bestimmte Rechtsfolge bei Geständnis in Aussicht, ist es nur konsequent, wenn es an dieser Einschätzung bei unveränderter Sachlage auch bei Scheitern einer Verständigung, aber Ablegung eines Geständnisses festhält. Darin äußert sich gerade, dass eine Verständigung kein „Handel mit Gerechtigkeit“, sondern nur ein transparentes Verfahren sein darf, den strafzumessungsrechtlichen Wert des Geständnisses aus Sicht des Gerichts offen zu legen und dem Angeklagten bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten die Sicherheit zu geben, dass sein Geständnis nur verwertet wird, wenn die Rechtsfolge im zugesagten Rahmen bleibt (vgl. Mosbacher, aaO).

Dem Verhalten der Vorsitzenden ist vor diesem Hintergrund auch nicht zu entnehmen, dass sie sich etwa in unzulässiger Weise an ihren Verständigungsvorschlag gebunden gefühlt hätte. Kommt es mangels Zustimmung der Staatsanwaltschaft nicht zu einer Verständigung im Sinne von § 257c StPO, besteht keine Bindung des Gerichts an die vorgeschlagenen Strafober- und -untergrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2017 - 5 StR 176/17, NStZ 2018, 232; Beschluss vom 6. Februar 2018 - 1 StR 606/17, NStZ 2018, 419). Eine gescheiterte Verständigung kann von vornherein weder eine Bindungswirkung noch Vertrauensschutz begründen (BGH, Urteil vom 13. März 2019 - 1 StR 424/18 Rn. 28; vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Mai 2019 - 4 StR 449/18 Rn. 3; vgl. aber auch zu einer möglichen Hinweispflicht beim Abweichen von einer vom Gericht geäußerten Einschätzung BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - 3 StR 39/11, NJW 2011, 3463; OLG Düsseldorf, StraFo 2019, 158 [zu § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO]; BT-Drucks. 18/11277 S. 37 [zu § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO]).

bb) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 257c StPO wegen einer „informellen Verständigung“ bzw. einer unzulässigen Selbstbindung an eine solche hat keinen Erfolg.

Wie sich aus dem unter aa) Ausgeführten ergibt, ist es dem Gericht unbenommen, nach Erfüllung aller Mitteilungs- und Transparenzpflichten über außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräche einen bis dahin gescheiterten Verständigungsvorschlag nach Beratung mit den Schöffen in öffentlicher Hauptverhandlung zu erneuern. Lässt sich der Angeklagte darauf ein und gesteht, obwohl es zuvor nicht zu einer Verständigung nach § 257c StPO gekommen ist, stellt dies keine informelle oder illegale Verständigung dar. Der Angeklagte genießt bei einem solchen Verhalten nicht den Schutz des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO, und muss vielmehr mit einer Verwertung seines Geständnisses auch bei einer letztlich höheren Strafe rechnen. Bleibt das Gericht nach offener Mitteilung, welchen Wert es einem Geständnis einräumt, bei seiner Einschätzung angesichts unveränderter Sachlage, ist dies für sich gesehen nicht Ausdruck einer unzulässigen Selbstbindung, sondern einer fairen, konsequenten Verhandlungsführung und seiner strafzumessungsrechtlichen Kompetenz.

Dass ein Urteil einem Verständigungsvorschlag des Gerichts entspricht, dem die Staatsanwaltschaft nicht zugestimmt hat, begründet für sich gesehen keinen Rechtsfehler (BGH, Urteile vom 22. Januar 2014 - 2 StR 393/13, NStZ-RR 2014, 204; vom 10. November 2010 - 5 StR 424/10; vgl. auch BGH, Urteile vom 12. Dezember 2013 - 5 StR 444/13, NStZ 2014, 169, und vom 14. April 2011 - 4 StR 571/10, aaO). Allein der Umstand, dass sich die vom Gericht verhängte Strafe im Rahmen eines gescheiterten Verständigungsvorschlags hält, lässt auch nicht den Schluss zu, dass das Gericht nach Durchführung der Hauptverhandlung keine schuldangemessenen Strafen verhängt, sondern lediglich eine vorher gemachte Zusage eingehalten hat (BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - 2 StR 393/13, aaO). Die von der Revision vorgetragenen weiteren Umstände des vorliegenden Falls geben zu einer davon abweichenden Bewertung keinen Anlass.

3. Die Sachrüge deckt ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

Dies gilt namentlich, soweit ihm das Landgericht eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB i.V.m. § 250 Abs. 2 StGB gewährt hat. Die Voraussetzungen des § 46a StGB lagen zugunsten des nach dem Tatbild hier allein Geschädigten K. vor, wie die Strafkammer zutreffend festgestellt hat. Dass sie nicht auch zugleich für den Geschädigten H. vorlagen, ist im Ergebnis unschädlich.

Zwar muss hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Variante des § 46a StGB erfüllt sein, wenn durch eine Tat mehrere Opfer betroffen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - 5 StR 592/17; Urteile vom 22. Juni 2017 - 4 StR 151/17, NStZ-RR 2017, 306, und vom 12. Januar 2012- 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439). Aber bei mehreren tateinheitlichen Delikten ist im Hinblick auf jede der konkurrierenden Gesetzesverletzungen gesondert zu prüfen, inwieweit die Voraussetzungen des § 46a StGB vorliegen, denn Bezugspunkt für den Täter-Opfer-Ausgleich ist der konkret verwirklichte Straftatbestand (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 - 4 StR 213/14, BGHSt 60, 84, 88). Ist dies lediglich in Bezug auf eines der konkurrierenden Delikte der Fall, kommt dem Täter der Strafmilderungsgrund des § 46a StGB nur insoweit zugute (BGH, aaO).

Da mit dem Geschädigten H. kein kommunikativer Prozess möglich war, kam im Hinblick auf die zu seinen Lasten allein begangene gefährliche Körperverletzung keine Strafrahmenverschiebung nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB in Betracht. Dies hinderte das Landgericht aber nicht, den Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB aufgrund des Täter-Opfer-Ausgleichs zu Gunsten des Verletzten der Raubtat K. zu mildern. Aus diesem Strafrahmen war nach § 52 Abs. 2 StGB auch die Strafe zu bestimmen, denn er war immer noch schwerer als der nicht gemilderte des § 224 Abs. 1 Halbsatz 1 StGB.

III.

Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.

Sie deckt zwar einen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf. Denn das Landgericht hat Vorstrafen zu Lasten des Angeklagten gewertet, die wegen ihrer Tilgung aus dem Bundeszentralregister - mag diese auch fehlerhaft geschehen sein - nach § 51 Abs. 1 BZRG unverwertbar waren (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 1990 - 1 StR 622/90, BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 4).

Der Senat schließt aber aus (§ 337 Abs. 1 StPO), dass die Strafkammer bei zutreffendem Vorgehen eine noch niedrigere Strafe verhängt hätte. Denn den bereits lange zurückliegenden Vorstrafen hat das Landgericht bei der Strafzumessung nur ein „sehr geringes Gewicht“ beigemessen.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1099

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 749; StV 2021, 17

Bearbeiter: Christian Becker