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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 310/01, Beschluss v. 23.10.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 310/01 - Beschluss vom 23. Oktober 2001 (LG Stuttgart)

Begriff der Tat im prozessualen Sinne (Brandstiftung und Betrug); Innerer Zusammenhang äußerlich ineinander übergehender Handlungen.

§ 264 StPO; § 306 StGB; § 263 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

1. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGHSt 45, 211, 212 m.w.N.) ist die Tat als Prozeßgegenstand nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten dort zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört zu ihr das gesamte Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Auch sachlichrechtlich selbständige Taten können prozessual eine Tat im Sinne von § 264 StPO sein.

2. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Dies kann nicht unabhängig von den verletzten Strafbestimmungen beurteilt werden, die notwendige innere Verknüpfung muß sich vielmehr unmittelbar aus den ihnen zugrundeliegenden Handlungen und Ereignissen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung ergeben. Eine zeitliche und räumliche Trennung hindert nicht, die mehreren Sachverhalte als eine prozessuale Tat aufzufassen.

3. Ist nach diesen Maßstäben ein einheitlicher Vorgang gegeben, so sind die Einzelgeschehnisse, aus denen er sich zusammensetzt, auch insoweit Bestandteil der angeklagten Tat, als sie keine Erwähnung in der Anklage gefunden haben (vgl. BGH aaO S. 213).

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2001 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:

Das Landgericht hat die Angeklagten unter anderem wegen Brandstiftung in Tatmehrheit mit Betrug verurteilt.

Nach den Feststellungen hatten die Angeklagten beschlossen, den unrentabel gewordenen Druckereibetrieb des Angeklagten P niederzubrennen, um dann unberechtigt Versicherungsleistungen aus der Brandversicherung des Angeklagten P. geltend machen und die Auszahlungsbeträge untereinander aufteilen zu können. Für den Druckereibetrieb bestand eine Feuerversicherung, bei der die Betriebseinrichtung für den Fall zum Neuwert versichert war, daß nach einem Brand ein Betriebsfortführungswille bestand; bei fehlendem Fortführungswillen sollte nur der Zeitwert ersetzt werden.

In Umsetzung des gemeinsamen Tatplans legte der Angeklagte S. in der Halle des vom Angeklagten P betriebenen Druckereibetriebes einen Brand, der die Druckmaschinen weitgehend zerstörte. Der Angeklagte P täuschte sodann absprachegemäß der Brandversicherung das Vorliegen eines Versicherungsfalles vor und machte dabei die Erstattung des Neuwertes der zerstörten Betriebseinrichtung geltend, obwohl er nicht die Absicht hatte, den Druckereibetrieb fortzuführen. Die Versicherung erbrachte auf ihre vermeintliche Leistungspflicht hin mehrere Abschlagszahlungen.

Die Verfahrensvoraussetzung einer zugelassenen Anklage liegt - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - auch hinsichtlich der Brandstiftung vor. Die Brandstiftung und der darauf beruhende Betrug zum Nachteil der Versicherung sind eine prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO.

Zwar legt die unverändert zugelassene Anklage vom 17. Juli 2000 den Angeklagten lediglich einen Betrug gegenüber der Brandversicherung zur Last, der unter Vorspiegelung einer Betriebsfortführungsabsicht auf die unberechtigte Erlangung eines Betrages in Höhe der Differenz von Neuwert und Zeitwert der zerstörten Maschinen gerichtet war. Die Brandstiftung wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Vielmehr führt die Anklageschrift im wesentlichen Ermittlungsergebnis aus, daß den Angeklagten eine Beteiligung an der Brandstiftung nicht nachzuweisen sei. Dennoch bildet die Brandstiftung durch die Angeklagten mit dem in der Anklage beschriebenen, nach Ort und Zeit konkretisierten Betrug, zu dessen Ermöglichung die Angeklagten die Brandstiftung begangen haben, eine Tat im prozessualen Sinn.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGHSt 45, 211, 212 m.w.N.) ist die Tat als Prozeßgegenstand nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten dort zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört zu ihr das gesamte Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Auch sachlichrechtlich selbständige Taten können prozessual eine Tat im Sinne von § 264 StPO sein. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Dies kann nicht unabhängig von den verletzten Strafbestimmungen beurteilt werden, die notwendige innere Verknüpfung muß sich vielmehr unmittelbar aus den ihnen zugrundeliegenden Handlungen und Ereignissen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung ergeben. Eine zeitliche und räumliche Trennung hindert nicht, die mehreren Sachverhalte als eine prozessuale Tat aufzufassen. Ist nach diesen Maßstäben ein einheitlicher Vorgang gegeben, so sind die Einzelgeschehnisse, aus denen er sich zusammensetzt, auch insoweit Bestandteil der angeklagten Tat, als sie keine Erwähnung in der Anklage gefunden haben (vgl. BGH aaO S. 213).

