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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 807

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 65/17, Urteil v. 06.07.2017, HRRS 2017 Nr. 807


BGH 4 StR 65/17 - Urteil vom 6. Juli 2017 (LG Siegen)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Anordnung aufgrund Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen; Anordnung aufgrund verminderter Schuldfähigkeit; mehrstufige Prüfung der Schuldfähigkeit).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 63 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht.

2. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ohne weiteres geeignet, den für die Anordnung der Unterbringung nach in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu belegen. Erforderlich ist vielmehr, dass sicher feststeht, dass der Täter aufgrund der Persönlichkeitsstörung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat.

Entscheidungstenor

Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Siegen vom 31. August 2016 werden verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem ebenfalls mit der Sachrüge begründeten Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen wohnte der Angeklagte seit Februar 2007 in der Dachgeschosswohnung eines Mehrfamilienhauses mit insgesamt fünf Wohnungen, von denen zuletzt die beiden im Erdgeschoss gelegenen Wohnungen ebenfalls bewohnt waren. Zwischen den Mietern der Erdgeschosswohnungen und dem Angeklagten, der im Haus für den Vermieter kleinere Hausmeistertätigkeiten verrichtete, kam es seit geraumer Zeit zu erheblichen von gegenseitigem Hass und Verachtung geprägten Misshelligkeiten und Auseinandersetzungen, die im Mai 2015 zur Kündigung des Mietverhältnisses mit dem Angeklagten durch den Vermieter und in deren Folge zu einem Zivilrechtsstreit führten.

Am Tattag erhielt der Angeklagte von seiner Rechtsanwältin das zwischenzeitlich ergangene Räumungsurteil zugesandt. Ob des drohenden Verlustes seiner Wohnung, die er stets pedantisch sauber und aufgeräumt hielt und mit der er sich identifizierte, war der Angeklagte verzweifelt, traurig und emotional sehr aufgebracht. Im weiteren Verlauf des Tages sprach der Angeklagte mit verschiedenen Personen, unter anderem seinem Betreuer, über das ergangene Räumungsurteil, ohne dass dies zu einer nachhaltigen Änderung seiner Stimmungslage führte. Schließlich fasste der Angeklagte, der seine Wohnung auf keinen Fall verlieren und sie auch keinem anderen überlassen wollte, aus Wut und Verzweiflung den Entschluss, die Wohnung durch Inbrandsetzen zu vernichten. Dabei war es ihm gleichgültig, ob er selbst oder andere dabei verletzt oder letztlich das Haus zerstört werden würde. Seinen Entschluss in die Tat umsetzend holte der Angeklagte einen 5-Liter-Kanister mit Bioethanol in den Küchen- und Essbereich seiner Wohnung. Er schraubte den Verschluss auf und legte ihn auf den dort stehenden Esstisch. Anschließend schüttete er mittig im Zimmer etwa 2 Liter Bioethanol aus dem Kanister auf den PVC-Boden und stellte den offenen Kanister in der ausgebrachten Flüssigkeit ab. Kurz vor 20.00 Uhr brachte er die ausgeschüttete Flüssigkeit bewusst und mit dem Willen, dass sie als Brandbeschleuniger wirken, die Wohnung in Brand setzen und diese niederbrennen sollte, auf nicht näher feststellbare Weise zum Brennen.

Der Brand, von dem in erster Linie der Küchen- und Essbereich der Wohnung betroffen war, konnte von der Feuerwehr, die von einem den Brandausbruch bemerkenden Nachbarn alarmiert worden war, gelöscht werden, noch bevor wesentliche Gebäudeteile Feuer gefangen hatten. Es entstand ein Gebäudeschaden in Höhe von 36.500 Euro. Als der Angeklagte nach dem Verlassen des Tatanwesens auf der anderen Straßenseite die mit ihm verfeindeten Mitmieter bemerkte, wurde er wütend und brüllte in deren Richtung, sie hätten Schuld daran. Anschließend wollte er zu ihnen über die Straße laufen, wurde daran indes gehindert.

Der Angeklagte leidet unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, weswegen er zu Impulskontrollverlusten und Grenzüberschreitungen neigt, wenn er sich angegriffen fühlt. Es kommt zu emotionalen Ausbrüchen, wenn etwas Unvorhergesehenes oder dem Willen des Angeklagten Entgegenstehendes geschieht. Auf Enttäuschungen reagiert der Angeklagte, da er unfähig ist, diese hinzunehmen, mit Aggression. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat nicht ausschließbar erheblich beeinträchtigt. Dagegen hatte die Alkoholisierung des Angeklagten (etwa 1,64 ‰ Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit) keine Auswirkungen auf seine Denk- und Handlungsfähigkeit.

