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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 186

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 288/15, Beschluss v. 29.10.2015, HRRS 2016 Nr. 186


BGH 3 StR 288/15 - Beschluss vom 29. Oktober 2015 (LG Krefeld)

Sachlich-rechtlich fehlerhafte Beweiswürdigung (Überzeugungsbildung hinsichtlich der Falschheit eines Alibis aufgrund bloßer Vermutung); kein Rückschluss auf fehlende Glaubwürdigkeit eines verweigerungsberechtigten Zeugen aufgrund dessen Aussageverhalten.

§ 261 StPO; § 52 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 24. März 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes unter Einbeziehung einer Strafe aus einer früheren Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Gegen die Beweiswürdigung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.

Der Angeklagte hat den gegen ihn erhobenen Vorwurf, zusammen mit einem unbekannten Mittäter die 89jährige Geschädigte in ihrem Einfamilienhaus überfallen, mit Panzerklebeband gefesselt und mindestens 2.000 € entwendet zu haben, bestritten und geltend gemacht, sich zum Zeitpunkt der Tat in Serbien aufgehalten zu haben. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten insbesondere auf DNA-Spuren, die auf dem Panzerklebeband, mit dem die Geschädigte gefesselt worden war, sichergestellt wurden und die mit einem Wert von 1:10 Milliarden auf den Angeklagten als Spurenleger weisen. Als ein weiteres Indiz für die Täterschaft des Angeklagten hat die Strafkammer den Umstand gewertet, dass das von ihm behauptete Alibi nachweislich erlogen sei. Den Aussagen von Zeugen, die bekundet haben, dass er sich zur Tatzeit bei ihnen in Serbien aufgehalten habe, hat die Strafkammer keinen Glauben geschenkt. Ihre Überzeugung, dass das vom Angeklagten behauptete Alibi falsch sei, hat sie auch nicht durch den Umstand erschüttert gesehen, dass der Reisepass des Angeklagten Stempeleinträge enthält, die eine Einreise nach Serbien drei Tage vor dem Tattag und seine Ausreise einige Tage nach der Tat ausweisen. Die Strafkammer hat offengelassen, ob die Passeinträge möglicherweise gefälscht seien. Denn der Pass könne auch von anderen Personen benutzt und an der Grenze, möglicherweise durch Bestechung, nachträglich mit Originalstempeln versehen worden sein.

2. Diese Beweiswürdigung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, oder wenn sich seine Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - 3 StR 259/09, NStZ-RR 2009, 351, 352; Beschluss vom 7. Februar 2013 - 3 StR 503/12, juris Rn. 10; KK/Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 45 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft. Der Umstand, dass sich im Pass des Angeklagten die erwähnten Ein- und Ausreisestempel für Serbien finden, ist für die Frage, ob er sich im fraglichen Zeitraum - wie von ihm behauptet - dort und damit nicht am Tatort aufgehalten hat, von nicht unerheblicher Bedeutung. Eine nachvollziehbare Begründung, warum das Landgericht dennoch überzeugt ist, dass der Angeklagte sich im Tatzeitraum in Deutschland befunden hat, enthält das Urteil nicht. Die Begründung, der Pass könne „durch andere Personen benutzt und an der Grenze, eventuell gegen Bestechung, auch nachträglich mit Originalstempeln“ versehen worden sein, entbehrt vielmehr einer festen Tatsachengrundlage, so dass sie sich letztlich als bloße Vermutung darstellt.

Das Urteil beruht auf dieser fehlerhaften Beweiswürdigung; denn der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die nicht tragfähige Erwägung zu einer abweichenden Überzeugung gelangt wäre.

3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Die weitere Begründung der Strafkammer, weshalb sie die Alibibehauptung des Angeklagten für nicht glaubhaft gehalten hat, erweist sich jedenfalls als rechtlich bedenklich. Das Landgericht hat insoweit ausgeführt, dass gegen die Richtigkeit der Behauptung des Angeklagten, zum Tatzeitpunkt in Belgrad gewesen zu sein, auch spreche, dass seine Familie - anders als hinsichtlich des zunächst mitbeschuldigten Stiefsohns des Angeklagten - sich erst spät um die Alibizeugen gekümmert habe. Während der Verteidiger des Stiefsohns sogleich nach Erhebung des Tatvorwurfs eidesstattliche Versicherungen dieser Alibizeugen über dessen Aufenthalt in Belgrad im Tatzeitraum eingeholt habe, habe sich die Familie um entsprechende Erklärungen hinsichtlich des Angeklagten nicht bemüht. Es bestehe aber „kein vernünftiger Anhalt für die Annahme“, dass die Familie im März 2014 nur ein Alibi für den Stiefsohn besorgt hätte, obwohl sie gewusst habe, dass sich der Angeklagte zusammen mit diesem dort aufgehalten habe. Die Ehefrau des Angeklagten habe zur Aufklärung dieses Verhaltens nicht beigetragen, da sie vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen indes nicht daraus hergeleitet werden, dass dieser zunächst geschwiegen und erst später seine entlastenden Angaben gemacht hat. Würde die Tatsache, dass ein Zeugnisverweigerungsberechtigter von sich aus nichts zur Aufklärung beigetragen hat, geprüft und gewertet, so könnte er von seinem Schweigerecht nicht mehr unbefangen Gebrauch machen, weil er befürchten müsste, dass daraus später Schlüsse zu Lasten des Angeklagten gezogen würden (BGH, Urteil vom 2. April 1987 - 4 StR 46/87, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Verweigerung 1; Beschlüsse vom 22. Mai 2001 - 3 StR 130/01, StV 2002, 4; vom 13. August 2009 - 3 StR 168/09, NStZ 2010, 101, 102). Das Verbot, aus der Zeugnisverweigerung eines Angehörigen gegen den Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen, gilt auch dann, wenn der zur Zeugnisverweigerung Berechtigte überhaupt keine Angaben macht (BGH, Beschlüsse vom 22. März 1988 - 4 StR 35/88, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 8; vom 16. Juli 1991 - 1 StR 377/91, StV 1991, 450).

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 186

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 117 ; StV 2016, 419

Bearbeiter: Christian Becker