Zwar ist für die Beurteilung des Unrechts- und Schuldgehaltes eines allein auf die Erlangung der Differenz von Neuwert- und Zeitwerterstattung gerichteten Betruges gegenüber einer Brandversicherung die Kenntnis der Täter einer Brandstiftung nicht erforderlich. Der Inhaber eines durch Brand zerstörten Betriebes kann diesen Differenzbetrag von der Versicherung durch Betrug unabhängig davon erlangen, ob er Täter der Brandstiftung ist, ja sogar unabhängig von der Feststellung, daß überhaupt eine Brandstiftung vorliegt. Der für eine einheitliche prozessuale Tat erforderliche innere Zusammenhang zwischen einem solchen Betrug und der vorausgehenden Brandstiftung ist daher nicht ohne weiteres gegeben.

Der vorliegende Fall zeichnet sich aber dadurch aus, daß die Angeklagten die Versicherung zugleich über das Vorliegen eines Versicherungsfalles und über eine tatsächlich nicht bestehende Betriebsfortführungsabsicht des Betriebsinhabers getäuscht haben. Dieses Verhalten stellt eine einheitliche Handlung und damit einen einheitlichen Betrug dar, der von der Untersuchung und dem Urteil auch dann vollständig zu erfassen ist, wenn einzelne Umstände eines zusammengehörigen Tatgeschehens in der Anklage nicht geschildert sind. Für die Frage, ob ein einheitliches Tatgeschehen gegeben ist, kommt es - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer - nicht auf den Erkenntnisstand der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung sondern allein auf die Tatsachenfeststellungen des Gerichts zum Urteilszeitpunkt an. Der Umstand, daß der Angeklagte P erst Monate später der Versicherung zum "Nachweis" seines angeblichen Betriebsfortführungswillens eine Scheinrechnung über einen Kauf einer Druckmaschine vorgelegt hat, ändert nichts am Vorliegen einer bereits mit der Anzeige eines Versicherungsfalles und der Geltendmachung des Neuwertes begangenen einheitlichen Betrugshandlung gegenüber der Versicherung. Eine andere rechtliche Würdigung käme allenfalls dann in Betracht, wenn die beiden Täuschungen - anders als hier nicht gleichzeitig erfolgt wären.

Ist somit aber auch die Täuschung der Versicherung über das Bestehen eines Versicherungsfalles als solches Gegenstand der Untersuchung, gehören der (einheitliche) Betrug und die ihm vorgelagerte Brandstiftung zur selben Tat im prozessualen Sinn. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bilden der Betrug gegenüber der Versicherung, der in einer Anklage keine ausdrückliche Erwähnung findet, und die angeklagte Brandstiftung jedenfalls dann eine Tat im prozessualen Sinn, wenn der Brandstifter die Versicherung über das Vorliegen eines Versicherungsfalles täuscht (vgl. BGHSt aaO S. 214). Die Verurteilung wegen Betruges setzt nämlich voraus, daß der Versicherer von seiner Leistungspflicht frei geworden ist. Eine solche Feststellung kann in der Regel nicht ohne Untersuchung der Umstände getroffen werden, die zum Inbrandsetzen geführt haben (vgl. BGHSt aaO 3.214).

Vorliegend ist allerdings der umgekehrte Fall gegeben. Auf diese Abweichung kann es aber nicht entscheidend ankommen. Sind die einzelnen Handlungen nach den dargestellten Grundsätzen äußerlich und innerlich derart miteinander verknüpft, daß das Gesamtgeschehen als eine Tat im prozessualen Sinn anzusehen ist, dann sind sämtliche Einzelgeschehnisse, aus denen sich der einheitliche Vorgang zusammensetzt, Bestandteil der angeklagten Tat (vgl. BGHSt aaO S. 213). Es macht insoweit keinen Unterschied, welche dieser Geschehnisse in der Anklage ausdrücklich Erwähnung gefunden haben und welche nicht. Auf die Veränderung des Tatbildes und des rechtlichen Gesichtspunktes (§ 265 StPO) hat das Landgericht hingewiesen.

Bearbeiter: Karsten Gaede