Die sachverständig beratene Strafkammer hat die Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus verneint. Sie ist der Auffassung, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten das Gewicht einer krankhaften seelischen Störung erreiche und das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen beeinträchtige. Zudem könne nicht sicher festgestellt werden, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat aufgrund der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt habe. Schließlich fehle es an der erforderlichen Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit im Sinne des § 63 StGB.

II.

Revision der Staatsanwaltschaft

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist ungeachtet des umfassenden Aufhebungsantrags ausweislich der Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift, die sich ausschließlich mit der unterbliebenen Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus befassen, auf die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB beschränkt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88 mwN). Diese Beschränkung ist wirksam (vgl. BGH, Urteile vom 23. April 1963 - 5 StR 13/63, NJW 1963, 1414; vom 22. April 1969 - 1 StR 90/69, NJW 1969, 1578; vgl. auch Urteil vom 19. Januar 2017 - 4 StR 443/16, NStZ-RR 2017, 187; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 318 Rn. 24). Ein Ausnahmefall, in welchem ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Schuld- und Maßregelausspruch besteht, liegt nicht vor.

2. Die Revision ist unbegründet. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat schon deshalb Bestand, weil die tatrichterliche Wertung der Strafkammer, wonach die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei Begehung der Tat lediglich nicht ausschließbar eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Folge hatte, einer rechtlichen Prüfung standhält.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht.

b) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert prinzipiell eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 399/16, Rn. 11; vom 1. Juli 2015 - 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320; Beschluss vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung einer aufgehobenen oder erheblich beeinträchtigten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 399/16 aaO; Beschlüsse vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306).

c) Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ohne weiteres geeignet, den für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB vorausgesetzten Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu belegen. Erforderlich ist vielmehr, dass sicher feststeht, dass der Täter aufgrund der Persönlichkeitsstörung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385; vom 25. Februar 2003 - 4 StR 30/03, NStZ-RR 2003, 165; vom 16. August 2000 - 2 StR 219/00, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 36; vom 6. Februar 1997 - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385, 388; vom 1. August 1989 - 1 StR 290/89, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 13).

d) Die Strafkammer hat auf der Grundlage der Vorgeschichte, des unmittelbaren Anlasses und der Ausführung der Tat sowie des Verhaltens des Angeklagten nach der Tat festgestellt, dass der Angeklagte die Brandlegung aus Wut und Verzweiflung über den drohenden Verlust seiner Wohnung beging, und sich dabei auch auf die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, wonach die Tat als impulsive Handlung zu der Tatsache passe, dass dem Angeklagten nunmehr der Entzug seiner Existenz bevorgestanden habe. Ob und in welchem Umfang die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der Tatsituation durch seine Persönlichkeitsstörung eingeschränkt waren, hat das Landgericht nicht näher aufklären können. Da der Angeklagte, der die Brandentstehung in zwei kurzen Äußerungen während der Ermittlungen als Missgeschick darstellte und in der Hauptverhandlung von seinem Schweige12 recht Gebrauch gemacht hat, sich zu seiner psychischen Befindlichkeit bei der Tat nicht geäußert hat, haben sich für die Strafkammer vor dem Hintergrund einer angesichts der für den Angeklagten bestehenden Belastungssituation auch normalpsychologisch erklärbaren Tatmotivation keine konkreten Anknüpfungstatsachen ergeben, die auf ein zwanghaftes Handeln des Angeklagten bei der Brandlegung schließen lassen. Dass sie auf der Grundlage dieses Beweisergebnisses in tatrichterlicher Verantwortung zu der Wertung gelangt ist, eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat aufgrund der beim Angeklagten vorliegenden Persönlichkeitsstörung lediglich nicht ausschließen, nicht aber sicher feststellen zu können, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Bei dieser Sachlage ist entgegen dem Revisionsvorbringen auch keine weitere Darlegung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen geboten gewesen, zumal es sich bei der Prüfung einer erheblich verminderten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB bei Vorliegen eines gesicherten psychiatrischen Befunds um eine vom Tatrichter zu beantwortende Rechtsfrage handelt.

e) Da bereits aus den dargelegten Gründen die Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ausscheidet, bedarf es keiner Erörterung der weiteren von der Strafkammer angestellten Erwägungen zur Subsumtion der Persönlichkeitsstörung unter das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit (vgl. zum Maßstab BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.; vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 401) sowie zur Gefährlichkeitsprognose mehr.

III.

Revision des Angeklagten Das Rechtsmittel des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Das Landgericht ist - sachverständig beraten - aufgrund der Spurenlage am Tatort und des Verhaltens des Angeklagten nach der Tat zu der Überzeugung gelangt, dass der Brand vom Angeklagten vorsätzlich gelegt wurde. Gegen die Beweiswürdigung der Strafkammer ist aus den vom Generalbundesanwalt in seinem Zuleitungsantrag dargelegten Erwägungen revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 807

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 269 ; StV 2019, 239

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner