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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 212

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 474/17, Beschluss v. 29.11.2017, HRRS 2018 Nr. 212


BGH 3 StR 474/17 - Beschluss vom 29. November 2017 (LG Trier)

Entgegenstehende Ansprüche von Verletzten beim Verfall; keine Aufnahme des Regelbeispiels in die Urteilsformel; lückenhafte Urteilsgründe mit Blick auf die Voraussetzungen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung.

§ 55 StGB; § 73 StGB; § 243 StGB; § 111i StPO; § 260 StPO;

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 23. Mai 2017

im Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten D. dahin neu gefasst, dass dieser des schweren Bandendiebstahls in neun Fällen, des versuchten schweren Bandendiebstahls sowie des Diebstahls schuldig ist,

aufgehoben

hinsichtlich des Angeklagten D. im Gesamtstrafenausspruch, jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;

soweit der Verfall von Wertersatz (1) in Höhe von 100 € zum Nachteil des Angeklagten D., (2) in Höhe von 4.854,95 € zum Nachteil des Angeklagten S. und (3) in Höhe von 585,60 € zum Nachteil des Angeklagten G. angeordnet worden ist.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen schweren Bandendiebstahls in zwölf Fällen, davon in zwei Fällen wegen Versuchs, sowie wegen schweren Bandendiebstahls oder gewerbsmäßiger Bandenhehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Angeklagten D. hat es wegen schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen, davon in einem Fall wegen Versuchs, sowie wegen „gewerbsmäßigen Diebstahls“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten G. hat es wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen sowie wegen schweren Bandendiebstahls oder gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in drei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Darüber hinaus hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 4.854,95 € gegen den Angeklagten S., in Höhe von 100 € gegen den Angeklagten D. und in Höhe von 585,60 € gegen den Angeklagten G. angeordnet. Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Soweit der Angeklagte D. im Fall II.1. der Urteilsgründe wegen „gewerbsmäßigen Diebstahls“ verurteilt worden ist, war der Schuldspruch neu zu fassen. Das Vorliegen gesetzlicher Regelbeispiele für besonders schwere Fälle (hier § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) ist nicht in die Urteilsformel aufzunehmen; derartige Strafzumessungsvorschriften gehören nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2012 - 3 StR 104/12, juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 260 Rn. 25; jeweils mwN).

2. Der Gesamtstrafenausspruch betreffend den Angeklagten D. hat keinen Bestand.

Nach den Urteilsfeststellungen beging der Angeklagte die abgeurteilten Taten im Zeitraum vom 7. Mai 2016 bis zum 16. September 2016. Davor war er mit Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 22. Februar 2016 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden; dieses Urteil ist am 12. Oktober 2016 rechtskräftig geworden. Das Landgericht hat nicht mitgeteilt, ob die Rechtskraft aufgrund einer Berufungs- oder Revisionsentscheidung bzw. durch Rechtsmittelrücknahme eingetreten ist. Daher kann der Senat nicht prüfen, ob das Landgericht zu Recht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen aus dem amtsgerichtlichen Urteil abgesehen hat. Eine solche wäre gemäß § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB möglich, wenn - was angesichts der mitgeteilten Daten nicht fernliegt - nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten in einer Berufungsverhandlung über das Urteil des Amtsgerichts Koblenz zur Sache verhandelt worden wäre.

Die lückenhaften Urteilsgründe zwingen daher zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Da die insoweit getroffenen bisherigen Feststellungen von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können sie bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

3. Die Anordnungen des Verfalls von Wertersatz haben keinen Bestand. Sie begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken:

Hinsichtlich der sichergestellten Geldbeträge weichen die Urteilsgründe vom Urteilstenor ab: Danach wurden beim Angeklagten D. 332,50 € (statt 100 €), beim Angeklagten G. 585 € (statt 585,60 €) und beim Angeklagten S. 100 € sichergestellt, 2.024,32 € gepfändet und 4.800 € beschlagnahmt (statt 4.854,95 €; vgl. UA Seite 19).

Das Landgericht hat zudem übersehen, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz jeweils die zivilrechtlichen Ansprüche der Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aF entgegenstehen; diese Vorschrift ist auch bei Anwendung des § 73a StGB aF zu beachten (BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2003 - 3 StR 109/03, juris; vom 4. November 2003 - 4 StR 266/03, juris Rn. 4). Eine - hier naheliegende - Ermessensentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO aF (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, 242; KK/Spillecke, StPO, 7. Aufl., § 111i Rn. 17) hat die Strafkammer rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2014 - 4 StR 60/14, BGHSt 60, 75, 77 f.) nicht getroffen; ein Fall, in dem diese ausnahmsweise durch das Revisionsgericht nachgeholt werden kann, liegt nicht vor. Daher waren die Verfallsanordnungen aufzuheben. Der Senat weist darauf hin, dass die Härtevorschrift des § 73c StGB aF auch im Rahmen der Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO aF zu prüfen ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 212

Bearbeiter: Christian Becker